Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 456/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_456/2014

Urteil vom 19. Dezember 2014

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Glanzmann,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt und Notar Claude Wyssmann,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 5. Mai 2014.

Sachverhalt:

A. 
Die am 8. April 1952 geborene A.________ meldete sich im Oktober 2002 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen und Durchführung
des Vorbescheidverfahrens ermittelte die IV-Stelle des Kantons Solothurn
Invaliditätsgrade von 37 %, 55 %, 100 % und abermals 55 %. Demgemäss sprach sie
der Versicherten ab 1. September 2009 eine halbe, vom 1. Juli bis 31. Oktober
2010 eine ganze und ab 1. November 2010 wiederum eine halbe Invalidenrente zu
(Verfügungen vom 12. Dezember 2011).

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn, nachdem es bei der MEDAS das interdisziplinäre Gutachten vom 12.
März 2013 eingeholt hatte, mit Entscheid vom 5. Mai 2014 teilweise gut. Es hob
die Verfügungen vom 12. Dezember 2011 auf und sprach der Versicherten ab 1.
September 2009 eine halbe und ab 1. Juli 2010 eine ganze Rente zu; im Übrigen
wies es die Beschwerde ab.

C. 
Die IV-Stelle beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten, der Entscheid vom 5. Mai 2014 sei aufzuheben und die
Verfügungen vom 12. Dezember 2011 seien zu bestätigen.

Das kantonale Gericht und A.________ schliessen auf Abweisung des
Rechtsmittels. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Die Vorinstanz hat den Anspruch auf eine halbe Rente ab 1. September 2009 und
auf eine ganze Rente ab 1. Juli 2010 bestätigt. In Bezug auf die Zeit ab August
2010 hat sie gestützt auf das MEDAS-Gutachten vom 12. März 2013 eine
Arbeitsfähigkeit von 50 % für Verweistätigkeiten festgestellt. Diese hat sie
indessen für nicht (mehr) verwertbar gehalten; folglich hat sie der
Versicherten weiterhin eine ganze Invalidenrente zugesprochen.

Streitig und zu prüfen ist einzig die Frage nach der Verwertbarkeit der
Restarbeitsfähigkeit.

3. 

3.1.

3.1.1. Das - in unselbstständiger Tätigkeit - trotz der gesundheitlichen
Beeinträchtigung zumutbarerweise erzielbare Einkommen ist bezogen auf einen
ausgeglichenen Arbeitsmarkt zu ermitteln, wobei an die Konkretisierung von
Arbeitsgelegenheiten und Verdienstaussichten keine übermässigen Anforderungen
zu stellen sind (im Einzelnen dazu Urteil 9C_830/2007 vom 29. Juli 2008 E. 5.1,
in: SVR 2008 IV Nr. 62 S. 203). Das fortgeschrittene Alter wird, obgleich an
sich ein invaliditätsfremder Faktor, in der Rechtsprechung als Kriterium
anerkannt, welches zusammen mit weiteren persönlichen und beruflichen
Gegebenheiten dazu führen kann, dass die einer versicherten Person verbliebene
Resterwerbsfähigkeit auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt realistischerweise
nicht mehr nachgefragt wird, und dass ihr deren Verwertung auch gestützt auf
die Selbsteingliederungslast nicht mehr zumutbar ist. Fehlt es an einer
wirtschaftlich verwertbaren Resterwerbsfähigkeit, liegt eine vollständige
Erwerbsunfähigkeit vor, die einen Anspruch auf eine ganze Invalidenrente
begründet (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 831/05 vom 21. August 2006
E. 4.1.1 mit Hinweisen).

Der Einfluss des Lebensalters auf die Möglichkeit, das verbliebene
Leistungsvermögen auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt zu verwerten, lässt sich
nicht nach einer allgemeinen Regel bemessen, sondern hängt von den Umständen
des Einzelfalls ab. Massgebend können die Art und Beschaffenheit des
Gesundheitsschadens und seiner Folgen, der absehbare Umstellungs- und
Einarbeitungsaufwand und in diesem Zusammenhang auch Persönlichkeitsstruktur,
vorhandene Begabungen und Fertigkeiten, Ausbildung, beruflicher Werdegang oder
Anwendbarkeit von Berufserfahrung aus dem angestammten Bereich sein (BGE 138 V
457 E. 3.1 S. 460; Urteile 9C_153/ 2011 vom 22. März 2012 E. 3.1; 9C_918/2008
vom 28. Mai 2009 E. 4.2.2 mit Hinweisen). Somit hängt die Verwertbarkeit nicht
zuletzt davon ab, welcher Zeitraum der versicherten Person für eine berufliche
Tätigkeit und vor allem auch für einen allfälligen Berufswechsel noch zur
Verfügung steht (BGE 138 V 457 E. 3.2 S. 460).

3.1.2. Für den Zeitpunkt, in welchem die Frage nach der Verwertbarkeit der
(Rest-) Arbeitsfähigkeit bei vorgerücktem Alter beantwortet wird, ist auf das
Feststehen der medizinischen Zumutbarkeit einer (Teil-) Erwerbstätigkeit
abzustellen (BGE 138 V 457 E. 3.3 S. 462).

3.2. Die Vorinstanz hat verbindlich (E. 1) festgestellt, das MEDAS-Gutachten
sei erforderlich gewesen, weil der medizinische Sachverhalt zuvor nicht
rechtsgenüglich geklärt gewesen sei. Daher ist - entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin - der 12. März 2013 der massgebliche Stichtag für die
Beantwortung der Frage nach der Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit.
Überdies würde sich an der konkreten Beurteilung (E. 3.3.2) auch nichts
Wesentliches ändern, wenn die rund dreieinhalb Monate zuvor gegebene Situation
ausschlaggebend wäre (vgl. BGE 138 V 457 E. 3.4 und 3.5 S. 462).

3.3.

3.3.1. In Bezug auf die konkreten Umstände hat das kantonale Gericht
festgestellt, die Versicherte sei im massgeblichen Zeitpunkt 61 Jahre alt
gewesen. Zudem verfüge sie über einen sehr geringen Ausbildungsstand und ein
stark eingeschränktes Tätigkeitsprofil. Bei diesem müsse sie nicht nur ihre
Arbeitsposition regelmässig wechseln und nach Bedarf Pausen einlegen können;
sie sei auch körperlich stark limitiert und darüber hinaus auf eine
wohlwollende Führung und ein stressfreies Klima angewiesen. Dass diese
Feststellungen offensichtlich unrichtig sein oder auf einer Rechtsverletzung
beruhen sollen, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht geltend gemacht. Sie
bleiben somit ebenfalls verbindlich (E. 1).

3.3.2. Damit hat die Vorinstanz die verbleibende Aktivitätsdauer von rund drei
Jahren, die fehlende Ausbildung und die gesundheitliche Situation
berücksichtigt. In Bezug auf das letztgenannte Kriterium ändert nichts, dass
das Gericht sowohl die Anforderungen an die Arbeitsposition als auch den
Pausenbedarf erwähnt hat und dass die MEDAS-Gutachter aus den attestierten
psychischen Beeinträchtigungen, unter Vorbehalt eines geeigneten
Arbeitsumfeldes, nicht auf eine weitere Einschränkung der Arbeitsfähigkeit
schlossen. Sodann ist im hier interessierenden Zusammenhang, anders als die
IV-Stelle anzunehmen scheint, nicht zwingend ein unrealistisches Entgegenkommen
des Arbeitgebers erforderlich. Zusätzlich zu beachten ist indessen die seit
1999 andauernde Abstinenz vom Arbeitsmarkt sowie der damit verbundene
Umstellungs- und Einarbeitungsaufwand (vgl. Urteil 9C_52/2014 vom 28. Mai 2014
E. 3.1.3). In Gesamtwürdigung der individuellen Gegebenheiten hat das kantonale
Gericht zu Recht angenommen, dass die Arbeitskraft der Versicherten auch auf
dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt realistischerweise nicht (mehr) nachgefragt
wird. Die Beschwerde ist unbegründet.

4. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegegnerin hat
Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'400.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 19. Dezember 2014

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Die Gerichtsschreiberin: Dormann

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