Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 837/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_837/2014

Urteil vom 8. April 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
A.________ GmbH,
vertreten durch Rechtsanwalt Christof Schäfli,
Beschwerdeführerin,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 1. Oktober 2014.

Sachverhalt:

A. 
Die A.________ GmbH ist seit 1. September 2007 der Ausgleichskasse des Kantons
St. Gallen als beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen. B.________ ist
einziger Gesellschafter und Arbeitnehmer der GmbH. In der Jahresabrechnung 2009
gab die Gesellschaft einen Jahreslohn von Fr. 120'000.- an, während sie für das
Jahr 2010 eine Lohnsumme von Fr. 180'000.- deklarierte. Nach einer
Arbeitgeberkontrolle teilte die Ausgleichskasse der Gesellschaft mit Schreiben
vom 9. September 2013 mit, dass für die Jahre 2009 und 2010 jeweils die Hälfte
der als übersetzt zu betrachtenden Dividenden von Fr. 8000.- und Fr. 49'000.-,
somit Fr. 4000.- und Fr. 24'500.-, zur Lohnsumme aufgerechnet würden.
Dementsprechend verpflichtete die Ausgleichskasse die A.________ GmbH mit
Verfügungen vom 20. September 2013 zur Nachzahlung von AHV/IV/EO- sowie FAK-
und AlV-Beiträgen von Fr. 568.10 für das Jahr 2009 sowie von Fr. 2989.75 für
das Jahr 2010 (je einschliesslich Verwaltungskosten). Zusätzlich verpflichtete
sie die Gesellschaft zur Bezahlung von Verzugszinsen. Auf Einsprache hin hielt
die Ausgleichskasse mit Entscheid vom 10. Dezember 2013 an ihren Verfügungen
fest.

B. 
Die von der A.________ GmbH gegen den Einspracheentscheid eingereichte
Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid
vom 1. Oktober 2014 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt die A.________
GmbH beantragen, der vorinstanzliche Entscheid und der Einspracheentscheid
seien aufzuheben; eventuell sei die Sache zu neuer Entscheidung an das
kantonale Gericht zurückzuweisen.
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf
eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 

1.1. Gemäss Art. 4 und 5 AHVG werden Sozialversicherungsbeiträge nur vom
Erwerbseinkommen erhoben, nicht aber vom Vermögensertrag (BGE 122 V 178 E. 3b
S. 179 f.). Dividenden sind hingegen beitragsfreier Vermögensertrag, weshalb es
unter beitragsrechtlichem Gesichtswinkel vorteilhaft erscheinen mag, hohe
Dividenden und ein tiefes Salär auszuweisen (SZS 2013 S. 76, 9C_669/2011 E.
2.1).

1.2. Nach der Rechtsprechung gehören Vergütungen, die als reiner Kapitalertrag
zu betrachten sind, nicht zum massgebenden Lohn. Ob dies zutrifft, ist nach dem
Wesen und der Funktion einer Zuwendung zu beurteilen. Deren rechtliche oder
wirtschaftliche Bezeichnung ist nicht entscheidend und höchstens als Indiz zu
werten. Unter Umständen können auch Zuwendungen aus dem Reingewinn einer
Aktiengesellschaft beitragsrechtlich massgebender Lohn sein; dies gilt laut
Art. 7 lit. h AHVV namentlich für Tantiemen. Es handelt sich dabei um
Vergütungen, die im Arbeitsverhältnis ihren Grund haben. Zuwendungen, die nicht
durch das Arbeitsverhältnis gerechtfertigt werden, gehören nicht zum
massgebenden Lohn, sondern sind Gewinnausschüttungen, welche eine Gesellschaft
ihren Gesellschaftern ohne entsprechende Gegenleistung zuwendet, aber
unbeteiligten Dritten unter den gleichen Umständen nicht erbringen würde (BGE
134 V 297 E. 2 S. 299 f. mit Hinweisen auf BGE 103 V 1 E. 2b S. 4; ZAK 1989 S.
147, E. 2b, H 131/86; Pra 86/1997 Nr. 96 S. 520 f., E. 4b, H 241/96; Urteil des
Eidg. Versicherungsgerichts H 49/02 vom 19. November 2002, E. 4.1; siehe auch
Paul Cadotsch, Unternehmenssteuerreform II: Dividenden und AHV-Beiträge, in:
Steuerrevue StR 1/2009, S. 47 ff.).

1.3. Dabei muss im Lichte der gesetzlichen Grundentscheidung, wonach nur
Erwerbseinkommen, nicht aber Vermögensertrag beitragspflichtig ist, bei der
Beurteilung von Leistungen, welche eine Aktiengesellschaft an Personen
ausrichtet, die zugleich Arbeitnehmer und Aktionäre sind, einerseits eine
angemessene Entschädigung für die geleistete Arbeit und andererseits ein
angemessener Vermögensertrag zugrunde gelegt werden. Die Gesellschaft hat hier
einen erheblichen Ermessensspielraum. Den Steuerbehörden steht nicht zu, die
Angemessenheit des Lohnes bzw. der Dividende frei zu überprüfen. Von der durch
die Gesellschaft gewählten Aufteilung ist nur dann abzuweichen, wenn ein
offensichtliches Missverhältnis zwischen Arbeitsleistung und Lohn bzw. zwischen
eingesetztem Vermögen und Dividende besteht. Wie im AHV-Recht (E. 2.2), aber
mit umgekehrten Vorzeichen, ist dabei auf einen Drittvergleich abzustellen: Es
ist zu prüfen, ob unter Berücksichtigung aller objektiven und subjektiven
Faktoren die gleiche Leistung auch einem aussenstehenden Dritten erbracht
worden wäre (dazu im Detail und mit zahlreichen Hinweisen: BGE 134 V 297 E. 2.2
S. 300 f.).

1.4. Hinsichtlich der Frage, ob ein offensichtliches Missverhältnis zwischen
Arbeitsleistung und Lohn bzw. zwischen eingesetztem Vermögen und Dividende
besteht, hat sich eine Praxis entwickelt, die laut BGE 134 V 297 in
modifizierter Form bundesrechtskonform ist (sog. "Nidwaldner Praxis"). Demnach
werden deklariertes AHV-Einkommen und branchenübliches Gehalt einerseits und
Dividendenzahlung und Aktienwert anderseits zueinander in Beziehung gesetzt, um
zu bestimmen, ob ein Teil der ausgeschütteten Dividende als beitragsrechtlich
massgebendes Einkommen aufzurechnen ist. Vom Bundesgericht ist die genannte
Praxis lediglich insofern korrigiert worden, als die Angemessenheit des
(beitragsfreien) Vermögensertrags nicht in Relation zum Nennwert (Nominalwert),
sondern zum effektiven wirtschaftlichen Wert der Aktien (Eigenkapital inkl.
offene und stille Reserven) zu beurteilen ist (BGE 134 V 297 E. 2.8 S. 304).

1.5. Praxisgemäss ist es Sache der Ausgleichskassen, selbstständig zu
beurteilen, ob ein Einkommensbestandteil als massgebender Lohn oder als
Kapitalertrag qualifiziert werden muss. Der in Art. 23 AHVV enthaltenen Ordnung
entspricht es, dass sich die Ausgleichskassen in der Regel jedoch an die
bundessteuerrechtliche Betrachtungsweise halten. Soweit es vertretbar ist, soll
eine verschiedene Betrachtungsweise der Steuerbehörde und der AHV-Verwaltung
vermieden werden, dies um der Einheit und Widerspruchslosigkeit der gesamten
Rechtsordnung willen (BGE 103 V 1 E. 2c S. 4; ZAK 1989 S. 148 E. 2c). Die
Parallelität zwischen sozialversicherungs- und steuerrechtlicher Qualifikation
ist nicht leichthin preiszugeben (SZS 2013 S. 76, 9C_669/2011).

2. 

2.1. Die Vorinstanz stellt fest, dass die B.________ in den Jahren 2009 und
2010 ausbezahlten Löhne von Fr. 120'000.- und Fr. 180'000.- nicht
offensichtlich zu tief gewesen seien. Gleichwohl erachtete sie einen
vollständigen Verzicht auf eine Lohnaufrechnung, wie er sich aus der
Rechtsprechung ergeben würde, als nicht sachgerecht. Bei Verhältnissen wie
vorliegend, die keinen hohen Kapitaleinsatz erfordern, sei nicht ersichtlich,
wozu die Beschwerdeführerin ein Kapital von Fr. 220'208.- (2009) und sogar Fr.
509'387.- (2010; Steuerwert der Wertschriften) benötigen solle, das dann einen
entsprechenden Betrag abwerfen könnte. Bestehe nur ein marginaler Kapitalbedarf
(und damit Kapitaleinsatz), sei auch nicht von substanziellen Kapitalerträgen
auszugehen. Es sei daher anzunehmen, dass zumindest ein Teil der als Dividende
deklarierten Bezüge des Gesellschafters nicht auf den Einsatz von Kapital,
sondern auf dessen Arbeitsleistung als Angestellter der Beschwerdeführerin
zurückzuführen ist. Es verhalte sich damit ähnlich wie bei Tantiemen an
Mitglieder der Verwaltung oder der geschäftsführenden Organe, die ebenfalls aus
dem Reingewinn ausgeschüttet werden und kraft ausdrücklicher gesetzlicher
Regelung (Art. 7 lit. h AHVV) als massgebender Lohn der Beitragspflicht
unterliegen.

2.2. Die Beschwerdeführerin wendet ein, nach der Rechtsprechung (BGE 134 V 297;
SVR 2013 AHV Nr. 4 S. 15 [9C_669/2011]) sei die Umqualifikation einer Dividende
in massgebenden Lohn nur zulässig, wenn kumulativ sowohl ein unangemessen
tiefer Lohn mit einer im Vergleich zum eingesetzten Kapital unangemessen hohen
Dividende einhergeht. Bei einem Lohn in angemessener Höhe bleibe kein Raum, um
von der steuerrechtlichen Qualifikation abzuweichen und statt von einer
Dividende von massgebendem Lohn auszugehen. Die von B.________ als Arbeitnehmer
der Gesellschaft bezogenen Entschädigungen von Fr. 120'000.- für 2009 und Fr.
180'000.- für das Jahr 2010 seien angemessen, jedenfalls nicht unangemessen
tief.

2.3. Den Vorbringen der Beschwerdeführerin ist beizupflichten. Von einem
offensichtlichen Missverhältnis zwischen der Arbeitsleistung von B.________ und
dem von diesem in den Jahren 2009 und 2010 hiefür bezogenen Entgelten von Fr.
120'000.- und Fr. 180'000.- kann nicht die Rede sein, was auch die Vorinstanz
zutreffend festgehalten hat. Es braucht daher entgegen den Ausführungen im
angefochtenen Entscheid nicht zusätzlich geprüft zu werden, ob zwischen dem
eingesetzten Vermögen und der ausgeschütteten Dividende ein solches
Missverhältnis besteht; denn die erwähnten Voraussetzungen für eine Abweichung
von der Qualifikation der Einkommensbestandteile durch die Steuerbehörde müssen
nach der Rechtsprechung kumulativ erfüllt sein, was das kantonale Gericht
verkennt und zur Aufhebung seines Entscheides führt.

3. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Ausgleichskasse aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Diese hat der
Beschwerdeführerin überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs.
1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons St. Gallen vom 1. Oktober 2014 und der Einspracheentscheid der
Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen vom 10. Dezember 2013 werden aufgehoben.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 700.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2400.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. April 2015
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Widmer

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