Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.671/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_671/2014

Urteil vom 19. März 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Frésard, Maillard,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Verfahrensbeteiligte
A.________, vertreten durch Advokat Stephan Müller,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Basel-Stadt vom 10. Juni 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________ ist seit 2011 geschieden und Mutter einer 2006 geborenen Tochter.
Sie ist gelernte Fotolaborantin und war vom 2. Mai 2000 bis 30. April 2010 (bis
Ende September 2008 zu einem vollen Pensum, danach zu einem 50%-Pensum) bei der
B.________ AG angestellt. Unter Hinweis auf eine Depression und eine
Polytoxikomanie meldete sie sich anfangs 2011 bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Gestützt auf das Gutachten des Dr. med. C.________, Facharzt
für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 16. Mai 2013, den Abklärungsbericht
Haushalt vom 2. November 2011 sowie die Abklärungsergebnisse der BEFAS sprach
ihr die IV-Stelle des Kantons Basel-Stadt mit Verfügung vom 3. Januar 2014 von
September 2011 bis Juli 2012 eine ganze Invalidenrente zu und lehnte einen
weitergehenden Rentenanspruch ab.

B. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt wies die dagegen
erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 10. Juni 2014 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die Sache
an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Zudem ersucht sie um unentgeltliche
Rechtspflege.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist
die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht
eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich
nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen,
wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die
Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur
insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und
begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

1.2. Die auf Grund medizinischer Untersuchungen gerichtlich festgestellte
Arbeitsfähigkeit betrifft eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397).
Rechtsfragen sind die unvollständige Feststellung rechtserheblicher Tatsachen
sowie die Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1, Art. 61
lit. c ATSG) und der Anforderungen an den Beweiswert von Arztberichten (BGE 134
V 231 E. 5.1 S. 232). Die konkrete Beweiswürdigung ist Tatfrage (in BGE 135 V
254 nicht publ. E. 4.1, vgl. jedoch SVR 2009 IV Nr. 53 S. 164 [9C_204/2009];
Urteil 8C_648/2011 vom 19. Dezember 2011 E. 1.3). Sachverhaltsfeststellungen im
Rahmen der genannten Tatfragen kann das Bundesgericht nur berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig sind oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105
Abs. 2 BGG). Somit steht dem vorinstanzlichen Sachgericht im Bereich der
Beweiswürdigung ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Unter dem Titel der
offensichtlichen Unrichtigkeit greift das Bundesgericht auf Beschwerde hin nur
ein, wenn die Vorinstanz diesen Ermessensspielraum verlässt, insbesondere
offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche Beweise übersieht oder
willkürlich ausser Acht lässt (BGE 137 I 1 E. 2.4 S. 5; Urteil 9C_140/2014 vom
7. Januar 2015 E. 3.2).

2. 
Die Vorinstanz hat die massgebenden Bestimmungen und Grundsätze über den
Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 2 IVG), die Ermittlung des
Invaliditätsgrades im Rahmen der gemischten Methode (Art. 16 ATSG; Art. 28a
Abs. 3 IVG; BGE 130 V 97) und die grundsätzlich zulässige antizipierte
Beweiswürdigung (BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236; 124 V 90 E. 4b S. 94) zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3. 
Die Anwendung der gemischten Methode zur Ermittlung des Invaliditätsgrades und
die dabei zugrunde gelegte Aufteilung in 70 % Erwerbs- und 30 % Hausarbeit
werden von der Versicherten nicht in Frage gestellt. Hingegen rügt sie den
Beweiswert des psychiatrischen Gutachtens des Dr. med. C.________ vom 16. Mai
2013, die Verletzung ihres rechtlichen Gehörs durch die Vorinstanz sowie die
Berücksichtigung einer mindestens 40 % Arbeitsfähigkeit durch die Vorinstanz
als willkürlich.

4.

4.1. Die Vorinstanz hat gestützt auf das Gutachten des Dr. med. C.________ vom
16. Mai 2013 sowie die (beruflichen) Abklärungsberichte vom 2. November 2011
und vom 19. Juli 2012 resp. 5. September 2013 in für das Bundesgericht
verbindlicher Weise festgestellt, dass der Versicherten eine leichte Tätigkeit
im Rahmen einer Beschäftigung von mindestens 40 % zumutbar sei, weshalb unter
Berücksichtigung der Aufteilung in 70 % Erwerbsarbeit und 30 %
Haushaltstätigkeit kein rentenbegründender Invaliditätsgrad resultiere.

4.2. Was die Versicherte dagegen vorbringt (E. 3), vermag zu keinem anderen
Ergebnis zu führen:

4.2.1. Einerseits muss sich das kantonale Gericht - entgegen der Ansicht der
Versicherten - nicht mit jedem einzelnen Einwand einlässlich auseinandersetzen
und diesen ausdrücklich widerlegen, sondern es reicht aus, wenn es die
wesentlichen Punkte prüft und in seiner Begründung wenigstens kurz die
Überlegungen nennt, von denen es sich hat leiten lassen (BGE 136 I 184 E. 2.2.1
S. 188, 229 E. 5.2 S. 236). Diese Anforderungen erfüllt der vorinstanzliche
Entscheid, das rechtliche Gehör der Versicherten (Art. 29 Abs. 2 BV) ist nicht
verletzt.

4.2.2. Andererseits liegt auch keine unvollständige Abklärung im Sinne einer
Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1 resp. Art. 61 lit. c
ATSG) vor, indem gewisse biografische Umstände bei der Beurteilung des
psychiatrischen Gutachters nicht bekannt waren; denn nicht nur muss der
Gutachter sich darauf verlassen können, dass die versicherte Person und die
behandelnden Ärzte die ihnen bekannten und massgeblichen Umstände mitteilen und
diese somit in den Akten ihren Niederschlag gefunden haben (vgl. diesbezüglich
die Anforderungen an ärztliche Berichte: BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351
E. 3a S. 352), sondern es ist die Versicherte auch an ihre Mitwirkungspflicht
(Art. 28 ATSG) zu erinnern. Gerade im Rahmen psychiatrischer Abklärungen, bei
welchen der persönlichen Lebensgeschichte eine besondere Bedeutung zukommt,
darf erwartet werden, dass die versicherte Person die wichtigen
Lebensereignisse offen legt. Wenn es weitere biografische Umstände gibt, auf
welche weder die Versicherte im Rahmen der Exploration hingewiesen hat noch
sich in den Akten ein Hinweis darauf findet - nicht einmal in den Unterlagen
der behandelnden Institutionen, die im Nachhinein die Bedeutung dieser Umstände
betonen, sie aber selbst nie so wichtig erachteten, um sie auch nur ansatzweise
in ihren Berichten zu erwähnen - so liegt in deren Nichtberücksichtigung keine
Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes.

4.2.3. Was die von den Kliniken E.________ in ihrem Schreiben vom 27. September
2013 erwähnte Diagnose einer Borderline-Störung betrifft, vermag dies ebenfalls
nichts an der Massgeblichkeit des psychiatrischen Gutachtens zu ändern. Denn
einerseits erwähnt Dr. med. C.________ in seinem Gutachten explizit die von
einem Allgemeinmediziner im März 2011 erstmals gestellte und nicht weiter
begründete Diagnose der Borderline-Störung. Mit der Diagnose einer emotional
instabilen Persönlichkeit (ICD-10: F 60.3) fällt seine Beurteilung auch nicht
wesentlich anders aus als jene der Kliniken E.________ in ihrem Bericht vom 14.
Juni 2012, die dort ihrerseits erstmals die Diagnose einer emotional instabilen
Persönlichkeitsstörung (Borderline Typ; ICD-10: F 60.31) aufführt, wohingegen
die Klinik F.________, wo die Versicherte mehrfach stationär behandelt wurde,
in keinem ihrer Berichte eine Borderline-Störung auch nur in Betracht zieht.
Andererseits ist die medizinische Meinungsäusserung durch die Kliniken
E.________ vom 27. September 2013 nicht überzeugend; denn bei diesem Schreiben
handelt es sich um die Stellungnahme gegen den Vorbescheid der IV-Stelle vom 2.
Juli 2013, so dass ihm nicht der Beweiswert eines ärztlichen Berichts zukommt,
sondern als rechtliche Eingabe und Parteinahme zugunsten der Versicherten
anzusehen ist. Deshalb ist ihm eine objektive Einschätzung der medizinischen
Umstände abzusprechen (vgl. zu rechtlichen Äusserungen in medizinischen
Berichten etwa SVR 2009 UV Nr. 31 S. 109 E. 6.2, 8C_552/2008, Urteil 8C_648/
2011 vom 19. Dezember 2011 E. 3 oder bereits AHI 2000 S. 149 E. 2c S. 152 mit
Hinweisen), zumal es sich dabei um die Beurteilung der behandelnden Ärzte
handelt (vgl. BGE 125 V 351 E. 3b/cc S. 353).

4.2.4. Infolge des in der Invalidenversicherung abgestuften Rentenanspruchs
(vgl. Art. 28 Abs. 2 IVG) ist nur hinsichtlich der Eckwerte eine genaue
Abklärung des Invaliditätsgrades verlangt (Meyer/Reichmuth, Bundesgesetz über
die Invalidenversicherung [IVG], 3. Aufl. 2014, N. 45 zu Art. 28 IVG). Insofern
genügt es, wenn die ärztlichen Angaben hinreichend bestimmt sind, um einen
Anspruch auf eine Invalidenrente festlegen oder mangels rentenbegründendem
Invaliditätsgrad ausschliessen zu können. Nach dem Gesagten ist es nicht
willkürlich, wenn die Vorinstanz gestützt auf die Einschätzung des
psychiatrischen Gutachters, welcher von einer zumutbaren Arbeitsfähigkeit von
70 % ausging, aber auch gewisse Unsicherheiten bei deren Festsetzung einräumte,
und die verschiedenen Berichte der beruflichen Abklärung, welche zu Beginn eine
gute Bewältigung des 70%-Pensums attestierten, im Schlussbericht zwar
Schwierigkeiten bezüglich der Pünktlichkeit festhielten, jedoch den 70%-igen
Einsatz verteilt auf vier Tage nicht in Frage stellten, festgestellt hat, dass
der Versicherten jedenfalls eine Arbeitsfähigkeit von mindestens 40 % zumutbar
ist. Demnach resultiert unter Berücksichtigung der übrigen - nicht bestrittenen
- Elemente (Aufteilung in Erwerbs- und Haushaltstätigkeit; Valideneinkommen)
ein Invaliditätsgrad von unter 40 % und damit kein rentenbegründender
Invaliditätsgrad (vgl. zur Aufgabenteilung von rechtsanwendender Stelle und der
beteiligten Arztpersonen bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit BGE 140 V 193
sowie zur Kognition des Bundesgerichts bei Tatfragen E. 1.2).

5. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten von der
Beschwerdeführerin als unterliegender Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Ihr ist indessen die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren (Art. 64 BGG),
weil die Bedürftigkeit aktenkundig und die Beschwerde nicht als aussichtslos zu
bezeichnen ist sowie die anwaltliche Vertretung geboten war. Es ist jedoch auf
Art. 64 Abs. 4 BGG hinzuweisen, wonach der Gerichtskasse Ersatz zu leisten sein
wird, wenn dies später möglich sein sollte.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Advokat
Stephan Müller wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin wird aus der Gerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 19. März 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Ursprung

Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold

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