Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 453/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
9C_453/2014        
{T 0/2}

Urteil vom 17. Februar 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gian Sandro Genna,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern,
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 5. Mai 2014.

Sachverhalt:

A. 
Der 1961 geborene A.________, von Beruf Zahnarzt und Kieferorthopäde, arbeitete
seit 1997 als selbstständig erwerbender Zahnarzt. Ab Februar 2007 litt er an
einer Panikstörung, worauf er in seiner Zahnarztpraxis nur noch
organisatorische und administrative Arbeiten ohne Patientenkontakt erledigte,
während angestellte Zahnärzte die zahnmedizinischen Behandlungen übernahmen.
Per 23. Mai 2008 überführte er Aktiven und Passiven der vormaligen Einzelfirma
in die neu gegründete B.________ GmbH. Er ist als deren alleiniger
Gesellschafter und Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen und bezieht
von der GmbH einen Lohn. Am 9. November 2007 hatte sich A.________ bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Gestützt auf die
eingeholten Arztberichte und eine psychiatrische Begutachtung (Expertise des
Dr. med. C.________ vom 20. Oktober 2008) sowie Abklärungen in erwerblicher
Hinsicht ermittelte die IV-Stelle Bern einen Invaliditätsgrad von 50 %.
Demgemäss sprach sie A.________ mit Verfügung vom 16. November 2010 ab 1. März
2008 eine halbe Invalidenrente zu. Diese Rentenzusprechung blieb unangefochten.
Im April 2012 leitete die IV-Stelle ein Revisionsverfahren ein. Gestützt auf
einen medizinischen Verlaufsbericht (des Psychiaters Dr. med. D.________ vom
23. Juli 2012), Buchhaltungsunterlagen, einen Auszug aus dem individuellen
Konto sowie eine Abklärung für Selbstständigerwerbende (vom 21. Februar 2013)
ermittelte sie einen Invaliditätsgrad von 37 % ab 1. April 2011 und von 30 % ab
1. April 2012. Gleichzeitig stellte sie für die Zeit vom 1. April 2011 bis 31.
Juli 2012 eine Meldepflichtverletzung des Versicherten fest. Dementsprechend
hob die IV-Stelle die Invalidenrente mit Wirkung ab 1. April 2011 auf
(Verfügung vom 30. Mai 2013). Mit einer weiteren Verfügung vom 14. Juni 2013
forderte sie die von A.________ vom 1. April 2011 bis 31. Juli 2012 bezogenen
Rentenbetreffnisse zurück.

B. 
Die von A.________ gegen die Aufhebung der halben Invalidenrente gemäss
Verfügung vom 30. Mai 2013 eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht
des Kantons Bern mit Entscheid vom 5. Mai 2014 ab. Das Beschwerdeverfahren
betreffend die Rückerstattungsverfügung sistierte das Verwaltungsgericht bis
zum rechtskräftigen Entscheid über die Rentenrevision.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei ihm
rückwirkend ab 1. April 2011 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf eine
Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 IVG), deren nach dem Invaliditätsgrad
abgestuften Umfang (Art. 28 Abs. 2 IVG), die Bemessung des Invaliditätsgrades
nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG), die Revision der
Invalidenrente zufolge Änderung des Invaliditätsgrades (Art. 17 Abs. 1 ATSG)
sowie die dabei in zeitlicher Hinsicht zu vergleichenden Sachverhalte (BGE 133
V 108 E. 5 S. 110 ff, 130 V 343 E. 3.5.2 S. 351) zutreffend wiedergegeben.
Darauf wird verwiesen. Da das kantonale Gericht die Rückerstattung zu Unrecht
bezogener Leistungen in einem separaten, zur Zeit sistierten
Beschwerdeverfahren zu beurteilen haben wird, bildet diese Frage nicht
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Die damit im Zusammenhang stehende
Frage nach dem Vorliegen einer Meldepflichtverletzung (Art. 77 in Verbindung
mit Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV), welche für eine rückwirkende Rentenaufhebung
vorausgesetzt ist, ist daher nicht zu prüfen. Vielmehr hat sich der
letztinstanzliche Prozess auf die Frage zu beschränken, ob die
Revisionsvoraussetzungen erfüllt sind. Dass sich die Vorinstanz selbst mit der
Verletzung der Meldepflicht durch den Beschwerdeführer befasst hat, obwohl
diesbezüglich gemäss den Feststellungen im angefochtenen Entscheid ein
separates Beschwerdeverfahren hängig und sistiert ist, ändert daran nichts.

3.

3.1. Das kantonale Gericht ist davon ausgegangen, dass in medizinischer
Hinsicht im Vergleichszeitraum keine erhebliche Änderung eingetreten sei. Das
hypothetische Einkommen ohne Invalidität (Valideneinkommen) setzte die
Vorinstanz in Übereinstimmung mit der IV-Stelle auf Fr. 385'253.- (2011) und
Fr. 391'342.- (2012) fest. Hinsichtlich des Invalideneinkommens nahm die
Vorinstanz an, der Versicherte sei trotz formeller Anstellung bei der GmbH
weiterhin als Selbstständigerwerbender zu qualifizieren, komme es doch auf
seine wirtschaftliche Stellung im Betrieb an. Sie bestätigte die Berechnung der
Verwaltung, welche das Invalideneinkommen für 2011 auf Fr. 243'031.- und für
2012 auf Fr. 275'226.- festgelegt hatte.

3.2. Der Beschwerdeführer wendet sich dagegen, dass er, obwohl Arbeitnehmer der
GmbH, von der Vorinstanz weiterhin als Selbstständigerwerbender qualifiziert
werde. Es sei unzulässig, die Betriebsergebnisse der Gesellschaft
vollumfänglich an sein Invalideneinkommen anzurechnen. Bei seinem Lohn handle
es sich zu einem überwiegenden Teil um Soziallohn. Sodann könne das tatsächlich
erzielte Einkommen nicht unbesehen als Invalideneinkommen angerechnet werden.
Die entsprechenden Voraussetzungen seien nicht gegeben. Schliesslich rügt er
die Berechnung des Betriebsgewinns der GmbH für den Fall, dass dieser für die
Festsetzung des Invalideneinkommens massgebend sei. So seien die gesetzlich
vorgeschriebene Reservebildung und die Rückstellungen nicht berücksichtigt
worden. Die Abschreibungen von je Fr. 30'000.- in den Jahren 2010 und 2011
seien nicht ausreichend. Insoweit habe das kantonale Gericht den Sachverhalt
willkürlich festgestellt.

4.

4.1. Die Frage, ob jemand im Einzelfall als selbstständig oder unselbstständig
erwerbend zu gelten hat, beurteilt sich nicht aufgrund der Rechtsnatur des
Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien (BGE 122 V 169 E. 3a S. 171 mit
Hinweis). Dieser, im Verfahren zur Bestimmung der ahv-rechtlichen
Beitragsqualifikation entwickelte Grundsatz findet auch auf
invalidenversicherungsrechtliche Verhältnisse Anwendung (vgl. dazu Art. 25 Abs.
1 IVV, wonach als Erwerbseinkommen im Sinne von Art. 16 ATSG mutmassliche
jährliche Erwerbseinkommen gelten, von denen Beiträge gemäss AHVG erhoben
würden). Angestellte Geschäftsführer oder Betriebsleiter sind, selbst wenn
ihnen faktisch die Stellung von Allein- oder Teilinhabern einer
Aktiengesellschaft zukommt und sie massgebenden Einfluss auf den Geschäftsgang
haben, formell Arbeitnehmer der Gesellschaft. Für die Beurteilung des
sozialversicherungsrechtlichen Status einer Person ist indessen nicht die
zivilrechtliche, sondern die wirtschaftliche Stellung ausschlaggebend. Ob ein
Versicherter einen wesentlichen Einfluss auf die Geschäftspolitik und
-entwicklung nehmen kann - und damit invalidenversicherungsrechtlich als
Selbstständigerwerbender mit einem eigenen Betrieb zu gelten hat - , ist
aufgrund der finanziellen Beteiligung, der Zusammensetzung der Leitung der
Gesellschaft und vergleichbarer Gesichtspunkte zu prüfen (Urteil des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 185/02 vom 29. Januar 2003 E. 3.1).

4.2. Laut Feststellungen der Vorinstanz ist der Beschwerdeführer alleiniger
Gesellschafter und Geschäftsführer der B.________ GmbH. Da er über das
Gesellschaftskapital verfügen und sämtliche Entscheidungen der GmbH allein
treffen kann, ist er, obwohl formellrechtlich Arbeitnehmer der von ihm
beherrschten GmbH, invalidenversicherungsrechtlich einem
Selbstständigerwerbenden gleichzustellen. Wenn die Vorinstanz gestützt auf die
von der Verwaltung ermittelte Einkommensveränderung im massgebenden
Vergleichszeitraum dargelegt hat, dass die Voraussetzungen für eine
Rentenzusprechung ab 1. April 2011 nicht mehr erfüllt seien, beruht dies weder
auf einer willkürlichen Sachverhaltsermittlung noch kann darin eine
Bundesrechtsverletzung erblickt werden, weshalb sich Weiterungen erübrigen. Was
Reservebildung und Rückstellungen betrifft, ist auf den angefochtenen Entscheid
zu verweisen, worin sich die Vorinstanz bereits zutreffend mit diesen Rügen
auseinandergesetzt hat. Weshalb das tatsächlich erzielte Einkommen unter den
gegebenen Umständen nicht als Invalideneinkommen anzurechnen sei, vermag der
Beschwerdeführer nicht einleuchtend zu begründen. Dass er die GmbH laut
Ausführungen in der Beschwerde per 1. April 2014 verkauft hat, ist unter
zeitlichem Gesichtswinkel unerheblich, weil die Veräusserung der Gesellschaft
zehn Monate nach dem für die richterliche Beurteilung massgebenden Zeitpunkt
des Erlasses der Revisionsverfügung (am 30 Mai 2013) erfolgt ist (vgl. BGE 131
V 407 E. 2.1.2.1 S. 412, 121 V 362 E. 1b S. 366). Ebensowenig kann der
Versicherte aus diesem Umstand ableiten, dass die Einkommen der Jahre 2011 und
2012 nicht für die Berechnung des Invalideneinkommens herangezogen werden
können. Schliesslich mag es zutreffen, dass die erwirtschafteten Gewinne zur
Hauptsache der Arbeit der angestellten Zahnärzte zuzuschreiben sind. Dies
ändert indessen angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse nichts daran, dass
diese der GmbH - und damit dem Beschwerdeführer selbst - zuzurechnen sind. Es
verhält sich hier nicht anders als im Falle eines selbstständig erwerbenden
Versicherten, der Inhaber einer Einzelfirma ist. Erwirtschaftet dieser einen
Gewinn, welcher der Arbeit seiner Angestellten zu verdanken ist, wird ihm
dieser als Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit angerechnet.

5. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. Februar 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Widmer

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