Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 620/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
9C_620/2014        
{T 0/2}

Urteil vom 11. Mai 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.

Verfahrensbeteiligte
Ausgleichskasse des Kantons Zug,
Baarerstrasse 11, 6300 Zug,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsdienst Integration Handicap,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug
vom 16. Juli 2014.

Sachverhalt:

A. 
Die 1970 geborene A.________ bezieht seit 1. Februar 2009 aufgrund eines
ermittelten Invaliditätsgrades von 50 % (Invalidität im Erwerbsbereich: 46 %
[Erwerbsanteil 80 %; Einschränkung 58 %]; Invalidität im Haushaltbereich 4 %
[Haushaltanteil 20 %; Einschränkung 19 %]) eine halbe Rente der
Invalidenversicherung (Verfügung der IV-Stelle Zug vom 26. April 2013).
Im Mai 2013 meldete sich A.________ zum Bezug von Ergänzungsleistungen (EL) an.
Die Ausgleichskasse Zug (nachfolgend: Ausgleichskasse) als zuständige
Durchführungsstelle berücksichtigte im Rahmen ihrer Berechnung einnahmeseitig
ein hypothetisches Einkommen. Mit Verfügung vom 4. September 2014 sprach sie
A.________ für die Zeit vom 1. Februar 2009 bis 31. Dezember 2011
Ergänzungsleistungen in unterschiedlicher Höhe zu und verneinte einen Anspruch
für die Zeit ab 1. Januar 2012 (Verfügung vom 4. September 2013). Daran hielt
sie auf Einsprache der Versicherten hin fest (Entscheid vom 6. Januar 2014).

B. 
Beschwerdeweise liess A.________ beantragen, der Einspracheentscheid sei
aufzuheben und es sei ihr "höchstens ein hypothetisches Einkommen gemäss Art.
14a Abs. 2 lit. b ELV" anzurechnen. Replicando änderte sie ihr Rechtsbegehren
insoweit, als sie im Hauptantrag den Verzicht auf die Anrechnung eines
hypothetischen Einkommens und eventualiter das Abstellen auf Art. 14a Abs. 2
ELV verlangte. Mit Entscheid vom 16. Juli 2014 hiess das Verwaltungsgericht des
Kantons Zug die Beschwerde insoweit gut, als es den Einspracheentscheid aufhob
und die Sache an die Ausgleichskasse zurückwies, damit sie eine neue Berechnung
im Sinne der Erwägungen vornehme und danach über den
Ergänzungsleistungsanspruch neu verfüge; im Übrigen wies es die Beschwerde ab.

C. 
Die Ausgleichskasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
mit dem Rechtsbegehren, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und ihr
Einspracheentscheid vom 6. Januar 2014 zu bestätigen.

Erwägungen:

1.

1.1. Ein Rückweisungsentscheid schliesst das Verfahren nicht ab und ist nach
der Regelung des BGG grundsätzlich kein Endentscheid (Art. 90 BGG), selbst wenn
darin über eine materielle Grundsatzfrage entschieden wird. Er bildet in erster
Linie einen Zwischenentscheid, der u.a. nur unter den Voraussetzungen von Art.
93 Abs. 1 BGG selbstständig angefochten werden kann (BGE 133 V 477 E. 4.2 S.
481 f.; vgl. auch BGE 137 V 424 E. 1.1 S. 426). Anders verhält es sich, wenn
der unteren Instanz, an welche zurückgewiesen wird, kein Entscheidungsspielraum
mehr verbleibt und die Rückweisung nur noch der Umsetzung des oberinstanzlich
Angeordneten dient; diesfalls liegt ein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG
vor (BGE 135 V 141 E. 1.1 S. 143; 134 II 124 E. 1.3 S. 127).

1.2. Die Vorinstanz wies die Sache zur neuen Berechnung nach ihren Vorgaben und
zum Erlass einer neuen Verfügung an die Ausgleichskasse zurück. Da der
Verwaltung damit kein Entscheidungsspielraum mehr verbleibt und die Rückweisung
nur noch der rechnerischen Umsetzung des von der Vorinstanz Angeordneten dient,
liegt ein Endentscheid vor. Auf die Beschwerde der Ausgleichskasse ist demnach
einzutreten.

2. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

3.

3.1. Die jährliche Ergänzungsleistung (Art. 3 Abs. 1 lit. a ELG) entspricht dem
Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen
(Art. 9 Abs. 1 ELG). Als Einnahmen angerechnet werden unter anderem Einkünfte
und Vermögenswerte, auf die verzichtet worden ist (Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG).

3.2. Invaliden wird als Erwerbseinkommen grundsätzlich der Betrag angerechnet,
den sie im massgebenden Zeitabschnitt tatsächlich verdient haben (Art. 14a Abs.
1 ELV in Verbindung mit Art. 9 Abs. 5 lit. c ELG). Gemäss Art. 14a Abs. 2 ELV
ist jedoch Invaliden unter 60 Jahren als Erwerbseinkommen mindestens
anzurechnen: der um einen Drittel erhöhte Höchstbetrag für den Lebensbedarf von
Alleinstehenden nach Art. 10 Abs. 1 lit. a Ziff. 1 ELG bei einem
Invaliditätsgrad von 40 bis unter 50 Prozent (lit. a), der Höchstbetrag für den
Lebensbedarf nach lit. a bei einem Invaliditätsgrad von 50 bis unter 60 Prozent
(lit. b) und zwei Drittel des Höchstbetrages für den Lebensbedarf nach lit. a
bei einem Invaliditätsgrad von 60 bis unter 70 Prozent (lit. c).

3.3. Wird der Grenzbetrag in Art. 14a Abs. 2 lit. a-c ELV nicht erreicht,
insbesondere wenn keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, gilt die Vermutung
eines Verzichts auf Einkünfte im Sinne von Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG. Diese
Vermutung kann durch den Nachweis, dass invaliditätsfremde Gründe wie Alter,
mangelhafte Ausbildung und Sprachkenntnisse, persönliche Umstände oder die
Arbeitsmarktsituation die Verwertung der Resterwerbsfähigkeit übermässig
erschweren oder verunmöglichen, widerlegt werden. Massgebend für die Berechnung
der Ergänzungsleistungen ist daher das hypothetische Einkommen, das die
Versicherte tatsächlich realisieren könnte (BGE 140 V 267 E. 2.2 S. 270; 131 II
656 E. 5.2 S. 661 f.; 117 V 202 E. 2a/b S. 204 f., 153 E. 2b/c S. 155 f.).

3.4. Die Festsetzung des hypothetischen Einkommens, soweit sie auf der
Würdigung konkreter Umstände beruht, stellt eine Tatfrage dar, welche lediglich
unter eingeschränktem Blickwinkel überprüfbar ist. Rechtsfrage ist dagegen,
nach welchen Gesichtspunkten die Entscheidung über die Verwertbarkeit der
Arbeitsfähigkeit erfolgt (BGE 140 V 267 E. 2.4 S. 270 mit Hinweisen).

4. 
Streitig und zu prüfen ist, in welcher Höhe der 1970 geborenen, teilinvaliden
(Invaliditätsgrad: 50 % [Erwerbsbereich: 46 %; Haushaltbereich: 4 %])
Versicherten bei der Ermittlung des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen ein
hypothetisches Erwerbseinkommen als Verzichtseinkommen anzurechnen ist.

4.1. Die Vorinstanz erwog, die Bestimmung des Art. 14a Abs. 2 ELV stelle eine
widerlegbare gesetzliche Vermutung auf, dass ein Invalider jedenfalls das dort
umschriebene hypothetische Einkommen erzielen könne. Eine Abweichung nach oben,
d.h. eine Erhöhung des anrechenbaren hypothetischen Einkommens, sei undenkbar,
ausser wenn nachweisbar feststehe, dass ein EL-Ansprecher eine ihm zumutbare
Tätigkeit freiwillig aufgab oder eine ihm offenstehende Stelle nicht antrat.
Indessen sei ein freiwilliger Verzicht auf ein Erwerbseinkommen nicht leichthin
anzunehmen. Wenn die Ausgleichskasse die Auffassung vertrete, dass sich die
Versicherte zu wenig um eine zumutbare Anstellung bemühe bzw. bemüht habe,
müsse sie dies der Versicherten im Rahmen des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens
vorhalten, um daran Rechtsfolgen zu knüpfen. Entgegen der Ausgleichskasse könne
das hypothetische Einkommen nach Art. 14a Abs. 2 ELV nicht mit dem
hypothetischen Invalideneinkommen gleichgesetzt werden.

4.2. Die Beschwerde führende Ausgleichskasse stellt sich auf den Standpunkt,
das hypothetische Einkommen gemäss Invaliditätsgradermittlung der IV-Stelle -
allenfalls abzüglich zusätzlicher Faktoren wie Arbeitsmarkt, Betreuung von
Angehörigen etc. - könne als hypothetisches Verzichtseinkommen im Rahmen der
Ergänzungsleistungsberechnung herangezogen werden, sofern die versicherte
Person sich nicht um eine adäquate zumutbare Eingliederung bemühe. Die
versicherte Person verletze damit ihre Schadenminderungspflicht, was im Bereich
der Ergänzungsleistungen gleichermassen wie in demjenigen der
Invalidenversicherung zu sanktionieren sei. Dies ergebe sich aus der
Rechtsprechung gemäss BGE 140 V 267. Nach der Verfügung der IV-Stelle Zug vom
26. April 2013 sei der Versicherten zumutbar, eine angepasste Tätigkeit im
Umfang von 50 % aufzunehmen und dabei ein Einkommen von Fr. 24'450.- zu
erzielen. Dieses Einkommen sei deshalb auch im Rahmen der Berechnung des
Ergänzungsleistungsanspruchs als hypothetisches Einkommen zu berücksichtigen.
Die Überlegungen bei der Einführung von Art. 14a Abs. 2 ELV seien ein
Vierteljahrhundert alt und würden auf den vorliegenden Fall nicht zutreffen.
Die Anwendung der tiefen Schwellenwerte des Art. 14a Abs. 2 ELV sei geradezu
eine "Einladung zur Ausgliederung", indem jeder Versicherte schlecht beraten
wäre, eine Tätigkeit aufzunehmen, deren Entlöhnung über die Schwellenwerte
hinausginge. Ausserdem verletze "die Interpretation des Art. 14a ELV, wonach in
keinem Fall ein höheres hypothetisches Einkommen als diejenigen des Absatzes 2
dieses Artikels angerechnet werden darf, das Gebot der Rechtsgleichheit". Der
zwischen den Grenzen von Art. 14a Abs. 2 ELV und dem Invalideneinkommen
liegende Verdienstausfall solle nach der Vorinstanz durch Ergänzungsleistungen
gedeckt werden. Die vorinstanzliche Interpretation habe eine nicht
gerechtfertigte Ungleichbehandlung zur Folge: Die Person, welche eine Rente
beziehe, sei infolge der grosszügigeren Berechnungsgrundlagen der
Ergänzungsleistungen (tiefer Schwellenwert, Freibetrag) bessergestellt als eine
gesunde Person, welche gar kein oder nur ein Einkommen unter der Existenzgrenze
erziele und Sozialhilfe beziehen müsse.

5.

5.1. Bei einer teilinvaliden versicherten Person wie der Beschwerdegegnerin
setzt die hier zur Diskussion stehende Anrechnung eines Verzichtseinkommens
voraus, dass sie aus von ihr zu vertretenden Gründen ihre Resterwerbsfähigkeit
nicht ausnützt, indem sie - in Verletzung ihrer Schadenminderungspflicht - von
der Ausübung einer möglichen und zumutbaren Erwerbstätigkeit absieht ( ERWIN
Carigiet, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, 2. Aufl. 2009, S. 152; RALPH JÖHL,
Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl.
2007, S. 1756). Dabei kann der Verzicht darin bestehen, dass die versicherte
Person gar keine Erwerbstätigkeit ausübt, obwohl ihr dies zumutbar und möglich
wäre, oder dass sie zwar eine Erwerbstätigkeit ausübt und Erwerbseinkünfte
erzielt, es ihr aber zumutbar und möglich wäre, mehr zu verdienen
(beispielsweise durch Erhöhung des Beschäftigungsgrades, Ausübung einer
qualifizierteren oder besser entlöhnten Erwerbstätigkeit etc.; JÖHL, a.a.O., S.
1759 unten f.).
Zur Verfahrensvereinfachung wird in Art. 14a Abs. 2 ELV die widerlegbare
Vermutung aufgestellt, dass es den teilinvaliden Versicherten möglich und
zumutbar ist, im Rahmen des von der IV-Stelle festgestellten verbliebenen
Leistungsvermögens die darin festgelegten Grenzbeträge (hypothetisches
Erwerbseinkommen) zu erzielen (BGE 117 V 153; CARIGIET, a.a.O., S. 153; JÖHL,
a.a.O., S. 1767; URS MÜLLER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum ELG, 3.
Aufl. 2015, S. 197 ff.; vgl. auch Rz. 3424.04 der Wegleitung über die
Ergänzungsleistungen zur AHV und IV [WEL], gültig ab 1. April 2011 [Stand 1.
Januar 2014]).

5.2. Im Bereich der Ergänzungsleistungen gilt der Grundsatz, dass das mögliche
Erwerbseinkommen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles - wie
namentlich Alter, Gesundheitszustand, Sprachkenntnisse, Ausbildung, bisherige
Tätigkeit und konkrete Arbeitsmarktlage - zu ermitteln ist (vgl. BGE 117 V 287
E. 3a S. 290; AHI 2001 S. 132, P 18/99 E. 1b; Carigiet, a.a.O., S. 154; Jöhl,
a.a.O., S. 1760). Schon aus diesem Grunde kann für die Frage nach dem Vorliegen
von Verzichtseinkommen im Sinne von Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG nicht ohne
Weiteres auf das zumutbare Invalideneinkommen nach Art. 16 ATSG, welches auf
verschiedenen Fiktionen - insbesondere einer ausgeglichenen Arbeitsmarktlage
(vgl. dazu Urteil 9C_192/2014 vom 23. September 2014 E. 3.1) - beruht,
abgestellt werden (BGE 140 V 267 E. 2.2 S. 270, E. 5.3 S. 275 f.; vgl. auch
Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts P 40/04 vom 17. August 2005 E. 2; P 18/
02 vom 9. Juli 2002 E. 4; Carigiet, a.a.O., S. 156; Miriam Lendfers, Hypothesen
bei den Ergänzungsleistungen, in: Fiktives, Hypothetisches und Konstruiertes im
Sozialversicherungsrecht, Ueli Kieser [Hrsg.], 2012, S. 101 ff., 119).

5.3. Im Urteil gemäss BGE 140 V 267 war der Fall eines Versicherten zu
beurteilen, der sich weigerte, an der ihm von der IV-Stelle zugesprochenen
beruflichen Massnahme (erstmalige berufliche Ausbildung zum medizinischen
Masseur) mitzuwirken. Nachdem die IV-Stelle ihn wiederholt erfolglos zur
Mitwirkung aufgefordert und auf die Folgen seiner Widersetzlichkeit aufmerksam
gemacht hatte, brach sie die Eingliederungsmassnahme wegen Aussichtslosigkeit
ab. Das Bundesgericht entschied, der enge Zusammenhang zwischen der
Invalidenversicherung und den Ergänzungsleistungen (vgl. Art. 4 Abs. 1 lit. c
ELG) rechtfertige es, dem der Verletzung der Schadenminderungspflicht
innewohnenden subjektiven Tatbestandselement - dem fehlenden
Eingliederungswillen - auch im Bereich der Ergänzungsleistungen Rechnung zu
tragen. Es könne deshalb im Rahmen des Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG auf das nach
Durchführung der Eingliederungsmassnahme erzielbare Einkommen abgestellt
werden. Andernfalls könnte sich die versicherte Person für die
invalidenversicherungsrechtlichen Folgen ihrer Widersetzlichkeit mittels
Ergänzungsleistungen zumindest teilweise schadlos halten, was dem Art. 11 Abs.
1 lit. g ELG zugrunde liegenden Prinzip der Eigenverantwortung zuwiderliefe (
BGE 140 V 267 E. 5.2.2 S. 274 f.; vgl. dazu auch Müller, a.a.O., S. 199 ff.).

5.4. Zu Unrecht folgert die Ausgleichskasse aus BGE 140 V 267, das der
Invaliditätsgradermittlung zugrunde gelegte (hypothetische) Invalideneinkommen
könne als Verzichtseinkommen im Rahmen der Ergänzungsleistungsberechnung stets
herangezogen werden, wenn die versicherte Person die verbleibende
Resterwerbsfähigkeit nicht ausschöpfe. Denn um den Sachverhalt der fehlenden
oder unzureichenden Verwertung der Resterwerbsfähigkeit zu regeln, wurde die
Bestimmung des Art. 14a Abs. 2 ELV eingeführt. Wie den Erläuterungen des BSV zu
der am 1. Januar 1988 in Kraft getretenen Norm (AHI 1987 S. 544 ff.) zu
entnehmen ist, wurde mit der Regelung bezweckt, aufwändige Abklärungen zur Höhe
des noch zumutbaren Einkommens und schwierige Ermessensentscheide zu vermeiden.
Dabei wurde die Möglichkeit, auf das von der Invalidenversicherung
festgesetzte, trotz Gesundheitsschaden zumutbarerweise erzielbare Einkommen
(Invalideneinkommen) abzustellen, wie dies die Beschwerde führende
Ausgleichskasse für richtig hält, verworfen, weil sie nicht allen Fällen
gerecht werde (welches Argument noch heute unverändert gilt; vgl. E. 5.2). Aus
diesem Grunde wurde mit Art. 14a Abs. 2 ELV eine davon unabhängige Regelung -
die Anrechnung bestimmter pauschalierter Mindestbeträge - geschaffen, welche
überflüssig wäre, wenn der Auffassung der Ausgleichskasse gefolgt würde.

5.5. Eine mit dem BGE 140 V 267 zugrunde liegenden Sachverhalt vergleichbare
Konstellation liegt hier nicht vor: Im Rahmen des IV-Verfahrens sind keine
Bemühungen der IV-Stelle um die berufliche Eingliederung der Versicherten und
demzufolge auch keine Widersetzlichkeiten der Versicherten gegen zugesprochene
berufliche Massnahmen dokumentiert. Damit unterscheidet sich der hier zu
beurteilende Fall wesentlich von dem in BGE 140 V 267 beurteilten, indem der
Versicherten eine Verletzung der Schadenminderungspflicht im Sinne fehlender
Mitwirkung nicht vorgeworfen werden kann.

5.6. Nichts zu Gunsten ihres Standpunktes abzuleiten vermag die Ausgleichskasse
aus dem Vorbringen, die vorinstanzliche Interpretation des Art. 14a Abs. 2 ELV
führe zu einer Ungleichbehandlung von EL-Ansprechern und Sozialhilfebezügern.
Denn das Argument lässt ausser Acht, dass sich Ergänzungsleistungen und
Sozialhilfe in den gesetzlichen Grundlagen, ihrem Zweck, der Finanzierung, den
Voraussetzungen und im Leistungsumfang beträchtlich voneinander unterscheiden
und eine Ungleichbehandlung der Leistungsbezüger aus diesem Grunde
systemimmanent ist (vgl. zu den Unterschieden und Angleichungsforderungen im
Einzelnen auch Bericht des Bundesrates vom 20. November 2013 [in Erfüllung der
Postulate Humbel (12.3602) vom 15. Juni 2012, Kuprecht (12.3673) vom 11.
September 2012 und der FDP-Liberalen Fraktion (12.3677) vom 11. September
2012], Ergänzungsleistungen zur AHV/IV: Kostenentwicklung und Reformbedarf, S.
62 und 67 ff.).

5.7. Mit der Vorinstanz ist demnach festzuhalten, dass bei dieser Sachlage die
Bestimmung des Art. 14a Abs. 2 ELV zur Anwendung gelangt.
Der Invaliditätsgrad der Versicherten wurde nach der gemischten Methode (Art.
28a Abs. 3 IVG) ermittelt (Verfügung der IV-Stelle Zug vom 26. April 2013). An
diese Invaliditätsbemessung der IV-Stelle haben sich die EL-Organe und die
Sozialversicherungsgerichte grundsätzlich zu halten (BGE 140 V 267 E. 2.3 S.
270; 117 V 202 E. 2b S. 205); für ein Abweichen besteht auch hier kein Anlass.
Rechtsprechungsgemäss (BGE 117 V 202 E. 2c in fine S. 206) ist im Falle eines
nach der gemischten Methode ermittelten Invaliditätsgrades für die Frage,
welche Litera der Bestimmung des Art. 14a Abs. 2 ELV zur Anwendung gelangt, die
Einschränkung im erwerblichen Teil massgebend (vgl. auch Carigiet, a.a.O., S.
153 Fn. 472). Da diese im Falle der Versicherten 58 % beträgt, ist lit. b
(Invaliditätsgrad von 50 bis unter 60 %) massgebend, wie die Vorinstanz
zutreffend erkannt hat.

5.8. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Vorinstanz die Sache zu Recht an die
Ausgleichskasse zurückgewiesen hat, damit diese im Rahmen der
Ergänzungsleistungsberechnung ein Verzichtseinkommen nach Art. 14a Abs. 2 lit.
b ELV berücksichtige und hernach über den Anspruch der Beschwerdegegnerin neu
verfüge.

6. 
Entsprechend dem Ausgang des Prozesses hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 ELG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug,
Sozialversicherungsrechtliche Kammer, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 11. Mai 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann

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