Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 473/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_473/2014

Urteil vom 22. Dezember 2014

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Glanzmann,
Bundesrichter Parrino,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Kamer,
Beschwerdeführerin,

gegen

Basler Leben AG,
Aeschengraben 21, 4051 Basel,
vertreten durch Advokatin Laura Manz,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge
(Rückforderungsanspruch; Verjährung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug
vom 8. Mai 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________ bezog ab ... eine Witwenrente der Alters- und
Hinterlassenenversicherung und eine Waisenrente für jedes ihrer drei Kinder.
Die Basler Leben AG als Rückversicherer der Personalvorsorgestiftung
B.________, bei welcher ihr verstorbener Ehemann zuletzt
berufsvorsorgeversichert gewesen war, richtete Todesfall-Leistungen in Form
eines einmaligen Kapitalbezugs sowie drei Waisenrenten ab 1. April 2004 aus.
Die Renten wurden quartalsweise im Voraus ausgerichtet. Vom 3. Quartal 2004 bis
zum 3. Quartal 2008 wurden jeweils Fr. 4'450.- für jedes Kind ausbezahlt
anstatt Fr. 1'112.50, wie die Basler Leben AG im Schreiben vom 4. November 2003
festgehalten hatte. Für das 4. Quartal 2008 und das 1. Quartal 2009 wurden
jeweils insgesamt Fr. 11'866.70 ausgerichtet.
Mit Schreiben vom 24. März 2009 teilte die Basler Leben AG A.________ mit, im
Rahmen einer Revision der Police sei festgestellt worden, dass zu hohe
Rentenleistungen - Fr. 199'063.40 gemäss beigelegter Aufstellung - ausbezahlt
worden seien, welche im Interesse des gesamten Versichertenkollektivs
zurückgefordert werden müssten. Einen Forderungsverzicht aufgrund eines
Härtefalles lehnte die Basler Leben AG ab.
Am 11. März 2011 trat die Personalvorsorgestiftung B.________ den
Rückforderungsanspruch gegen A.________ in der Höhe von Fr. 199'063.40 an die
Basler Leben AG ab. Am selben Tag stellte der Rückversicherer ein (zweites)
Betreibungsbegehren, dem noch zwei weitere vom 8. März 2011 und vom 16. März
2012 folgten.

B. 
Am 14. März 2013 erhob die Basler Leben AG beim Verwaltungsgericht des Kantons
Zug Klage gegen A.________ mit dem Rechtsbegehren, die Beklagte sei zu
verpflichten, ihr den Betrag von Fr. 183'933.40 zuzüglich Zins zu 5 % seit dem
19. Mai 2009 zu bezahlen. In der Replik bezifferte sie die Forderungssumme nach
erfolgter Verrechnung auf Fr. 126'454.25. A.________ beantragte in der
Klageantwort und in der Duplik die Abweisung des Rechtsmittels.
Mit Entscheid vom 8. Mai 2014 hiess die sozialrechtliche Kammer des kantonalen
Verwaltungsgerichts die Klage gut und verpflichtete A.________, der Basler
Leben AG - unter Berücksichtigung der erfolgten Verrechnung - Fr. 126'454.15
zuzüglich Zins seit dem 19. Mai 2009 zu bezahlen.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________,
der Entscheid vom 8. Mai 2014 sei aufzuheben und die Klage der Basler Leben AG
vom 14. März 2013 abzuweisen.
Die Basler Leben AG ersucht um Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
einzutreten ist. Das kantonale Verwaltungsgericht stellt ebenfalls den Antrag,
das Rechtsmittel sei abzuweisen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat auf
eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1. 
Der angefochtene Entscheid wurde dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin am
16. Mai 2014 ausgehändigt. Die Beschwerde ist am Montag, den 16. Juni 2014, bei
der Post aufgegeben worden. Die Beschwerdefrist von 30 Tagen nach Art. 100 Abs.
1 BGG ist somit gewahrt. Ebenfalls sind die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen
erfüllt. Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.

2. 
Das kantonale Berufsvorsorgegericht hatte u.a. zu prüfen, ob die von der
Beklagten und heutigen Beschwerdeführerin prozessual frist- und formgerecht
erhobene Verjährungseinrede begründet ist, was bewirken würde, dass die
streitige Rückforderung von zu viel ausbezahlten Waisenrenten betreffend den
Zeitraum vom 1. April 2004 bis 31. März 2009 ihre Eignung einbüsste, einem die
Klage gutheissenden Sachentscheid zugrunde zu liegen (BGE 123 III 213 E. 1 S.
215).
Es hat hiezu erwogen, die Klägerin habe den Fehler, der zur unrechtmässigen
Ausrichtung von Leistungen geführt habe, am 24. März 2009 entdeckt. An diesem
Tage habe die relative einjährige Verjährungsfrist nach Art. 67 Abs. 1 OR (bis
31. Dezember 2004) bzw. Art. 35a Abs. 2 BVG (ab 1. Januar 2005) zu laufen
begonnen. Die Frist sei mehrmals rechtzeitig unterbrochen worden, erstmals
durch das Betreibungsbegehren vom 11. März 2010 (Art. 135 Ziff. 2 OR; vgl.
Urteil 5A_362/2013 vom 14. Oktober 2013 E. 3.3) und habe jeweils wieder neu zu
laufen begonnen (Art. 138 Abs. 2 OR). Mit Einreichung der Klage vom 14. März
2013 sei die zuletzt am 23. März 2012 ausgelöste einjährige Verjährungsfrist
abermals gewahrt worden.

3. 
Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz in Bezug auf den Beginn der
Verjährungsfrist eine Verletzung der Regeln über die Beweislastverteilung nach
Art. 8 ZGB vor. Die diesbezüglich belastete Beschwerdegegnerin habe die
Entdeckung des Fehlers, angeblich am 24. März 2009, bloss behauptet, nicht
jedoch schlüssig bewiesen. Weiter rügt sie eine Verletzung der
Beweismassbestimmung. Die Vorinstanz habe, anstatt das Regelbeweismass der an
Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit anzuwenden, überwiegende
Wahrscheinlichkeit genügen lassen.

3.1. Der Schuldner, der die Einrede der Verjährung erhebt, trägt hiefür die
Beweislast (Urteil 5A_563/2009 vom 29. Januar 2010 E. 3 mit Hinweisen auf
Rechtsprechung und Lehre; vgl. auch BGE 111 II 55 E. 3a S. 58 oben). Er muss
die Tatsachen beweisen, welche es erlauben, den Beginn der Verjährungsfrist
festzustellen (Urteil 4C.155/2002 vom 9. September 2002 E. 2.2). Diese
zivilprozessuale Regelung wird im Klageverfahren nach Art. 73 BVG insofern
eingeschränkt, als nach dessen Abs. 2 das Gericht den Sachverhalt von Amtes
wegen feststellt. Es gilt somit der Untersuchungsgrundsatz, der seinerseits
jedoch durch die Mitwirkungspflicht der Parteien zurückgedrängt wird,
namentlich wenn diese anwaltlich vertreten sind. Dazu gehört in erster Linie
die Substanziierungspflicht, die besagt, dass die wesentlichen
Tatsachenbehauptungen und -bestreitungen in den Rechtsschriften enthalten sein
müssen. Die Bestreitungslast darf nicht zu einer Umkehr der Behauptungs- und
Beweislast führen (BGE 138 V 86 E. 5.2.3 S. 97). Im dargelegten Sinne tragen
die Parteien lediglich insofern eine Beweislast, als sich Beweislosigkeit in
der Regel zu Ungunsten jener Partei auswirkt, die aus dem unbewiesen
gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte (Art. 8 ZGB; BGE 139 V 176 E.
5.2 S. 185). Schliesslich gilt auch im Bereich der beruflichen Vorsorge das
sozialversicherungsrechtliche Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit.
Danach ist derjenige Sachverhalt massgebend, der von allen möglichen
Geschehensabläufen der wahrscheinlichste ist (BGE 139 V 176 E. 5.3 S. 186 mit
Hinweisen; 126 V 353 E. 5b S. 360).

3.2. Im Lichte der vorstehenden Grundsätze kann sich einzig fragen, ob die
Vorinstanz dadurch den Untersuchungsgrundsatz und damit Bundesrecht verletzt
hat (Art. 95 lit. a BGG; Urteil 9C_361/2011 vom 11. November 2011 E. 6.1, in:
SVR 2012 BVG Nr. 16 S. 69), dass sie für den Beginn der relativen einjährigen
Verjährungsfrist auf die Angabe der Beschwerdegegnerin abstellte, wonach der
Fehler, der zur Ausrichtung von zu hohen Waisenrenten geführt hatte, am 24.
März 2009 entdeckt worden sei.

3.2.1. Die Beschwerdeführerin macht sinngemäss geltend, die Vorinstanz hätte
die Umstände und die Hintergründe der Entdeckung des Fehlers - gemäss
Beschwerdegegnerin eine unkorrekte elektronische Erfassung - näher abklären
müssen. Dazu habe umso mehr Anlass bestanden, als diese selber keine Beweise
weder eingereicht noch angeboten habe, etwa eine interne Aktennotiz oder ein
Protokoll über die Entdeckung des Fehlers oder die Zeugenbefragung derjenigen
Person, die den Fehler entdeckt habe. Zur Begründung bringt sie wie schon im
vorinstanzlichen Verfahren im Wesentlichen vor, aufgrund der bei
Versicherungsgesellschaften wie der Beschwerdegegnerin diversen zu befolgenden
Hierarchien und Handlungsabläufen seien die Berechnung des möglichen Schadens,
interne Kommunikation und Beschlussfassung sowie das Verfassen des Schreibens
an sie am selben einzigen Tag faktisch unmöglich.
Den nämlichen Vorbringen in der Klageantwort und in der Duplik hat die
Vorinstanz entgegengehalten, es sei keineswegs unrealistisch, dass auf die
Entdeckung des Fehlers umgehend die weiteren Schritte (Berechnung der totalen
Fehlzahlungen, Sistierung der Zahlungen, Verfassen des Schreibens an die
rentenberechtigte Person) folgten. Die Erstellung einer Übersicht über die
geleisteten Zahlungen beispielsweise dürfte mit einem entsprechenden
Buchhaltungsprogramm innert Kürze gemacht werden können, sodass auch noch
genügend Zeit für die anderen Schritte verblieben sei. Im Übrigen sei in den
Jahren 2005 bis 2008 die Zahlung der drei Waisenrenten für das 2. Quartal
zwischen dem 20. und 23. März verbucht worden; die Auszahlung sei indessen
frühestens am 27. des Monats erfolgt. Die Klägerin habe somit nach der
Entdeckung des Fehlers am 24. März 2009 noch genügend Zeit gehabt, um die 2.
Quartalszahlung zu stoppen.

3.2.2. Die Beschwerdeführerin rügt diese Sachverhaltsfeststellungen - zu Recht
- nicht als offensichtlich unrichtig (Art. 97 Abs. 1 BGG). Insbesondere
bestreitet sie nicht, dass die Waisenrenten für das 2. Quartal jeweils gegen
Ende März, ein paar Tage nach der Buchung ausbezahlt wurden. Gemäss den Akten
sodann erfolgte 2009 keine Buchung (mehr), woraus zu schliessen ist, dass der
Fehler vor oder spätestens bei deren Vornahme entdeckt worden sein musste. Dies
muss nicht zwingend am 24. März 2009 gewesen sein, ein früherer Zeitpunkt fällt
ebenfalls in Betracht. War der Fehler vor dem 11. März 2009 entdeckt worden,
wäre die Rückforderung verjährt. Nach unbestrittener Feststellung der
Vorinstanz war das Betreibungsbegehren vom 11. März 2010 die erste Handlung der
Beschwerdegegnerin mit verjährungsunterbrechender Wirkung (vorne E. 2). Somit
stellt sich im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes die Frage, ob von weiteren
Abklärungen verwertbare neue Erkenntnisse zu erwarten sind. Dies ist unter den
gegebenen Umständen zu verneinen. Es ist nicht anzunehmen, dass die beantragten
Beweismittel (interne Unterlagen, Zeugenbefragung zur Entdeckung des Fehlers)
zielführend im Sinne der Beschwerdeführerin sind. Damit bleibt die Frage offen,
ob der Fehler, der zur Ausrichtung zu hoher Waisenrenten geführt hatte, vor
oder nach dem 11. März 2009 entdeckt wurde. Diese Beweislosigkeit geht zu
Lasten der Beschwerdeführerin (vorne E. 3.1 am Anfang).
Der angefochtene Entscheid verletzt kein Bundesrecht. Die Beschwerde ist
unbegründet.

4. 
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG). Die obsiegende Beschwerdegegnerin hat keinen Anspruch auf
Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG; Urteil 9C_702/2011 vom 28. Februar
2012 E. 5 mit Hinweis, in: SVR 2012 BVG Nr. 30 S. 121).

5. 
Mit dem Entscheid in der Sache ist die Frage der aufschiebenden Wirkung der
Beschwerde gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug,
Sozialversicherungsrechtliche Kammer, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 22. Dezember 2014
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Fessler

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