Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 212/2014
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2014
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2014


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_212/2014

Urteil vom 8. April 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner, Bundesrichter Parrino,
Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Attinger.

Verfahrensbeteiligte
Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St.
Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch seinen Sohn B.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV (örtliche Zuständigkeit),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 30. Januar 2014.

Sachverhalt:

A. 
Der 1925 geborene A.________ lebte in X.________ (Kanton St. Gallen), bevor er
Anfang Juli 1997 als Pensionär in das im Kanton Thurgau gelegene Kurheim
Y.________ in Z.________ eintrat. Mit Verfügung vom 27. Juni 2011 lehnte die
Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen (nachfolgend: SVA St. Gallen)
ein erstes Gesuch des Versicherten um Ausrichtung von Ergänzungsleistungen zur
Altersrente ab, weil ein Einnahmenüberschuss vorliege. Diese Verfügung erwuchs
unangefochten in Rechtskraft.

Im März 2012 ersuchte A.________ erneut um Zusprechung von
Ergänzungsleistungen. Mit Verfügung vom 5. Juni 2012 und Einspracheentscheid
vom 23. Oktober 2012 lehnte die SVA St. Gallen das Gesuch wiederum ab, wobei
aus der Begründung des Einspracheentscheids hervorgeht, dass sich die
Sozialversicherungsanstalt für örtlich unzuständig erachtet. Weil der
Versicherte am Ort des Kurheims zivilrechtlichen Wohnsitz begründet habe, sei
der Kanton Thurgau für die Festsetzung und Auszahlung der Ergänzungsleistung
zuständig.

B. 
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hiess die von A.________
erhobene Beschwerde, soweit es darauf eintrat, dahin gehend gut, dass es den
als Nichteintreten auf das EL-Gesuch qualifizierten Einspracheentscheid vom 23.
Oktober 2012 aufhob und die Sache zu materieller Prüfung des geltend gemachten
Anspruchs auf Ergänzungsleistungen und zu neuer Verfügung an die SVA St. Gallen
zurückwies (Dispositiv-Ziffer 1 des vorinstanzlichen Entscheids vom 30. Januar
2014 mit Verweis auf die Erwägungen).

C. 
Die SVA St. Gallen führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag auf
Aufhebung des angefochtenen Entscheids und Bestätigung ihres
Nichteintretensentscheids vom 23. Oktober 2012; die örtliche Zuständigkeit
liege bei den EL-Behörden des Kantons Thurgau.

A.________ beantragt Abweisung der Beschwerde und ersucht um Gewährung der
unentgeltlichen Prozessführung. Das Versicherungsgericht schliesst ebenfalls
auf Abweisung, während das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf eine
Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen:

1. 

1.1. Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich aufgrund der
dispositivmässigen Verpflichtung der SVA St. Gallen zur materiellen Prüfung des
EL-Anspruchs und neuer Verfügung um einen Rückweisungsentscheid und damit um
einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 Abs. 1 BGG.
Die für eine selbständige Anfechtung erforderliche Voraussetzung des nicht
wiedergutzumachenden Nachteils im Sinne von lit. a dieser Bestimmung ist
erfüllt, da die Sozialversicherungsanstalt gezwungen wird, entgegen ihrer
Rechtsauffassung eine neue Verfügung zu erlassen (BGE 140 II 315 E. 1.3.1 S.
318; 140 V 507 E. 1 S. 509; 133 V 477 E. 5.2 S. 483; Urteil 9C_727/2010 vom 27.
Januar 2012 E. 1, nicht publ. in: BGE 138 V 23, aber in: SVR 2012 EL Nr. 13 S.
40).

1.2. Der Vorinstanz ist insoweit beizupflichten, als der Einspracheentscheid
der SVA St. Gallen vom 23. Oktober 2012 nach seinem tatsächlichen rechtlichen
Bedeutungsgehalt nicht eine materielle Leistungsablehnung, sondern ein
Nichteintreten wegen örtlicher Unzuständigkeit im Sinne von Art. 35 Abs. 3 ATSG
(SR 830.1) darstellt (BGE 132 V 74 E. 2; 120 V 496 E. 1 S. 497; Urteil 9C_727/
2010 vom 27. Januar 2012 E. 2.2 am Anfang, nicht publ. in: BGE 138 V 23, aber
in: SVR 2012 EL Nr. 13 S. 40). Im Folgenden stellt sich die Frage, ob das
kantonale Gericht die örtliche Zuständigkeit der st. gallischen EL-Organe für
die Festsetzung und die Auszahlung der Ergänzungsleistung zu Recht bejaht hat.

1.3. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners beantwortet sich diese Frage
unabhängig von der ersten leistungsablehnenden EL-Verfügung der
Beschwerdeführerin vom 27. Juni 2011. Mag es auch zutreffen, dass die SVA St.
Gallen anlässlich der seinerzeitigen materiellen Prüfung des EL-Gesuchs
implizit ihre diesbezügliche Zuständigkeit bejaht hat, kann daraus für den
Leistungsanspruch ab neuerlicher Anmeldung vom März 2012 dennoch keine
präjudizielle Wirkung abgeleitet werden. Aufgrund der formell-gesetzlichen
Ausgestaltung der Ergänzungsleistung als einer auf das Kalenderjahr bezogenen
Versicherung (Art. 3 Abs. 1 lit. a ELG [SR 831.30]) kann eine Verfügung darüber
in zeitlicher Hinsicht von vornherein nur für ein Kalenderjahr
 Rechtsbeständigkeit entfalten (BGE 128 V 39).

2.

2.1. Im Rahmen der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung
zwischen Bund und Kantonen (NFA; Botschaft vom 7. September 2005; BBl 2005 2069
ff.) wurde das bisher geltende Bundesgesetz vom 19. März 1965 über
Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung
(aELG) einer Totalrevision unterzogen. Das neue Bundesgesetz vom 6. Oktober
2006 (ELG) wurde auf den 1. Januar 2008 in Kraft gesetzt. Laut dessen Art. 21
Abs. 1 erster Satz wird - in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 ATSG - die kantonale
Zuständigkeit für die Festsetzung und die Auszahlung der Ergänzungsleistung
grundsätzlich nach wie vor an den zivilrechtlichen Wohnsitz der
bezugsberechtigten Person geknüpft. Der zweite Satz von Art. 21 Abs. 1 ELG
stellt nun aber im Sinne einer Ausnahme klar, dass der Aufenthalt in einem
Heim, einem Spital oder einer andern Anstalt und die behördliche oder
vormundschaftliche Versorgung einer mündigen oder entmündigten Person in
Familienpflege keine neue Zuständigkeit begründen. Diese Bestimmung ist mangels
einer anderslautenden Übergangsbestimmung sofort anwendbar (BGE 138 V 23 E. 3.2
S. 26; SVR 2011 EL Nr. 6 S. 17, 9C_972/2009 E. 2.2 in fine).

Gemäss Art. 21 Abs. 2 ELG bezeichnen die Kantone die Organe, die für die
Entgegennahme der Gesuche und für die Festsetzung und die Auszahlung der
Ergänzungsleistungen zuständig sind; sie können die kantonalen
Ausgleichskassen, nicht aber die Sozialhilfebehörden mit diesen Aufgaben
betrauen. Während im Kanton St. Gallen die SVA St. Gallen über Anspruch und
Höhe der Ergänzungsleistungen entscheidet (Art. 11 Abs. 1 des
Ergänzungsleistungsgesetzes vom 22. September 1991 [ELG/SG; sGS 351.5]), hat
der Kanton Thurgau diese Aufgabe der kantonalen Ausgleichskasse übertragen (§ 2
Abs. 1 des Gesetzes vom 25. April 2007 über Ergänzungsleistungen zur Alters-,
Hinterlassenen- und Invalidenversicherung [ELG/TG; RB 831.3]).

2.2. Die Entstehungsgeschichte der erwähnten Ausnahmebestimmung (vgl. dazu BGE
138 V 23 E. 3.4.2 S. 28) zeigt, dass es dem Gesetzgeber darum ging, bei
Heimbewohnern eine Kongruenz zwischen Ergänzungsleistung und Sozialhilfe
herzustellen. Mit der dem Bundesgesetz vom 24. Juni 1977 über die Zuständigkeit
für die Unterstützung Bedürftiger (Zuständigkeitsgesetz [ZUG]; SR 851.1)
nachempfundenen Ausnahmeregelung im zweiten Satz von Art. 21 Abs. 1 ELG sollten
zum einen die zwischen den Kantonen immer wieder auftretenden, sich an der
Wohnsitzfrage entzündenden Streitigkeiten über die
ergänzungsleistungsrechtliche Zuständigkeit bei Heimbewohnern künftig möglichst
vermieden werden (vgl. BGE 138 V 23 E. 3.4.2 am Anfang S. 28). Zum andern ging
die gesetzgeberische Regelungsabsicht dahin, die Benachteiligung der
Standortkantone von Heimen, Anstalten und vergleichbaren Institutionen (vgl.
BGE 138 V 23 E. 3.1.2 f. S. 25 f.) fortan zu verringern. Wie weit die Kongruenz
zwischen Ergänzungsleistung und Sozialhilfe reicht, beantwortet sich nach der
jeweiligen Rechtsanwendungslage. So hat das Bundesgericht im Zusammenhang mit
dem fraglichen Eintritt einer EL-Bezügerin in eine der angeführten
Einrichtungen festgestellt, ein solcher bleibe nach dem klaren Willen des
Gesetzgebers, wie er auch im Wortlaut seinen Niederschlag gefunden hat, ohne
Bedeutung für die Frage der Zuständigkeit für die Festsetzung und die
Auszahlung der Ergänzungsleistung, unabhängig davon, ob am Ort der Institution
zivilrechtlicher Wohnsitz begründet wird. Zuständig ist bzw. bleibt der Kanton,
in welchem die Ergänzungsleistung beziehende Person unmittelbar vor dem Heim-
oder Anstaltseintritt Wohnsitz hatte. Insoweit stellt sich die in der Praxis
häufig schwierige Abgrenzung von wohnsitzbegründendem freiwilligen Eintritt in
ein Heim oder eine Anstalt und nicht wohnsitzrelevanter Unterbringung nicht
mehr. Für den Fall eines Aufenthalts in einem Heim, einem Spital oder einer
andern Anstalt hat der Gesetzgeber somit eine Regelung getroffen, bei welcher -
ähnlich wie im Fürsorgebereich (BGE 138 V 23 E. 3.1.2 f. S. 25 f.) - der
zivilrechtliche Wohnsitz und die Zuständigkeit für die Festsetzung und die
Auszahlung der (Ergänzungs-) Leistung auseinanderfallen können (SVR 2011 EL Nr.
6 S. 17, 9C_972/2009 E. 5.3.2.2; zum Ganzen: BGE 138 V 23 E. 3.4.3 S. 29).

2.3. Nach Art. 9 Abs. 5 lit. h ELG bestimmt der Bundesrat die Definition des
Heimes. Auf dieser - weiten - Delegationsgrundlage hat er in Art. 25a Abs. 1
ELV (SR 831.301) geregelt, dass als Heim jede Einrichtung gilt, die von einem
Kanton als Heim anerkannt wird oder über eine kantonale Betriebsbewilligung
verfügt. Das Bundesgericht hat im Grundsatzentscheid BGE 139 V 358 erkannt,
dass diese Heimdefinition bundesrechtskonform ist: Wenn eine wesentliche
Funktion der einheitlichen Definition darin bestehen soll (BBl 2005 6228 zu
Art. 9 Abs. 5 lit. h E-ELG), dass EL-Bezügerinnen und -Bezüger beim
Kantonswechsel wissen, ob sie EL-rechtlich neu in ein Heim eintreten oder in
ein anderes Heim wechseln oder aber mit dem Wechsel aus einem Heim austreten
(was auch kantonsintern von Relevanz ist), wird dieser gesetzlichen Vorgabe mit
einer kantonalen Liste ohne weiteres Genüge getan. Flankierend hinzu kommen die
Regelung in Art. 25a Abs. 2 ELV (bei IV-Hilflosenentschädigung) und die
Koordination mit dem Bundesgesetz über die Institutionen zur Förderung der
Eingliederung von invaliden Personen (IFEG; SR 831.26; BGE 139 V 358 E. 4.3 S.
364). Aufgrund des übergeordneten Rechts besteht kein zusätzlicher
Regelungsbedarf durch Verwaltung und Gerichte. Die Rechtsprechung gemäss BGE
118 V 142 über den EL-rechtlichen Heimbegriff ist durch die bundesrechtliche
Neuregelung überholt. Ausgelegt nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihr
zugrunde liegenden Wertungen ist die Regelung in Art. 25a ELV verfassungs- und
gesetzeskonform. Wenn Art. 9 Abs. 5 lit. h ELG regelt, der Bundesrat bestimme
die Definition des Heimes, kann dieser die Kompetenz an die Kantone
weiterdelegieren. Es ist im Sinne der ratio legis, dass dafür die Kantone
zuständig sind, soweit nicht ohnehin bundesrechtliche Regelungen Platz greifen
(BGE 139 V 358 E. 4.5 S. 365). Das aus den Materialien ersichtliche Postulat
nach einer einheitlichen Heimdefinition ist von Art. 25a ELV in dem Sinne
erfüllt, als die Verordnungsnorm die Anerkennungsvoraussetzungen klar und
einheitlich definiert. Dass deren Erfüllung  in concreto von einer kantonalen
Heimzulassung abhängt, macht die bundesrechtlich geforderte Einheitlichkeit
keineswegs rückgängig (BGE 139 V 358 E. 5.1 S. 365).

3. 

3.1. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz erstreckt sich die vom Bundesrat im
Rahmen delegierter Rechtsetzungsbefugnis vorgenommene "Definition des Heimes"
(Art. 9 Abs. 5 lit. h ELG) auf das gesamte ELG: Die in Art. 25a Abs. 1 ELV
vorgenommene Beschränkung des EL-rechtlichen Heimbegriffs auf Einrichtungen,
die entweder von einem Kanton als Heim anerkannt sind oder über eine kantonale
Betriebsbewilligung verfügen, gilt grundsätzlich  überall dort, wo das ELG von
Heim (home; istituto) spricht. Ansonsten würde das mit der Delegationsnorm
anvisierte gesetzgeberische Ziel, nämlich die Bestimmung eines einheitlichen
und klaren, im gesamten EL-Bereich massgeblichen Heimbegriffs, weitgehend
vereitelt. Es kann daher in Art. 21 Abs. 1 zweiter Satz ELG von vornherein kein
anderer Heimbegriff gelten (vgl. auch Carigiet/Koch, Ergänzungsleistungen zur
AHV/IV, 2. Aufl. 2009, S 79 unten). Wenn - wie dargelegt - aus Sicht der
EL-Bezüger im Falle eines Kantonswechsels Klarheit darüber herrschen soll, ob
sie bei der Ermittlung ihrer Ergänzungsleistungen künftig weiterhin als "in
Heimen oder Spitälern lebende" (Art. 10 Abs. 2 ELG) oder aber als "zu Hause
lebende Personen" (Art. 10 Abs. 1 ELG) qualifiziert werden (vgl. E. 2.3
hievor), gilt dies für die Frage nach der interkantonalen Zuständigkeit der
EL-Organe nicht minder. Würde diesbezüglich (wie das kantonale Gericht geltend
macht) vom neu definierten Heimbegriff gemäss Art. 25a Abs. 1 ELV in Verbindung
mit Art. 9 Abs. 5 lit. h ELG abgewichen und auf den früheren (mit BGE 139 V 358
obsolet gewordenen) unscharfen Heimbegriff nach BGE 118 V 142 zurückgegriffen,
würden sich daran wiederum Streitigkeiten zwischen den Kantonen entzünden, was
der Gesetzgeber mit der Ausnahmeregelung im zweiten Satz von Art. 21 Abs. 1 ELG
gerade eindämmen wollte (vgl. E. 2.2 hievor). Die einheitliche
Begriffsbestimmung von Art. 25a Abs. 1 ELV entbindet denn auch
EL-Durchführungsstellen und Gerichte von schwierigen Abgrenzungsfragen, indem
sich die genannten Behörden an das rein formelle Kriterium einer kantonalen
Heimanerkennung oder einer kantonalen Betriebsbewilligung als Heim zu halten
haben (vgl. auch Urteil 9C_177/2012 vom 3. Juli 2012, SVR 2012 AHV Nr. 17 S. 65
zu Art. 66bis Abs. 3 AHVV, dessen Wortlaut mit demjenigen von Art. 25a Abs. 1
ELV übereinstimmt).

3.2. Unter sämtlichen Verfahrensbeteiligten ist zu Recht unbestritten, dass der
Beschwerdegegner seinen Lebensmittelpunkt schon vor vielen Jahren ins Kurheim
Y.________ verlegte, nachdem er dort im Jahre 1997 aus freien Stücken als
Pensionär eingetreten war (vgl. BGE 133 V 309). Begründete er somit im
thurgauischen Z.________ neuen zivilrechtlichen Wohnsitz, ist gemäss Art. 21
Abs. 1 erster Satz ELG die Ausgleichskasse des Kantons Thurgau für die
Festsetzung und die Auszahlung der Ergänzungsleistung zuständig (E. 2.1 hievor
in fine). Die Ausnahmebestimmung des zweiten Satzes der angeführten Norm
gelangt nach dem Gesagten nicht zur Anwendung, weil das Kurheim Y.________
unbestrittenermassen weder über eine kantonale Heimanerkennung noch über eine
kantonale Betriebsbewilligung als Heim im Sinne von Art. 25a Abs. 1 ELV
verfügt. An diesem Ergebnis änderte sich nur etwas, wenn das Kurheim Y.________
als "andere Anstalt" gemäss Art. 21 Abs. 1 zweiter Satz ELG zu betrachten wäre.
Dem ist im Folgenden nachzugehen. Dass das Kurheim nicht als Spital im Sinne
der genannten Bestimmung zu qualifizieren ist, steht hingegen ausser Frage
(vgl. Art. 39 Abs. 1 KVG; Rz. 3151.01 der Wegleitung des BSV über die
Ergänzungsleistungen zur AHV und IV [WEL] in der ab 1. April 2011 gültigen
Fassung).

4. 

4.1. Der in Art. 21 Abs. 1 zweiter Satz verwendete Begriff der andern Anstalt
(tout autre établissement; altro stabilimento) ist im Lichte von Art. 23 Abs. 1
zweiter Halbsatz ZGB auszulegen, wonach der Aufenthalt zum Zweck der Ausbildung
oder die Unterbringung einer Person in einer Erziehungs- oder
Pflegeeinrichtung, einem Spital oder einer Strafanstalt für sich allein keinen
Wohnsitz begründet. Diese Bestimmung wurde im Zuge der Revision des
Vormundschaftsrechts mit Wirkung ab 1. Januar 2013 eingefügt. Zuvor war der
Aufenthalt zu Sonderzwecken unter dem Randtitel "Aufenthalt in Anstalten"
("séjour dans des établissements"; "dimora in uno stabilimento") in aArt. 26
ZGB geregelt. Dessen Inhalt wurde nun - systematisch richtig - unmittelbar im
Anschluss an die Definition des Wohnsitzes eingereiht. Eine materielle Änderung
des geltenden Rechts wurde nicht vorgenommen, lediglich eine redaktionelle
Überarbeitung. Mit der Formulierung "für sich allein" wurde ferner
klargestellt, dass die Begründung eines neuen Wohnsitzes am Ort der Anstalt
(heute vorab Einrichtung) nicht per se ausgeschlossen ist, wenn der dortige
Aufenthalt nicht nur dem Sonderzweck dient (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur
Änderung des ZGB [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht]; BBl 2006
7001 ff., 7096 zum Entwurf für einen zweiten Halbsatz von Art. 23 Abs. 1 ZGB;
Daniel Staehelin, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 5. Aufl. 2014,
N. 19a zu Art. 23 ZGB). Es liegt auf der Hand, dass der Aufenthalt in einer
Erziehungs- oder Pflegeeinrichtung bzw. in einem Spital gemäss Art. 23 Abs. 1
zweiter Halbsatz ZGB grundsätzlich einem Heim- resp. einem Spitalaufenthalt im
Sinne von Art. 21 Abs. 1 zweiter Satz ELG entspricht. Ohne dass hier der
Anwendungsbereich für die Kategorie der andern Anstalt nach der letztgenannten
Bestimmung abschliessend ausgelotet werden müsste, ist offenkundig, dass das
Kurheim Y.________ nicht unter diesen Begriff, sondern an sich unter denjenigen
des Heimes fällt. Nur das Fehlen von kantonaler Anerkennung und
Betriebsbewilligung steht - wie dargelegt - der entsprechenden EL-rechtlichen
Qualifikation entgegen.

4.2. Aus Art. 5 ZUG lässt sich für die hier relevante Rechtsanwendungslage
(vgl. E. 2.2 hievor) nichts Wesentliches ableiten. Nach der seit 1. Januar 2013
geltenden, ebenfalls im Zuge der Revision des Vormundschaftsrechts redaktionell
überarbeiteten (BBl 2006 7118) Fassung dieser Bestimmung begründen der
Aufenthalt in einem Heim, einem Spital oder einer anderen Einrichtung und die
behördliche Unterbringung einer volljährigen Person in Familienpflege keinen
Unterstützungswohnsitz (vgl. auch Art. 9 Abs. 3 ZUG). In der bis Ende Dezember
2012 gültig gewesenen Fassung war statt von einer anderen Einrichtung noch von
einer anderen Anstalt die Rede; auch sonst stimmte aArt. 5 ZUG (und stimmt die
geltende Fassung der Norm) mit dem Wortlaut von Art. 21 Abs. 1 zweiter Satz ELG
(in den drei Sprachversionen) weitgehend überein. Entscheidend ist indessen,
dass die Norm über die örtliche Zuständigkeit der EL-Organe geprägt ist durch
die klare und formelle bundesrätliche Begriffsbestimmung des Heims und die
ebenfalls griffige Definition des Spitals durch die Verwaltungspraxis
(vorstehende E. 3.1 und 3.2 in fine). Unter diesen Umständen kommt einem
Auffangtatbestand nur geringe Bedeutung zu; der Anwendungsbereich der "andern
Anstalt" wird im EL-Bereich naturgemäss schmal bleiben.

Im Zusammenhang mit der interkantonalen Zuständigkeit für die Sozialhilfe wird
demgegenüber ein anderes Konzept verfolgt: Die Begriffe des Heims, des Spitals
und der anderen Einrichtung (bzw. der anderen Anstalt) werden im ZUG bewusst
nicht definiert. Daraus ergibt sich etwa für das "Heim", dass die Anwendung von
Art. 5 ZUG stets hinsichtlich des zur Diskussion stehenden Sachverhalts zu
prüfen ist, um einer zeitgemässen Interpretation des Heimbegriffes gerecht zu
werden. Als Beurteilungskriterium kommen etwa die Art und das Mass der
angebotenen Dienstleistungen, der Grad der feststellbaren Fremdbestimmung sowie
der Abhängigkeitsgrad der betroffenen Person in Frage (ZBl 102/2001 S. 331,
2A.603/1999 E. 3a). Überhaupt sind die Begriffe des Heims, des Spitals und der
anderen Anstalt sehr weit auszulegen; sie sollen sich auf alle möglichen
Versorgungseinrichtungen beziehen, in welche erwachsene Personen zur
persönlichen Betreuung oder Pflege, zur ärztlichen oder therapeutischen
Behandlung, zur Ausbildung oder Rehabilitation untergebracht werden oder
freiwillig eintreten (Werner Thomet, Kommentar zum Bundesgesetz über die
Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger [ZUG], 2. Aufl. 1994, N. 110 zu
Art. 5 ZUG). Bezeichnenderweise werden denn auch vom Begriff der anderen
Anstalt im Sinne eines eigentlichen Auffangtatbestandes all jene
Versorgungseinrichtungen erfasst, die weder als Heim noch als Spital gelten
(Werner Thomet, a.a.O., N. 111 zu Art. 5 ZUG).

5. 
Umständehalber wird auf die Erhebung von Gerichtskosten verzichtet (Art. 66
Abs. 1 in fine BGG). Damit wird das Gesuch des unterliegenden Beschwerdegegners
um Gewährung unentgeltlicher Prozessführung gegenstandslos. Ausgangsgemäss hat
er keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 BGG). Als mit
öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauter Organisation steht der obsiegenden
Sozialversicherungsanstalt ebenso wenig eine Parteientschädigung zu (Art. 68
Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons St. Gallen vom 30. Januar 2014 wird aufgehoben und der
Nichteintretensentscheid der Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen
vom 23. Oktober 2012 wird bestätigt. Die Sache geht an die Ausgleichskasse des
Kantons Thurgau, damit sie über den Anspruch von A.________ auf
Ergänzungsleistungen ab März 2012 verfüge.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Eine Parteientschädigung wird nicht zugesprochen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der Ausgleichskasse des
Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. April 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Attinger

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben