Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.787/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_787/2014        
{T 0/2}

Urteil vom 5. Februar 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokat Dominik Zehntner,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Arbeitsunfähigkeit, Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 9. September 2014.

Sachverhalt:

A.

A.a. Der 1970 geborene A.________ war selbstständiger Dachdecker. Am 11. März
2004 erlitt er bei einem Unfall ein Polytrauma. Am 1. März 2005 meldete er sich
bei der IV-Stelle des Kantons Aargau zum Leistungsbezug an. Diese tätigte
erwerbliche und medizinische Abklärungen. Sie holte unter anderem ein
interdisziplinäres Gutachten des Zentrums B.________ vom 18. März 2008 ein. Von
Juni 2006 bis Dezember 2008 liess die Basler Versicherungen AG den Versicherten
privatdetektivlich observieren. Die IV-Stelle zog die Observationsunterlagen
bei und holte eine Stellungnahme des Zentrums B.________ vom 2. Juli 2009 ein.
Mit Verfügung vom 25. November 2009 sprach sie dem Versicherten für die Zeit
vom 1. März 2005 bis 31. Juli 2006 eine ganze Invalidenrente zu. Mit Entscheid
vom 11. August 2010 hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die
dagegen erhobene Beschwerde teilweise gut; es hob die angefochtene Verfügung
auf und wies die Sache zu weiteren Abklärungen im Sinne der Erwägungen und
anschliessender Neuverfügung an die IV-Stelle zurück. Auf die dagegen von der
IV-Stelle geführte Beschwerde trat das Bundesgericht mit Urteil vom 19.
November 2010 nicht ein.

A.b. Die IV-Stelle holte weitere Arztberichte und ein interdisziplinäres
Gutachten des Zentrums C.________ vom 19. Juli 2011 ein. Mit Verfügung vom 3.
Februar 2012 verneinte sie den Anspruch auf berufliche Massnahmen wegen
subjektiver Arbeitsunfähigkeitsüberzeugung des Versicherten. Die dagegen
geführte Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau teilweise
gut; es bejahte die subjektive Eingliederungsfähigkeit des Versicherten und
wies die Sache an die IV-Stelle zurück, damit sie abkläre, ob es sich bei der
von ihm angestrebten Werklehrerausbildung um eine geeignete, wirtschaftlich
verwertbare Tätigkeit handle (Entscheid vom 13. November 2012). Mit Verfügungen
vom 27. Mai 2013 sprach die IV-Stelle dem Versicherten ab 1. März 2005 bis 31.
März 2008 eine ganze und ab 1. April 2008 bis 31. Juli 2011 eine halbe
Invalidenrente zu.

A.c. Mit Entscheid vom 23. November 2011 sprach das Bezirksgericht Rheinfelden
den Versicherten vom Vorwurf des Versicherungsbetrugs gegenüber der Basler
Versicherungen AG frei, was vom Obergericht des Kantons Aargau mit Entscheid
vom 28. November 2013 bestätigt wurde.

B. 
In teilweiser Gutheissung der vom Versicherten gegen die Verfügungen vom 27.
Mai 2013 erhobenen Beschwerde sprach ihm das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau ab 1. März (recte April) 2008 bis 31. Juli 2011 eine Dreiviertelsrente
und ab 1. August 2011 eine Viertelsrente zu. Weiter stellte es fest, dass ihm
ab 1. März 2005 bis 31. März 2008 eine ganze Invalidenrente zustehe (Entscheid
vom 9. September 2014).

C. 
Mit Beschwerde beantragt der Versicherte, in Aufhebung des kantonalen
Entscheides sei ihm ab 1. März 2005 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen.
Die IV-Stelle schliesst auf Beschwerdeabweisung; das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt
werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem
Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E.
2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2
BGG). Rechtsfragen sind die vollständige Feststellung erheblicher Tatsachen
sowie die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der
Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG und der Anforderungen an den
Beweiswert von Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Die aufgrund dieser
Berichte gerichtlich festgestellte Gesundheitslage bzw. Arbeitsfähigkeit und
die konkrete Beweiswürdigung sind Sachverhaltsfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S.
397; nicht publ. E. 4.1 des Urteils BGE 135 V 254, veröffentlicht in SVR 2009
IV Nr. 53 S. 164 [9C_204/2009]). Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon
dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn
sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es
liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung
ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (
BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9). Diese Grundsätze gelten auch bei der konkreten
Beweiswürdigung, bei der dem vorinstanzlichen Gericht ein erheblicher
Ermessensspielraum zusteht (BGE 132 III 209 E. 2.1 S. 211, 130 I 258 E. 1.3 S.
261; SVR 2013 BVG Nr. 40 S. 174 E. 1.2 [9C_592/2012]; nicht publ. E. 1.2. f.
des Urteils BGE 140 V 405).

2. 
Die Vorinstanz hat die Grundlagen über den Rentenanspruch (Art. 28 IVG; Art. 28
Abs. 1 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG in der bis 31. Dezember 2007 in Kraft
gestandenen Fassung) und die Invaliditätsbemessung nach dem Einkommensvergleich
(Art. 16 ATSG; BGE 135 V 297 E. 5.1 f. S. 300 ff., 130 V 343 E. 3.4 S. 348 f.,
129 V 222) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, wenn sich
der Invaliditätsgrad einer Rentenbezügerin oder eines Rentenbezügers erheblich
ändert, so wird die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin für die Zukunft
entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben (Art. 17 Abs. 1 ATSG).

3.

3.1. Der Versicherte macht im Wesentlichen geltend, gemäss Art. 28 Abs. 1 IVG
bestehe eine Priorität der Eingliederungsmassnahmen vor den Rentenleistungen.
Im vorinstanzlichen Entscheid vom 13. November 2012 sei die IV-Stelle
angewiesen worden, zusätzliche Abklärungen zu seiner Eingliederungsmöglichkeit
vorzunehmen und danach neu zu verfügen. Unbestritten sei, dass ihm die
angestammte Tätigkeit als Dachdecker nicht mehr möglich sei. Dass die IV-Stelle
und die Vorinstanz nunmehr ein Invalideneinkommen veranschlagten, welches erst
nach einer entsprechenden Umschulung erzielt werden könne, sei nicht
nachvollziehbar. Es könne nicht das Ergebnis des Umschulungsprozesses
vorweggenommen werden, um die Invalidenrente im Verlauf anzupassen, wenn diese
Umschulung noch gar nicht durchgeführt worden sei. Es sei ihm mithin gar nicht
möglich gewesen, auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt ein entsprechendes
Einkommen zu erzielen. Falls man davon ausginge, ihm sei auch vor der
Umschulung eine Tätigkeit zumutbar - wofür es allerdings keine Anhaltspunkte
gebe -, sei ihm bestenfalls eine Hilfstätigkeit auf niedrigsten Niveau mit
einem entsprechenden Invalideneinkommen zumutbar.

3.2. Als Erstes ist festzuhalten, dass trotz der in Art. 28 Abs. 1 lit. a IVG
in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung aufgestellten (negativen)
Anspruchsvoraussetzung der fehlenden Eingliederungsfähigkeit - wie die
Vorinstanz richtig erkannt hat - die frühere Rechtsprechung weiterhin anwendbar
ist. Demnach entsteht der Rentenanspruch, wenn die versicherte Person nach
Ablauf der einjährigen Wartezeit nicht oder noch nicht eingliederungsfähig war,
selbst wenn in Zukunft Eingliederungsmassnahmen beabsichtigt sind (BGE 122 V 77
E. 2 S. 78; Urteile 9C_1018/2009 vom 23. Juni 2010 E. 4 [RtiD 2011 I 241 Nr.
53] und 9C_186/2009 vom 29. Juni 2009 E. 3.2; Ulrich Meyer/Marco Reichmuth,
Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, 3. Aufl. 2014, S. 295; Silvia
Bucher, Eingliederungsrecht der Invalidenversicherung, Bern 2011, Rz. 1041).
Vorliegend war der Versicherte nach Ablauf der einjährigen Wartezeit am 11.
März 2005 unbestrittenermassen noch nicht eingliederungsfähig. Damit ist der
Rentenanspruch bis zum massgebenden Datum der Verfügungen vom 27. Mai 2013 (BGE
132 V 215 E. 3.1.1 S. 320) zu prüfen, zumal in diesem Zeitpunkt über die
Eingliederungsfrage noch gar nicht befunden worden war.

4. 
Streitig und zu prüfen ist weiter die Arbeitsfähigkeit des Versicherten.

4.1. Unbestritten und nicht zu beanstanden ist die vorinstanzliche
Feststellung, dass der Versicherte ab 1. März 2005 bis 31. März 2008 Anspruch
auf eine ganze Invalidenrente hat, da er vollständig erwerbsunfähig war.

4.2.

4.2.1. Gemäss dem Gutachten des Zentrum B.________ vom 18. März 2008 sei der
Versicherte in der angestammten Tätigkeit als Dachdecker nicht mehr
arbeitsfähig; in einer adaptierten, d.h leichten bis mittelschweren
wechselbelastenden Tätigkeit mit Schonung des linken Beins bestehe eine
Arbeitsfähigkeit von höchstens 50 %. Laut dem Gutachten des Zentrums C.________
vom 19. Juli 2011 sei er als Dachdecker nicht mehr arbeitsfähig; er könne noch
leichte bis gelegentlich mittelschwere wechselbelastende, an die
Wirbelsäulenpathologie und an das linke Hüftleiden adaptierte Tätigkeiten
ausüben; dies sei ihm während 8.5 Stunden an fünf Arbeitstagen pro Woche
zumutbar, wobei die Leistungsfähigkeit um 20 % reduziert sei; somit bestehe
eine Arbeitsfähigkeit in der Grössenordnung von 80 %.
Auf diese beiden Gutachten stellten IV-Stelle und Vorinstanz ab; sie gingen
demnach davon aus, dass sich die Arbeitsfähigkeit des Versicherten in den
Jahren 2008 und 2011 verbessert habe. Der Beschwerdeführer erhebt keine Rügen,
welche die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen zur Arbeitsfähigkeit als
unrichtig oder unvollständig (Art. 97 Abs. 2 BGG) oder den angefochtenen
Entscheid als rechtsfehlerhaft nach Art. 95 BGG erscheinen lassen.

4.2.2. Der Versicherte rügt, das Zentrum B.________ sei im Gutachten vom 18.
März 2008 (E. 4.2.1 hievor) zu einem völlig anderen Resultat gelangt als in der
Stellungnahme vom 2. Juni 2009, in der es nach Konfrontation mit den
Observationsunterlagen und den gegen ihn erhobenen
Versicherungsbetrugsvorwürfen von einer vollständigen Arbeitsfähigkeit als
Dachdecker ausgegangen sei. Die Vorinstanz habe sich nicht mit der Frage
auseinandergesetzt, inwiefern auf ein Gutachten abgestellt werden könne, wenn
die Experten dieses unter dem Eindruck des damals noch klar bestehenden
Betrugsvorwurfs verfasst hätten. In der Zwischenzeit sei er rechtskräftig vom
Vorwurf des Versicherungsbetrugs freigesprochen worden (vgl. Sachverhalt lit.
A.c). Dem ist entgegenzuhalten, dass die Vorinstanz nicht auf die Stellungnahme
des Zentrums B.________ vom 2. Juni 2009, sondern auf das interdisziplinäre
Gutachten des Zentrums B.________ vom 18. März 2008 abstellte. Inwiefern
Letzteres nicht rechtsgenüglich sein soll, ist nicht ersichtlich.

4.2.3. Weiter beruft sich der Versicherte auf das Kurzgutachten des Dr. med.
D.________, Facharzt FMH für Orthopädische Chirurgie Sportmedizin, vom 22.
Dezember 2013, da es ein vom Gutachten des Zentrums C.________ vom 19. Juli
2011 (E. 4.2.1 hievor) abweichendes Resultat gebracht habe. Dr. med. D.________
legte dar, die gutachterlichen Richtlinien sähen eine funktionell-orthopädische
Untersuchung nicht vor; durch diese liessen sich die geklagten Beschwerden
jedoch weitestgehend nachvollziehen; er unterstütze die Ausbildung des
Versicherten zum Werklehrer, da dieser Beruf zumindest eine Beschäftigung im
Teilzeitpensum von 50-60 % erlaube. Zu beachten ist jedoch, dass Dr. med.
D.________ gleichzeitig angab, insgesamt schliesse er sich der Beurteilung, wie
sie in der Begutachtung des Zentrums C.________ getroffen worden sei,
weitestgehend an. In diesem Lichte vermag sein Kurzgutachten 22. Dezember 2013
das vorinstanzliche Abstellen auf das interdisziplinäre Gutachten des Zentrums
C.________ vom 19. Juli 2011 - in dessen Rahmen der Versicherte auch
orthopädisch abgeklärt wurde - angesichts der beschränkten bundesgerichtlichen
Kognition (vgl. E. 1 hievor) nicht in Frage zu stellen. Gleiches gilt für den
vom Versicherten ins Feld geführten Bericht der Psychologin lic. phil.
E.________, Spital F.________, vom 8. Januar 2014, wonach er für die
Durchführung der Ausbildung den geschützten Rahmen brauche. Denn der
Versicherte legt nicht substanziiert dar und es ist auch nicht ersichtlich,
inwiefern die Berichte des Dr. med. D.________ und der Psychologin E.________
wichtige Aspekte enthielten, die im Rahmen der Begutachtung des Zentrums
B.________ und des Zentrums C.________ unbemerkt oder ungewürdigt geblieben
seien (vgl. auch SVR 2014 IV Nr. 37 S. 130 E. 4.1.3 [8C_7/2014]).

5. 
Auf der beruflich-erwerblichen Seite der Invaliditätsbemessung (zur
diesbezüglichen bundesgerichtlichen Kognition siehe BGE 132 V 393 E. 3.3 S.
399) ist unbestritten, dass das vom Versicherten ohne Gesundheitsschaden
hypothetisch erzielbare Valideneinkommen im Jahr 2008 Fr. 101'776.52 und im
Jahr 2011 Fr. 105'842.04 betragen hätte; diesbezüglich erübrigen sich mithin
Weiterungen.

6.

6.1. Umstritten ist das vom Versicherten hypothetisch erzielbare
Invalideneinkommen. Da er keine neue Erwerbstätigkeit ausübt, können zur
Bestimmung des Invalideinkommens die Tabellenlöhne gemäss der vom Bundesamt für
Statistik herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE)
herangezogen werden. Der entsprechende LSE-Ausgangswert kann um maximal 25 %
gekürzt werden, soweit anzunehmen ist, dass die verbleibende Leistungsfähigkeit
infolge eines oder mehrerer Merkmale (leidensbedingte Einschränkung, Alter,
Dienstjahre, Nationalität/Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad) nur mit
unterdurchschnittlichem Einkommen verwertet werden kann (BGE 135 V 297 E. 5.2
S. 301; Urteil 9C_236/2014 vom 29. September 2014 E. 2.2).

6.2. Die IV-Stelle legte in der strittigen Verfügung vom 27. Mai 2013 dar, beim
Invalideneinkommen sei auf die LSE 2004, Tabelle TA1, Wirtschaftszweig 45
Baugewerbe, Niveau 3 (Berufs- und Fachkenntnisse vorausgesetzt), Total, Männer
abzustellen. Vorinstanzlich führte sie aus, der Versicherte verfüge über die
Ressourcen und Fähigkeiten um einen Berufsabschluss mit EFZ zu erreichen, also
auch Lohnniveau 3. Die Vorinstanz pflichtete dem bei und erwog zusätzlich, er
habe eine Lehre als Dachdecker abgeschlossen und mehrere Jahre als
unselbstständiger Dachdecker bzw. Dachdeckervorarbeiter und längere Zeit als
selbstständiger Dachdecker gearbeitet. Er sei somit in der Lage gewesen,
Aufträge selbstständig zu bearbeiten, zu terminieren, Offerten zu erstellen und
Aufträge abzurechnen. Trotz seiner geltend gemachten Legasthenie sei er fähig
gewesen, diverse anspruchsvolle Prüfungen zu absolvieren (Funkerprüfung
Hochseeschein). Dass er sich gemäss seinem Psychiater nur schlecht in ein
hierarchisches System einordnen könne, spreche nicht gegen die Aufnahme einer
anspruchsvolleren Tätigkeit, da es ihm früher auch möglich gewesen sei, als
Angestellter zu arbeiten. Die laufende Umschulung spreche ebenfalls nicht gegen
eine Tätigkeit auf Niveau 3, werde doch damit nicht versucht, das Niveau zu
verändern, sondern den Versicherten von der angestammten strengen auf eine den
körperlichen Beschwerden angepasste Tätigkeit hinzuzuführen. Diesbezüglich
könne auch auf den BEFAS-Bericht vom 18. Oktober 2010 verwiesen werden, worin
diverse anspruchsvollere Tätigkeiten als zumutbar erachtet worden seien. In
Würdigung dieser Aspekte sei die Einstufung auf Niveau 3 richtig. Aufgrund des
weiten Spektrums an Tätigkeiten sei jedoch nicht auf den Sektor 2, Produktion,
sondern auf die Totalwerte abzustellen.
Der Versicherte verfügt zwar über erhebliche Berufs- und Fachkenntnisse im
angestammten Beruf als Dachdecker. Aufgrund der Akten steht aber fest und ist
unbestritten, dass ihm dieser Beruf seit dem Unfall vom 11. März 2004 nicht
mehr zumutbar ist. (E. 4.2.1 hievor). Es ist nicht anzunehmen, dass er diese
Kenntnisse in einer dem Gesundheitsschaden angepassten Tätigkeit ohne Weiteres
verwerten kann. Demnach ist praxisgemäss (vgl. Urteil 8C_386/2013 vom 15.
Oktober 2013 E. 6.2 mit Hinweisen) beim Invalideneinkommen vom
Anforderungsniveau 4 (einfache und repetitive Tätigkeiten) der LSE-Tabellen TA1
für die Jahre 2008 und 2010 auszugehen, wobei - wie die Vorinstanz richtig
erkannt hat - auf den "Total"-Wert bei Männern abzustellen ist. Falls der
Versicherte nach einer allfälligen Umschulung ein erheblich höheres
Invalideneinkommen erzielen wird, wird die IV-Stelle den Rentenanspruch
revisionsweise zu überprüfen haben (Art. 17 Abs. 1 ATSG).

6.3.

6.3.1. In masslicher Hinsicht ergibt sich hinsichtlich des Invalideneinkommens
für das Jahr 2008 Folgendes: Gemäss der LSE-Tabelle TA1 für dieses Jahr betrug
der Bruttolohn für Männer im Wirtschaftszweig "Total" im Anforderungsniveau 4
bei einer Arbeitszeit von 40 Wochenstunden monatlich Fr. 4'806.- bzw. jährlich
Fr. 57'672.-. Aufgrund der betriebsüblichen wöchentlichen Arbeitszeit von 41.6
Stunden im Jahre 2008 im Abschnitt "Total" (Die Volkswirtschaft, 12-2014, S. 92
Tabelle B9.2) folgt ein Jahreseinkommen von Fr. 59'978.88.
IV-Stelle und Vorinstanz haben dem Versicherten bei Anwendung des
LSE-Anforderungsniveaus 3 einen 10%igen leidensbedingten Abzug gewährt, weil er
nur noch leichte bis mittelschwere Arbeiten ausführen könne (vgl. E. 4.2.1
hievor). Wird richtigerweise auf das LSE-Anforderungsniveau 4 abgestellt, so
entfällt dieser leidensbedingte Abzug, weil der Tabellenlohn im
Anforderungsniveau 4 bereits eine Vielzahl von leichten und mittelschweren
Tätigkeiten umfasst (Urteil 9C_630/2014 vom 23. Dezember 2014 E. 2.1 und 3.2).
Hingegen ist dem Versicherten unter dem Titel "Beschäftigungsgrad" ein
Teilzeitabzug zu gewähren, da die im Gutachten des Zentrums B.________ vom 18.
März 2008 festgestellte 50%ige Arbeitsfähigkeit (E. 4.2.1 hievor) nicht als
vollschichtig umsetzbar taxiert wurde (vgl. SVR 2014 IV Nr. 37 S. 130 E. 9.2;
Urteil 8C_673/2012 vom 16. Mai 2013 E. 5.2). Der entsprechende Minderverdienst
betrug 10.25 % (LSE-Tabelle "Monatlicher Bruttolohn, Privater Sektor und
öffentlicher Sektor [Bund], Schweiz 2008 Zentralwert [Median]"), weshalb der
Abzug auf 10 % festzulegen ist.
Unter Berücksichtigung der 50%igen Arbeitsfähigkeit des Versicherten und des
10%igen Abzugs resultiert ein Invalideneinkommen von Fr. 26'990.49.-. Der
Vergleich mit dem Valideneinkommen von Fr. 101'776.52 im Jahre 2008 (E. 5
hievor) führt zu einem Invaliditätsgrad von 73.48 % bzw. gerundet 73 % (zur
Rundung vgl. BGE 130 V 121), weshalb ab 1. April 2008 weiterhin der Anspruch
auf eine ganze Invalidenrente besteht (Art. 28 Abs. 2 IVG).

6.3.2. Für das Jahr 2011 ergibt sich folgende Berechnung des
Invalideneinkommens: Gemäss der LSE-Tabelle TA1 für das Jahr 2010 betrug der
Bruttolohn für Männer im Wirtschaftszweig "Total" im Anforderungsniveau 4 bei
einer Arbeitszeit von 40 Wochenstunden monatlich Fr. 4'901.- bzw. jährlich Fr.
58'812.-. Aufgrund der Nominallohnentwicklung von 1 % im Wirtschaftszweig
"Total" (vgl. Bundesamt für Statistik, Tabelle T.1.1.10, Nominallohnindex,
Männer, 2011-2013, Total) und der betriebsüblichen wöchentlichen Arbeitszeit
von 41.7 Stunden im Jahre 2011 im Abschnitt "Total" (Die Volkswirtschaft,   
12-2014, S. 92 Tabelle B9.2) folgt ein Jahreseinkommen von Fr. 61'924.62.
Der von der IV-Stelle und der Vorinstanz für das Jahr 2011 veranschlagte
leidensbedingte Abzug von 10 % entfällt im Anforderungsniveau 4, da dem
Versicherten auch gemäss dem Gutachten des Zentrums C.________ vom 19. Juli
2011 leichte und gelegentlich mittelschwere Arbeiten zumutbar sind. Ein
Teilzeitabzug ist ebenfalls nicht zu gewähren, da die in diesem Gutachten
festgestellte 80%ige Arbeitsfähigkeit vollschichtig umsetzbar ist (vgl. 4.2.1
und E. 6.3.1 hievor).
Unter Berücksichtigung der 80%igen Arbeitsfähigkeit des Versicherten resultiert
ein Invalideneinkommen von Fr. 49'539.69. Der Vergleich mit dem
Valideneinkommen von Fr. 105'842.04 im Jahre 2011 (E. 5 hievor) ergibt einen
Invaliditätsgrad von 53.19 % bzw. gerundet 53 %, weshalb ab 1. August 2011
Anspruch auf eine halbe Invalidenrente besteht (Art. 28 Abs. 2 IVG).

7. 
Bei diesem Verfahrensausgang werden die Verfahrenskosten den Parteien je zur
Hälfte auferlegt (Art. 66 Abs. 1, Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 9. September 2014 und die
Verfügung der IV-Stelle des Kantons Aargau vom 27. Mai 2013 werden insoweit
abgeändert, als die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer ab 1. April 2008
eine ganze Invalidenrente und ab 1. August 2011 eine halbe Invalidenrente
auszurichten hat. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden zu Fr. 400.- dem Beschwerdeführer und
zu Fr. 400.- der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'400.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. Februar 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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