Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.304/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_304/2014

Urteil vom 20. April 2015

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Schwyz, Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente, Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom
6. März 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.________, geboren 1972, bezog wegen Beschwerden am rechten Handgelenk ab dem
1. Januar 1998 eine halbe Invalidenrente (Verfügung vom 3. März 1999). Die
IV-Stelle Schwyz bestätigte die Rentenzusprechung mehrmals. Nach der Änderung
des IVG auf den 1. Januar 2012 überprüfte die IV-Stelle die Rente und liess
A.________ durch das Medizinische Begutachtungsinstitut B.________ abklären.
Gestützt auf das Gutachten vom 3. Juni 2013 stellte sie ihre Leistungen mit
Verfügung vom 24. September 2013 ein.

B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
mit Entscheid vom 6. März 2014 ab.

C. 
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und es sei ihr eine
Dreiviertelsrente zuzusprechen. Des Weiteren ersucht sie um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege.

Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels
für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art.
105 Abs. 2 BGG). Es wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG)
und ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente
noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 134 I 65 E. 1.3 S. 67 f.,
134 V 250 E. 1.2 S. 252, je mit Hinweisen). Unter Berücksichtigung der
Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) prüft es indessen nur die geltend
gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich
sind, und ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle
sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr aufgegriffen werden (BGE 134 I 313 E. 2 S. 315, 65 E. 1.3 S. 67 f.,
je mit Hinweisen).

2. 
Das kantonale Gericht hat die massgeblichen Bestimmungen und Grundsätze zur
Rentenrevision (Art. 17 ATSG) und zur Rentenüberprüfung nach den
Schlussbestimmungen der Änderung des IVG vom 18. März 2011 (6. IV-Revision,
erstes Massnahmenpaket, in Kraft getreten am 1. Januar 2012; AS 2011 5659)
zutreffend dargelegt. Es wird darauf verwiesen.

Der Revisionsordnung nach Art. 17 ATSG geht der Grundsatz vor, dass die
Verwaltung befugt ist, jederzeit von Amtes wegen auf eine formell
rechtskräftige Verfügung, welche nicht Gegenstand materieller richterlicher
Beurteilung gebildet hatte, zurückzukommen, wenn sich diese als zweifellos
unrichtig erweist und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Unter
diesen Voraussetzungen kann die Verwaltung eine Rentenverfügung auch dann
abändern, wenn die Revisionsvoraussetzungen des Art. 17 ATSG nicht erfüllt
sind. Wird die zweifellose Unrichtigkeit der ursprünglichen Rentenverfügung
erst vom Gericht festgestellt, so kann es die auf Art. 17 ATSG gestützte
Revisionsverfügung der Verwaltung mit dieser substituierten Begründung schützen
(BGE 125 V 368 E. 2 S. 369 mit Hinweisen; in BGE 135 I 1 nicht publizierte E.
5.1 des Urteils 9C_342/2008 vom 20. November 2008; vgl. auch BGE 112 V 371 E.
2c S. 373 und 387 E. 1b S. 390). Das Erfordernis der zweifellosen Unrichtigkeit
ist in der Regel erfüllt, wenn die gesetzeswidrige Leistungszusprechung
aufgrund falscher oder unzutreffender Rechtsregeln erlassen wurde oder wenn
massgebliche Bestimmungen nicht oder unrichtig angewandt wurden (BGE 103 V 126
E. a S. 128; ARV 1996/97 Nr. 28 S. 152 E. 3c).

3. 
Der Beschwerdeführerin wurde erstmals am 3. März 1999 eine halbe Rente
zugesprochen. Nach dem Bericht des Spitals F.________ vom 26. August 1998 litt
sie an chronischen Beschwerden am rechten (ulnaren) Handgelenk. In der
angestammten Tätigkeit als Betriebsmitarbeiterin in einer Stanzerei mit den
dort erforderlichen manuellen Fertigkeiten sei sie zu 100 Prozent
arbeitsunfähig. Die rechte Hand könne nur noch als Hilfshand eingesetzt werden,
es bestünden keine funktionell-manuellen Tätigkeitsmöglichkeiten. Für
leidensangepasste Verweistätigkeiten ohne manuelle Anforderungen für die rechte
Hand wie etwa Überwachungs- und Kontrollfunktionen attestierten die Ärzte eine
volle Arbeitsfähigkeit. Den Akten der IV-Stelle lässt sich entnehmen, dass der
Beschwerdeführerin ein statistisches Durchschnittseinkommen nach der
Lohnstrukturerhebung des Bundesamts für Statistik (LSE) für eine einfache
Tätigkeit als Hilfsarbeiterin angerechnet wurde. Es wurde berücksichtigt, dass
sie als Gesunde unterdurchschnittlich verdient habe, und es wurden ein Abzug
von 30 Prozent wegen Verlangsamung sowie ein Abzug von 20 Prozent wegen
funktioneller Einhändigkeit gewährt. Es ergab sich ein Invaliditätsgrad von 53
Prozent.

4. 
Im Jahr 2008 leitete die IV-Stelle eine Revision von Amtes wegen ein. Die
Beschwerdeführerin wurde im Zentrum für Arbeitsmedizin C.________ sowie durch
Dr. med. D.________, Psychiatrie Psychotherapie FMH, abgeklärt (Gutachten vom
22. Januar und vom 21. April 2009). Nach den Ausführungen der Gutachter des
Zentrums für Arbeitsmedizin C.________ seien damals im Spital F.________
Lokalbefunde am rechten Handgelenk erhoben worden, die nun nicht mehr bestätigt
werden konnten. Auch die Angaben der Beschwerdeführerin zu ihren
Einschränkungen seien nur noch diffus. Sie klage weiterhin über dauernde
Schmerzen am rechten Handgelenk mit Ausstrahlung in den Ellbogen und Oberarm,
zwar ohne Bewegungseinschränkung, aber mit Zunahme der Beschwerden bei
jeglicher Belastung. Diese Symptomausweitung sei somatisch nicht zu erklären,
allenfalls als Aggravation zu interpretieren. Die aktuellen Befunde vermöchten
aus rheumatologisch-orthopädischer Sicht lediglich noch eine leichte
Einschränkung der Belastbarkeit des Handgelenks zu begründen. Eine körperlich
höchstens mittelschwere Tätigkeit sei ganztags zumutbar, soweit wiederholte für
die rechte Hand belastende Arbeiten vermieden würden. Dr. med. D.________
diagnostizierte eine somatoforme Schmerzstörung, die nach seinen eingehenden
Ausführungen keine Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit zu begründen
vermochte.

5. 
Im Gutachten des Medizinischen Begutachtungsinstituts B.________ vom 3. Juni
2013 wurden lediglich anamnestisch noch belastungsabhängige
Handgelenksschmerzen erwähnt. Aktuell sei eine leichte Instabilität im distalen
Radioulnargelenk mit dorsal prominentem Ulnaköpfchen festzustellen. Spontan
seien diese Beschwerden und damit verbundene Einschränkungen jedoch unerwähnt
geblieben. Nach Angaben des neurologischen Gutachters sei die
Beschwerdeführerin mit beiden Händen gleich geschickt (Ambidextra oder
ursprüngliche Linkshänderin, rechtshändig schreibend). Die Gutachter des
Medizinischen Begutachtungsinstituts B.________ listeten den Befund unter den
Diagnosen ohne Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit auf.

6. 
Die IV-Stelle hat der Beschwerdeführerin am 4. März 2011 unverändert eine halbe
Invalidenrente zugesprochen. Zwischen der ursprünglichen Rentenzusprechung ab
dem 1. Januar 1998 und der Revisionsverfügung vom 4. März 2011 hatte sich rein
somatisch jedoch eine erhebliche Verbesserung der Handgelenksbeschwerden
eingestellt. Es bestand nunmehr keine funktionelle Einhändigkeit mehr, sondern
nur noch eine leichte Einschränkung der Belastbarkeit des Handgelenks, und eine
körperlich höchstens mittelschwere Tätigkeit war ganztags zumutbar. Aus
somatischen Gründen ergab sich dadurch keine rentenbegründende Invalidität
mehr.

Da die rein somatischen Gründe, die zur ursprünglichen Rentenzusprechung
geführt hatten, nunmehr ausser Betracht fielen und damit eine
revisionsbegründende erhebliche Gesundheitsveränderung eingetreten war, war der
Rentenanspruch allein unter dem Gesichtspunkt eines psychischen Leidens zu
prüfen, dies in Nachachtung der damals massgeblichen Rechtsprechung zu den
somatoformen Schmerzstörungen nach BGE 130 V 352. Nach dieser Praxis vermag
eine diagnostizierte anhaltende somatoforme Schmerzstörung allein grundsätzlich
keine lang dauernde, zu einer Invalidität führende Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit zu bewirken. Es lagen nach der gutachtlichen Einschätzung
keine Anhaltspunkte dafür vor, dass von diesem Grundsatz ausnahmsweise hätte
abgewichen werden müssen. Dr. med. D.________ hatte eine somatoforme
Schmerzstörung ohne Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit diagnostiziert und
sich zu den nach der Rechtsprechung massgeblichen Kriterien zu deren
Überwindbarkeit eingehend geäussert.

Die IV-Stelle war bereits in ihrer ursprünglichen Rentenverfügung sowohl auf
Seiten des Validen- wie auch des Invalideneinkommens vom gleichen statistischen
Durchschnittlohn ausgegangen. Beim Vergleich der beiden Einkommen anlässlich
der Rentenrevision hätte ein leidensbedingter Abzug von höchstens 25 Prozent
berücksichtigt werden dürfen (BGE 126 V 75 E. 5b/cc S. 80). Sind Validen- und
Invalideneinkommen ausgehend vom selben Tabellenlohn zu berechnen, erübrigt
sich deren genaue Ermittlung. Der Invaliditätsgrad entspricht dem Grad der
Arbeitsunfähigkeit unter Berücksichtigung des Abzuges vom Tabellenlohn (Urteil
I 1/03 vom 15. April 2003 E. 5.2). Bei vollzeitiger Arbeitsfähigkeit ergibt
sich ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad von höchstens 25 Prozent.

Die Leistungszusprechung mit der Revisionsverfügung vom 4. März 2011 war damit
zweifellos unrichtig.

7. 
Zu prüfen bleibt aufgrund der Einwände der Beschwerdeführerin, ob sich seither
eine Verschlechterung eingestellt hat. Nach der dargelegten Einschätzung der
Gutachter des Medizinischen Begutachtungsinstituts B.________ verursachen die
Handgelenksbeschwerden keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit. Die
Beschwerdeführerin bringt nichts vor, was die Ausführungen der Gutachter des
Medizinischen Begutachtungsinstituts B.________ zu entkräften vermöchte. Die
übrigen Rügen der Beschwerdeführerin vermögen keine hinreichenden Indizien
gegen die Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit des Gutachtens des Medizinischen
Begutachtungsinstituts B.________ zu begründen. Zu den Beschwerden an der
Halswirbelsäule und an der linken Schulter, welche am 24. Februar und am 28.
November 2012 im Schmerz-, Rheuma- und Osteoporosezentrum G.________ mittels
MRI abgeklärt wurden, haben die Gutachter des Medizinischen
Begutachtungsinstituts B.________ einlässlich Stellung genommen. Es fanden sich
bei der gutachtlichen Untersuchung insbesondere keine Hinweise auf eine
radikuläre Symptomatik durch die Pathologie an der Wirbelsäule. Zu den
psychischen Beschwerden und zu der von den behandelnden Fachpersonen des
Medizinischen Zentrums E.________ am 8. Oktober 2013 bescheinigten
Arbeitsunfähigkeit hat sich das kantonale Gericht eingehend und zutreffend
geäussert. Ihr Bericht vom 31. März 2014 bleibt als neues Beweismittel (echtes
Novum) im Verfahren vor dem Bundesgericht unbeachtlich (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE
133 IV 342 E. 2.1 S. 343 f.; Urteil 5A_115/2012 vom 20. April 2012 E. 4.2.2).

8. 
Zusammengefasst ist die Rentenaufhebung vom 24. September 2013 zu schützen mit
der substituierten Begründung der zweifellosen Unrichtigkeit der
Leistungszusprechung mit der Revisionsverfügung vom 4. März 2011. Eine
seitherige Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist gestützt auf das
Gutachten des Medizinischen Begutachtungsinstituts B.________ nicht
ausgewiesen; die Experten bescheinigen der Beschwerdeführerin eine
100-prozentige Arbeits- und Leistungsfähigkeit für eine ihren körperlichen
Leiden angepasste Tätigkeit. Zu den erwerblichen Auswirkungen der
Gesundheitsschädigung äussert sich die Beschwerdeführerin nicht. Die
vorinstanzlichen Erwägungen dazu geben keinen Anlass zu Weiterungen.

9. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der
unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in
Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne
der vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten; Art. 64 Abs. 1 BGG) kann
gewährt werden, weil die Bedürftigkeit aktenkundig ist und die Beschwerde nicht
aussichtslos war. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG
aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu
leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 20. April 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo

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