Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 578/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_578/2014

Urteil vom 17. Juni 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Kaspar Gehring,
Beschwerdeführerin,

gegen

Gemeinde C.________,
vertreten durch den Gemeinderat C.________,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Krankenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern, 3. Abteilung, vom
10. Juli 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________ erbrachte als freiberufliche Pflegefachfrau zwischen dem 8. und dem
13. März 2013 auf ärztliche Verordnung hin (Bedarfsmeldung vom 8./12. März
2013) bei B.________ Wochenbett- und Beratungsleistungen (5,75 Stunden
Abklärung und Beratung, 35 Minuten Untersuchung und Behandlung). Am 12. März
2013 unterzeichnete B.________ eine Abtretungserklärung zu Gunsten von
A.________ betreffend die "mir zustehenden Restfinanzierungsbeiträge der
Gemeinde C.________". Am 14. März 2013 ersuchte A.________ (in einem nicht
aktenkundigen Schreiben) um Kostengutsprache für die Pflege-Restfinanzierung.
Die Gemeinde C.________ als Wohnsitzgemeinde von B.________ erteilte A.________
daraufhin telefonisch die Auskunft, bei Mutterschaft werde der
Restfinanzierungsbeitrag nicht übernommen und bekräftigte dies am 18. März 2013
schriftlich. Am 26. März 2013 stellte A.________ der Krankenversicherung von
B.________ eine Rechnung "Pflege nach KLV 7" über Fr. 497.- (5,75 Stunden
Abklärung und Beratung à Fr. 79.80/h; 35 Minuten Untersuchung und Beratung à
Fr. 65.40/h). Vom gleichen Tag datiert auch eine Leistungsabrechnung, auf
welcher unter der Rubrik "Gemeindebeitrag" Restkosten von Fr. 171.60 aufgeführt
sind. Am 7. Mai 2013 teilte die Gemeinde C.________ A.________ mit, die geltend
gemachten 5,75 Stunden Abklärung und Beratung entsprächen der Zeit für die
Stillberatung bei einer gesunden Wöchnerin. Die Restfinanzierung einer solchen
Leistung sei von den Gemeinden nicht zu übernehmen, weshalb das Gesuch
abgewiesen werde. Hiegegen liess A.________ Einsprache erheben. Am 20. August
2013 wies der Gemeinderat C.________ die Einsprache ab.

B. 
Die dagegen von A.________ erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern
mit Entscheid vom 10. Juli 2014 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides beantragen, die Gemeinde
C.________ sei zu verpflichten, ihr Restfinanzierungsbeiträge auszurichten.

Die Gemeinde C.________ verzichtet auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 

1.1. Die II. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichtes ist zuständig für
die Behandlung von Beschwerden im Bereich der Restfinanzierung von
Pflegekosten, sofern diese nach Eintritt eines Leistungsfalles erhoben werden (
BGE 138 V 377 E. 2.2 S. 379). Das ist hier der Fall, weshalb auf die Beschwerde
einzutreten ist.

1.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Soweit sich der
angefochtene Entscheid auf Quellen des kantonalen Rechts stützt, welche nicht
in Art. 95 lit. c-e BGG genannt werden, beschränkt sich die Überprüfung durch
das Bundesgericht inhaltlich auf die Frage, ob die Anwendung des kantonalen
Rechts zu einer Bundesrechtswidrigkeit führt. Im Vordergrund steht dabei eine
Verletzung verfassungsmässiger Rechte (BGE 133 I 201 E. 1 S. 203 mit
Hinweisen).

2. 
Umstritten ist die Restfinanzierungspflicht der Beschwerdegegnerin für die von
der Beschwerdeführerin im Rahmen einer (komplikationslosen) Mutterschaft im
März 2013 erbrachten Leistungen. Der Auseinandersetzung liegt die Frage zu
Grunde, ob die Pflegefinanzierung auch Wochenbettpflege umfasst. Massgebend ist
die im März 2013 gültig gewesene Rechtslage (BGE 140 V 41 E. 6.3.1 S. 44 f.).

2.1. Die Vorinstanz stellte fest, die Wochenbettpflegeleistungen der
Beschwerdeführerin seien im Rahmen einer gesunden Mutterschaft erbracht worden.
Sie erwog unter Berufung auf BGE 126 V 111 E. 3 und 4 S. 113 ff., die
entsprechenden Kosten seien nicht als Leistungen bei Krankheit zu qualifizieren
und unterlägen folglich keiner Kostenbeteiligung der Versicherten. Daran ändere
nichts, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine Pflegefachperson und
nicht um eine Hebamme handle. Gestützt auf Art. 29 KVG in Verbindung mit Art.
64 Abs. 7 KVG in der hier einschlägigen, bis Ende Februar 2014 gültig gewesenen
Fassung, seien sämtliche Kosten vollumfänglich von der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung zu tragen. Damit fehle es an ungedeckten
Pflegekosten, weshalb sich eine Prüfung der Voraussetzungen für einen
Restfinanzierungsanspruch erübrige.

2.2. Die Beschwerdeführerin rügt einen Verstoss gegen Art. 25a KVG. Sie habe
als Pflegefachfrau auf ärztliche Anordnung hin Leistungen erbracht, welche zum
einen viel mehr umfasst hätten als blosse Stillberatung und zum andern die
Voraussetzungen von Art. 7 KLV vollumfänglich erfüllten. Leistungen bei
Mutterschaft seien denjenigen bei Krankheit gleichgestellt und gingen sogar
darüber hinaus; für eine von den Krankheitskosten abweichende
Finanzierungsordnung fänden sich keine Hinweise. Art. 64 Abs. 7 aKVG regle die
von den Krankenkassen zu vergütende Taxe nicht, sondern verbiete den Kassen
nur, eine Kostenbeteiligung zu erheben. Dies bedeute aber nicht, dass die Kasse
sämtliche Kosten bei Mutterschaft vollumfänglich zu übernehmen habe; eine
solche Lösung wäre mit Art. 25a Abs. 5 KVG unvereinbar. Auch
gesetzessystematische Überlegungen sprächen für eine Beteiligung der Kantone
bei der Finanzierung der Wochenbettpflege. So habe sich der Kanton gemäss Art.
49a KVG an den Kosten von komplikationslosen stationären oder in Geburtshäusern
erfolgenden Geburten zu beteiligen, weshalb es systemfremd wäre, wenn dies bei
ambulanter Wochenbettpflege nicht gälte. Ziel des Gesetzgebers sei es, die
Versicherten bei Mutterschaft möglichst von Belastungen zu befreien. Eine
fehlende Restfinanzierung der öffentlichen Hand würde zur Einführung einer
Kostenbeteiligung oder dazu führen, dass Wochenbettpflegeleistungen nicht mehr
kostendeckend respektive gewinnbringend angeboten werden könnten, was eine
deutliche Schlechterstellung von Müttern bewirkte, die einen Teil des
Wochenbettes zu Hause absolvierten. Schliesslich würden für Hebammenleistungen
offenbar Restfinanzierungsbeiträge ausgerichtet, was Pflegefachpersonen
diskriminiere.

3. 

3.1. Das Gesetz unterscheidet zwischen Krankheit (Art. 3 ATSG) und Mutterschaft
(Art. 5 ATSG; Art. 1a Abs. 2 lit. a und c KVG). Die obligatorische
Krankenpflegeversicherung übernimmt bei einer Mutterschaft die Kosten für die
gleichen Leistungen wie bei Krankheit und zusätzlich die Kosten der besonderen
Mutterschaftsleistungen (Art. 29 KVG) sowie - unter dem Titel "Allgemeine
Leistungen bei Krankheit" - die Kosten für den Aufenthalt bei Entbindung in
einem Geburtshaus (Art. 25 Abs. 2 lit. fbis). Nach Art. 29 Abs. 2 KVG umfassen
die spezifischen Leistungen bei Mutterschaft namentlich die von Ärzten und
Ärztinnen oder von Hebammen durchgeführten oder ärztlich angeordneten
Kontrolluntersuchungen während und nach der Schwangerschaft (lit. a), die
Entbindung zu Hause, in einem Spital oder einer Einrichtung der teilstationären
Krankenpflege sowie die Geburtshilfe durch Ärzte und Ärztinnen oder Hebammen
(lit. b) und die notwendige Stillberatung (lit. c). Die besonderen
Mutterschaftsleistungen werden in Art. 13-16 KLV, gestützt auf die Delegation
in Art. 29 Abs. 2 lit. a und c KVG und Art. 33 lit. d KVV, näher präzisiert.

3.2. Das Bundesgericht differenzierte in Anwendung des bis Ende Februar 2014
gültig gewesenen Art. 64 Abs. 7 KVG zwischen Behandlungskosten für
Schwangerschaftskomplikationen und Kosten einer normal verlaufenden
Schwangerschaft. Nur die erstgenannten qualifizierte es als Krankheitskosten,
die einer Kostenbeteiligungspflicht der Versicherten unterlagen (BGE 127 V 268
). Seit dem 1. März 2014 sind sämtliche Leistungen nach den Art. 25 und 25a
KVG, die ab der 13. Schwangerschaftswoche, während der Niederkunft und bis acht
Wochen nach der Niederkunft erbracht werden, gegenüber dem Versicherer von der
Kostenbeteiligung befreit (Art. 64 Abs. 7 KVG in der aktuellen Fassung; Art.
104 Abs. 2 lit. c und Art. 105 KVV). Diese Gesetzesänderung spielt hier
insofern keine Rolle, als die streitigen Leistungen im Rahmen einer
komplikationslosen Mutterschaft erbracht wurden, und somit bereits bisher nicht
als der Kostenbeteiligung unterliegende Krankheitsbehandlung galten (auch dann
nicht, wenn sie von einer Hebamme erbracht worden waren; BGE 126 V 111 E. 3 und
4 S. 113 ff. [betreffend ambulante, durch eine Hebamme erbrachte
Wochenbettpflegeleistungen bis zehn Tage nach der Geburt]; vgl. Art. 16 Abs. 3
KLV).

4.

4.1. Zugelassene freiberufliche Pflegefachleute (Art. 49 KVV) können im Rahmen
der Wochenbettpflege grundsätzlich (vgl. für die Stillberatung Art. 15 Abs. 1
KLV) sowohl besondere Leistungen bei Mutterschaft wie auch allgemeine
Pflegeleistungen erbringen. Fraglich ist, ob diese Leistungen, die bei
Krankheit ohne weiteres der Restkostenfinanzierungspflicht gemäss Art. 25a Abs.
5 KVG unterliegen, auch dann von der öffentlichen Hand (Kanton oder Gemeinden)
mitzufinanzieren sind, wenn sie am Wochenbett erbracht werden.

4.2. Die Beschwerdegegnerin führte in ihrem Schreiben vom 7. Mai 2013 aus, das
die Restfinanzierung regelnde Gesetz des Kantons Luzern über die Finanzierung
der Pflegeleistungen der Krankenversicherung vom 13. September 2010
(Pflegefinanzierungsgesetz; SRL Nr. 867) beziehe sich nur auf Pflegeleistungen
gemäss Art. 7 KLV, nicht auf Leistungen bei Mutterschaft im Sinne von Art. 29
KVG, zu welchen auch die zu Hause erbrachten Wochenbettpflegeleistungen
gehörten. Für diese hätten die Gemeinden keine Restfinanzierungskosten zu
übernehmen. Das kantonale Gericht ging ebenfalls davon aus, die von der
Beschwerdeführerin erbrachten fünf Wochenbettpflegeeinsätze (über deren
Einzelheiten sich den Akten nichts entnehmen lässt, die aber nach den
letztinstanzlich verbindlichen Feststellungen des kantonalen Gerichts mehr
umfassten als blosse Stillberatung) seien keine Leistungen für
Krankheitsbehandlung sondern besondere Leistungen bei Mutterschaft.
Demgegenüber macht die Beschwerdeführerin geltend, ihre Leistungen seien
deutlich über die Stillberatung hinausgegangen und somit als von einer
Pflegefachfrau erbrachte Leistungen nach Art. 7 KLV zu qualifizieren.

5.

5.1. Die Neuordnung der Pflegefinanzierung löste per 1. Januar 2011 das im Jahr
1998 als zeitlich befristete Massnahme eingeführte System mit Rahmentarifen auf
Verordnungsebene ab (vgl. Botschaft des Bundesrates zum Bundesgesetz über die
Neuordnung der Pflegefinanzierung vom 16. Februar 2005, BBl 2005 2033 ff.,
2034). In Anwendung der Rahmentarife erreichten die Leistungen der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung keinen ausreichenden
Kostendeckungsgrund; schätzungsweise betrug er 55 - 60 % (Votum Ständerätin
Forster-Vanini AB 2006 S 642). Mit der Neuordnung, welche nach dem Willen des
Gesetzgebers unter Wahrung der Kostenneutralität für die Krankenversicherer
eingeführt werden sollte, bezweckte der Gesetzgeber eine Umverteilung der
Kostentragung, um die namentlich aus demographischen Gründen zunehmende
Belastung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung im Bereich
altersbedingter Pflegeleistungen zu begrenzen. Die neue Finanzierungsordnung
gilt indes altersunabhängig für alle pflegebedürftigen grundversicherten
Personen ( GEBHARD Eugster, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum KVG, 2010, N.
1 zu Art. 25a KVG; vgl. auch Votum Ständerätin Fetz, AB 2006 S 644). Im
Einzelnen leistet die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) einen
Beitrag an die Pflegeleistungen, welche aufgrund einer ärztlichen Anordnung und
eines ausgewiesenen Pflegebedarfs u.a. ambulant erbracht werden (Art. 25a Abs.
1 KVG). Darüber hinaus haben sich sowohl die Versicherten als auch die
öffentliche Hand an den Pflegekosten zu beteiligen. Die Modalitäten der
Restfinanzierung der Pflegekosten regeln die Kantone (Art. 25a Abs. 5 Satz 2
KVG), wobei diese kantonale Zuständigkeit nichts daran ändert, dass der
grundsätzliche Anspruch auf Übernahme der ungedeckten Pflegekosten durch die
öffentliche Hand (Kanton oder Gemeinden) bundesrechtlicher Natur ist (BGE 140 V
58 E. 4.1 S. 62). Ebenfalls allein Sache der Bundesgesetzgebung ist die
abschliessende Normierung der Leistungen der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung (Art. 24 KVG).

5.2. Die Neuordnung der Pflegefinanzierung stellt den bis Ende 2010 gültig
gewesenen Leistungsumfang nicht in Frage, sondern regelt im dargelegten Sinn
(vorangehende E. 4.1) die Aufteilung der Pflegekosten auf verschiedene
Kostenträger. Unverändert blieb insbesondere der Begriff der Pflegeleistungen
(Art. 25a Abs. 3 KVG; Eugster, a.a.O., N. 7 zu Art. 25a). Der Bundesrat
übertrug (unter anderem) die Bezeichnung des in Art. 25a Abs. 1 und 4 KVG
vorgesehenen Beitrags der Kassen an die von anerkannten Pflegefachpersonen
erbrachten Pflegeleistungen in Art. 33 lit. i KVV dem Eidgenössischen
Departement des Innern. Dieses legte die von der sozialen
Krankenpflegeversicherung zu übernehmenden Leistungen in Art. 7 KLV und deren
Kostenbeiträge für die von Pflegefachleuten erbrachten Leistungen in Art. 7a
Abs. 1 KLV fest. Die Ansätze der von den Kassen zu übernehmenden Beiträge
belaufen sich auf Fr. 79.80/h für Massnahmen der Abklärung, Beratung und
Koordination und auf Fr. 65.40/h für Massnahmen der Untersuchung und Behandlung
(Abs. 1 lit. a und b). Für Leistungen bei Mutterschaft enthält die Verordnung
keinen speziellen Tarif, weshalb in der Praxis die freiberuflichen
Pflegefachleute, soweit ersichtlich und auch im konkreten Fall, die in der
Wochenbettpflege erbrachten Leistungen ebenfalls nach Art. 7a KLV abrechnen.

6. 
Entgegen der Annahme des kantonalen Gerichts kann aus der fehlenden
Kostenbeteiligungspflicht der Versicherten bei Mutterschaft gemäss Art. 64 Abs.
7 KVG in der bis Ende Februar 2014 gültig gewesenen sowie in der aktuellen
Fassung jedenfalls nicht ohne weiteres geschlossen werden, es resultierten
keine ungedeckten Kosten. Diese Kostenbefreiung privilegiert ausschliesslich
die versicherten Mütter. Demgegenüber richten sich die von den Versicherungen
zu vergütenden Beiträge nach den in Art. 7a Abs. 1 KLV festgelegten Ansätzen,
die - wie dargelegt - auch für die Abrechnung von Wochenbettpflegeleistungen
der Pflegefachleute angewendet werden (vorangehende E. 5.2). Es trifft somit
nicht zu, wie die Vorinstanz annimmt, dass die fehlende Kostenbeteiligung der
Mütter automatisch zu einer "vollumfänglichen" Leistungspflicht der Kassen
führt, umso weniger als die neue Pflegefinanzierung für die Kassen keine
Mehrkosten nach sich ziehen sollte (E. 5.1 hievor). Wie die Berechnung der
Beschwerdeführerin zeigt, vermögen die Beiträge gemäss Art. 7a Abs. 1 lit. a
und b KLV - unabhängig davon, ob eine Kostenbeteiligung nach Art. 25a Abs. 5
Satz 1 berücksichtigt wird oder nicht - ihre Vollkosten nicht zu decken. Bei
einem unangefochten gebliebenen Stundenansatz von Fr. 120.-/h für Abklärung und
Beratung und von Fr. 100.-/h für Untersuchung und Behandlung bezifferte sie
ihren Anspruch auf gesamthaft Fr. 748.35 (für 5,75 Stunden Abklärung und
Beratung sowie 35 Minuten Untersuchung und Behandlung). Abzüglich des
Kassenbeitrages gemäss den Ansätzen von Art. 7a Abs. 1 lit. a und b KLV in Höhe
von Fr. 497.- (bestehend aus Fr. 458.85 für 5,75 Stunden Abklärung und Beratung
sowie Fr. 38.15 für 35 Minuten Untersuchung und Behandlung) resultierte eine
Restsumme von Fr. 251.35. Hievon brachte die Beschwerdeführerin den "Beitrag
der vers. Person" von (maximal) Fr. 15.95 pro Tag, total Fr. 79.75, in Abzug.
Es verblieben ungedeckte Kosten von Fr. 171.60.

7. 
Die damit zu klärende Frage, ob die Leistungen der ambulanten Wochenbettpflege
einer anerkannte Pflegefachperson von der Restfinanzierungspflicht der Kantone
und Gemeinden umfasst sind, beantwortet das Gesetz nicht eindeutig. Sie
bereitet auch deshalb Schwierigkeiten, weil nach der gesetzlichen Konzeption
Krankheit und Mutterschaft zu unterscheiden sind (vorangehende E. 3.1).

7.1. Der Gesetzgeber setzte sich zuletzt im Rahmen der Neufassung des seit 1.
März 2014 gültigen Art. 64 Abs. 7 KVG mit der Abgrenzung von Krankheits- und
eigentlichen Mutterschaftsleistungen auseinander. Dabei erachtete er eine
Differenzierung zwischen Schwangerschaftskomplikationen im eigentlichen Sinn
und anderen Leistungen im Rahmen der Mutterschaft mit Blick auf den engen
Zusammenhang als "nicht praktikabel und problematisch" (z.B. Votum
Nationalrätin Gilli, AB 2013 N 740; Bericht vom 11. Februar 2013 der Kommission
für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates [SGKS] zur
Parlamentarischen Initiative Kostenbeteiligung bei Mutterschaft.
Gleichbehandlung [BBl 2013 2459 ff., 2460]). Auch um diesbezügliche
Abgrenzungsfragen zu vermeiden, wurden nebst den "Leistungen nach Art. 29 Abs.
2" (lit. a) nunmehr ebenfalls "Leistungen nach den Artikeln 25 und 25a" (lit.
b) von der Kostenbeteiligungspflicht gegenüber den Versicherern ausgenommen.

7.2. Die gleichen - unpraktikablen - Abgrenzungen wären indes auch mit Bezug
auf den Umfang der kantonalen Restfinanzierungspflicht vorzunehmen, wollte man
(wie dies im Kanton Luzern offenbar der Praxis entspricht) Leistungen bei
Mutterschaft, anders als allgemeine Pflegeleistungen, von der
Restfinanzierungspflicht der öffentlichen Hand ausklammern. Es wäre aber nicht
nur gleichermassen unpraktikabel, sondern darüber hinaus auch widersprüchlich,
im Rahmen der Finanzierungsordnung eine Abgrenzung zu verlangen und
vorzunehmen, welche sich bei der Befreiung von der Kostenbeteiligung als nicht
durchführbar erwies. Dass die Neufassung von Art. 64 Abs. 7 KVG erst am 1. März
2014 in Kraft getreten ist, während die streitigen Leistungen bereits im März
2013 erbracht worden waren, bleibt für die grundsätzliche
Abgrenzungsproblematik ohne Belang.

7.3. Darüber hinaus zählen nach dem klaren Gesetzeswortlaut Leistungen während
des Aufenthaltes bei Entbindung in einem Geburtshaus ohne weiteres zu den
allgemeinen Leistungen bei Krankheit (Art. 25 Abs. 2 lit. fbis; E. 3.1 hievor).
Offensichtlich ging der Gesetzgeber vorbehaltlos davon aus, die in diesem
Rahmen erbrachten (stationären) Wochenbettleistungen seien nicht anders zu
behandeln als die allgemeinen Kosten, die bei der Diagnose oder Behandlung
einer Krankheit und ihrer Folgen anfallen (Art. 25 Abs. 1 KVG). Es ist nicht
ersichtlich, weshalb es dem gesetzgeberischen Willen hätte entsprechen sollen,
die Wochenbettpflege durch anerkannte Pflegefachleute zwar nicht hinsichtlich
der Leistungspflicht der Sozialversicherung (Art. 25 KVG), wohl aber mit Blick
auf die Restfinanzierung der Kantone (Art. 25a Abs. 5 KVG) gesondert zu
behandeln und sie von der letzten ausnehmen zu wollen (vgl. auch nachfolgende
E. 7.4). Wenn die Mutterschaftsleistungen bei der Neuordnung der
Pflegefinanzierung nicht explizit der Restfinanzierung der Kantone unterstellt
wurden, ist dies am ehesten darauf zurückzuführen, dass im Gesetzgebungsprozess
die demographische Entwicklung, der daraus resultierende steigende Pflegebedarf
und die schwierige Situation der hauptbetroffenen älteren Menschen im Fokus
standen (ohne dass die Neuordnung auf die älteren Versicherten beschränkt wäre;
E. 5.1 hievor).

7.4. Zu beachten gilt es darüber hinaus folgendes: Wären die Pflegeleistungen,
welche nicht bei Krankheit, sondern im Wochenbett durch als Leistungserbringer
anerkannte Pflegefachleute erbracht werden, von der Restfinanzierungspflicht
der öffentlichen Hand ausgenommen, hätte dies zur Folge, dass jedenfalls in
Kantonen, welche die Kostenbeteiligung der Versicherten nicht zu den
ungedeckten Pflegekosten rechnen (wobei auf die diesbezügliche, kantonal
unterschiedlich geregelte Praxis hier nicht näher einzugehen ist), lediglich
der Beitrag der Sozialversicherung entschädigt würde, der in aller Regel nicht
kostendeckend sein dürfte (vgl. vorangehende E. 5). Eine solche Praxis
widerspräche klar den Intensionen des Gesetzgebers. Eine nicht kostendeckende
Entschädigung der freiberuflichen Pflegefachleute würde einem
Versorgungsengpass in der ambulanten Wochenbettbetreuung Vorschub leisten und
damit die gesetzgeberisch verfolgte (allgemeine) Strategie "ambulant vor
stationär" gefährden. Sodann entspricht es einem - unlängst mit der Neufassung
von Art. 64 Abs. 7 KVG erneut bekräftigten - gesetzgeberischen Ziel, Leistungen
bei Mutterschaft aus gesellschafts- und sozialpolitischen Gründen auszubauen
(vgl. z.B. den in E. 6.1 hievor zitierten Bericht der SGKS [BBl 2013 2459 ff.,
2464]). Die zu befürchtende Abwanderung qualifizierter freiberuflicher
Pflegefachleute aus der ambulanten Wochenbettpflege bei einer Unterbezahlung
führte aber zu einer entsprechend schlechteren Versorgungslage der Mütter, was
umso problematischer ist, als sich in den letzten Jahren generell eine
Leistungsverlagerung in den ambulanten Bereich der medizinischen Versorgung
abzeichnet.

7.5. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Wochenbettpflegeleistungen der
Beschwerdeführerin der Restfinanzierungspflicht gemäss Art. 25a Abs. 5 KVG
unterliegen. Die Beschwerdegegnerin hat somit für die entsprechenden
ungedeckten Kosten aufzukommen (Art. 25a Abs. 5 KVG). Die Beschwerde ist
gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Die Sache ist an das
kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es über die Höhe des offenen
Restbetrages befinde.

8. 
Die Gerichtskosten sind dem Ausgang des Verfahrens entsprechend der
Beschwerdegegnerin zu überbinden (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung mit Art.
66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Da es um ihr Vermögensinteresse geht, kann sie sich
nicht auf Art. 66 Abs. 4 BGG berufen (z.B. Urteil 8C_701/2013 vom 14. März 2014
E. 6 mit Hinweis). Sie hat der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin zudem
eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts Luzern, 3.
Abteilung, vom 10. Juli 2014, wird aufgehoben. Die Beschwerdegegnerin wird
verpflichtet, die Restfinanzierung der von der Beschwerdeführerin erbrachten
Leistungen zu übernehmen. Die Sache wird an das Kantonsgericht Luzern, 3.
Abteilung, zurückgewiesen, damit es über die Höhe der Restfinanzierung befinde.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. Juni 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Die Gerichtsschreiberin: Bollinger Hammerle

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