Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.681/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_681/2014

Urteil vom 19. März 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Frésard, Maillard,
Gerichtsschreiber Hochuli.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Bütikofer,
Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (Hilflosenentschädigung),

Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts Luzern
vom 8. August 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1978, war seit 1. April 2010 als Schwimmbadbaumonteur für
die B.________ AG tätig und in dieser Eigenschaft bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfällen und
Berufskrankheiten versichert. Am 17. Juni 2012 zog sich der Versicherte bei
einem Kopfsprung in einen untiefen Swimmingpool unter anderem eine
Berstungsfraktur des Halswirbelkörpers (HWK) 6 mit der Folge einer inkompletten
Tetraplegie zu. Nachdem der Versicherte zunächst im Spital C.________ und
anschliessend im Paraplegikerzentrum D.________ bis zum 16. April 2013
stationär hospitalisiert blieb, sprach ihm die SUVA ab dem Bezug einer eigenen,
baulich angepassten Wohnung am 17. April 2013 eine Hilflosenentschädigung für
eine Hilflosigkeit leichten Grades zu (Verfügung vom 19. Juli 2013). Auf
Einsprache hin hielt die SUVA an der Verfügung fest (Einspracheentscheid vom
13. September 2013).

B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde des A.________ wies das Kantonsgericht Luzern
mit Entscheid vom 8. August 2014 ab.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ unter
Aufhebung des kantonalen Gerichts- und des Einspracheentscheides beantragen,
die SUVA habe ihm eine Hilflosenentschädigung für eine Hilflosigkeit mittleren
Grades zu entrichten. Eventualiter sei die Sache zur weiteren Abklärung der
Hilflosigkeit und anschliessender Neuverfügung an die SUVA zurückzuweisen.
Während die SUVA auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 137 II
313 E. 1.4 S. 317 f. mit Hinweis; vgl. auch BGE 139 V 127 E. 1.2 S. 129 mit
Hinweisen). Das Bundesgericht prüft unter Berücksichtigung der allgemeinen
Rüge- und Begründungspflicht - vorbehältlich offensichtlicher Fehler - nur die
in seinem Verfahren geltend gemachten Rechtswidrigkeiten. Es ist jedenfalls
nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden
rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr
vorgetragen werden (BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389; vgl. auch BGE 137 III 580
E. 1.3 S. 584; je mit Hinweisen). Die Verletzung von Grundrechten und von
kantonalem und interkantonalem Recht prüft das Bundesgericht nur insofern, als
eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art.
106 Abs. 2 BGG).
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen
der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die
vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art.
97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2. 
Das kantonale Gericht hat die Voraussetzungen für die Gewährung einer
Hilflosenentschädigung der Unfallversicherung (Art. 26 UVG in Verbindung mit
Art. 9 ATSG), die nach Massgabe von drei unterschiedlichen Schweregraden der
Hilflosigkeit festzusetzende Höhe der Entschädigung (Art. 38 UVV) und die sechs
rechtsprechungsgemäss für die Bestimmung des jeweiligen Hilflosigkeitsgrades
relevanten alltäglichen Lebensverrichtungen (Ankleiden/Auskleiden, Aufstehen/
Absitzen/Abliegen, Essen, Körperpflege, Verrichten der Notdurft, Fortbewegung
[im oder ausser Haus]/Kontaktaufnahme; vgl. BGE 127 V 94 E. 3c S. 97, 125 V 297
E. 4a i.f. S. 303, je mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Richtig sind auch
die Ausführungen über die bei Lebensverrichtungen, welche mehrere
Teilfunktionen umfassen, zu beachtenden Kriterien (BGE 121 V 88 E. 3c S. 91 mit
Hinweisen) sowie über den Begriff und die Bedeutung der indirekten Dritthilfe (
BGE 107 V 136 E. 1b S. 139 mit Hinweisen). Beizufügen ist, dass sich die
Bemessung der Hilflosigkeit im Unfallversicherungsrecht nach den gleichen
Kriterien richtet wie in der Alters- und Hinterlassenen- sowie in der
Invalidenversicherung (BGE 127 V 113 E. 1d S. 115; SVR 2004 AHV Nr. 19 S. 61, H
150/03 E. 1.2), weshalb auch die in diesen Sozialversicherungszweigen ergangene
Rechtsprechung herangezogen werden kann (Urteil des EVG [Eidg.
Versicherungsgericht; heute: sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts] U
442/04 vom 25. April 2005 E. 1 i.f.). Darauf wird verwiesen.

3. 
Strittig ist der Grad der Hilflosigkeit ab 17. April 2013. Während die SUVA
gemäss Verfügung vom 19. Juli 2013 von einer Hilflosigkeit leichten Grades
ausgeht, beantragt der Beschwerdeführer vor Bundesgericht eine
Hilflosenentschädigung auf Grund einer Hilflosigkeit mittleren Grades.

4. 
Fest steht und vor Bundesgericht unbestritten ist, dass der Versicherte
hinsichtlich der Lebensverrichtung "Fortbewegung" auf regelmässige Dritthilfe
angewiesen und auch in Bezug auf die Verrichtungen "Aufstehen/Absitzen/
Abliegen" hilfsbedürftig ist. Mit Blick auf die Lebensverrichtungen des
"Ankleidens und Auskleidens" anerkennt der Beschwerdeführer vor Bundesgericht,
unter den in zeitlicher Hinsicht hier massgebenden Umständen sowie unter dem
Vorbehalt der Geltendmachung einer späteren anspruchserheblichen Änderung der
relevanten Verhältnisse einstweilen ohne Dritthilfe auszukommen.

5. 
Zu prüfen bleibt demnach, ob der Versicherte, welcher unbestritten bereits in
zwei alltäglichen Lebensverrichtungen (vgl. E. 4 hievor) im Sinne von Art. 38
Abs. 4 lit. a UVV hilfsbedürftig ist, unter zusätzlicher Mitberücksichtigung
allfälliger Einschränkungen in Bezug auf die Körperpflege, das Essen und die
Verrichtung der Notdurft in den meisten alltäglichen Lebensverrichtungen
regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist und
folglich nach Art. 38 Abs. 3 lit. a UVV Anspruch auf eine
Hilflosenentschädigung mittleren Grades hat.

5.1. Soweit die Vorinstanz betreffend Körperpflege eine Hilfsbedürftigkeit
verneint hat, kann dem angefochtenen Entscheid nicht gefolgt werden. Bereits
dem Abschlussbericht des Paraplegikerzentrums D.________ vom 13. Juni 2013 ist
zu entnehmen, dass der Versicherte im Zeitpunkt des Austrittes aus dem
Paraplegikerzentrum D.________ bei der morgendlichen Körperpflege von der
Spitex unterstützt wurde. Gestützt auf die unmittelbar nach Verfügungserlass
(vom 19. Juli 2013) erstellte SCIM III (Spinal Cord Independence Measure
Version III) -Auswertung vom 21. Juli 2013 zum Patientenbesuch vom 17. Juli
2013 (nachfolgend: SCIM-Auswertung) ist erstellt, dass der Beschwerdeführer
beim Transfer in und aus dem Duschrollstuhl auf Hilfeleistungen angewiesen ist,
wie dies die SUVA im Einspracheentscheid vom 13. September 2013 ursprünglich
zutreffend berücksichtigt hatte. Auf diese Einschätzung ist abzustellen. Diese
Hilfsbedürftigkeit ist praxisgemäss bei der Lebensverrichtung "Körperpflege" zu
berücksichtigen (Urteil des EVG I 214/03 vom 3. September 2003 E. 3.2; vgl.
auch Alexandra Rumo-Jungo/André Pierre Holzer, Bundesgesetz über die
Unfallversicherung, 4. Aufl. 2012, S. 174 f.).

5.2. In Bezug auf die Lebensverrichtung des Essens mit seinen Teilfunktionen
ist die Beschwerde unbegründet. Zwar steht aktenkundig fest, dass der
Versicherte hinsichtlich der Handfunktionen unfallbedingt infolge der
inkompletten Tetraplegie C6 teilweise eingeschränkt ist. Warum er jedoch nicht
bereits früher, sondern erstmals mit Einsprache vom 14. August 2013 geltend
machte, dass er Fleisch und andere harte Speisen wegen den fehlenden
Handfunktionen nicht selber schneiden könne, ihm jemand Getränke bereit stellen
und in ein geeignetes Glas einschenken müsse, und es ihm auch nicht möglich
sei, Speisen selber zuzubereiten und zu kochen, legt er nicht dar. Er vermag
sich auch nicht auf entsprechende, fachmedizinisch bestätigte Einschränkungen
zu berufen. Statt dessen zeugen nicht nur die im Wesentlichen auf Angaben des
Beschwerdeführers beruhenden aktenkundigen Abklärungsergebnisse der SUVA vom
11. Juni 2013, sondern auch der Abschlussbericht der Ergotherapie im
Paraplegikerzentrum D.________ vom 8. Mai 2013 und die SCIM-Auswertung allesamt
einheitlich von einer - abgesehen von einem leicht erhöhten Zeit- und
Energieaufwand - grundsätzlich uneingeschränkten Selbstständigkeit im
Lebensverrichtungsbereich des Essens, auch wenn der Versicherte beim
Zerkleinern der Speisen auf ein Messer mit einem kantigen Griff angewiesen ist.
Dass diese übereinstimmenden Abklärungsergebnisse auf rechtsfehlerhaften
Sachverhaltsermittlungen basieren oder tatsachenwidrige Angaben enthalten,
macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist nicht ersichtlich. Auf diese
ursprünglichen Ermittlungsergebnisse, welche zumindest zum Teil auf den
unbefangenen, noch nicht von nachträglichen sozialversicherungsrechtlichen
Überlegungen beeinflussten Angaben des Versicherten beruhen, ist nach der
Beweismaxime der Aussage der ersten Stunde (BGE 121 V 45 E. 2a S. 47; SVR 2008
UV Nr. 12 S. 38, U 71/07 E. 4.1) abzustellen. Demnach bleibt es bei der
vorinstanzlichen Verneinung einer Hilfsbedürftigkeit hinsichtlich der
Lebensverrichtung des Essens.

5.3. Betreffend die Verrichtung der Notdurft hat das kantonale Gericht unter
Berufung auf die Praxis (vgl. insbesondere das Urteil 9C_604/2013 vom 6.
Dezember 2013 E. 5 mit Hinweisen) nachvollziehbar und überzeugend dargelegt,
weshalb mit Blick auf die konkret zu beurteilenden Verhältnisse verschiedene
Gründe gegen die Annahme einer Hilflosigkeit in diesem
Lebensverrichtungsbereich sprechen. Obwohl die Vorinstanz die Frage letztlich
offen lassen konnte, weil ohnehin - selbst bei Bejahung der Hilfsbedürftigkeit
in Bezug auf die Notdurft - insgesamt keine Hilflosigkeit mindestens mittleren
Grades resultierte, ist eine Hilflosigkeit im Bereich der Notdurft nach
Aktenlage klar zu verneinen. Es ist auf die Begründung der vorangehenden
Erwägung 5.2 zu verweisen, welche in analoger Weise auch hinsichtlich der
strittigen Hilfsbedürftigkeit im hier zu beurteilenden
Lebensverrichtungsbereich zutrifft. Denn auch hier stehen die erst nach
Verfügungserlass von Seiten des Beschwerdeführers erstmals erhobenen Einwände
im Widerspruch zur klaren Aktenlage. Vermag eine blosse Erschwerung oder
verlangsamte Vornahme von Lebensverrichtungen nicht bereits eine Hilflosigkeit
zu begründen (ZAK 1986 S. 481, I 25/85 E. 2b), so bleibt es dabei, dass der
Versicherte auch unter Berücksichtigung seiner Einschränkungen bei Verrichtung
der Notdurft aktenkundig nicht in regelmässiger und erheblicher Weise auf Hilfe
Dritter angewiesen ist.

5.4. Steht demnach zusammenfassend fest, dass der Beschwerdeführer nur - aber
immerhin - in drei alltäglichen Lebensverrichtungen (vgl. E. 4 und 5.1 hievor)
hilfsbedürftig ist, so hat das kantonale Gericht mit angefochtenem Entscheid
basierend auf der einschlägigen Rechtsprechung (vgl. BGE 107 V 145 E. 2c S.
152; Urteil U 595/06 vom 19. Juni 2007 E. 3; Rz. 8009 des vom Bundesamt für
Sozialversicherungen herausgegebenen Kreisschreibens über Invalidität und
Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung [KSIH]) zutreffend auf eine
Hilflosigkeit leichten Grades geschlossen. Zudem ist nicht zu beanstanden, dass
Verwaltung und Vorinstanz unter den gegebenen Umständen in zulässiger
antizipierter Beweiswürdigung (BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236; 134 I 140 E. 5.3 S.
148; 124 V 90 E. 4b S. 94) auf weitere Abklärungen verzichtet haben. Demzufolge
hat das kantonale Gericht im Ergebnis zu Recht die von der SUVA am 19. Juli
2013 verfügte und mit Einspracheentscheid vom 13. September 2013 bestätigte
Hilflosenentschädigung geschützt. Die Beschwerde ist demnach unbegründet und
daher abzuweisen.

6. 
Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1,
Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 19. März 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Ursprung

Der Gerichtsschreiber: Hochuli

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