Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.531/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_531/2014

Urteil vom 23. Januar 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Lanz.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Largier,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 27. Mai 2014.

Sachverhalt:

A. 
Die 1973 geborene A.________ bezieht gestützt auf die Verfügung der IV-Stelle
des Kantons Zürich vom 5. September 2002 seit 1. Februar 2001 bei einem
Invaliditätsgrad von 100 % eine ganze Invalidenrente der Invalidenversicherung.
Im Rahmen des im Juni 2009 eingeleiteten Revisionsverfahrens holte die
Verwaltung nebst weiteren Abklärungen ein bidisziplinäres medizinisches
Gutachten ein, bestehend aus dem internistisch-rheumatologischen Teilgutachten
der Dr. med. B._______ vom 23. November 2010 und dem psychiatrischem
Teilgutachten des Dr. med. C.________ vom 27. Januar 2011 mit beigefügter
interdisziplinärer Zusammenfassung. Dr. med. B.________ nahm danach noch
mehrfach Stellung. Sodann erstattete Dr. med. C.________ am 7. Februar 2012 ein
psychiatrisches Verlaufsgutachten. Mit Verfügung vom 16. Januar 2013 setzte die
IV-Stelle den Leistungsanspruch per 1. März 2013 bei einem Invaliditätsgrad von
nurmehr 60 % revisionsweise auf eine Dreiviertelsrente herab.

B. 
Beschwerdeweise beantragte A.________, in Aufhebung der Verfügung vom 16.
Januar 2013 sei weiterhin eine ganze Invalidenrente zuzusprechen; zudem sei die
IV-Stelle zu verpflichten, die Auslagen von Fr. 3'400.- und Fr. 750.- für die
von der Versicherten eingeholten Berichte des behandelnden Handchirurgen zu
ersetzen. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die Beschwerde
mit Entscheid vom 27. Mai 2014 ab. Es verwarf dabei insbesondere auch den
gegenüber Dr. med. B.________ erhobenen Befangenheitsvorwurf.

C. 
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ die
Aufhebung des kantonalen Entscheids beantragen und ihre Rechtsbegehren
betreffend Invalidenrente und Auslagenersatz erneuern.

Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde, ohne sich weiter zur
Sache zu äussern. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine
Vernehmlassung.
Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter
Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere
rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S.
280 mit Hinweisen). Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten gilt eine
qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; zum Ganzen: BGE 138 I 274 E.
1.6 S. 280 mit Hinweisen).

Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 
Im angefochtenen Entscheid sind die Bestimmungen und Grundsätze zur
revisionsweisen Erhöhung, Herabsetzung oder Aufhebung einer Invalidenrente
infolge erheblicher Änderung des Invaliditätsgrades sowie zu den Anforderungen
an beweiswertige ärztliche Berichte und Gutachten zutreffend dargelegt. Darauf
wird verwiesen.

3. 
Gemäss dem insofern nicht umstrittenen vorinstanzlichen Entscheid beurteilt
sich die Frage, ob die seit Februar 2001 ausgerichtete ganze Invalidenrente
revisionsweise herabzusetzen ist, durch Vergleich der Sachverhalte im Zeitpunkt
der Rentenverfügung vom 5. September 2002 einerseits und der Revisionsverfügung
vom 16. Januar 2013 anderseits.

4. 
Das kantonale Gericht ist zum Ergebnis gelangt, nunmehr bestehe aus
rheumatologischer Sicht für angepasste Tätigkeit eine volle Arbeitsfähigkeit
und aus psychiatrischer Sicht eine solche von 50 %. Damit sei eine
anspruchsrelevante Sachverhaltsänderung ausgewiesen.

5. 
Die Beurteilung, wonach aus psychiatrischer Sicht eine 50%ige Arbeitsfähigkeit
in angepassten Tätigkeiten besteht, stützt sich auf das Verlaufsgutachten des
Dr. med. C.________ vom 7. Februar 2012. Sie ist letztinstanzlich nicht
umstritten.

6. 
Die Einwände der Beschwerdeführerin betreffen die Beurteilung von
Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit aus somatomedizinischer Sicht. Das
kantonale Gericht stützt sich hiebei namentlich auf die gutachterliche
Beurteilung gemäss Expertise vom 23. November 2010/ 27. Januar 2011 und
ergänzenden Stellungnahmen der Dr. med. B.________.

6.1. Die Versicherte erneuert ihren Einwand, die Expertin sei als befangen zu
betrachten, weshalb auf ihre Ausführungen nicht abgestellt werden könne. Sie
beruft sich dabei auf eine Äusserung der Gutachterin in einem an die IV-Stelle
gerichteten Schreiben vom 9. Oktober 2010. Nach Auffassung des kantonale
Gerichts lässt diese Äusserung nicht auf Befangenheit schliessen.

6.1.1. Nach der Rechtsprechung gelten für Sachverständige grundsätzlich die
gleichen Ausstands- und Ablehnungsgründe, wie sie für Richter vorgesehen sind.
Danach ist Befangenheit anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind,
Misstrauen in die Unparteilichkeit zu erwecken. Bei der Befangenheit handelt es
sich allerdings um einen inneren Zustand, der nur schwer bewiesen werden kann.
Es braucht daher für die Ablehnung nicht nachgewiesen zu werden, dass die
sachverständige Person tatsächlich befangen ist. Es genügt vielmehr, wenn
Umstände vorliegen, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der
Voreingenommenheit zu begründen vermögen. Bei der Beurteilung des Anscheins der
Befangenheit und der Gewichtung solcher Umstände kann jedoch nicht auf das
subjektive Empfinden einer Partei abgestellt werden. Das Misstrauen muss
vielmehr in objektiver Weise als begründet erscheinen. Im Hinblick auf die
erhebliche Bedeutung, welche den Arztgutachten im Sozialversicherungsrecht
zukommt, ist an die Unparteilichkeit des Gutachters ein strenger Massstab
anzusetzen (BGE 132 V 93 E. 7.1 S. 109 f.; SVR 2013 IV Nr. 35 S. 105, 9C_689/
2012 E. 2.2; vgl. auch BGE 137 V 210 E. 2.1.3 S. 231). Die formelle Natur der
Verletzung des Anspruchs auf einen unabhängigen Experten führt dazu, dass ein
Gutachten, das die erforderlichen Attribute nicht aufweist, als Beweismittel
auszuschliessen ist, unabhängig davon, wie es sich mit den materiellen
Einwendungen tatsächlich verhält (BGE 137 V 210 E. 2.1.3 S. 232). Ob bei einer
gegebenen Sachlage auf die Voreingenommenheit des Sachverständigen zu
schliessen ist, stellt eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage dar
(SVR 2010 IV Nr. 36 S. 112, 9C_893/2009 E. 1.3).

6.1.2. Im Schreiben an die IV-Stelle vom 9. Oktober 2010 verwies Dr. med.
B.________ zunächst auf einen anderen Arztbericht, in welchem eine Evaluation
der funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL) als notwendig bezeichnet wurde. Sie
äusserte sich sodann wie folgt: "Um bessere Karten in einer eventuell folgenden
rechtlichen Beurteilung zu haben, empfehlen wir hier die Durchführung einer
EFL. Ich ersuche Sie um entsprechende Bewilligung."

Das kantonale Gericht hat erwogen, die Expertin habe damit nur angestrebt, ihr
Gutachten so zu verfassen, dass es umfassend sei und den von der Rechtsprechung
definierten Qualitätsrichtlinien genüge, welche insbesondere bei einer
allfälligen gerichtlichen Überprüfung zum Zuge kämen. Das sei ein Indiz für
eine korrekte Auftragserfüllung. Die gegenteilige Auffassung sei abwegig.

Die beanstandete Äusserung kann in der Tat im Sinne der vorinstanzlichen
Erwägungen interpretiert werden. Bei objektiver Betrachtung ist es aber
entgegen der Beurteilung des kantonalen Gerichts keineswegs abwegig, sondern
mindestens gleich plausibel, sie so zu verstehen, dass die Expertin die
Erfolgsaussichten der Verwaltung in einer allfälligen rechtlichen
Auseinandersetzung verbessern wollte. Die Redewendung, bessere Karten zu haben,
wird denn auch gemeinhin auf bessere Erfolgsaussichten in einer bestimmten
Sache gemünzt. Rät die Expertin der Verwaltung ein Vorgehen, damit diese in
einem Rechtsstreit bessere Erfolgsaussichten habe, erweckt dies nach dem
gebotenen strengen Massstab objektiv den Anschein mangelnder Unparteilichkeit,
zumal der IV-Stelle in einem solchen Verfahren die Versicherte
gegenübergestanden hätte. Nicht anders wäre im gegenteiligen Fall zu
entscheiden, wenn die Expertin der Versicherten zur Verbesserung von deren
prozessualen Chancen einen bestimmten Rat gegeben hätte. Folglich kann auf die
gutachterlichen Aussagen der Dr. med. B.________ nicht abgestellt werden.

6.2. Die übrigen medizinischen Akten gestatten inhaltlich keine verlässliche
Beurteilung des körperlichen Gesundheitszustandes und seiner Auswirkungen auf
die Arbeitsfähigkeit. Das gilt auch für die von einem Unfallversicherer
eingeholten ärztlichen Stellungnahmen, auf die sich die IV-Stelle beruft, und
für die von der Versicherten aufgelegten Berichte ihres Handchirurgen. Daher
ist durch die Vorinstanz ein medizinisches Gutachten einzuholen. In diesem
Sinne ist die Beschwerde gutzuheissen. Die neue Expertise kann entgegen der von
der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung auch für das hauptsächlich zur
Diskussion stehende CRPS erneut von einem Arzt oder einer Ärztin
internistisch-rheumatologischer Fachrichtung erstellt werden. Sollte die
sachverständige Person aufgrund ihrer Abklärungen zur Auffassung gelangen, es
seien auch andere Fachbereiche mit einzubeziehen, sind die Beweise entsprechend
zu ergänzen.

6.3. Die Versicherte postuliert sodann, konsequenterweise müsse auch der
EFL-Bericht vom 20. Oktober 2010 aus dem Recht gewiesen werden, da die
Abklärungsstelle von der befangenen Expertin Dr. med. B.________ ausgewählt und
instruiert worden sei.

Es ginge zu weit, den Anschein der Befangenheit auch auf die
EFL-Abklärungspersonen auszudehnen, zumal keine Anhaltspunkte dafür bestehen,
dass diese von Dr. med. B.________ in parteiischer Weise beeinflusst wurden
oder in anderer Weise befangen sein könnten. Immerhin verweist der EFL-Bericht
aber unter dem Titel "Medizinische Angaben" auf das Gutachten der Dr. med.
B.________, welches nach dem Gesagten keine verlässliche Beurteilungsgrundlage
bildet. Die sachverständige Person, welche die neue Begutachtung durchführen
wird, wird unter Berücksichtigung dieses Umstandes zu prüfen haben, ob weitere
EFL-Abklärungen erforderlich sind.

7. 
Zu prüfen bleibt, ob die IV-Stelle der Versicherten die Kosten der von dieser
eingeholten Berichte des Handchirurgen zu erstatten hat. Die Voraussetzungen
hiefür sind nicht erfüllt, da keine pflichtwidrig unterlassene Abklärung durch
die Verwaltung Anlass für die Einholung der Berichte bot und diese keine
relevanten neuen Erkenntnisse gebracht haben. Das kantonale Gericht hat daher
einen Auslagenersatz zu Recht abgelehnt (Art. 45 Abs. 1 ATSG; SVR 2011 IV Nr.
13 S. 35, 9C_178/2010; RKUV 2005 Nr. U 547 S. 221, U 85/04 E. 2.1; Urteil
8C_973/2012 vom 4. März 2013 E. 5). Die Beschwerde ist diesbezüglich
abzuweisen.

8. 
Die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz (mit noch offenem Ausgang) gilt
praxisgemäss als Obsiegen der Beschwerde führenden Partei (vgl. SVR 2013 IV Nr.
26 S. 75, 8C_54/2013 E. 6). Hingegen ist die Versicherte hinsichtlich
Auslagenersatz unterlegen. Gesamthaft ist es gerechtfertigt, die Gerichtskosten
der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen und diese zur Bezahlung einer reduzierten
Parteientschädigung an die Beschwerdeführerin zu verpflichten (Art. 66 Abs. 1,
Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 27. Mai 2014 aufgehoben. Die
Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen
wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'500.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. Januar 2015

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Lanz

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