Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.881/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
8C_881/2014 {T 0/2}     

Urteil vom 12. Mai 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Frésard, Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
AXA Versicherungen AG,
General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Unfallversicherung (Leistungskürzung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 29. Oktober 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1962, war als Primarlehrer tätig, als er am 9. Februar 2012
auf dem Arbeitsweg mit dem Velo eine doppelte Sicherheitslinie überfuhr und mit
einem entgegenkommenden Auto zusammenstiess. Er zog sich mehrfache Verletzungen
zu, insbesondere erhebliche Zahnverletzungen und ein Schädel-Hirntrauma, konnte
ab dem 1. April 2012 jedoch wieder vollzeitlich arbeiten. Die AXA
Versicherungen AG (nachfolgend: AXA), bei welcher er für die Folgen von Berufs-
und Nichtberufsunfällen sowie Berufskrankheiten versichert war, erbrachte die
gesetzlichen Leistungen. Die Staatsanwaltschaft C.________ verfügte am 23.
April 2012 die Nichtanhandnahme der Strafuntersuchung, weil eine medizinische
Ursache nicht auszuschliessen sei und sich der Beschuldigte durch den Sturz
erhebliche Verletzungen zugezogen habe. Die AXA kürzte indessen die Taggelder
wegen Grobfahrlässigkeit um 20 Prozent (Verfügung vom 17. Mai 2013 und
Einspracheentscheid vom 5. November 2013).

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau mit Entscheid vom 29. Oktober 2014 gut.

C. 
Die AXA führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheides und Bestätigung ihres
Einspracheentscheides vom 5. November 2013.
A.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist
die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht
eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich
nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen,
wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die
Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur
insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und
begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmung von Art. 37 Abs. 2 UVG über die
Leistungskürzung bei Grobfahrlässigkeit und die dazu ergangene Rechtsprechung
zutreffend dargelegt. Es wird darauf verwiesen.

3. 
Es steht fest und ist unbestritten, dass der Versicherte eine doppelte
Sicherheitslinie überfahren hat. Nach den vorinstanzlichen Erwägungen sind die
Voraussetzungen für eine Leistungskürzung jedoch nicht erfüllt. Der Versicherte
habe sich darauf berufen, dass es ihm schwarz vor den Augen geworden sei. Es
sei nicht auszuschliessen, dass es wegen gesundheitlicher Probleme zum Unfall
gekommen sei. Der Beschwerde führende Unfallversicherer rügt, dass die geltend
gemachte Unterzuckerung und Übermüdung beziehungsweise der Kreislaufkollaps
nicht bewiesen und aus diesem Grund von einer grobfahrlässigen
Unfallverursachung auszugehen sei.

4. 
Der Versicherte hat mit seinem Einwand dem Sinn nach geltend gemacht, dass er
aus medizinischen Gründen urteilsunfähig gewesen sei. Die Urteilsfähigkeit nach
Art. 16 ZGB ist die Regel und wird aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung
vermutet. Wer behauptet, zu einem gewissen Zeitpunkt urteilsunfähig gewesen zu
sein, hat dafür einen Beweis zu erbringen und trägt beim Scheitern des Beweises
die Folgen der Beweislosigkeit (BGE 129 I 173 E. 3.1 S. 178; 127 V 237 E. 2c S.
240; 124 III 5 E. 1b S. 8; Urteil 8C_253/2008 vom 16. Oktober 2008 E. 4). Im
Sozialversicherungsrecht hat das Gericht seinen Entscheid nach dem Beweisgrad
der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu fällen (BGE 126 V 353 E. 5b S. 360; 130
III 321 E. 3.2 und 3.3 S. 324 f.).

5. 
Nach den vorinstanzlichen Erwägungen ist es nicht überwiegend wahrscheinlich
(sondern nur möglich), dass der Versicherte den Unfall aus gesundheitlichen
Gründen verursacht hat. Dafür spricht nach den Ausführungen des kantonalen
Gerichts, dass der Versicherte bereits bei der ersten polizeilichen Einvernahme
eine diesbezügliche Vermutung geäussert habe und ein entsprechendes Szenario
auch für den Hausarzt aufgrund der gesundheitlichen Situation mit einem hohen
Blutdruck und Weglassen des Frühstücks möglich erscheine. Gegen ein akutes
Unwohlsein vor dem Unfall sprechen der Umstand, dass es in der Vergangenheit
nie zu einem solchen gesundheitlichen Problem gekommen sei und dass die von der
Polizei befragten Unfallzeugen eine zügige Fahrweise beschrieben hätten. Beide
Varianten schienen der Vorinstanz möglich. Ob ein gesundheitliches Problem
überwiegend wahrscheinlich die Unfallursache darstellt oder ob der Versicherte
die doppelte Sicherheitslinie überqueren wollte, vermochte die Vorinstanz nicht
festzustellen. Die blosse Möglichkeit einer gesundheitlich bedingten
Unfallursache genügt indessen nicht für eine Entlastung des Versicherten. Es
lässt sich zusammenfassend nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
feststellen, dass der Versicherte wegen gesundheitlicher Beschwerden
urteilsunfähig war und aus diesem Grund die doppelte Sicherheitslinie überquert
hat. Damit liegt Beweislosigkeit vor und wegen dieses fehlenden Nachweises der
Urteilsunfähigkeit muss der Entscheid zu Ungunsten des Versicherten ausfallen
(s. E. 4). Entgegen der Schlussfolgerung des kantonalen Gerichts ist daher
nicht zu beanstanden, dass der Unfallversicherer die Taggelder wegen
Grobfahrlässigkeit gekürzt hat.

6. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem
unterliegenden Versicherten auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

7. 
Das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde wird mit dem heutigen Urteil
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons Aargau vom 29. Oktober 2014 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid
der AXA Versicherungen AG vom 5. November 2013 bestätigt.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 12. Mai 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo

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