Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 772/2014
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2014
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2014


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_772/2014

Urteil vom 28. April 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Grünenfelder.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokat Stephan Müller,
Beschwerdeführerin,

gegen

Pensionskasse Kanton Solothurn,
Dornacherplatz 15, 4500 Solothurn,
Beschwerdegegnerin,

Stiftung Auffangeinrichtung BVG,
Rechtsdienst, Dominique Follonier,
Passage Saint-François 12, 1003 Lausanne,
Sammelstiftung B.________ für berufliche Vorsorge.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 11. September 2014.

Sachverhalt:

A. 
Die 1955 geborene A.________ war in der Gemeinde C.________ vom 15. Dezember
2003 bis zum 31. Juli 2004 als Lehrerin angestellt und bei der Pensionskasse
Kanton Solothurn (nachfolgend: Pensionskasse) berufsvorsorgeversichert. Im
September 2005 meldete sie sich insbesondere wegen starken Rosacea-Schüben bei
der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen und
Durchführung des Vorbescheidverfahrens gewährte ihr die IV-Stelle Basel-Stadt
mit Verfügung vom 10. Oktober 2007 ab 1. Juli 2005 eine halbe Invalidenrente
(Invaliditätsgrad: 51 %). Vorbescheid und Verfügung wurden der Pensionskasse
zugestellt.
Mit Schreiben vom 31. Oktober 2008 lehnte es die Pensionskasse ab,
Rentenleistungen zu erbringen, weil im Juli 2004 keine medizinisch begründete
Arbeitsunfähigkeit ausgewiesen sei.

B. 
Am 28. Dezember 2012 liess A.________ Klage gegen die Pensionskasse erheben mit
dem Rechtsbegehren, diese sei zu verpflichten, ihr ab 1. Juli 2005 eine halbe
Invalidenrente und Verzugszins von 5 % ab Klageeinreichung auszurichten. Nach
Beiladung der Stiftung Auffangeinrichtung BVG und der Sammelstiftung B.________
für berufliche Vorsorge (nachfolgend: Sammelstiftung B.________) wies das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn die Klage mit Entscheid vom 11.
September 2014 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, der Entscheid vom 11. September 2014 sei aufzuheben und es sei ihr
aus beruflicher Vorsorge ab 1. Juli 2005 eine halbe Invalidenrente
auszurichten; eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Pensionskasse lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen, soweit darauf
einzutreten sei. Die Sammelstiftung B.________ beantragt deren Gutheissung
sowie die Rückerstattung der seit 1. Juli 2005 erbrachten Vorleistungen von
monatlich Fr. 435.55. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf
eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1. 
Das Bundesgericht darf nicht über die Begehren der Parteien hinausgehen (Art.
107 Abs. 1 BGG). Indem die Beschwerdeführerin keine Verzinsung des geltend
gemachten Rentenanspruchs mehr beantragt, hat sie ihre Klage reduziert.
Insoweit wird diese gegenstandslos.

2. 
Anfechtungs- und Streitgegenstand ist der Anspruch der Beschwerdeführerin auf
eine Invalidenrente nach BVG. Dieser kann durch den Einbezug weiterer
Verfahrensbeteiligter nicht erweitert werden (BGE 130 V 501 E. 1.2 S. 503),
weshalb über den von der Sammelstiftung B.________ vorgebrachten
Rückerstattungsanspruch nicht zu befinden ist.

3. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

4.

4.1. Invalidenleistungen der obligatorischen beruflichen Vorsorge werden von
derjenigen Vorsorgeeinrichtung geschuldet, welcher der Ansprecher bei Eintritt
der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat,
angeschlossen war (Art. 23 lit. a BVG). Die Leistungspflicht setzt einen engen
sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen der während der Dauer des
Vorsorgeverhältnisses (einschliesslich der Nachdeckungsfrist nach Art. 10 Abs.
3 BVG) bestandenen Arbeitsunfähigkeit (Einbusse an funktionellem
Leistungsvermögen im bisherigen Beruf von zumindest 20 Prozent) und der
allenfalls erst später eingetretenen Invalidität voraus (BGE 136 V 65 E. 3.1 S.
68; 134 V 20 E. 3.2.2 S. 23; 130 V 270 E. 4.1 S. 275).

4.2. Ein Entscheid der IV-Stelle ist für eine Einrichtung der beruflichen
Vorsorge verbindlich, sofern sie in das invalidenversicherungsrechtliche
Verfahren einbezogen wurde, die konkrete Fragestellung für die Beurteilung des
Rentenanspruchs gegenüber der Invalidenversicherung entscheidend war und die
invalidenversicherungsrechtliche Betrachtungsweise aufgrund einer gesamthaften
Prüfung der Akten nicht als offensichtlich unhaltbar erscheint (BGE 133 V 67 E.
4.3.2 S. 69; 130 V 270 E. 3.1 S. 273). Diese Bindungswirkung findet ihre
positivrechtliche Grundlage in den Art. 23, 24 Abs. 1 und 26 Abs. 1 BVG, welche
an die Regelung des IVG anknüpfen oder diese übernehmen. Die Orientierung an
der Invalidenversicherung bezieht sich insbesondere auf die sachbezüglichen
Voraussetzungen des Rentenanspruchs, die Rentenhöhe und den Rentenbeginn (BGE
133 V 67 E. 4.3.2 S. 69).

4.3. Entscheiderhebliche Feststellungen der Vorinstanz zur Arbeitsfähigkeit,
die Ergebnis einer Beweiswürdigung sind, binden das Bundesgericht, soweit sie
nicht offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung beruhen (E.
2). Dies gilt auch für den Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit,
deren Ursache zur Invalidität geführt hat (Art. 23 lit. a BVG). Ebenfalls eine
lediglich unter eingeschränktem Blickwinkel überprüfbare Tatfrage ist, ob der
von der IV-Stelle festgesetzte Beginn der Wartezeit (Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG)
unrichtig ist. Frei überprüfbare Rechtsfrage ist dagegen, nach welchen
Gesichtspunkten die Entscheidung über den Zeitpunkt des Eintritts einer
rechtserheblichen Arbeitsunfähigkeit erfolgt sowie ob eine allfällige
Unhaltbarkeit des von der IV-Stelle festgesetzten Wartezeitbeginns
offensichtlich (und daher die Bindungswirkung aufgehoben) ist (Urteile 9C_599/
2013 vom 24. Februar 2014 E. 1.2.2 und 9C_140/2012 vom 12. April 2012 E. 3.2.1,
je mit Hinweisen).

5.

5.1. Die IV-Stelle ging von einer relevanten Arbeitsunfähigkeit ab Juli 2004
aus und sprach der Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 10. Oktober 2007 ab 1.
Juli 2005 (vgl. aArt. 29 Abs. 1 lit. b IVG [seit 1. Januar 2008: Art. 28 Abs. 1
lit. b IVG]) eine halbe Invalidenrente zu (Invaliditätsgrad: 51 %).

5.2. Die Vorinstanz ist der Auffassung, die Invalidenversicherung habe den
Beginn der Wartezeit offensichtlich unhaltbar festgelegt. Sie hat eine Bindung
der Beschwerdegegnerin verneint und entschieden, dass Letztere mangels einer
vor dem 1. August 2004 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit nicht
leistungspflichtig sei.
Diesbezüglich hat sie festgestellt, die IV-Stelle habe sich bei der Festlegung
des Invaliditätsbeginns im Wesentlichen auf den hausärztlichen Bericht von Frau
Dr. med. D.________ vom 26. Oktober 2005 gestützt. Darin sei das Datum 31. Juli
2004 erstmals als Beginn der Arbeitsunfähigkeit genannt worden, jedoch mit
einem Fragezeichen versehen. Inwiefern im fraglichen Zeitpunkt eine
invalidenversicherungsrechtlich relevante Leistungseinbusse vorgelegen haben
solle, gehe aber weder aus diesem Bericht noch aus den übrigen Akten hervor. In
der Folge hätten die behandelnden Ärzte und die IV-Stelle ohne weitere
Abklärungen auf dieses Datum als Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgestellt.

5.3.

5.3.1. Frau Dr. med. E.________, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie,
untersuchte die Beschwerdeführerin am 17. November 2003 und 23. Februar 2004.
Zwar hielt sie nicht explizit fest, dass im Juli 2004 eine relevante
Arbeitsunfähigkeit vorhanden gewesen sei. Sie kam aber zum Schluss, die Rosacea
habe im sozialen Bereich mittlerweile invalidisierende Wirkung, "nicht zuletzt
am Arbeitsplatz" (Bericht vom 5. April 2004). Schon aufgrund dieser
echtzeitlichen Angaben (SVR 2008 BVG Nr. 34 S. 143, 9C_127/2008 E. 3.3.3; BGE
129 V 150 E. 1 und 3 S. 151 ff.) ist eine relevante Einschränkung nicht völlig
von der Hand zu weisen.

5.3.2. Dies findet in den später datierten Berichten eine Stütze, welche der
IV-Stelle vorlagen und sich auf den relevanten Zeitraum beziehen. Dr. med.
F.________, der die Beschwerdeführerin ab Juni 2004 behandelt hatte, legte dar,
seine Patientin habe ihre (ursprüngliche) Stelle als Direktionssekretärin
aufgrund ihres ästhetischen Erscheinungsbildes verloren. Alsdann habe sie in
ihrem zweiten Beruf als Primarlehrerin gearbeitet, den Arbeitsplatz im Sommer
2004 (in C.________) aber aus denselben Gründen aufgeben müssen (Bericht vom
30. November 2005). Die (langjährige) Hausärztin Frau Dr. med. D.________
konstatierte, die Beschwerdeführerin könne nicht mehr in grossen Klassen
unterrichten; den damit verbundenen Stress-Situationen sei sie nicht mehr
gewachsen, was zu einer Verschlechterung des Hautausschlages im Gesicht führe
(Bericht vom 26. Oktober 2005). Die Stellvertretung in C.________ war im
Berichtszeitpunkt die letzte in einer Grossklasse, die länger als nur einzelne
Tage dauerte (vgl. Lebenslauf vom 22. September 2005 sowie ALV-Bescheinigungen
über Zwischenverdienste im September/Oktober 2004).
Gemäss Angaben von Dr. med. F.________ absolvierte die Beschwerdeführerin
ausserdem vom 19. Juli bis 1. August 2004 einen (explizit medizinisch
indizierten) Höhenkuraufenthalt (Bericht vom 15. September 2004), was mit einer
vollständigen Arbeitsunfähigkeit verbunden war.

5.3.3. Abgesehen von den medizinischen Akten ist zu gewichten, dass die
Anstellung der Beschwerdeführerin in C.________ bis zum 31. Juli 2004 befristet
war; ihr letzter effektiver Arbeitstag fiel auf den Beginn der Sommerferien
Anfang Juli. Danach stand sie nicht mehr im aktiven Schuldienst. Eine
Leistungseinbusse konnte der damaligen Arbeitgeberin demnach nicht auffallen,
zumal diese das Arbeitszeugnis bereits am 5. April 2004 erstellt hatte, während
hier der Sachverhalt im Juli 2004 interessiert.

5.4. Letztlich kann offenbleiben, ob die IV-Stelle den Beginn der Wartezeit
unhaltbar festgelegt hat oder nicht. Entscheidwesentlich ist einzig, dass es in
Anbetracht der erwähnten medizinischen Akten und tatsächlichen Umstände an
einer diesbezüglichen Offensichtlichkeit fehlt. Hinsichtlich des Eintritts
einer relevanten Arbeitsunfähigkeit im Juli 2004 ist die Pensionskasse an die
Verfügung der IV-Stelle vom 10. Oktober 2007 gebunden.

5.5. Die Vorinstanz hat einen engen zeitlichen Zusammenhang (vgl. BGE 134 V 20
E. 3.2.1 S. 22) zwischen der Arbeitsunfähigkeit während des
Vorsorgeverhältnisses und der eingetretenen Invalidität bejaht; einen
relevanten Unterbruch durch die Beschäftigung der Beschwerdeführerin bei der
Familienausgleichskasse hat sie verneint. Dagegen wird nichts vorgebracht. Was
den engen sachlichen Zusammenhang betrifft, so hat sich die Beschwerdegegnerin
nicht geäussert. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass ein wesentlich anderer
Gesundheitsschaden als die Rosacea und deren psychische Folgen zur
Erwerbsunfähigkeit geführt hätte.

5.6. Weder der Leistungsbeginn noch der grundsätzliche Leistungsumfang werden
bestritten. Die Beschwerdeführerin hat Anspruch auf eine halbe Invalidenrente
ab 1. Juli 2005. Die Beschwerde ist begründet.

6. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ausserdem hat sie der
obsiegenden Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68
Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons Solothurn vom 11. September 2014 wird aufgehoben. Die Klage vom 28.
Dezember 2012 wird in Bezug auf den Rentenanspruch gutgeheissen. Im Übrigen ist
sie gegenstandslos.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteikosten des vorinstanzlichen
Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Stiftung Auffangeinrichtung BVG, der
Sammelstiftung B.________ für berufliche Vorsorge, dem Versicherungsgericht des
Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 28. April 2015
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben