Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.560/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_560/2014

Urteil vom 1. April 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Frésard, Maillard,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.

Verfahrensbeteiligte
Generali Allgemeine Versicherungen AG,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Pierre Heusser,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 9. Juli 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________ arbeitete seit Oktober 2007 als Servicemitarbeiterin bei der
Landgasthof B.________ AG und war damit bei der Generali Allgemeine
Versicherungen AG (nachfolgend: Generali) obligatorisch unter anderem gegen die
Folgen von Unfällen versichert. Am 3. August 2011 erstattete die Arbeitgeberin
eine Unfallmeldung. Gemäss Bericht des Hausarztes, Dr. med. C.________ vom 31.
August 2011 leide A.________ an einer reaktiven Depression nach einem sexuellen
Übergriff am 28. Juli 2011. Nach weiteren Abklärungen, insbesondere durch
Beizug der Akten der Kantonspolizei, des Institutes für Rechtsmedizin der
Universität F.________ (Gutachten vom 20. November 2011) und verschiedener
ärztlicher Zeugnisse, eröffnete die Generali der Versicherten mittels Verfügung
vom 2. April 2012, es würden keine Leistungen erbracht, da der Nachweis eines
Unfallereignisses nicht gelinge. Daran hielt die Unfallversicherung auch auf
Einsprache hin fest (Entscheid vom 11. Dezember 2012).

B. 
Die hiegegen geführte Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich in dem Sinne gut, als es den Einspracheentscheid aufhob und die
Generali dazu verpflichtete, für die Folgen des Unfalls vom 28./29. Juli 2011
Leistungen zu erbringen, falls die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt
seien.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten stellt die Generali
den Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und der
Einspracheentscheid vom 11. Dezember 2012 zu bestätigen. Eventualiter sei die
Angelegenheit zu weiteren Abklärungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.

 Während die Beschwerdegegnerin auf Abweisung der Beschwerde schliesst, soweit
darauf einzutreten sei, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine
Vernehmlassung.

D. 
Mit Verfügung vom 30. Oktober 2014 hat der Instruktionsrichter der Beschwerde
die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Erwägungen:

1. 
Dispositiv-Ziffer 1 des angefochtenen Entscheides weist die Sache unter
Aufhebung des Einspracheentscheides sinngemäss zur Prüfung weiterer
Anspruchsvoraussetzungen an die Generali zurück, während das Ereignis vom 28./
29. Juli 2011 als genügend bewiesen und als Unfall qualifiziert wurde. Formell
handelt es sich demnach um einen Rückweisungsentscheid. Dient die Rückweisung -
wie hier - nur noch der Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten und
verbleibt der unteren Instanz somit kein Entscheidungsspielraum mehr, handelt
es sich materiell nicht, wie bei Rückweisungsentscheiden sonst grundsätzlich
der Fall, um einen Zwischenentscheid, der bloss unter den Voraussetzungen der
Art. 92 oder 93 BGG beim Bundesgericht anfechtbar wäre, sondern um einen
Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG (BGE 135 V 141 E. 1.1 S. 143). Auf die
Beschwerde ist daher einzutreten (Art. 90 BGG).

2.

2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132
II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das
Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der
Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten
Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist
jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich
stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

2.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

3.

3.1. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als
erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG; zur
Geltung dieses Grundsatzes im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder
Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung: BGE 135 V
194 E. 3.4 S. 199 f.).

3.2. Die Beschwerdegegnerin reicht verschiedene neue Akten ein, die vor Erlass
des angefochtenen Entscheides verfasst wurden. Hierzu ist festzuhalten, dass
neue Tatsachen und Beweismittel auch im Rahmen von Art. 105 Abs. 3 BGG nur
soweit vorgebracht werden dürfen, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu
Anlass gibt, was von der die Akten einreichenden Partei näher darzulegen ist
(Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 135 V 194 E. 2 f. S. 196 ff.; nicht publ. E. 1.2 des
Urteils BGE 9C_224/2014 vom 19. September 2014, in SVR 2014 AHV Nr. 12 S. 43).
Dies wird seitens der Beschwerdegegnerin nicht geltend gemacht, weshalb sich
die Einreichung neuer Unterlagen als unzulässig erweist.

4. 
Streitig ist, ob die Vorinstanz den Sachverhalt zu Recht als genügend abgeklärt
und den Geschehensablauf als mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gesichert
erachtet hat.

4.1. Im angefochtenen Entscheid wird ausgeführt, die Versicherte habe am 1.
August 2011 die gynäkologische Notfallstation des Universitätsspitals
F.________ aufgesucht und geschildert, sie sei in der Nacht vom 28. auf den 29.
Juli 2011 an einem Ferienort in der Türkei von zwei Tätern sexuell missbraucht
worden. Gemäss rechtsmedizinischem Gutachten vom 20. November 2011 könne aus
forensisch-gynäkologischer Sicht der zur Diskussion stehende sexuelle Übergriff
weder be- noch widerlegt werden. Hingegen gehe aus dem gesamten chronologischen
Ablauf der Ereignisse und den aktenkundigen Arztberichten hervor, die
Beschwerdegegnerin habe unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus den Ferien Ende
Juli 2011 Hilfe wegen erlittener sexueller Gewalt in Anspruch genommen, wobei
sich ihr psychischer Zustand im weiteren Verlauf zunehmend verschlechtert habe,
sodass schliesslich eine vier Monate dauernde stationäre psychiatrische
Hospitalisation notwendig geworden sei. Sämtliche Schilderungen des in der
Nacht vom 28. zum 29. Juli 2011 Vorgefallenen seien widerspruchsfrei und
kohärent. Insgesamt würden die mehrheitlich von Drittpersonen aufgezeichneten
Schilderungen der Versicherten über den Vorfall bemerkenswerte Gemeinsamkeiten
aufweisen. Aus dem Umstand, dass diese nach dem Vorfall am frühen Morgen ihres
Abreisetages weder die türkische Polizei alarmierte noch am Ferienort einen
Arzt aufgesucht habe, könne nicht geschlossen werden, dass das Ereignis nicht
stattfand. Insgesamt erscheine es als überwiegend wahrscheinlich, dass die
Beschwerdegegnerin an ihrem Ferienort in der Türkei am frühen Morgen vor der
Heimreise am 28./29. Juli 2011 Opfer von sexueller Gewalt geworden sei. Es habe
sich um ein aussergewöhnliches Schreckereignis und damit um einen Unfall im
Rechtssinne gehandelt.

4.2. Die Beschwerdeführerin rügt die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung.
Insbesondere stütze sich diese wesentlich auf die Angaben medizinischer
Fachpersonen. Solche könnten jedoch selten den mangelnden Nachweis eines
Unfalles ersetzen. Hingegen habe keine Befragung der beteiligten
angeschuldigten Personen stattgefunden, was unbedingt erforderlich gewesen
wäre. Das kantonale Gericht habe die Offizialmaxime verletzt, weil sie die zwei
beschuldigten Männer nicht angehört habe und damit lediglich auf die Aussagen
von Drittpersonen abgestellt, die Direktbeteiligten jedoch nicht befragt habe.
Zudem würden Widersprüche der Beschwerdegegnerin hinsichtlich des Hergangs
vorliegen, weshalb aus rechtlicher Sicht von einem unbewiesenen Sachverhalt
auszugehen sei. Weiter vertritt sie die Ansicht, es spreche nicht für eine
stattgefundene Vergewaltigung, dass die Versicherte am Ferienort weder die
Polizei noch einen Arzt aufgesucht habe. Das kantonale Gericht habe die
vorhandenen Sachverhaltselemente einseitig gewürdigt und nicht umfassend
ermittelt, weshalb sie Recht verletzt habe.

5.

5.1. Wie in der Beschwerde angeführt, finden sich in den Schilderungen der
Versicherten über die Geschehnisse der Nacht vom 28. auf den 29. Juli 2011 in
Details zwar gewisse Widersprüchlichkeiten. Indessen hat das kantonale Gericht
zu Recht festgestellt, dass die wesentlichen Elemente des Ereignisses in
sämtlichen, vorwiegend von Drittpersonen aufgezeichneten Schilderungen
widerspruchsfrei und kohärent erfolgten. Die Beschwerdeführerin legt nicht dar,
inwiefern die von ihr geschilderten Widersprüchlichkeiten relevant für die
Frage sind, ob die Versicherte tatsächlich sexuelle Gewalt in der von ihr
konsistent geschilderten Weise erlebt hat. Insbesondere kann aus dem Umstand,
dass gemäss gutachterlicher Stellungnahme des Instituts für Rechtsmedizin der
Universität F.________ vom 20. November 2011 ein Übergriff
forensisch-gynäkologisch weder be- noch widerlegt werden konnte, nicht
geschlossen werden, ein solcher sei nicht mittels anderer Beweismittel für die
Belange der Sozialversicherung hinreichend zu belegen. Die Vorinstanz durfte
aufgrund der vorhandenen Akten den geschilderten Hergang als mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit der Wirklichkeit entsprechend qualifizieren. Insbesondere
durfte sie auch davon absehen, die im Ausland wohnhaften der Tat bezichtigten
Männer einzuvernehmen oder einvernehmen zu lassen. Es gibt keinen Anlass
anzunehmen, dass diese zur Erhellung des Geschehens beigetragen hätten, weshalb
in antizipierter Beweiswürdigung, ohne Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes
(BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236; 134 I 140 E. 5.3 S. 148; 124 V 90 E. 4b S. 94)
von einer entsprechenden Beweismassnahme abgesehen werden konnte. Davon ging
selbst die Beschwerdeführerin in ihrer Verfügung vom 2. April 2012 aus. Sie
begründet nicht, weshalb sie eine solche nunmehr für unabdingbar hält.

Die Vorinstanz durfte insbesondere angesichts des Zeugnisses verschiedener
Ärzte, welche die wesentliche Sachverhaltsdarstellung der Beschwerdegegnerin
als "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" als der Wirklichkeit
entsprechend geschildert haben (Dr. med. C.________, Facharzt FMH für
allgemeine Medizin, Bericht vom 7. Mai 2012; Dr. med. D.________, Fachärztin
FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, im Bericht vom 18. Mai 2012 und Dr.
med. E.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH und Dr. phil.
G.________, klinischer Psychologe und Supervisor vom medizinischen Zentrum
H.________, im Bericht vom 23. Mai 2012), davon ausgehen, dass mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt ist, dass die Beschwerdegegnerin an
ihrem Ferienort in der Türkei in der Nacht vom 28. auf den 29. Juli 2011 Opfer
von sexueller Gewalt geworden ist.

5.2. Der Natur der Sache gemäss trägt die vorinstanzliche Beweiswürdigung auch
gewisse Ermessenselemente. Selbst die Beschwerdeführerin legt indessen nicht
dar, diese sei rechtsverletzend oder willkürlich ausgeübt worden. Es gibt auch
letztinstanzlich keinen Anlass, in das vorinstanzliche Ermessen einzugreifen,
zumal das kantonale Gericht seine Sachverhaltsfeststellung überzeugend
begründete und es in den Akten entgegen den Vorbringen der Generali keine
Anhaltspunkte dafür gibt, dass sich das Geschehen in der erwähnten Nacht anders
als von der Versicherten wiederholt und konsistent geschildert abgespielt
hätte. Damit kann der Sachverhalt als erstellt gelten.

5.3. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass der nunmehr festgestellte
Sachverhalt als Unfall im Rechtssinne zu qualifizieren ist, weshalb diese Frage
letztinstanzlich auch nicht zu überprüfen ist (E. 2.1). Die Beschwerde ist
unbegründet.

6. 
Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Unfallversicherung aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat der
Beschwerdegegnerin überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs.
1 und 2 BGG; vgl. auch BGE 135 V 473).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 1. April 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer

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