Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.538/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_538/2014

Urteil vom 6. Februar 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Advokat Dr. Peter Bohny,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Leistungskürzung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Basel-Stadt vom 9. April 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________, ein im Jahre 1968 im heutigen Bosnien-Herzegowina geborener
kroatischer Staatsangehöriger reiste im Jahre 1997 in die Schweiz ein und war
vom 1. April 2000 bis zum 31. Juli 2008 als Hilfsmechaniker bei der Firma
B.________ AG in C.________ angestellt. Am 18. Dezember 2007 meldete er sich
wegen psychischen Problemen bei der Invalidenversicherung zu beruflichen
Massnahmen und zum Rentenbezug an. Die IV-Stelle Basel-Stadt führte erwerbliche
und medizinische Abklärungen durch. Namentlich veranlasste sie bei Dr. med.
D.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, und bei Dr. med.
E.________, Facharzt für Rheumatologie FMH, je eine Begutachtung (Expertisen
vom 27. Dezember 2008 und vom 10. Dezember 2008). In körperlicher Hinsicht
wurden persistierende belastungsabhängige Knieschmerzen beidseits nach
verschiedenen Knieoperationen, unspezifische Rückenschmerzen und ein Status
nach einer Granatsplitterverletzung mit Teilresektion der linken Lunge, welche
der Versicherte als Teilnehmer des Bosnienkrieges im Jahre 1993 erlitten hatte,
diagnostiziert. In einer knieadaptierten Beschäftigung sei die Arbeitsfähigkeit
dadurch nicht eingeschränkt. Der Psychiater stellte die Diagnosen einer
leichtgradigen depressiven Episode, einer posttraumatischen Belastungsstörung
(Differentialdiagnose: andauernde Persönlichkeitsänderung) und eines Status
nach einer schweren depressiven Episode. In der Folge absolvierte A.________
vom April bis Juni 2009 und vom Februar bis August 2010 in der F.________ ein
Aufbautraining. Nach einer Verlaufsbegutachtung bei den Dres. med. D.________
und E.________ (Expertisen vom 21. Juli und 12. August 2010) eröffnete die
IV-Stelle dem Versicherten mit Verfügung vom 20. Oktober 2011, er habe bei
einem ermittelten Invaliditätsgrad von 12,65 % keinen Anspruch auf eine
Invalidenrente.

B. 
Auf die hiegegen erhobene Beschwerde hin liess das Sozialversicherungsgericht
des Kantons Basel-Stadt A.________ durch Prof. Dr. med. G.________, Chefarzt an
der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik am Spital H.________, untersuchen
und begutachten. Es gab den Parteien Gelegenheit, zur Expertise vom 26. August
2013 Stellung zu nehmen, wovon diese Gebrauch machten. Die Einwände des
Regionalen Ärztlichen Dienstes der Invalidenversicherung (RAD) vom 17.
September 2013 legte das Gericht alsdann wiederum dem Gerichtsgutachter vor,
welcher seinerseits dazu Stellung nahm. Das Sozialversicherungsgericht hob mit
Entscheid vom 9. April 2014 die angefochtene Verfügung auf und verpflichtete
die IV-Stelle, dem Versicherten ab 1. September 2008 eine halbe und ab 1. März
2011 eine ganze Invalidenrente auszurichten.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die
IV-Stelle, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben; eventualiter sei die
Sache zur erneuten Abklärung des Sachverhaltes an das kantonale Gericht
zurückzuweisen.

A.________ ersucht um Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen und das Sozialversicherungsgericht lassen sich nicht
vernehmen.

Die IV-Stelle äussert sich im Rahmen des Replikrechts zur Eingabe des
Versicherten und dieser wieder zur Eingabe der IV-Stelle.

D. 
Mit Verfügung vom 9. September 2014 hat der Instruktionsrichter der Beschwerde
die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Erwägungen:

1. 

1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff.
BGG) kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a
BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Artikel 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt
seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es
kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen
oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

1.2. In beweisrechtlicher Hinsicht ist zu ergänzen, dass die Ergebnisse der
Beweiswürdigung im Allgemeinen (vgl. Ulrich Meyer, Basler Kommentar zum
Bundesgerichtsgesetz, 2. Auflage 2014, N. 34a zu Art. 105 BGG; Markus Schott,
Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, a.a.C., N. 29 zu Art. 95 BGG) und
insbesondere die auf der Würdigung ärztlicher Berichte und Gutachten beruhenden
gerichtlichen Feststellungen zum Gesundheitsschaden und zur (Rest-)
Arbeitsfähigkeit (Art. 6 und Art. 16 ATSG) tatsächlicher Natur sind (BGE 132 V
393 E. 3.2 S. 398 f.) und somit einer bundesgerichtlichen Korrektur nur nach
Massgabe des Art. 105 Abs. 2 BGG zugänglich sind (E. 1.1 hievor). Zu den in
dieser Bestimmung erwähnten, frei zu prüfenden Rechtsverletzungen im Sinne von
Art. 95 BGG gehören u.a. die Missachtung der bundesrechtlichen Anforderungen an
den Beweiswert ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232;
125 V 351 E. 3 S. 352 ff. je mit Hinweisen), des Untersuchungsgrundsatzes, der
Pflicht zu inhaltsbezogener, umfassender, sorgfältiger und objektiver
Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG; BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 400) sowie der
Regeln über die antizipierte Beweiswürdigung (dazu im Einzelnen: Urteil 9C_833/
2007 vom 4. Juli 2008 E. 2.2).

2. 

2.1. Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen und die von der
Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Arbeitsunfähigkeit (Art. 6 ATSG),
Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) und Invalidität (Art. 8 ATSG; Art. 4 Abs. 1
IVG) sowie zum Beweiswert medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 135 V 465
E. 4.3 S. 468 ff.) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

2.2. Korrekt dargelegt hat das kantonale Gericht insbesondere auch, dass der
Richter oder die Richterin bei Gerichtsgutachten nach konstanter Praxis nicht
ohne zwingende Gründe von der Einschätzung der medizinischen Experten abweicht,
deren Aufgabe gerade darin besteht, ihre Fachkenntnisse der Gerichtsbarkeit zur
Verfügung zu stellen, um einen bestimmten Sachverhalt medizinisch zu erfassen.
Ein Grund zum Abweichen kann vorliegen, wenn die Gerichtsexpertise
widersprüchlich ist oder wenn ein vom Gericht eingeholtes Obergutachten in
überzeugender Weise zu anderen Schlussfolgerungen gelangt. Abweichende
Beurteilung kann zudem gerechtfertigt sein, wenn gegensätzliche
Meinungsäusserungen anderer Fachexperten dem Richter oder der Richterin als
triftig genug erscheinen, die Schlüssigkeit des Gerichtsgutachtens in Frage zu
stellen, sei es, dass die Überprüfung durch einen Oberexperten für angezeigt
erachtet wird, sei es, dass das Gericht ohne Oberexpertise vom Ergebnis des
Gerichtsgutachtens abweichende Schlussfolgerungen zieht (BGE 125 V 351 E. 3b/aa
S. 352 f.).

3. 
In umfassender Würdigung der medizinischen Akten gelangte die Vorinstanz zum
Schluss, der Beschwerdegegner sei in rein somatischer Hinsicht in seiner
Arbeitsfähigkeit nicht wesentlich eingeschränkt. Das ist unbestritten.
Hinsichtlich des Gerichtsgutachtens des Prof. Dr. med. G.________ vom 26.
August 2013 stellte das kantonale Gericht fest, auf dieses sei abzustellen. Es
beruhe auf umfassenden Untersuchungen und sei in Kenntnis der Vorakten erstellt
worden. Insbesondere setze sich der Gutachter auch gebührend mit weiteren
fachärztlichen Stellungnahmen auseinander. Es seien keine triftigen Gründe
ersichtlich, von den Erkenntnissen und Schlussfolgerungen des
Gerichtsgutachters abzuweichen. Das kantonale Gericht hält den medizinischen
Sachverhalt somit als dahingehend erstellt, als der Versicherte an einer
Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS; ICD-10 F43.1) und/oder an einer
andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD-10 F 62.0) leidet
und aufgrund dessen in seiner Arbeits- und Leistungsfähigkeit zu 100 %
eingeschränkt ist. Dies gilt seit März 2011. Für die Zeit davor bestand eine
50%ige Arbeitsunfähigkeit.

4. 
Die Einwände der Beschwerde führenden IV-Stelle, die sich hauptsächlich gegen
das psychiatrische Gerichtsgutachten richten, vermögen zu keinem anderen
Ergebnis zu führen.

4.1. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe keine triftigen
Gründe gehabt, ein Gerichtsgutachten einzuholen und nicht auf das
Administrativgutachten des Dr. med. D.________ abzustellen, ist sie nicht zu
hören. Das Bundesrecht schreibt nicht vor, wie die einzelnen Beweismittel zu
würdigen sind. Für das Beschwerdeverfahren bedeutet dies, dass das
Sozialversicherungsgericht alle Beweismittel, unabhängig davon, von wem sie
stammen, objektiv zu prüfen und danach zu entscheiden hat, ob die verfügbaren
Unterlagen eine zuverlässige Beurteilung des streitigen Rechtsanspruches
gestatten. Insbesondere darf das Gericht bei einander widersprechenden
medizinischen Berichten den Prozess nicht erledigen, ohne das gesamte
Beweismaterial zu würdigen und die Gründe anzugeben, warum es auf die eine und
nicht auf die andere medizinische These abstellt (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352).
Der Versicherte legte der Beschwerdeführerin bereits im Administrativverfahren
einen Bericht über eine konsiliarische Untersuchung des Dr. med. I.________,
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 9. April 2011 vor, in
welchem sich der Arzt nicht nur zu den eigenen Untersuchungsergebnissen
äusserte, sondern auch die Differenzen zur Begutachtung des Dr. med. D.________
aufzeigte. Dass die Vorinstanz bei dieser Sachlage zur Erkenntnis gelangte, es
bedürfe der Einschätzung eines weiteren medizinischen Experten, welcher seine
Fachkenntnisse der Gerichtsbarkeit zur Verfügung stellt, um den Sachverhalt
medizinisch zu erfassen, ist nicht zu beanstanden. Weiter ist zu beachten, dass
das kantonale Gericht in mustergültiger Art das Gerichtsgutachten vom 26.
August 2013 den Parteien nicht nur zur Stellungnahme unterbreitete, sondern die
von der heutigen Beschwerdeführerin mit dieser eingereichten Einwände des RAD
am Gutachten nochmals dem Experten unterbreitete. Sie durfte auf das
überzeugend vorgetragene Fachwissen des Prof. Dr. med. G.________ abstellen
(BGE a.a.O. E. 3b/aa S. 352 f.).

4.2. Soweit die IV-Stelle das Gutachten vom 26. August 2013, inklusive die
zusätzliche Stellungnahme des Gutachters vom 20. November 2013, sowie die darin
gezogenen Schlussfolgerungen und die gestellten Diagnosen, wie auch die
vorinstanzliche Würdigung dieses Gutachtens rügt, handelt es sich weitgehend um
eine im Rahmen der gesetzlichen Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts (E. 1.2
hievor) unzulässige appellatorische Kritik. Darauf ist nicht weiter einzugehen.

4.2.1. Insbesondere geht es nicht an, die vom Gutachter gestellte Diagnose
eines PTBS letztinstanzlich nur darum in Zweifel zu ziehen, weil diese nach
Ansicht der Beschwerdeführerin mit einer Latenz von mehreren Jahren aufgetreten
sein soll. Im angefochtenen Entscheid wird dargelegt, weshalb die
diesbezüglichen Ausführungen des Experten, welche dieser auch mit Fachliteratur
unterlegte, für das Gericht überzeugend waren. Zwingende Gründe, welche es
rechtsprechungsgemäss erforderten, von einer derart gewonnenen medizinischen
Diagnosestellung abzuweichen (vgl. E. 2.2 hievor), sind nicht ersichtlich. Sie
deckt sich zudem mit allen anderen involvierten behandelnden und begutachtenden
Ärzten. Selbst Dr. med. D.________ stellte die Diagnose eines PTBS.

4.2.2. Weiter rügt die IV-Stelle, das Gutachten vom 26. August 2013 leuchte in
der Darlegung der Zusammenhänge nicht ein, da neben einer PTBS auch eine
andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung diagnostiziert werde.
Diese Diagnosen schlössen sich jedoch gegenseitig aus. Das kantonale Gericht
hat auch diesen Einwand bereits geprüft und dargelegt, dass die Frage, welche
der beiden Diagnosen vorliegend zutreffe, offen gelassen werden könne. Daran,
dass der Versicherte im ehemaligen Jugoslawien traumatische Kriegserfahrungen
gemacht habe, selbst durch einen Granatsplitter an der linken Lunge verletzt
wurde, was eine operative Teilresektion zur Folge hatte, miterleben musste, wie
der Kamerad, der ihm selbst das Leben rettete, getötet wurde, etc., als
Belastung katastrophalen Ausmasses einzuschätzen sei, sei auch gemäss der
übereinstimmenden Auffassung sämtlicher Fachärzte nicht zu zweifeln. Die exakte
Diagnose der psychischen Krankheit sei denn auch grundsätzlich nicht
entscheidend. Vielmehr komme es auf deren Auswirkungen auf die Arbeits- bzw.
Erwerbsfähigkeit der versicherten Person an. Gemäss ICD-10-GM-2014 kann eine
PTBS (F43.1) in wenigen Fällen über viele Jahre einen chronischen Verlauf
nehmen und dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung
(F62.0) übergehen. Es liegt auf der Hand, dass es dabei zu einer Übergangsphase
kommen kann, in welcher die Merkmale beider Diagnosen erfüllt sind. Das ist
gemäss dem als relevant erkannten Gerichtsgutachten der Fall. Die IV-Stelle
zeigt nicht auf, inwiefern die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz, der
Versicherte sei aufgrund seines PTBS respektive einer andauernden
Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung in seiner Arbeits- und
Leistungsfähigkeit zu 100 % eingeschränkt, offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Verletzung von Bundesrecht beruht.

4.2.3. Die Beschwerdeführerin legt Wert auf die diagnostische Differenz
zwischen einem PTBS und einer andauernden Persönlichkeitsänderung, weil erstere
ihres Erachtens ein sogenanntes "pathogenetisch (ätiologisch) unklares
syndromales Beschwerdebild" darstelle, welches eine
invalidenversicherungsrechtlich nicht als relevant geltende Beeinträchtigung
der Erwerbsfähigkeit zur Folge habe, wenn die versicherte Person diese
zumutbarerweise willentlich zu überwinden vermöchte (BGE 130 V 352 E. 2.2.1 S.
353 mit Hinweisen). Da, wie die Vorinstanz verbindlich feststellte, beide
Diagnosen zutreffen, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob
eine PTBS überhaupt zu den genannten Beschwerdebildern zu zählen ist, und
damit, ob an der Rechtsprechung, wie sie unter anderem in Urteil 8C_483/2012
vom 4. Dezember 2012 in E. 4.2 angeführt wurde, festzuhalten ist. Auch die
Beschwerdeführerin geht nicht davon aus, dass eine andauernde
Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F62.0) eine Diagnose darstellt,
auf welche die Rechtsprechung gemäss BGE 130 V 352 Anwendung findet. Damit
musste das kantonale Gericht von Prof. Dr. med. G.________ auch nicht abklären
lassen, ob die entsprechenden Überwindungskriterien erfüllt sind. Es hat auch
diesbezüglich den Untersuchungsgrundsatz nicht verletzt.

5. 
Weiter bringt die Beschwerdeführerin vor, das kantonale Gericht habe den
Untersuchungsgrundsatz nach Art. 61c ATSG und damit Bundesrecht verletzt, weil
es nicht abgeklärt habe, ob der Versicherte als Zwangsrekrutierter oder als
Freiwilliger im Bosnienkrieg gekämpft habe. Sollte Letzteres der Fall sein, so
hätte der Beschwerdegegner nach Ansicht der IV-Stelle eine gesundheitliche
Schädigung durch den Krieg in Kauf genommen oder wenigstens für möglich
gehalten und so seinen Gesundheitsschaden eventualvorsätzlich gebilligt.
Diesfalls könnten Rentenleistungen in Anwendung von Art. 21 Abs. 1 ATSG gekürzt
oder verweigert werden.

5.1. Gemäss Art. 21 Abs. 1 ATSG können Geldleistungen vorübergehend oder
dauernd gekürzt oder in schweren Fällen verweigert werden, wenn die versicherte
Person den Versicherungsfall vorsätzlich oder bei vorsätzlicher Ausübung eines
Verbrechens oder Vergehens herbeigeführt oder verschlimmert hat.

5.2. Die Frage nach einer möglichen Leistungskürzung oder Verweigerung gemäss
Art. 21 Abs. 1 ATSG war in der den Rentenantrag abweisenden Verfügung vom 20.
Oktober 2011 naturgemäss nicht Gegenstand des Verfahrens. Indessen ersuchte die
Beschwerdeführerin das kantonale Gericht bereits in ihrer Stellungnahme zum
Gutachten vom 26. August 2013 (Schreiben vom 11. September 2013) um weitere
diesbezügliche Abklärungen. Da Streitgegenstand des vorinstanzlichen
Entscheides der Anspruch auf eine Invalidenrente war, stellt auch die
Leistungskürzung oder -verweigerung einen Teilaspekt dar, welche die Leistung
bestimmt. Argumente zu Teilaspekten des Streitgegenstandes können auch
letztinstanzlich vorgebracht werden, weshalb auf die beschwerdeführerische
Argumentation einzutreten ist (vgl. BGE 136 V 362 E. 3.4. S. 3.6.5 f.).

5.3. Vorliegend steht eine Herbeiführung des Gesundheitsschadens und damit des
Versicherungsfalles bei der vorsätzlichen Ausübung eines Verbrechens oder
Vergehens auch dann nicht zur Diskussion, wenn der Beschwerdegegner in einer
milizähnlichen Struktur, einem Freiwilligenverband, in den Jahren 1992/93 am
Bosnienkrieg teilgenommen hätte. Dass die Teilnahme selbst ein Verbrechen oder
Vergehen darstelle, behauptet selbst die Beschwerdeführerin nicht. Als
Kürzungstatbestand käme damit allerhöchstens die vorsätzliche Herbeiführung des
Gesundheitsschadens in Betracht. Ein grobfahrlässiges gesundheitsschädigendes
Verhalten kann nicht (mehr) mit einer Kürzung oder Leistungsverweigerung
sanktioniert werden (Wegfall von Art. 7 Abs. 1 aIVG [in Kraft bis Ende 2002]).
Eine (bloss) schädliche Lebensführung ist im Rahmen von Art. 21 Abs. 1 ATSG
belanglos, weil ein gesundheitsschädigendes Verhalten an sich, wenn es nicht
mit deliktischen Tätigkeiten einhergeht, straflos ist und die vorsätzliche
invalidisierende Gesundheitsschädigung im Sinne eines Eventualvorsatzes, in der
Praxis beweismässig kaum zu erbringen ist ( MEYER/REICHMUTH, Rechtsprechung des
Bundesgerichts zum IVG, 3. Aufl. 2014, Art. 7 - 7b N. 24 S. 89). Da es sich um
eine anspruchsvernichtende Tatsache handelt, trägt die Versicherung die
Beweislast. Die IV-Stelle müsste vorliegend also nicht nur beweisen, dass der
Beschwerdegegner sich freiwillig für den militärischen Kriegsdienst im
Bosnienkrieg gemeldet hatte (was alleine mehr als zwanzig Jahre nach dem
Geschehen kaum mehr zu eruieren sein dürfte), sondern auch, dass sich sein
(damaliger) Vorsatz auf eine (mögliche) Körperschädigung/Invalidisierung
(Artefakt, namentlich um Versicherungsleistungen zu erlangen; vgl. MEYER/
REICHMUTH, a.a.O. N. 22 S. 88) bezog. Da das kaum gelingen kann, durfte die
Vorinstanz in antizipierter Beweiswürdigung (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397; nicht
publ. E. 4.1 des Urteils BGE 135 V 254, in SVR 2009 IV Nr. 53 S. 164 [9C_204/
2009]) von weiteren Beweismassnahmen absehen. Die Beschwerde ist abzuweisen.

6. 
Ausgangsgemäss ist die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Die Beschwerdeführerin hat dem Beschwerdegegner eine Parteientschädigung zu
bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdeführerin hat den Rechtsvertreter des Beschwerdegegners für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 6. Februar 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer

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