Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.859/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_859/2014

Urteil vom 3. Februar 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Hofer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Philip Stolkin,
Beschwerdeführerin,

gegen

AXA Versicherungen AG,
General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 7. Oktober 2014.

Sachverhalt:

A. 
Die 1983 geborene A.________ war ab Oktober 2005 als diplomierte Pflegefachfrau
bei der B.________ AG tätig und damit bei der AXA Versicherungen AG
(nachfolgend: AXA) gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten
versichert. Am 10. Dezember 2008 kollidierte sie als Lenkerin eines
Personenwagens beim Linksabbiegen mit einem entgegenkommenden Fahrzeug. Der am
folgenden Tag konsultierte Hausarzt diagnostizierte eine Distorsion der
Halswirbelsäule. Am 27. Oktober 2010 meldete der behandelnde Arzt eine
Verschlechterung des Gesundheitszustandes in Form starker myofascialer
Schmerzen im Schulter- und Nackenbereich mit Schlafstörungen. Die AXA
anerkannte ihre Leistungspflicht nach UVG. Mit Verfügung vom 31. Oktober 2012,
bestätigt durch Einspracheentscheid vom 18. Januar 2013, verneinte sie
rückwirkend ab 21. Juli 2012 einen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang
der geklagten Beschwerden zum Unfall vom 10. Dezember 2008, stellte auf diesen
Zeitpunkt hin sämtliche Leistungen ein und schloss den Fall ab.

B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 7. Oktober 2014 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten stellt A.________ die
Rechtsbegehren, Dispositiv-Ziffer 1 des angefochtenen Entscheids sei
aufzuheben, und die Beschwerdegegnerin sei zu verpflichten, ihr eine Rente auf
der Basis einer Erwerbsunfähigkeit von 100 Prozent und eine
Integritätsentschädigung auf der Grundlage einer Integritätseinbusse von 50
Prozent zu erbringen. Eventualiter sei die Sache zur Durchführung weiterer
Abklärungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Prozessual wird der Antrag auf
Akteneinsicht und Durchführung eines zweiten Schriftenwechsels gestellt.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerdeführerin beantragt, es sei ein zweiter Schriftenwechsel
durchzuführen. Das Begehren um Durchführung eines zweiten Schriftenwechsels ist
gegenstandslos, da die Streitsache ohne Schriftenwechsel entschieden werden
kann (Art. 102 Abs. 1 und 3 BGG; vgl. BGE 133 I 98). Sie beantragt darüber
hinaus, es sei ihr Akteneinsicht zu gewähren. Im vorinstanzlichen Verfahren
wurden ihr die Akten des Verfahrens zur Einsichtnahme zugestellt. Die
Beschwerdeführerin legt nicht dar, welche Akten ihr nicht zur Verfügung
gestanden hätten. Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten beigezogen.
Die verlangte Akteneinsicht erübrigt sich, da keine weiteren Akten eingeholt
und keine weiteren Prozesshandlungen angeordnet wurden.

2. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es in
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG) neben den geltend gemachten Vorbringen allfällige weitere rechtliche
Mängel nur, soweit diese geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S.
280 mit Hinweisen).
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen
der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die
vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art.
97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

3. 
Streitig ist, ob aus dem Unfall vom 10. Dezember 2008 über den 21. Juli 2012
hinaus Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung besteht.
Das kantonale Gericht hat die Rechtsgrundlagen für die Beurteilung der
Streitsache zutreffend dargelegt. Das betrifft namentlich die Rechtsprechung
über die im Rahmen der Beurteilung der Leistungspflicht des obligatorischen
Unfallversicherers (Art. 6 Abs. 1 UVG in Verbindung mit Art. 4 ATSG) zu
beachtenden kausalrechtlichen Grundsätze. Hervorzuheben ist, dass diese einen
natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen Unfall und eingetretenem
Schaden voraussetzt (BGE 129 V 177 E. 3.1 und 3.2 S. 181). Dabei spielt im
Sozialversicherungsrecht die Adäquanz als rechtliche Eingrenzung der sich aus
dem natürlichen Kausalzusammenhang ergebenden Haftung des Unfallversicherers im
Bereich organisch objektiv ausgewiesener Unfallfolgen praktisch keine Rolle,
weil sich hier die adäquate weitgehend mit der natürlichen Kausalität deckt (
BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 112; 127 V 102 E. 5b/bb S. 103 mit Hinweisen). Anders
verhält es sich bei natürlich unfallkausalen, aber organisch nicht objektiv
ausgewiesenen Beschwerden. Hier bedarf es einer besonderen Adäquanzbeurteilung.
Dabei ist vom augenfälligen Geschehensablauf auszugehen, und es sind je nachdem
weitere unfallbezogene Kriterien einzubeziehen. Gemäss der für psychische
Fehlentwicklungen nach Unfall erarbeiteten sog. Psycho-Praxis (BGE 115 V 133)
werden diese Adäquanzkriterien unter Ausschluss psychischer Aspekte geprüft,
während nach der bei Schleudertraumen und äquivalenten Verletzungen der HWS
sowie Schädel-Hirntraumen anwendbaren sog. Schleudertrauma-Praxis auf eine
Differenzierung zwischen physischen und psychischen Komponenten verzichtet wird
(zum Ganzen: BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 112 mit Hinweisen; SVR 2012 UV Nr. 5 S.
17, 8C_310/2011 E. 3). Korrekt sind auch die vorinstanzlichen Ausführungen zu
dem im Sozialversicherungsrecht bei der Beantwortung von Tatfragen üblichen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181
mit Hinweisen) sowie zum Beweiswert und zur Beweiswürdigung medizinischer
Berichte und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit
Hinweisen) und von Aktenberichten bzw. -gutachten (SVR 2010 UV Nr. 17 S. 63;
8C_239/2008 E. 7.2).

4. 
Die Beschwerdeführerin erhebt grundsätzliche Einwände gegen die Rechtsprechung,
wonach in der obligatorischen Unfallversicherung die Adäquanz bei organisch
nicht objektiv ausgewiesenen Beschwerden im Sinne der Schleudertrauma- und der
Psycho-Praxis besonders zu prüfen ist. Sie bringt vor, diese Praxis sei
diskriminierend und verstosse gegen Art. 8 in Verbindung mit Art. 14 EMRK sowie
gegen das Legalitätsprinzip als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips gemäss
Präambel der EMRK und Art. 6 EMRK. Das Bundesgericht hat sich bereits
verschiedentlich mit diesbezüglichen Einwänden auseinandergesetzt. Es hat
erkannt, dass das Erfordernis einer besonderen Adäquanzprüfung eine genügende
gesetzliche Grundlage aufweist und die besagten EMRK-Bestimmungen nicht
verletzt (vgl. insbesondere die Urteile 8C_754/2011 vom 20. April 2012 E. 4;
8C_29/2010 vom 27. Mai 2010 E. 6). Es besteht kein Anlass, von dieser
Rechtsprechung abzuweichen.

5.

5.1. Die Vorinstanz hat in umfassender Würdigung der gesamten medizinischen
Aktenlage, insbesondere gestützt auf die Berichte des Spitals C.________ vom
28. Februar 2011, der Ärzte der Klinik D.________ vom 14. Oktober, 1. und 3.
November 2011, der Klinik E.________ vom 27. Februar 2012, der Klinik
F.________ vom 30. Juli 2012 und die Aktenbeurteilungen von Dr. med.
G.________, Facharzt für Neurologie, vom 19. Oktober 2012 und Dr. med.
H.________, Facharzt für Chirurgie und beratender Arzt der AXA, vom 8. Januar
2013 mit einlässlicher und nachvollziehbarer Begründung erkannt, dass im
Zeitpunkt des Fallabschlusses per 21. Juli 2012 keine anspruchsbegründenden,
organisch objektiv ausgewiesenen Unfallfolgen vorhanden waren. Unbestritten
unfallfremd ist die am 24. Februar 2012 in der Klinik E.________
diagnostizierte Diskushernie L4/5 links mit L5-Symptomatik links.

5.2. Die letztinstanzlich dagegen vorgebrachten Einwendungen führen, zumal sie
sich im Wesentlichen in einer Wiederholung der bereits im kantonalen Verfahren
erhobenen und entkräfteten Rügen erschöpfen, zu keinem anderen Resultat. Soweit
die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43
und Art. 61 lit. c ATSG) und des Beschleunigungsgebotes (Art. 6 EMRK) rügt,
weil die Vorinstanz davon abgesehen habe, ein gerichtliches Gutachten in
Auftrag zu geben, obwohl das von ihr als wesentlich erachtete Aktengutachten
des der AXA nahestehenden Dr. med. G.________ auf einander widersprechenden
Arztberichten beruhe, kann ihr nicht gefolgt werden. Das kantonale Gericht hat
sich eingehend mit dem MRI-Befund einer Irregularität des HWK6 des Radiologen
des Spitals C.________ vom 28. Februar 2011 befasst und anhand der sich damit
auseinandersetzenden medizinischen Unterlagen aufgezeigt, dass diese nicht
überwiegend wahrscheinlich mit dem Unfall vom 10. Dezember 2008 in Zusammenhang
stehe. Es hat zudem festgehalten, dass die Gutachter der Klinik D.________
grundsätzlich auch aus neurologischer Sicht von einer vollen Arbeitsfähigkeit
ausgingen. Diese Beurteilung ist nicht zu beanstanden. Weiter hat die
Vorinstanz dem aktengestützten Bericht des Dr. med. G.________ zu Recht
Beweistauglichkeit zuerkannt. Dieser würdigt die medizinischen Vorakten,
insbesondere die Beurteilung der Neurologin der Klinik D.________, einlässlich
und legt nachvollziehbar dar, weshalb er die Läsion auf Höhe C6 in der
Deckplatte nicht als Unfallfolge, sondern - in Übereinstimmung mit dem
rheumatologischen Teilgutachten der Klinik D.________ - als degenerativ
bedingte Veränderung betrachtet. Die Vorinstanz hat zudem nicht nur auf den
Bericht von Dr. med. G.________, sondern auch auf die interdisziplinäre
Beurteilung der Klinik D.________ abgestellt, die auf persönlichen
Untersuchungen der Versicherten beruht. Weil die medizinischen Unterlagen
verlässlich Aufschluss über die sich stellenden medizinischen Fragen geben und
weitere Beweismassnahmen keinen entscheidrelevanten neuen Aufschluss erwarten
lassen, konnte die Vorinstanz in antizipierter Beweiswürdigung auf weitere
Sachverhaltsabklärungen verzichten. Bei dieser Ausgangslage ist von der
letztinstanzlich beantragten Rückweisung der Sache zur Durchführung weiterer
Abklärungen abzusehen. Da sich die noch bestehenden Beschwerden nach den
zutreffenden Feststellungen der Vorinstanz nicht mit einer organisch objektiv
ausgewiesenen Unfallfolge begründen lassen, geht der beschwerdeführerische
Einwand fehl, die Vorinstanz habe trotz offensichtlichen körperlichen Befunden
eine Adäquanzprüfung vorgenommen und damit Art. 4 ATSG und Art. 19 UVG
verletzt.

5.3. Das kantonale Gericht hat den adäquaten Kausalzusammenhang des gemäss
Bericht der Klinik D.________ natürlich kausal auf den Unfall vom 10. Dezember
2008 zurückzuführenden Beschleunigungstraumas der HWS nach der
Schleudertrauma-Praxis geprüft und unter Hinweis auf die Beurteilung der AXA
verneint. Diese Beurteilung ist unter Berücksichtigung der in der
Beschwerdeschrift vorgebrachten Einwände nicht zu beanstanden. Mit Blick auf
den augenfälligen Geschehensablauf kann der Unfall vom 10. Dezember 2008 nicht
als schwer qualifiziert werden (vgl. zu den schweren Unfällen SVR 2013 UV Nr. 3
S. 7, 8C_398/2012 E. 5.2.1). Unter Annahme eines mittelschweren Unfalls wären
für die Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhangs mindestens drei nicht
ausgeprägt erfüllte Kriterien erforderlich (SVR 2010 UV Nr. 25 S. 100, 8C_897/
2009), sofern nicht (mindestens) eines der relevanten Adäquanzkriterien in
besonders ausgeprägter bzw. auffallender Weise gegeben ist (BGE 134 V 109 E.
10.1 S. 126 f.). Beides ist jedoch nicht der Fall. Der Unfall von 2008 zeichnet
sich nicht durch besonders dramatische Begleitumstände oder besondere
Eindrücklichkeit aus. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass eine
fortgesetzt spezifische, belastende ärztliche Behandlung erforderlich war.
Inwieweit sich der Heilungsverlauf wegen einer vorbestandenen Migräne
schwieriger als bei Schleudertraumen der HWS üblich gestaltet haben soll oder
erhebliche Komplikationen eingetreten sein sollen, ist nicht nachvollziehbar.
Nicht gegeben ist sodann auch das Kriterium der Schwere oder besonderen Art der
erlittenen Verletzung. Eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit lag nur in den
ersten Wochen nach dem Unfall vor. Die Beschwerdeführerin konnte auch wie
geplant eine neue Stelle antreten und eine Weiterbildung absolvieren. Die ab
anfangs 2012 erneut eingetretene Arbeitsunfähigkeit beruhte auf
Beschwerdebildern (neu aufgetretener Bandscheibenvorfall, depressive
Entwicklung), die in keinem natürlichen Kausalzusammenhang zum Unfall stehen.
Auch das Kriterium der erheblichen Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener
Anstrengungen kann daher nicht bejaht werden. Da diese Kriterien nicht erfüllt
sind und sie erst recht nicht in besonders ausgeprägter Weise vorliegen, ist
der adäquate Kausalzusammenhang zum Unfallereignis vom 10. Dezember 2008 zu
verneinen. Ein weiterer Leistungsanspruch wurde daher zu Recht abgelehnt. Die
Beschwerde ist somit abzuweisen.

6. 
Die Gerichtskosten sind dem Ausgang des Verfahrens entsprechend der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 3. Februar 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Hofer

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