Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.597/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
8C_597/2014 {T 0/2}     

Urteil vom 6. Oktober 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard,
Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Viktor Peter,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Luzern,
Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 11. Juni 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1957, arbeitete seit 1990 und bis heute als Betontrenner
bei der Firma B.________ AG. Ab dem 1. November 1998 bezog er wegen
Rückenbeschwerden eine halbe Invalidenrente. Der Anspruch wurde mehrfach
bestätigt. Mit Verfügung vom 21. Mai 2013 hob die IV-Stelle Luzern die Rente
wiedererwägungsweise auf.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern mit Entscheid
vom 11. Juni 2014 ab.

C. 
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei ihm die bis
anhin ausgerichtete halbe Invalidenrente zuzusprechen, eventualiter sei die
Sache zu weiteren Abklärungen an die IV-Stelle zurückzuweisen.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.

D. 
Das Bundesgericht hat am 6. Oktober 2015 eine öffentliche Beratung
durchgeführt.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels
für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art.
105 Abs. 2 BGG). Es wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG)
und ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente
noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 134 I 65 E. 1.3 S. 67 f.,
134 V 250 E. 1.2 S. 252, je mit Hinweisen). Unter Berücksichtigung der
Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) prüft es indessen nur die geltend
gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich
sind, und ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle
sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr aufgegriffen werden (BGE 134 I 313 E. 2 S. 315, 65 E. 1.3 S. 67 f.,
je mit Hinweisen).

2. 
Nach den vorinstanzlichen Feststellungen hat die IV-Stelle bei der
ursprünglichen Rentenzusprechung vom 6. September 2000 zu Unrecht
unberücksichtigt gelassen, dass der Hausarzt Dr. med. C.________ für zumutbare
Verweistätigkeiten eine volle Arbeitsfähigkeit bescheinigt hatte. Darauf wäre
abzustellen gewesen, und mit einer solchen Tätigkeit hätte der Beschwerdeführer
ein rentenausschliessendes Erwerbseinkommen erzielen können. Die Verfügung vom
6. September 2000 sei daher zweifellos unrichtig gewesen (Art. 53 Abs. 2 ATSG).
Dem ist beizupflichten. Nach der Rechtsprechung hätte dem Beschwerdeführer auf
Seiten des Invalideneinkommens ein Tabellenlohn nach der vom Bundesamt für
Statistik herausgegebenen Lohnstrukturerhebung (LSE) angerechnet werden müssen,
weil er die ihm verbleibende Arbeitsfähigkeit an seinem angestammten
Arbeitsplatz, wo er weiter beschäftigt war, nicht voll ausgeschöpft hat (BGE
129 V 472 E. 4.2.1 S. 475; BGE 126 V 75 E. 3b S. 76 f.; RKUV 1999 Nr. U 343 S.
412. E. 4b/aa). Es kann im Übrigen auf die Erwägungen des kantonalen Gerichts
verwiesen werden. Insbesondere werden die vorinstanzlichen Ausführungen zu den
erwerblichen Auswirkungen im Einzelnen nicht beanstandet und geben keinen
Anlass zu Weiterungen.

3. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die anderweitige Verwertbarkeit der
unverändert bescheinigten vollen Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten
Tätigkeit nicht geprüft worden sei.

3.1. Der 1957 geborene Beschwerdeführer hat zu dem dafür massgeblichen
Zeitpunkt der rentenaufhebenden Verfügung vom 21. Mai 2013 sein 55. Altersjahr
bereits zurückgelegt und bezog seit vierzehneinhalb Jahren eine Rente (BGE 141
V 5). Dies schliesst eine Rentenaufhebung zwar nicht gänzlich aus, sofern sie
nicht auf der Rechtsgrundlage der 6. IV-Revision erfolgt ist (lit. a Abs. 1 und
Abs. 4 der Schlussbestimmungen der Änderung des IVG vom 18. März 2011 zur
Überprüfung von Renten, die bei pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen
Beschwerdebildern ohne nachweisbare organische Grundlage gesprochen wurden,
erstes Massnahmenpaket, AS 2011 5659, in Kraft getreten am 1. Januar 2012). Dem
steht jedoch seine Berufung darauf entgegen, dass die vom Hausarzt seit jeher
attestierte volle Arbeitsfähigkeit in einer Verweistätigkeit ausnahmsweise
nicht auf dem Weg der Selbsteingliederung verwertbar und der
Eingliederungsbedarf zu Unrecht nicht abgeklärt worden sei (Urteil 8C_818/2013
vom 6. Juni 2014 E. 5).

3.2. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine medizinisch attestierte
Verbesserung der Arbeitsfähigkeit grundsätzlich auf dem Weg der
Selbsteingliederung verwertbar. Aus einer medizinisch attestierten Verbesserung
der Arbeitsfähigkeit kann unmittelbar auf eine Verbesserung der
Erwerbsfähigkeit geschlossen und damit ein entsprechender Einkommensvergleich
(mit dem Ergebnis eines tieferen Invaliditätsgrades) vorgenommen werden. Es
können im Einzelfall jedoch Erfordernisse des Arbeitsmarktes der Anrechnung
einer medizinisch vorhandenen Leistungsfähigkeit und medizinisch möglichen
Leistungsentfaltung entgegenstehen, wenn aus den Akten einwandfrei hervorgeht,
dass die Verwertung eines bestimmten Leistungspotentials ohne vorgängige
Durchführung befähigender Massnahmen allein vermittels Eigenanstrengung der
versicherten Person nicht möglich ist. Die Verwaltung muss sich vor der
Herabsetzung oder Aufhebung einer Invalidenrente vergewissern, ob sich ein
medizinisch-theoretisch wiedergewonnenes Leistungsvermögen ohne Weiteres in
einem entsprechend tieferen Invaliditätsgrad niederschlägt oder ob dafür -
ausnahmsweise - im Einzelfall eine erwerbsbezogene Abklärung (der Eignung,
Belastungsfähigkeit usw.) und/oder die Durchführung von
Eingliederungsmassnahmen im Rechtssinne vorausgesetzt ist. Insbesondere wenn
bisher schon eine erhebliche Restarbeitsfähigkeit bestand, zieht der
anspruchserhebliche Zugewinn an Leistungsfähigkeit jedoch kaum zusätzlichen
Eingliederungsbedarf nach sich (Urteil 9C_768/2009 vom 10. September 2010 E.
4.1, SZS 2012 S. 360 f.; SVR 2011 IV Nr. 30 S. 86, 9C_163/2009 E. 4.1 und
4.2.2). Diese Rechtsprechung findet Anwendung sowohl bei einer revisions- als
auch bei der wiedererwägungsweisen Herabsetzung oder Aufhebung der
Invalidenrente, jedoch nur bei versicherten Personen, welche das 55. Altersjahr
zurückgelegt oder die Rente seit mehr als 15 Jahren bezogen haben (SVR 2011 IV
Nr. 73 S. 220, 9C_228/2010 E. 3.3-3.5; Urteil 9C_920/2013 vom 20. Mai 2014 E.
4.4).
Im Einzelfall als unzumutbar erachtet hat das Bundesgericht die
Selbsteingliederung insbesondere bei über 20-jährigem Rentenbezug (Urteile
9C_768/2009 vom 10. September 2010 E. 4; 9C_675/2010 vom 30. November 2010 E.
5.3 und 5.4; 8C_338/2012 vom 28. August 2012 E. 4.2.2; 9C_178/2014 vom 29. Juli
2014 E. 7.2; 9C_68/2015 vom 24. April 2015 E. 5.1) beziehungsweise langer
Abwesenheit vom Arbeitsmarkt (Urteile 8C_338/2012 vom 28. August 2012 E. 4.2.2;
9C_920/2013 vom 20. Mai 2014 E. 4.5; 9C_178/2014 vom 29. Juli 2014 E. 7.2; BGE
141 V 5 E. 4.2.2 S. 8). Umgekehrt hingegen wurde die Zumutbarkeit einer
Selbsteingliederung namentlich dann angenommen, wenn die versicherte Person
trotz Rentenbezuges regelmässig gearbeitet hatte und daher auch keine
arbeitsmarktliche Desintegration bestand (Urteile 9C_315/2011 vom 30. Mai 2011
E. 3.3 i.f.; 8C_586/2014 vom 22. Dezember 2014 E. 8.2; 9C_661/2014 vom 17.
September 2015 E. 3.4; vgl. auch Urteile 9C_68/2011 vom 16. Mai 2011 E. 3.3
i.f.; 8C_39/2012 vom 24. April 2012 E. 5.2).

3.3. Im vorliegenden Fall ist entscheidwesentlich, dass der Versicherte nach
Eintritt des Gesundheitsschadens (wenn auch mit eingeschränkter
Leistungsfähigkeit) weiterhin am angestammten Arbeitsplatz vollzeitlich einer
Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Es bestand nie eine Abwesenheit vom
Arbeitsmarkt, welche in diesem Zusammenhang zu beachten wäre, und es ist
deshalb auch keine Desintegration eingetreten. Diese Umstände vermögen keine
Anhaltspunkte dafür zu begründen, dass ausnahmsweise ein Eingliederungsbedarf
bestünde. Auszugehen ist hier vielmehr vom Regelfall, dass die bescheinigte
volle Arbeitsfähigkeit (in einer leidensangepassten Tätigkeit) auf dem Weg der
Selbsteingliederung verwertbar ist.

4. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem
unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern und dem Bundesamt
für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 6. Oktober 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo

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