Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.921/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_921/2014

Urteil vom 12. Mai 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Lanz.

Verfahrensbeteiligte
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans Beeli,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Unfallversicherung (Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 26. November 2014.

Sachverhalt:

A. 
Mit Verfügung vom 18. Juli 2012 und Einspracheentscheid vom 5. Dezember 2012
sprach die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) als obligatorischer
Unfallversicherer A.________ für die verbleibenden Folgen eines am 3. Februar
2011 erlittenen Unfalles mit Wirkung ab 1. Juli 2012 eine Invalidenrente
entsprechend einer Erwerbsunfähigkeit von 17 % zu. Der Versicherte führte
Beschwerde beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau. Dieses hiess mit
Entscheid vom 13. November 2013 die Beschwerde teilweise gut und erhöhte den
Grad der rentenbestimmenden Erwerbsunfähigkeit auf 22 %. Hiegegen erhob die
SUVA am 17. Dezember 2012 beim Bundesgericht Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Verfahren 8C_908/2013).

B. 
Gleichentags reichte die SUVA beim kantonalen Gericht ein
Wiederaufnahmebegehren ein mit dem Antrag, es sei der Entscheid vom 13.
November 2013 in Revision zu ziehen und der Einspracheentscheid vom 5. Dezember
2012 zu bestätigen.
Das Bundesgericht sistierte hierauf mit Verfügung vom 17. Februar 2014 das
Verfahren 8C_908/2013.
Mit Entscheid vom 26. November 2014 trat das Versicherungsgericht auf das
Revisionsgesuch nicht ein.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die SUVA,
der kantonale Entscheid vom 26. November 2014 sei aufzuheben und die Vorinstanz
sei anzuweisen, das Revisionsgesuch materiell zu beurteilen.
A.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten
sei. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es
kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem
Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht
und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

2. 
Die Beschwerdeführerin macht geltend, das kantonale Gericht habe Bundesrecht
(namentlich Art. 125 BGG) verletzt, indem es nicht auf ihr Gesuch um Revision
des Entscheides vom 13. November 2013 eingetreten sei.

2.1. Gemäss Art. 61 lit. i ATSG muss die Revision von Entscheiden der
kantonalen Versicherungsgerichte wegen Entdeckung neuer Tatsachen oder
Beweismittel oder wegen Einwirkung durch Verbrechen oder Vergehen gewährleistet
sein. Die §§ 65 des aargauischen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege
(VRPG) regeln die Wiederaufnahme (Revision) von Entscheiden u.a. wegen
erheblichen Tatsachen oder Beweismitteln, die zur Zeit des Entscheids wohl
bestanden, den Behörden aber noch nicht bekannt waren. Das gilt auch für
Entscheide des aargauischen Versicherungsgerichts im Bereich der
Sozialversicherung.

2.2. Das Revisionsgesuch der Beschwerdeführerin betrifft das Valideneinkommen,
welches dem Einkommensvergleich zur Bestimmung der rentenbestimmenden
Erwerbsunfähigkeit zugrunde zu legen ist. Die SUVA machte im Gesuch geltend,
sie habe sich durch den vorinstanzlichen Entscheid vom 13. November 2013
veranlasst gesehen, beim früheren Arbeitgeber des Versicherten Nachfragen zu
dessen Validenlohnentwicklung vorzunehmen. Der Arbeitgeber habe ihr hierauf
erstmals verschiedene Unterlagen zugehen lassen. Daraus ergebe sich, dass das
kantonale Gericht das Valideneinkommen zu hoch angesetzt habe. Diese neuen
Beweismittel seien erheblich und verbrieften erhebliche neue Tatsachen im Sinne
von § 65 VRPG. Die SUVA habe daher in Nachachtung von BGE 138 II 386 nebst der
Beschwerde an das Bundesgericht das Revisionsgesuch bei der Vorinstanz
eingereicht und zugleich die Sistierung des bundesgerichtlichen Verfahrens
beantragt.

2.3. Gemäss dem erwähnten, auf Art. 125 BGG gestützten Leiturteil des
Bundesgerichts darf dessen Vorinstanz auf ein Revisionsgesuch nicht einzig mit
der Begründung nicht eintreten, gegen den zu revidierenden Entscheid sei
Beschwerde ans Bundesgericht erhoben worden. Vielmehr hat die Vorinstanz
während der Hängigkeit des bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens das bei ihr
eingereichte Revisionsgesuch auf der Grundlage des für sie massgeblichen
Prozessrechts allseitig zu prüfen und ihren Entscheid allenfalls zu revidieren.
Eine Verfahrenspartei, die vor Abschluss des bundesgerichtlichen Verfahrens
einen Grund entdeckt, der ihres Erachtens die Revision des kantonalen
Entscheides begründet, hat ein Revisionsgesuch bei der kantonalen Instanz zu
stellen. Um zu vermeiden, dass das Bundesgericht während des vorinstanzlichen
Revisionsverfahrens materiell über die Beschwerde gegen den angefochtenen, aber
in Revision befindlichen vorinstanzlichen Entscheid urteilt, hat die Partei des
Weiteren um Sistierung des bundesgerichtlichen Verfahrens während der Dauer des
vorinstanzlichen Revisionsverfahrens zu ersuchen (BGE 138 II 386 E. 6 S. 389
ff., E. 7 S. 392).

2.4. Das kantonale Gericht hat erwogen, zwar lägen erhebliche Tatsachen vor,
welche ihm beim Erlass des Entscheids vom 13. November 2013 noch nicht bekannt
gewesen seien. Indessen sei gemäss § 65 Abs. 3 VRPG die Wiederaufnahme
ausgeschlossen, wenn die Wiederaufnahmegründe im Verfahren, das dem Entscheid
vorausgegangen sei, oder mit einem Rechtsmittel gegen den Entscheid geltend
gemacht werden könnten. Nach Art. 97 Abs. 2 BGG könne im Verfahren vor
Bundesgericht im Bereich des Unfallversicherungsrechts jede unrichtige oder
unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden.
Die SUVA könne somit eine unrichtige Würdigung der vorliegenden Akten und auch
eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes durch das kantonale Gericht
geltend machen. Sie könne somit ihre Rügen vor Bundesgericht vorbringen. Es
bestehe kein Anlass, auf dem Weg des ausserordentlichen Rechtsmittels der
Wiederaufnahme den Entscheid des Versicherungsgerichts vom 13. November 2013
erneut zu prüfen, ansonsten § 65 Abs. 3 VRPG faktisch ausser Kraft gesetzt
würde. Bei dieser Sachverhaltslage könne offen bleiben, ob das Bundesgericht
nach Art. 99 Abs. 1 BGG die neu offerierten Beweismittel zulasse, da diese
Beurteilung nicht in die Kompetenz des Versicherungsgerichts falle.

2.5. Gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG dürfen im bundesgerichtlichen Verfahren neue
Tatsachen und Beweismittel nur so weit vorgebracht werden, als erst der
Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt. Diese Novenregelung gilt unabhängig
davon, ob das Bundesgericht den Sachverhalt voll oder nur eingeschränkt
überprüfen kann. Das Bundesgericht hat in BGE 138 II 389 sodann erkannt, dass
hinsichtlich der Frage, ob ein Revisionsgrund auch ein vor Bundesgericht
zulässiges Novum sein könnte, Widersprüche mit einer abweichenden Qualifikation
im späteren Bundesgerichtsentscheid zu vermeiden sind. Daher hat die Vorinstanz
von einer eigenständigen Prüfung dieser Frage und einem so begründeten
Nichteintreten auf das Revisionsgesuch unter Hinweis auf den Grundsatz der
Subsidiarität der Revision abzusehen (BGE 138 II 389 E. 6.4 S. 391 f.).
Die SUVA rügt zu Recht, dass der angefochtene Entscheid gegen diesen Grundsatz
und damit gegen Bundesrecht verstösst. Denn das Nichteintreten auf das
Revisionsgesuch beruht auf der Überlegung, dass die SUVA die neu geltend
gemachten Tatsachen und Beweismittel im bundesgerichtlichen Verfahren
vorbringen kann. Das wiederum setzt voraus, dass das Bundesgericht dies für
zulässig erachtet. Genau diese Argumentationskette ist aber nach dem Gesagten
nicht statthaft.

2.6. Die Vorinstanz ist demnach mit einer bundesrechtswidrigen Begründung nicht
auf das Revisionsgesuch eingetreten. Der angefochtene Entscheid ist daher
aufzuheben und die Sache ist an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Dieses
hat über die übrigen Eintretensvoraussetzungen, welche der Beschwerdegegner wie
bereits im vorinstanzlichen Verfahren teils bestreitet, zu entscheiden und,
sollten sie erfüllt sein, das Revisionsgesuch materiell zu behandeln.

3. 
Aufgrund der besonderen Umstände dieses Falles wird auf die Erhebung von
Gerichtskosten verzichtet (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons Aargau vom 26. November 2014 aufgehoben. Die Sache wird an die
Vorinstanz zurückgewiesen, damit diese über die übrigen
Eintretensvoraussetzungen bezüglich des Revisionsgesuchs vom 17. Dezember 2012
entscheide und dieses gegebenenfalls materiell behandle.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 12. Mai 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Lanz

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