Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.932/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_932/2014

Urteil vom 13. April 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Frésard, Maillard,
Gerichtsschreiberin Hofer.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Ehrenzeller,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Prozessvoraussetzung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 15. Dezember 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________ meldete sich am 1. Juni 2006 unter Hinweis auf Ekzeme an den Händen
erneut bei der IV-Stelle des Kantons St. Gallen zum Bezug von Leistungen der
Invalidenversicherung (Umschulung auf eine neue Tätigkeit/Invalidenrente) an,
nachdem frühere Gesuche um berufliche Massnahmen vom 29. Juli 2000 und 19.
April 2002 mit Verfügungen vom 11. August 2000 und 17. Juli 2002 abschlägig
beurteilt worden waren. Die IV-Stelle trat auf die Neuanmeldung ein und klärte
die medizinische und erwerbliche Situation ab. Zu diesem Zweck gab sie unter
anderem beim Institut B.________ das psychiatrisch- dermatologische Gutachten
vom 10. August 2011 in Auftrag. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren wies
die Verwaltung das Rentengesuch mit Verfügung vom 25. Oktober 2012 ab.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen in dem Sinne teilweise gut, dass es die angefochtene Verfügung aufhob
und die Sache zur weiteren Abklärung und anschliessenden Neuverfügung im Sinne
der Erwägungen an die IV-Stelle zurückwies (Entscheid vom 15. Dezember 2014).

C. 
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
dem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache an
das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit dieses ein Gerichtsgutachten
einhole.

 Das kantonale Gericht beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten.
A.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten
ist. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat sich nicht vernehmen lassen.

Erwägungen:

1. 
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein
Rechtsmittel zulässig ist (BGE 138 V 318 E. 6 Ingress S. 320 mit Hinweis).

2. 
Gemäss Art. 90 BGG ist die Beschwerde zulässig gegen Entscheide, die das
Verfahren abschliessen. Ebenfalls zulässig ist nach Art. 91 Abs. 1 BGG die
Beschwerde gegen selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die
Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren. Gegen einen sog. anderen
selbstständig eröffneten Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG ist die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten demgegenüber nur zulässig,
wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Abs. 1 lit. a
BGG), oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid
herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit und Kosten für ein
weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Ist die Beschwerde nicht
zulässig oder wurde von ihr kein Gebrauch gemacht, bleibt ein Zwischenentscheid
im Rahmen einer Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar, sofern er sich
auf dessen Inhalt auswirkt (Art. 93 Abs. 3 BGG). Rückweisungsentscheide, mit
denen eine Sache wie im vorliegenden Fall zur neuen Entscheidung an die
Vorinstanz zurückgewiesen wird, sind grundsätzlich Zwischenentscheide, die nur
unter den genannten Voraussetzungen beim Bundesgericht angefochten werden
können (BGE 140 V 282 E. 2 S. 283 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 138 V 271).

3.

3.1. Das kantonale Gericht hat erwogen, aufgrund der medizinischen Unterlagen
sei nicht klar, ob die Arbeitsfähigkeit des Versicherten in einer optimal
adaptierten Tätigkeit aus dermatologischer Sicht überhaupt eingeschränkt sei.
Eine Beeinträchtigung in einer leidensangepassten Erwerbstätigkeit liege
möglicherweise jedoch dann vor, wenn ein Zusammenhang zwischen dem psychischen
Gesundheitszustand und dem Handekzem bestehe. Da dies aufgrund der Akten nicht
abschliessend beurteilt werden könne, sei die beanstandete Verfügung aufzuheben
und die Sache gestützt auf Art. 43 Abs. 1 ATSG zur Klärung der Frage, ob die
psychische Verfassung einen Einfluss auf das Handekzem habe, an die IV-Behörde
zurückzuweisen. Bezüglich des psychiatrischen Gesundheitszustandes stellte die
Vorinstanz erhebliche Widersprüche zwischen den mit dem Versicherten befassten
Fachärzten hinsichtlich Diagnosestellung und Einschätzung der Arbeitsfähigkeit
fest. Aus der von verschiedenen Medizinern zum Ausdruck gebrachten Unsicherheit
bei der Einordnung des Krankheitsbildes schloss sie, dass die
Krankheitsentwicklung im Verfügungszeitpunkt noch nicht weit genug
fortgeschritten gewesen sei, um eine zuverlässige Diagnose zu erlauben. Sie kam
daher zum Schluss, dass die Verwaltung neurologisch-hirnorganische
Untersuchungen zu veranlassen und ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag zu
geben habe, sobald sich der Gesundheitszustand des Versicherten so weit
entwickelt habe, dass eine zuverlässige Diagnostizierung möglich sei.

3.2. Die beschwerdeführende IV-Stelle macht unter Hinweis auf BGE 137 V 210 E.
4.4.1.4 S. 264 geltend, die Beschwerdeinstanz habe in der Regel ein
Gerichtsgutachten einzuholen, wenn sie im Rahmen der Beweiswürdigung zum
Schluss komme, ein bereits erhobener medizinischer Sachverhalt müsse -
insgesamt oder in wesentlichen Teilen - gutachtlich geklärt werden oder eine
Administrativexpertise sei in einem rechtserheblichen Punkt nicht
beweiskräftig. Eine Rückweisung der Sache an die IV-Stelle bleibe auch möglich,
wenn es darum gehe, zu einer bisher vollständig ungeklärten Frage ein Gutachten
einzuholen oder eine Klarstellung, Präzisierung oder Ergänzung von
gutachterlichen Ausführungen zu veranlassen. In der vorliegenden Streitsache
sei indessen weder ersichtlich noch werde im angefochtenen Entscheid dargetan,
dass die Voraussetzungen für eine Rückweisung an die Verwaltung erfüllt seien.
Die vorinstanzliche Rückweisung leide daher an einem Rechtsmangel. Die
IV-Stelle beruft sich überdies auf BGE 139 V 99. Bereits im damaligen Verfahren
habe sie einen Verstoss derselben Vorinstanz gegen die bundesgerichtliche
Rechtsprechung gerügt. Mit dem beanstandeten Entscheid vom 15. Dezember 2014
und dem ebenfalls angefochtenen Entscheid vom 11. Dezember 2014 bringe diese
klar zum Ausdruck, dass sie nicht gewillt sei, den verfahrensmässigen Vorgaben
gemäss BGE 137 V 210 Folge zu leisten. Auf die Beschwerde sei daher
einzutreten.

4.

4.1. Der Eintretensgrund von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG fällt hier ohne weiteres
ausser Betracht und wird auch nicht geltend gemacht.

4.2. Mit Blick auf das in Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG festgehaltene Erfordernis
des nicht wieder gutzumachenden Nachteils gilt es folgende Konstellationen zu
unterscheiden: Dient die Rückweisung einzig noch der Umsetzung des vom
kantonalen Gericht Angeordneten und verbleibt dem Versicherungsträger somit
kein Entscheidungsspielraum mehr, handelt es sich materiell nicht - wie bei
Rückweisungsentscheiden sonst grundsätzlich der Fall - um einen
Zwischenentscheid, gegen den ein Rechtsmittel letztinstanzlich bloss unter den
Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG zulässig ist, sondern um einen sowohl
von der betroffenen versicherten Person wie auch von der Verwaltung
anfechtbaren Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG. Enthält der
Rückweisungsentscheid demgegenüber Anordnungen, die den Beurteilungsspielraum
der Verwaltung zwar nicht gänzlich, aber doch wesentlich einschränken, stellt
er einen Zwischenentscheid dar. Dieser bewirkt in der Regel keinen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, weil die
rechtsuchende Person ihn später zusammen mit dem neu zu fällenden Endentscheid
wird anfechten können (vgl. Art. 93 Abs. 3 BGG). Anders verhält es sich für den
Versicherungsträger, da er durch den Entscheid gezwungen wird, eine seines
Erachtens rechtswidrige Verfügung zu erlassen. Während er sich ausserstande
sähe, seinen eigenen Rechtsakt anzufechten, wird die versicherte Person im
Regelfall kein Interesse haben, einem zu ihren Gunsten lautenden Endentscheid
zu opponieren. Der kantonale Rückweisungsentscheid könnte mithin nicht mehr
korrigiert werden. Der irreversible Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a
BGG wird in diesen Fällen deshalb regelmässig bejaht. Das gilt aber nur, soweit
der Rückweisungsentscheid materiellrechtliche Vorgaben enthält, welche die
untere Instanz bei ihrem neuen Entscheid befolgen muss. Erschöpft sich der
Rückweisungsentscheid darin, dass eine Frage ungenügend abgeklärt und deshalb
näher zu prüfen ist, ohne dass damit materiellrechtliche Anordnungen verbunden
sind, so entsteht der Behörde, an die zurückgewiesen wird, kein nicht wieder
gutzumachender Nachteil. Die Rückweisung führt lediglich zu einer das Kriterium
nicht erfüllenden Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens (BGE 140 V 282
E. 4.2 S. 285 mit Hinweisen).

 Der angefochtene Entscheid schränkt, indem er die Angelegenheit zur
ergänzenden medizinischen Abklärung und zu neuer Verfügung an die
Beschwerdeführerin zurückweist, deren Entscheidungsspielraum nicht in einem
Masse ein, dass nur noch eine Umsetzung des vom kantonalen Gericht Angeordneten
in Frage käme. Auch enthält er keine verbindlichen Anweisungen, in welcher
Weise der Fall materiellrechtlich zu behandeln ist.

4.3. Holt eine Beschwerdeinstanz zu Unrecht kein Gerichtsgutachten ein und
weist die Sache stattdessen an die IV-Stelle zurück, so beeinträchtigt dieses
Vorgehen zwar die mit BGE 137 V 210 E. 4 S. 258 verfolgte Zielsetzung. Nach BGE
139 V 99 begründet die nicht gerechtfertigte vorinstanzliche Rückweisung an die
Verwaltung dennoch regelmässig keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil
(Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Denn eine ausnahmsweise Anfechtbarkeit des
Zwischenentscheids unter diesem Titel stünde nur zur Diskussion, wenn ein
effektiver Rechtsschutz nicht auf andere Weise gewährleistet werden könnte.
Indessen wird das Bundesgericht im Fall eines Weiterzugs des Endentscheids
prüfen, ob die Rückweisung an die Verwaltung gerechtfertigt war. Verneint es
diese Frage, so kann es die Sache seinerseits an die erste Beschwerdeinstanz
zurückweisen, damit diese ein Gerichtsgutachten einhole (BGE 139 V 99 E. 2.3.1
S. 102). Dies wird geschehen, sobald der Beweiswert des nach einer
ungerechtfertigten Rückweisung eingeholten Administrativgutachtens auch nur
relativ geringfügig beeinträchtigt erscheint (BGE a.a.O. E. 2.3.2 S. 103).

4.4. BGE 139 V 99 E. 2.5 S. 104 befasst sich mit der Frage, was geschieht, wenn
eine Vorinstanz die Sache regelmässig zur gutachtlichen Abklärung an die
Verwaltung zurückweist, obwohl sie jeweils ein Gerichtsgutachten einholen
sollte. Das Bundesgericht behält sich vor, in einem solchen Fall ausnahmsweise
auf die Beschwerde gegen einen ungerechtfertigten Rückweisungsentscheid
einzutreten. Dahinter steht die Überlegung, dass eine strikte
Einzelfallbehandlung der Eintretensvoraussetzungen es verunmöglichen würde,
eine Fehlpraxis zu korrigieren. Es verhält sich insofern ähnlich, wie wenn
unter bestimmten Bedingungen auf das Eintretenserfordernis des aktuellen
praktischen Interesses (Art. 89 Abs. 1 BGG) verzichtet wird, damit eine
bestimmte Frage von allgemeinem Interesse überhaupt je einmal beurteilt werden
kann (Urteil 9C_454/2014 vom 31. Juli 2014 E. 2.3; vgl. BGE 140 III 92 E. 1.1
S. 93; 137 I 23 E. 1.3.1 S. 25).

 Die IV-Stelle nennt über den vorliegend streitigen kantonalen
Gerichtsentscheid und den BGE 139 V 99 zugrunde liegenden Fall hinaus einen
weiteren Entscheid derselben Vorinstanz vom 11. Dezember 2014, mit welchem
diese gegen die durch BGE 137 V 210 E. 4.4.1.4 S. 264 definierte Verpflichtung
der Beschwerdeinstanzen, Gerichtsgutachten einzuholen, verstossen haben soll.
Entgegen der beschwerdeführerischen Auffassung kann nicht bereits anhand von
höchstens drei - nicht näher auf eine Verletzung der genannten Vorgaben der
Rechtsprechung hin geprüften - Fällen geschlossen werden, dass das kantonale
Gericht systematisch entsprechend vorgeht. Es besteht daher im vorliegenden
Fall kein Grund, vom Grundsatz der Nichtanhandnahme direkter Beschwerden gegen
ungerechtfertigte Rückweisungsentscheide eine Ausnahme zu machen.

4.5. Zusammenfassend sind die Voraussetzungen der Anfechtbarkeit nach Art. 93
Abs. 1 BGG zu verneinen. Die Beschwerde erweist sich daher als unzulässig.

5. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Verfahrenskosten zu tragen (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung mit Art. 66
Abs. 1 Satz 1 BGG). Dem anwaltlich vertretenen Beschwerdegegner steht eine
Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1000.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 13. April 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Hofer

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