Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 824/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
9C_824/2014 {T 0/2}     

Urteil vom 21. Oktober 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Parrino,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Korinna Fröhlich,
Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 30. September 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________ war Mitglied des Verwaltungsrates der B.________ AG, über die im
2009 der Konkurs eröffnet wurde. Im 2012 wurde der Konkurs geschlossen und die
Gesellschaft von Amtes wegen gelöscht. Bereits mit Verfügung vom 25. November
2011 hatte die Ausgleichskasse des Kantons Zürich, welcher die B.________ AG
als beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen war, A.________ als
ehemaliges Mitglied des Verwaltungsrats der konkursiten Aktiengesellschaft zur
Bezahlung von Schadenersatz für entgangene Beiträge in der Höhe von Fr.
685'440.05 verpflichtet. Auf Einsprache von A.________ hin reduzierte die
Ausgleichskasse die Schadenersatzforderung mit Entscheid vom 19. Dezember 2012
auf Fr. 662'448.-.

B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher A.________ sinngemäss die
Aufhebung des Einspracheentscheides beantragt hatte, hiess das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 30. September
2014 teilweise gut und hob den Einspracheentscheid insofern auf, als A.________
zur Bezahlung eines Fr. 657'350.50 übersteigenden Betrages verpflichtet wurde.
Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und
des Einspracheentscheides sei festzustellen, dass er nicht zur Bezahlung von
Schadenersatz verpflichtet sei. Eventuell sei die Sache zur Vornahme weiterer
Abklärungen und zu neuer Entscheidung an das kantonale Gericht zurückzuweisen.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung
des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze über die
Pflicht des Arbeitgebers, der Ausgleichskasse den durch absichtliche oder
grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften verschuldeten Schaden zu ersetzen
(Art. 52 Abs. 1 AHVG), die subsidiäre Haftung der verantwortlichen Organe einer
juristischen Person (BGE 123 V 12 E. 5b S. 15), die Verjährung des
Schadenersatzanspruchs (Art. 52 Abs. 3 AHVG; BGE 131 V 425 E. 3.1 S. 427), den
Eintritt (BGE 126 V 443 E. 3a S. 444) und die Kenntnis des Schadens (BGE 131 V
425 E. 3.1 S. 427, 129 V 193 E. 2.1 S. 195), die Höhe des Schadens (BGE 121 III
382 E. 3bb S. 384; ZAK 1991 S. 383 ff. und 433 ff.), die Beitragszahlungs- und
-abrechnungspflicht des Arbeitgebers (Art. 14 Abs. 1 AHVG; Art. 34 ff. AHVV),
den Begriff der groben Fahrlässigkeit (BGE 108 V 199 E. 2a S. 202) sowie die
Aufgaben des Verwaltungsrates als Organ der Gesellschaft (Art. 716a Ziff. 1 OR)
zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3. 

3.1. Das kantonale Gericht hat in Bestätigung des Einspracheentscheides
erkannt, dass der Beschwerdeführer in der vorliegend relevanten Zeit bis zur
Demission (Löschung der Organfunktion im Handelsregister) als Delegierter des
Verwaltungsrates mit der Geschäftsführung der Gesellschaft betraut gewesen sei.
Die Vornahme und Überwachung der ordnungsgemässen Bezahlung der Beiträge habe
damit zu seinen unmittelbaren Aufgaben gehört. Konkrete Massnahmen zur
Gewährleistung der korrekten Beitragszahlung seien unterblieben. Mit seiner
Untätigkeit habe der Beschwerdeführer dazu beigetragen, dass der
Ausgleichskasse ein Schaden entstand. Bei dieser Sachlage treffe den
Beschwerdeführer ein Verschulden und auch der erforderliche Kausalzusammenhang
zwischen der Verletzung der Beitragszahlungspflichten und dem Eintritt des
Schadens sei zu bejahen.

3.2. 

3.2.1. Der Beschwerdeführer rügt verschiedene formelle Mängel des
vorinstanzlichen und des Verwaltungsverfahrens. So macht er eine Verletzung der
Pflicht der Sozialversicherungen, ihn über seine Rechte und Pflichten
aufzuklären, sowie des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend. Ebenso liege
eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes vor. In gleicher Weise erhebt er
verschiedene Vorwürfe gegen die Ausgleichskasse, welche ihre verfahrensmässigen
Pflichten verletzt habe.

3.2.2. In materieller Hinsicht bringt der Beschwerdeführer unter Beilage seines
Rücktrittsschreibens vor, im Juli 2008 aus dem Verwaltungsrat der nachmaligen
Konkursitin zurückgetreten zu sein. Der grösste Teil der Schadenersatzforderung
falle in die Zeit, als er bereits nicht mehr dem Verwaltungsrat angehörte.
Entgegen den Ausführungen der Vorinstanz habe er Massnahmen im Hinblick auf
eine korrekte Beitragszahlung getroffen. Dies sei insbesondere aus dem
Lagebericht vom 15. Juni 2008 ersichtlich. So habe er vom Mutterhaus sehr
kurzfristig die Freisetzung von genügend finanziellen Mitteln und einen
Sanierungsplan gefordert. Sodann habe er sich auch keine grobe Fahrlässigkeit
vorwerfen zu lassen. Die im Lagebericht aufgelisteten Massnahmen zeigten, dass
er alles unternommen habe, was von ihm vernünftigerweise erwartet werden
konnte. Schliesslich bringt der Beschwerdeführer vor, die Gesellschaft habe von
Juni 2009 bis 21. Mai 2010 Zahlungen von insgesamt Fr. 613'130.45 an die
Ausgleichskasse geleistet. Diese Zahlungen habe die Ausgleichskasse an die
Ausstände im Zeitraum August 2009 bis Mai 2010 angerechnet. Dadurch habe sie
Art. 87 Abs. 1 OR verletzt, wonach bei mehreren offenen Schulden Zahlungen an
die jeweils zuerst betriebene oder früher verfallende anzurechnen sind. Die
Ausgleichskasse hätte diese Zahlungen von Fr. 613'130.45 auf jene
Beitragsschulden anrechnen müssen, die sie gegenüber dem Beschwerdeführer
geltend macht. Denn diese seien in der Zeit von Januar 2007 bis Juni 2009, und
damit früher, verfallen.

4. 

4.1. Die formellen Rügen sind unbegründet: Der Beschwerdeführer behauptet
nicht, dass die Ausgleichskasse sich geweigert habe, ihn über seine Rechte und
Pflichten aufzuklären, wie dies den Versicherungsträgern und
Durchführungsorganen der einzelnen Sozialversicherungen gemäss Art. 27 Abs. 1
und 2 ATSG obliegt. Die Beschwerde an die Vorinstanz besteht in der Tat
lediglich aus drei Sätzen. Daraus ergibt sich jedoch sinngemäss der Antrag,
dass die verfügte, im Einspracheentscheid bestätigte Schadenersatzforderung der
Ausgleichskasse vollumfänglich abzuweisen sei. Ebenso lässt sich eine äusserst
kurz gehaltene Begründung dieses Rechtsbegehrens erkennen: Der Beschwerdeführer
macht geltend, in der Zeit als Verwaltungsratsmitglied der Gesellschaft alles
in seiner Macht Stehende unternommen zu haben, um den Schaden, welcher der
Ausgleichskasse entstanden ist, abzuwenden. Damit genügt die Beschwerde knapp
den gesetzlichen Anforderungen, sodass die Vorinstanz nicht verpflichtet war,
dem Beschwerdeführer gestützt auf Art. 61 lit. b Satz 2 ATSG eine Frist zur
Verbesserung anzusetzen.
Der Beschwerdeführer hatte ferner sowohl im Einsprache- wie auch im kantonalen
Rechtsmittelverfahren Gelegenheit, sich allseitig zu seiner Sache zu äussern,
weshalb nicht einzuleuchten vermag, inwiefern Verwaltung und Vorinstanz den
Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt haben könnten. Dass er im
vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren davon abgesehen hat, entsprechende
Argumente vorzutragen oder Beweisanträge zu stellen, kann nicht der Vorinstanz
angelastet werden. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die
Ausgleichskasse habe im Einspracheverfahren seinen Anspruch auf rechtliches
Gehör verletzt, ist er darauf hinzuweisen, dass ein allfälliger derartiger
Verfahrensmangel im kantonalen Beschwerdeverfahren hätte geheilt werden können,
da die Vorinstanz mit voller Überprüfungsbefugnis entscheidet, somit auch
Tatfragen beurteilen kann. Wiederum hätte es am Beschwerdeführer gelegen, eine
entsprechende Rüge zu erheben, was er jedoch unterlassen hat.

4.2. In materieller Hinsicht beschränkt sich der Beschwerdeführer zur
Hauptsache auf den Einwand, dass er bereits im Juli 2008 aus dem Verwaltungsrat
der Gesellschaft zurückgetreten sei. Er legt letztinstanzlich sein
Rücktrittsschreiben auf und macht geltend, für den Teil der
Schadenersatzforderung, der in den Zeitraum fällt, als er nicht mehr dem
Verwaltungsrat angehörte, nicht zu haften. Es trifft zwar zu, dass für die
Dauer der Haftung des Verwaltungsratsmitglieds der Zeitpunkt massgebend ist, in
dem das Mandat tatsächlich beendet wurde (BGE 126 V 61; Urteil H 263/02 vom 6.
Februar 2003). Indessen handelt es sich beim Vorbringen des Beschwerdeführers
wie auch bei der dazugehörigen Urkunde um unzulässige Noven im Sinne von Art.
99 Abs. 1 BGG. Denn Anlass, auf diese Tatsache hinzuweisen und das
Rücktrittsschreiben als Beweismittel einzureichen, gab dem Beschwerdeführer
nicht erst der vorinstanzliche Entscheid vom 30. September 2014. Vielmehr hätte
er während der ganzen Dauer des Schadenersatzverfahrens auf diese Tatsache
aufmerksam machen müssen. Gelegenheit dazu bestand sowohl im Verwaltungs- als
auch im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren. Auf Grund des Novenverbots von
Art. 99 Abs. 1 BGG unzulässig sind auch die Behauptungen bezüglich der
angeblich getroffenen Vorkehren im Hinblick auf eine korrekte Beitragszahlung
durch die Gesellschaft. Ebenfalls nicht zu prüfen ist schliesslich die erstmals
vor Bundesgericht erhobene Einwendung, die ab Juni 2009 bis Mai 2010 getätigten
Zahlungen der Gesellschaft an die Ausgleichskasse in der Höhe von Fr.
613'130.45 seien von der Ausgleichskasse an den Zeitraum August 2009 bis Mai
2010 statt an die früher verfallenden Beitragsschulden vom Januar 2007 bis Juni
2009, die nunmehr gegenüber dem Beschwerdeführer geltend gemacht wurden,
angerechnet worden, was Art. 87 Abs. 1 OR verletze. Auch dabei handelt es sich
um eine unzulässige neue tatsächliche Behauptung gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG.

5. 
Zu bejahen sind mit der Vorinstanz ein grobfahrlässiges Verhalten, das Fehlen
von Exkulpationsgründen sowie auch der Kausalzusammenhang zwischen dem
Verhalten des Beschwerdeführers und dem der Ausgleichskasse durch die
Nichtbezahlung der Beiträge entstandenen Schaden. Es wird in diesen Punkten auf
die Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen. Die Ausführungen zur
groben Fahrlässigkeit, die aus Sicht des Beschwerdeführers nicht gegeben ist,
sowie zu den Exkulpationsgründen scheitern zudem am Novenverbot des Art. 99
Abs. 1 BGG.

6. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 12'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 21. Oktober 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Widmer

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