Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.746/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_746/2014        
{T 0/2}

Urteil vom 23. März 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Frésard, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Polla.

Verfahrensbeteiligte
Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau,
Bahnhofstrasse 78, 5000 Aarau,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Regula Aeschlimann Wirz,

Beschwerdegegner.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 26. August 2014.

Sachverhalt:

A. 
Der 1953 geborene A.________ war seit Mai 1989 bei der Firma B.________
angestellt. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis aufgrund einer
psychischen Erkrankung von A.________ auf den 30. Juni 2011, am 10. Februar
2010 hatte sich A.________ wegen diesem Leiden bei der Invalidenversicherung
angemeldet. In gegenseitigem Einvernehmen wurde die Kündigung in einen
freiwilligen Altersrücktritt per 31. Juli 2011 umgewandelt. Am 21. August 2011
stellte A.________ Antrag auf Arbeitslosenentschädigung ab 1. August 2011,
teilte aber gleichzeitig mit, dass er vollständig arbeitsunfähig sei. Mit
Verfügung vom 4. November 2011 verneinte das Amt für Wirtschaft und Arbeit
(AWA) des Kantons Aargau einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung wegen
fehlender Vermittlungsfähigkeit für die Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 2011
und wies die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau an, dem
Versicherten ab 1. November 2011 im Rahmen ihrer Vorleistungspflicht
Arbeitslosenentschädigung auszurichten. Die dagegen erhobene Einsprache des
A.________ hiess die Einsprachestelle des AWA mit Einspracheentscheid vom 19.
Januar 2012 gut, verbunden mit der Aufforderung an die Arbeitslosenkasse,
Taggeldleistungen ab 1. August 2011 zu erbringen, da es sich bei den von August
bis Oktober 2011 dauernden Beschwerden um eine vorübergehende Krankheit ohne
Zusammenhang mit dem psychischen Leiden gehandelt habe.
Die IV-Stelle des Kantons Aargau liess der Arbeitslosenkasse den Bescheid vom
24. April 2013 zukommen, wonach bei einem Invaliditätsgrad von 50 % seit 1.
Oktober 2010 Anspruch auf eine halbe Invalidenrente bestehe. Im Nachgang zur
Rentenverfügung der IV-Stelle stellte die Arbeitslosenkasse
wiedererwägungsweise fest, dass ab 1. August 2011 ein Anspruch auf ein
Arbeitslosentaggeld im Umfang von 50 % bestehe, und verpflichtete den
Versicherten, in der Zeit von Februar 2012 bis März 2013 zu viel bezogene
Arbeitslosenentschädigung im Betrag von Fr. 6'838.60 zurückzuerstatten; sie
wies darauf hin, dass der Rückforderungsbetrag direkt mit den Leistungen der
Invalidenversicherung verrechnet werde (Verfügung vom 13. Mai 2013). Daran
hielt die Einsprachestelle des AWA mit Einspracheentscheid vom 17. Juli 2013
fest.

B. 
In Gutheissung der hiergegen geführten Beschwerde hob das Versicherungsgericht
des Kantons Aargau den Einspracheentscheid vom 17. Juli 2013 auf und wies die
Sache zur erneuten Berechnung der Arbeitslosenentschädigung im Sinne der
Erwägungen und neuem Entscheid an die Arbeitslosenkasse zurück (Entscheid vom
26. August 2014).

C. 
Die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau führt Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag um Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids.
A.________ lässt Abweisung der Beschwerde beantragen. Die Arbeitslosenkasse sei
überdies anzuweisen, ihm die gesetzlichen Leistungen zu erbringen sowie zu viel
verrechnete Taggeldentschädigung zurückzuerstatten. Das Staatssekretariat für
Wirtschaft (SECO) verzichtet auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1.

1.1. Beim vorinstanzlichen Rückweisungsentscheid handelt es sich um einen
selbstständig eröffneten Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 Abs. 1 BGG
(vgl. auch Urteil 8C_886/2013 vom 6. Juni 2014 E. 3.1 mit Hinweis auf BGE 133 V
477 E. 4.2 und 4.3 S. 481 f.). Die Beschwerde ist daher nur zulässig, wenn der
Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann
(lit. a) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid
herbeiführt und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein
weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Die zweite Voraussetzung
fällt ausser Betracht. Auf die Beschwerde kann daher nur eingetreten werden,
wenn der kantonale Rückweisungsentscheid einen irreparablen Nachteil bewirkt,
was u.a. zutrifft, wenn die Verwaltung gezwungen wäre, eine ihres Erachtens
rechtswidrige Verfügung zu erlassen (vgl. BGE 133 V 477 E. 5.2 S. 483 ff.).

1.2. Das kantonale Gericht erwog, der Versicherte habe Anspruch auf ein Taggeld
von 80 % des versicherten Verdienstes; ausserdem seien ab dem 1. August 2011
nicht fünfzehn, sondern lediglich fünf Wartetage zu bestehen. Es wies die Sache
zur Festsetzung der Rückforderungssumme an die Kasse zurück.

1.3. Vorliegend ist der angefochtene Rückweisungsentscheid - ausnahmsweise
(vgl. dazu Urteil 9C_684/2007 vom 27. Dezember 2007 E. 1.1 mit Hinweisen, in:
SVR 2008 IV Nr. 39 S. 131) - als Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG zu
behandeln, da die Rückweisung einzig der rechnerischen Umsetzung des
oberinstanzlich Angeordneten dient und demgemäss der Verwaltung keine
Entscheidungsfreiheit bleibt (SVR 2008 IV Nr. 39 S. 131, 9C_684/2007 E. 1.1).
Auf die Beschwerde ist daher einzutreten (Art. 90 BGG).

2. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG).

3.

3.1. Gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 AVIG hat
die versicherte Person Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, wenn sie (unter
anderem) vermittlungsfähig ist, d. h., wenn sie bereit, in der Lage und
berechtigt ist, eine zumutbare Arbeit anzunehmen und an
Eingliederungsmassnahmen teilzunehmen. Der Begriff der Vermittlungsfähigkeit
als Anspruchsvoraussetzung schliesst graduelle Abstufungen aus. Nach Art. 15
Abs. 2 Satz 1 AVIG gilt der körperlich oder geistig Behinderte als
vermittlungsfähig, wenn ihm bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage, unter
Berücksichtigung seiner Behinderung, auf dem Arbeitsmarkt eine zumutbare Arbeit
vermittelt werden könnte. Die Kompetenz zur Regelung der Koordination mit der
Invalidenversicherung ist in Art. 15 Abs. 2 Satz 2 AVIG dem Bundesrat
übertragen worden. Dieser hat in Art. 15 Abs. 3 AVIV festgelegt, dass ein
Behinderter, der unter der Annahme einer ausgeglichenen Arbeitsmarktlage nicht
offensichtlich vermittlungsunfähig ist, und der sich bei der
Invalidenversicherung (oder einer anderen Versicherung nach Art. 15 Abs. 2
AVIV) angemeldet hat, bis zum Entscheid der anderen Versicherung als
vermittlungsfähig gilt. In diesem Sinn sieht Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG vor,
dass die Arbeitslosenversicherung für Leistungen, deren Übernahme durch die
Arbeitslosenversicherung, die Krankenversicherung, die Unfallversicherung oder
die Invalidenversicherung umstritten ist, vorleistungspflichtig ist.

3.2. Aufgrund dieser Bestimmungen hat die Arbeitslosenversicherung arbeitslose,
bei einer anderen Versicherung angemeldete Personen zu entschädigen, falls ihre
Vermittlungsunfähigkeit nicht offensichtlich ist. Dieser Anspruch auf eine
ungekürzte Arbeitslosenentschädigung besteht namentlich, wenn die ganz
arbeitslose Person aus gesundheitlichen Gründen lediglich noch teilzeitlich
arbeiten könnte, solange sie im Umfang der ihr ärztlicherseits attestierten
Arbeitsfähigkeit eine Beschäftigung sucht und bereit ist, eine neue Anstellung
mit entsprechendem Pensum anzutreten (BGE 136 V 95 E. 7.1 S. 101).

3.3. Der versicherte Verdienst von behinderten Personen gemäss Art. 40b AVIV
bestimmt sich nach der verbleibenden Erwerbsfähigkeit. Auch wenn mit dieser
Verordnungsbestimmung nicht allein die Koordination mit der Eidgenössischen
Invalidenversicherung bezweckt wird (BGE 140 V 89 E. 5.1 S. 89, 133 V 524 E.
5.2 mit Verweis auf BGE 132 V 357 E. 3.2.3 S. 359), ist dabei hinsichtlich der
Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit der durch die Invalidenversicherung
ermittelte Invaliditätsgrad massgeblich (Urteil 8C_824/2013 vom 30. September
2014 E. 5.2). Ein erst nachträglich rechtskräftig festgelegter Invaliditätsgrad
durch den Invalidenversicherer berechtigt die Arbeitslosenversicherung überdies
dazu, auf dem Wege der prozessualen Revision ursprünglich auf der Basis der,
rückwirkend betrachtet, falschen Angaben der versicherten Person zur Arbeits-
und Erwerbsfähigkeit zu viel ausbezahlte Taggeldleistungen zurückzufordern (BGE
133 V 530 E. 4 S. 533; 132 V 357 E. 3.1). Dabei beschränkt sich die
Rückforderungssumme gemäss Art. 95 Abs. 1bis AVIG und in Abweichung von Art. 25
Abs. 1 ATSG auf die Höhe der von der Invalidenversicherung für denselben
Zeitraum ausgerichteten Leistungen.

4. 
Einig sind sich die Parteien über die vorzunehmende Anpassung des versicherten
Verdienstes nach Massgabe von Art. 40b AVIV und die damit verbundene
Rückerstattungspflicht von zu viel erhaltener Arbeitslosenentschädigung.
Strittig und zu prüfen ist, ob aufgrund der in Revision gezogenen
Taggeldleistungen die allgemeinen Wartetage (Art. 18 AVIG) und die Höhe des
Taggeldes (Art. 22 AVIG) ebenfalls ab Beginn der Rahmenfrist für den
Leistungsbezug neu festzusetzen sind.

4.1. Die Vorinstanz vertritt die Auffassung, die revisionsweise Neubeurteilung
erfasse den gesamten Anspruch des Beschwerdegegners und nicht bloss den
versicherten Verdienst. Da der unter Berücksichtigung des IV-Grades von 50 %
berechnete versicherte Verdienst monatlich Fr. 4'509.- bzw. jährlich Fr.
54'108.- betrage und die Wartezeit bei einem versicherten Verdienst von unter
Fr. 60'001.- nur fünf Tage daure, sei diese von ursprünglich fünfzehn auf fünf
Tage zu reduzieren.
Ausserdem betreffe die rückwirkende Neubeurteilung auch die Taggeldhöhe gemäss
Art. 22 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 lit. c AVIG e contrario, woraus ein
Taggeld in der Höhe von 80 und nicht 70 % des versicherten Verdienstes
resultiere. Damit habe der Versicherte ab 1. August 2011 Anspruch auf ein
Taggeld in der Höhe von Fr. 166.55 (Fr. 4'509.- [versicherter Verdienst] x 80 %
[Taggeld in Prozent] / 21.7 [durchschnittliche Arbeitstage]).

4.2. Die Arbeitslosenkasse stellt sich dagegen auf den Standpunkt, der aufgrund
des am 24. April 2013 ergangenen Entscheides der Invalidenversicherung
revisionsweise neu festzusetzende versicherte Verdienst und die damit
verbundene Höhe des Taggeldanspruchs der bis März 2013 ausgerichteten
Leistungen der Arbeitslosenversicherung berühre weder den Taggeldansatz noch
die allgemeinen Wartetage. Die Abstufung der Wartezeit je nach Höhe des
versicherten Verdienstes habe nichts mit der mittels prozessualer Revision
vorzunehmenden Rückabwicklung bei im Nachhinein durch die Invalidenversicherung
festgestellter Erwerbsunfähigkeit zu tun. Es sei von der grundsätzlichen
Unabänderlichkeit einmal verfügter Wartetage auszugehen. Die vorinstanzliche
Beurteilung sei mit dem gesetzgeberischen Willen und dem Gleichheitsgebot nicht
zu vereinbaren und widerspreche der Zielsetzung des Art. 18 AVIG. Dieser sehe
vor, dass versicherte Personen ohne Unterhaltspflicht gegenüber Kindern unter
25 Jahren mittels einer nach Einkommenshöhe abgestuften Wartezeit einen
persönlichen Beitrag zur Entlastung des Bundeshaushaltes zu leisten hätten.

Sodann würde mit Blick auf die Höhe des Taggeldes die Bestimmung des Art. 22
Abs. 2 lit. c AVIG praktisch bedeutungslos, wenn der Taggeldansatz aufgrund der
Revision des versicherten Verdienstes auch hier rückwirkend seit Beginn der
Rahmenfrist für den Leistungsbezug neu festgesetzt werden müsste.

5.

5.1. Wie bereits dargelegt (E. 3.3 hiervor), gilt die nachträgliche Zusprechung
einer Invalidenrente rechtsprechungsgemäss als erhebliche neu entdeckte
Tatsache, welche ein Zurückkommen auf die zugesprochenen Leistungen unter dem
Titel der prozessualen Revision erlaubt. Dies zieht eine uneingeschränkte
materielle Neuprüfung nach sich, wobei auch eine rückwirkende Korrektur (ex
tunc) möglich ist (vgl. Urteil 8C_626/2014 vom 6. Januar 2014 E. 3.4 und Ueli
Kieser, ATSG-Kommentar, 2. Aufl. 2009, N. 25 zu Art. 53 ATSG).

5.2. Die Vorleistung der Arbeitslosenversicherung steht notwendigerweise in
Korrelation mit der Rückerstattungspflicht der versicherten Person im Ausmass
der später festgestellten Erwerbsunfähigkeit. Es steht ausser Frage, dass
infolge der Rentenzusprache der versicherte Verdienst um den Grad der
Erwerbsunfähigkeit zu kürzen ist (Art. 40b AVIV). Nachdem der Versicherte
rückwirkend seit 1. Oktober 2010 eine halbe Invalidenrente bei einem 50 %-igen
Invaliditätsgrad erhält, sind sämtliche Leistungen der Arbeitslosenversicherung
seit Leistungszusprechung ab 1. August 2011 unter dem Aspekt des um 50 %
gekürzten versicherten Verdienstes neu zu beurteilen, wie die Vorinstanz
zutreffend festhielt. Da der versicherte Verdienst für Personen ohne
Unterhaltspflichten gegenüber Kinder unter 25 Jahren massgebend für die Höhe
der Wartezeit ist, indem die allgemeine Karenzzeit auf der Basis des
versicherten Verdienstes gemäss Art. 18 Abs. 1 Satz 2 lit. a-c AVIG festgesetzt
wird, wirkt sich die Verringerung des versicherten Verdienstes dementsprechend
auf die zu bestehende Wartezeit aus. Das kantonale Gericht ging daher in
korrekter Weise bei einem rückwirkend ab 1. August 2011 ermittelten
versicherten Verdienst von monatlich Fr. 4'509.-, welcher in der Höhe nicht
bestritten wird, von fünf allgemeinen Wartetagen aus, da der Versicherte nicht
unterhaltspflichtig ist.

5.3. Sodann wirkt sich die Zusprechung des versicherten Verdienstes aufgrund
der 50 %-igen Erwerbsfähigkeit ebenfalls auf die Festsetzung der Höhe des
Taggeldes nach Art. 22 AVIG aus, da der Taggeldansatz ebenfalls mit dem
versicherten Verdienst in Verbindung steht. Bezieht der Versicherte aufgrund
des Entscheids der Invalidenversicherung ab Leistungsbeginn der
Arbeitslosenversicherung eine halbe Rente mit einem Invaliditätsgrad von 50 %,
besteht nach dem klaren Wortlaut von Art. 22 Abs. 2 lit. c AVIG e contrario ein
Anspruch auf ein Taggeld in der Höhe von 80 % des versicherten Verdienstes.

5.4. Dieser folgerichtigen Anpassung der Wartezeiten und des Taggeldansatzes an
den rückwirkend herabgesetzten versicherten Verdienst bzw. den rückwirkenden
Bezug einer halben Invalidenrente vermag die Beschwerdeführerin keine
stichhaltigen Gründe entgegenzusetzen.

5.5. Weshalb in diesem Zusammenhang von der grundsätzlichen Unabänderlichkeit
der Wartezeiten auszugehen sein soll, lässt sich auch nicht mit dem
beschwerdeführerischen Hinweis auf den entstehungsgeschichtlichen Kontext
begründen. Die nach der Höhe des versicherten Verdienstes abgestufte,
allgemeine Wartezeit wurde anlässlich der 4. AVIG-Revision auf 1. April 2011 in
das Gesetz aufgenommen (AS 2011 1167; BBl 2008 7733 ff. welche eine möglichst
schnelle finanzielle Sicherung der ALV anstrebte. Die 4. Revision im Jahr 2011
hatte zum Ziel, die ALV finanziell wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Sie
beinhaltete eine Mischung aus Minderausgaben und Mehreinnahmen. Einerseits sind
gezielt bestimmte Leistungen gekürzt, andererseits die Lohnabzüge von 2,0 auf
2,2% angehoben worden. Richtig ist, dass die gesetzgeberische Absicht hinter
dieser Erhöhung der allgemeinen Wartezeiten auf der Grundlage des versicherten
Verdienstes (bei versicherten Personen ohne Unterhaltspflichten gegenüber
Kindern unter 25 Jahren) den versicherten Personen einen vom versicherten
Verdienst abhängigen, sinngemässen "Selbstbehalt" auferlegt, um ausgabenseitig
Einsparungen zu erzielen. Dass die geltende Wartezeitregelung einer
nachträglichen Abstimmung von zu bestehender Wartezeit mit dem revisionsweise
festgelegten versicherten Verdienst entgegenstünde, lässt sich den
Gesetzesmaterialien nicht entnehmen und widerspricht ebenso wenig dem Wortlaut
oder dem Sinn und Zweck der Bestimmung, zumal dem Versicherten durch die
Rückforderung auch nicht mehr die gesamte, auf der Basis des ursprünglich
angenommenen versicherten Verdienstes zugesprochene Arbeitslosenentschädigung
zusteht und entsprechend mit den Leistungen der Invalidenversicherung zu
verrechen ist. Eine Bundesrechtswidrigkeit lässt sich darin ebenso wenig
erkennen wie ein Verstoss gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 8 BV).

5.6. Nichts anderes ergibt sich hinsichtlich der nachträglichen Koordination
des Taggeldsatzes mit der zugesprochenen Invalidenrente. Ins Leere zielt der
Einwand, mit der revisionsweisen Anpassung des Taggeldansatzes werde der hier
anwendbare Art. 22 Abs. 2 lit. c AVIG praktisch bedeutungslos. Vielmehr wird
damit dem Gedanken der - ebenfalls mit der 4. AVIG-Revision am 1. April 2011 in
Kraft gesetzten - Bestimmung, wonach Personen, die eine Invalidenrente bei
einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 % beziehen, ein Taggeld in der Höhe
von 80 % des versicherten Verdienstes zusteht, durch die rückwirkende
Angleichung an den sich im Nachhinein verwirklichten Tatbestand Rechnung
getragen. Das Argument der Aushebelung des Gesetzesartikels, welcher namentlich
die Vereinheitlichung des Entschädigungssatzes und der Anzahl Taggelder für
Rentenbezüger aller Sozialversicherungszweige beabsichtigt, ist nicht
nachvollziehbar. Wie die Vorinstanz bereits festhielt, wird in der Botschaft
zudem in der Erläuterung zu dieser Bestimmung ausdrücklich auf die weiterhin
bestehende Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung nach Art. 70 Abs. 2
lit. b ATSG verwiesen (BBl 2008 7750), was den Konnex von Art. 22 Abs. 2 lit. c
AVIG mit der arbeitslosenversicherungsrechtlichen Vorleistung verdeutlicht.
Diese Pflicht zur Vorleistung bringt in logischer Konsequenz die Rückerstattung
von Vorleistungen mit sich, wenn ein anderer Sozialversicherungsträger den Fall
übernimmt (Art. 71 ATSG) und führt im Rahmen der Versicherungskoordination zur
Anpassung des versicherten Verdienstes an die verbleibende Erwerbsfähigkeit
nach Art. 40b AVIV, was unter dem Titel der prozessualen Revision geschieht.
Folgerichtig sind revisionsweise auch diejenigen Versicherungselemente damit in
Einklang zu bringen, die von der Höhe des versicherten Verdienstes (Art. 18
AVIG) oder der (rechtskräftigen) Zusprache einer Invalidenrente (Art. 22 Abs. 2
lit. c AVIG) abhängen und sich im nachhinein durch die rückwirkende Zusprechung
einer Invalidenrente als unzutreffend herausgestellt haben. Eine Ausklammerung
von leistungsbestimmenden Faktoren, die eng mit dem anzupassenden versicherten
Verdienst zusammenhängen, ist nicht schlüssig. Wie der Beschwerdegegner zu
Recht einwendet, würde die fehlende Angleichung dieser Elemente zu einer
stossenden Ungleichbehandlung gegenüber denjenigen versicherten Personen
führen, die bereits bei der Anmeldung zum Leistungsbezug bei der
Arbeitslosenversicherung invalid sind. Hier bezieht der Beschwerdegegner
rückwirkend ab Anmeldung eine halbe Invalidenrente, weshalb Art. 22 Abs. 2 lit.
c AVIG e contrario - dem Wortlaut entsprechend - ab diesem Zeitpunkt Anwendung
findet. Hinsichtlich des erneut angerufenen, nicht einschlägigen Art. 37 Abs. 4
lit. b AVIV wird auf die zutreffenden Erwägungen des kantonalen Gerichts
verwiesen. Seine Vorgehensweise ist nach dem Gesagten weder willkürlich noch
sonst wie bundesrechtswidrig.

5.7. Die Beschwerdeführerin wird die allfällige Rückforderungs- bzw.
Verrechnungssumme für den Zeitraum, in welchem gleichzeitig Anspruch auf
Arbeitslosentaggelder und Invalidenrente besteht, durch das vorinstanzlich
Angeordnete neu berechnen und verfügen. Sie wird dabei die allenfalls zu viel
zur Verrechnung gebrachten Leistungen berücksichtigen, welche sie dem
Beschwerdegegner noch schuldet und die daher - wie von ihm beantragt -
nachzuzahlen wären.

6. 
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 65
Abs. 4 lit. a in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 BGG; BGE 133 V 637) und dem
anwaltlich vertretenen Beschwerdegegner eine Parteientschädigung auszurichten
(Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und dem Amt für Wirtschaft und
Arbeit (AWA) des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. März 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Frésard

Die Gerichtsschreiberin: Polla

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