Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 726/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
9C_726/2014 {T 0/2}     

Urteil vom 25. Februar 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Grünenfelder.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn,
Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 28. August 2014.

Sachverhalt:

A. 
Der 1964 geborene A.________ meldete sich am 16. Februar 2011 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons
Solothurn holte verschiedene medizinische Berichte ein und veranlasste beim
Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) eine psychiatrische Untersuchung. Nach
Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte sie mit Verfügung vom 4.
Februar 2014 einen Rentenanspruch (Invaliditätsgrad: 36 %).

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn mit Entscheid vom 28. August 2014 ab (Invaliditätsgrad: 39 %).

C. 
A.________ beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten,
die IV-Stelle sei unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids zu
verpflichten, ihm Leistungen nach dem Bundesgesetz über die
Invalidenversicherung, insbesondere eine Rente, zuzusprechen; eventuell sei die
Vorinstanz anzuweisen, ein Gutachten über seinen Gesundheitszustand einzuholen.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter
anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140).

2. 
Die Vorinstanz hat dem RAD-Untersuchungsbericht vom 30. Mai 2013 Beweiskraft
beigemessen. Darin stellte der Psychiater Dr. med. B.________ aufgrund seiner
Untersuchung die Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung,
gegenwärtig leichte Episode (ICD-10 F33.0) und einer anhaltenden somatoformen
Schmerzstörung (ICD-10 F45.4); aktenanamnestisch zudem diejenige einer
Fibromyalgie (ICD-10 M79.0). Ferner diagnostizierte er akzentuierte zwanghafte
Persönlichkeitszüge (ICD-10 Z73.1) und Probleme durch negative
Kindheitserlebnisse (ICD-10 Z61.6). Das Versicherungsgericht ist zum Schluss
gekommen, der Beschwerdeführer sei in sämtlichen Tätigkeiten, die seinem Alter,
seinem Bildungsstand und seinen Fähigkeiten entsprächen, vollzeitlich
arbeitsfähig. Hierbei müsse von einer Leistungseinbusse von 25 % ausgegangen
werden. Gestützt darauf hat es einen Invaliditätsgrad von 39 % errechnet und
einen Rentenanspruch verneint.
Der Beschwerdeführer stellt die Beweiskraft des RAD-Untersuchungsberichts in
Abrede und beruft sich dabei insbesondere auf die Berichte seines behandelnden
Psychiaters Dr. med. C.________ und seines Hausarztes Dr. med. D.________.

3. 

3.1.

3.1.1. Somatoforme Schmerzstörungen und ähnliche aetiologisch-pathogenetisch
unerklärliche syndromale Leidenszustände vermögen in der Regel keine lang
dauernde, zu einer Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 IVG führende
Einschränkung der Arbeitsfähigkeit zu bewirken (BGE 136 V 279 E. 3 S. 280 ff.;
130 V 352 E. 2.2.2 und 2.2.3   S. 353 f.; 132 V 65; 131 V 49; 130 V 396). Die -
nur in Ausnahmefällen anzunehmende - Unzumutbarkeit eines Wiedereinstiegs in
den Arbeitsprozess setzt das Vorliegen einer mitwirkenden, psychisch
ausgewiesenen Komorbidität von erheblicher Schwere, Intensität, Ausprägung und
Dauer oder das Vorhandensein anderer qualifizierter, mit gewisser Intensität
und Konstanz erfüllter Kriterien voraus. In Betracht fallen dabei chronische
körperliche Begleiterkrankungen und mehrjähriger Krankheitsverlauf bei
unveränderter oder progredienter Symptomatik ohne längerfristige Remission, ein
ausgewiesener sozialer Rückzug in allen Belangen des Lebens, ein verfestigter,
therapeutisch nicht mehr angehbarer innerseelischer Verlauf einer an sich
missglückten, psychisch aber entlastenden Konfliktbewältigung (primärer
Krankheitsgewinn) oder schliesslich unbefriedigende Behandlungsergebnisse trotz
konsequent durchgeführter Behandlungsbemühungen (auch mit unterschiedlichem
therapeutischem Ansatz) und gescheiterte Rehabilitationsmassnahmen bei
vorhandener Motivation und Eigenanstrengung der versicherten Person (BGE 130 V
352 E. 2.2.3 S. 354 f.). Je mehr dieser Kriterien zutreffen und je ausgeprägter
sich die entsprechenden Befunde darstellen, desto eher sind die Voraussetzungen
für eine zumutbare Willensanstrengung zu verneinen (BGE 137 V 64 E. 4.1 S. 67
f.; 131 V 49 E. 1.2 S. 50 f. mit Hinweisen).
Die Grundsätze zur willentlichen Überwindbarkeit der anhaltenden somatoformen
Schmerzstörung und ihren Folgen (BGE 131 V 49 E. 1.2 S. 50 f.) gelten
namentlich auch für die zum gleichen Symptomenkomplex gehörende
Somatisierungsstörung (Urteil 8C_348/2008 vom 7. Januar 2009 E. 1 mit Hinweis);
dasselbe trifft bezüglich der Fibromyalgie zu (BGE 132 V 65 E. 4 S. 70
ff.).         Z-Kodierungen (Probleme durch negative Kindheitserlebnisse,
ICD-10 Z61.6; akzentuierte zwanghafte, ängstlich-vermeidende, abhängige und
histrionische Persönlichkeitszüge, ICD-10 Z73.1; Burnout, ICD-10 Z73.0) stellen
keine rechtlich erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung dar (vgl. Urteil 9C_537/
2011 vom 28. Juni 2012 E. 3.1).

3.1.2. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG    [SR 830.1];
vgl. BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil I 865/06 vom 12. Oktober
2007 E. 4 mit Hinweisen) darf sich die Verwaltung - und im Streitfall das
Gericht - weder über die (den beweisrechtlichen Anforderungen genügenden; vgl.
BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis) medizinischen
Tatsachenfeststellungen hinwegsetzen noch sich die ärztlichen Einschätzungen
und Schlussfolgerungen zur (Rest-) Arbeitsfähigkeit unbesehen ihrer konkreten
sozialversicherungsrechtlichen Relevanz und Tragweite zu eigen machen. Die
rechtsanwendenden Behörden haben diesfalls mit besonderer Sorgfalt zu prüfen,
ob die ärztliche Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit auch invaliditätsfremde
Gesichtspunkte (insbesondere psychosoziale und soziokulturelle
Belastungsfaktoren) mitberücksichtigt, die vom invaliditätsrechtlichen
Standpunkt aus unbeachtlich sind (vgl. BGE 140 V 193 E. 3 S. 194 ff.)
In diesem Sinne zählt zu den vom Bundesgericht nur eingeschränkt überprüfbaren
Tatsachenfeststellungen, ob eine anhaltende somato-forme Schmerzstörung resp.
ein damit vergleichbares Leiden vorliegt, und bejahendenfalls, ob eine
psychische Komorbidität oder weitere Umstände gegeben sind, welche die
Schmerzbewältigung behindern. Als Rechtsfrage frei überprüfbar ist, ob eine
festgestellte psychische Komorbidität hinreichend erheblich ist und ob einzelne
oder mehrere der festgestellten weiteren Kriterien in genügender Intensität und
Konstanz vorliegen, um gesamthaft den Schluss auf eine nicht mit zumutbarer
Willensanstrengung überwindbare Schmerzstörung und somit auf eine
invalidisierende Gesundheitsschädigung zu gestatten (BGE 137 V 64 E. 1.2 S. 66;
SVR 2013 IV Nr. 6 S. 13, 9C_148/2012 E. 1.2).

3.2. 

3.2.1. Es kann offen bleiben, ob die vorliegend diagnostizierte depressive
Erkrankung leicht oder mittelgradig ausgeprägt ist und ob sie rezidivierend
auftritt (vgl. Urteile 8C_581/2013 vom 10. Dezember 2013 E. 4.2 und 8C_2013/
2012 vom 13. April 2013 E. 3.2, je mit Hinweisen). Selbst wenn mit dem
Beschwerdeführer auf die Berichte seines behandelnden Psychiaters und seines
Hausarztes abgestellt würde, ergäbe sich aus rechtlicher Sicht keine relevante
Arbeitsunfähigkeit: Dr. med. C.________ attestierte dem Versicherten eine
rezidivierende depressive Störung im Anschluss an eine massive
Erschöpfungsdepression bzw. ein Burnout (ICD-10 F33.01; bei Persönlichkeit mit
zwanghaften, ängstlich-vermeidenden, abhängigen und histrionischen Zügen
[ICD-10 Z73.1]), eine Somatisierungsstörung (im Zusammenhang mit Stress und
Drucksituationen; ICD-10 F45.4) und eine seit über 20 Jahren bestehende
Fibromyalgie (Bericht vom         5. September 2012). Dr. med. D.________
umschrieb aus hausärztlicher Sicht ein identisches Krankheitsbild (Depression
mit Somatisierungs-störung bei Persönlichkeitsstörung und Mobbingsituation;
Fibromyalgie, bestehend seit 1989 [Bericht vom 24. August 2012]). Beide Ärzte
gingen im Wesentlichen von derselben Krankheitsentwicklung aus, wonach es beim
Versicherten aufgrund der beruflichen Vorkommnisse 2006/2007 zu einer
Exazerbation der vorbestehenden psychosomatischen Schmerzen (Fibromyalgie)
gekommen sei (Berichte vom 24. August 2012 [Dr. med. D.________] und 27. August
2013 [Dr. med. C.________]). Anhaltspunkte für die Entwicklung einer
selbständigen depressiven Störung, die als vom psychogenen Schmerzsyndrom
losgelöst betrachtet werden müsste und eine Schmerzüberwindung verhindern
könnte (vgl. BGE 130 V 352 E. 3.3.1 S. 358; SVR 2008 IV Nr. 1 S. 1, I 176/06 E.
5.2 mit weiteren Hinweisen), fehlen jedoch. Die Beurteilungen der behandelnden
Mediziner deuten klar darauf hin, dass das Krankheitsbild durch die somatoforme
Störung bzw. die Somatisierungsstörung geprägt ist. Dies zeigen auch die
Resultate des am 12. Juli 2012 begonnenen Belastbarkeitstrainings, das wenig
später abgebrochen werden musste, weil die Leistungsfähigkeit des
Beschwerdeführers aufgrund multipler Schmerzen nicht gesteigert werden konnte
(Berichte vom 11. Mai und 18. Juli 2012). Auch in diesem Zusammenhang spricht
nichts für das Vorliegen einer eigenständigen Depression. Dass sich gemäss Dr.
med. C.________ eine tiefgreifende depressive Reaktion vor dem Hintergrund des
Schmerzgeschehens etabliert habe (Bericht vom 27. August 2013), ändert nichts
am Vorherrschen des Letzteren. Es ist demnach auch gemäss den vom Versicherten
als beweiskräftig erachteten Berichten seiner behandelnden Ärzte neben der
schmerzbedingten Beeinträchtigung keine eigenständige psychische Komorbidität
von erheblicher Schwere, Intensität und Ausprägung ersichtlich (E. 3.1.1).

3.2.2. Die Vorinstanz hat hinsichtlich der übrigen Morbiditätskriterien
festgestellt, es bestünden keine körperlichen Begleiterkrankungen. Obschon der
RAD-Psychiater Dr. med. B.________ das Vorliegen eines mehrjährigen
Krankheitsverlaufs bejaht habe, könne nicht von einer konsequent
durchgeführten, aber gescheiterten Behandlung gesprochen werden. Auch ein
sozialer Rückzug in allen Belangen des Lebens sei nicht ausgewiesen, zumal der
Beschwerdeführer seit 2000 verheiratet sei, die Ehe als harmonisch bzw.
interessant bezeichne und regelmässig seine Eltern besuche. Diese
vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen sind weder qualifiziert unrichtig
(unhaltbar, willkürlich) noch beruhen sie auf einer Rechtsverletzung; sie
bleiben für das Bundesgericht verbindlich (E. 1.1).
Die Stellungnahmen der Dres. med. D.________ und C.________ vermitteln kein
anderes Bild. Daraus geht ebenfalls nicht hervor, dass der Beschwerdeführer
austherapiert wäre, sondern einzig, dass die medikamentöse und
psychotherapeutische Behandlung andauere (vgl. Bericht vom 5. September 2012).
Ausserdem ergeben sich aus den entsprechenden Beurteilungen weder Hinweise auf
das Vorliegen eines primären Krankheitsgewinns noch auf ein organisches
Korrelat für die Schmerzen.

3.3. In der erforderlichen Gesamtbetrachtung (E. 3.1.2) ergibt sich, dass
selbst bei Abstellen auf die Berichte der behandelnden Ärzte kein
invalidisierender psychischer Gesundheitsschaden vorliegt. Eine Korrektur des
angefochtenen Entscheids erübrigt sich, weil der Versicherte auch unter der
Annahme einer Arbeitsunfähigkeit von 25 % keinen anspruchsbegründenden
Invaliditätsgrad (39 %; Art. 28 Abs. 2 IVG) erreicht.

3.4. Nach dem Dargelegten hat die Vorinstanz einen Rentenanspruch des
Beschwerdeführers im Ergebnis zu Recht verneint. Soweit er darüber hinausgehend
Leistungen beantragt, zählen diese nicht zum Anfechtungsgegenstand. Die
Beschwerde ist unbegründet.

4. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 25. Februar 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder

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