Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.997/2014
Zurück zum Index Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2014
Retour à l'indice Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2014


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_997/2014

Urteil vom 22. Dezember 2014

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer,
Gerichtsschreiberin Schär.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Philipp Burlet,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen,
Bahnhofstrasse 29, 8200 Schaffhausen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Verletzung von Verkehrsregeln, Willkür, rechtliches Gehör,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 29.
August 2014.

Sachverhalt:

A.

 X.________ lenkte am 3. Juli 2011 einen Lieferwagen über den Schweizer
Grenzübergang in Thayngen, obwohl ihm am 28. November 2009 der Führerausweis
auf unbestimmte Dauer entzogen worden war.

B.

 Mit Strafbefehl vom 12. Oktober 2011 sprach die Staatsanwaltschaft des Kantons
Schaffhausen X.________ des Fahrens trotz Entzug des Führerausweises schuldig
und bestrafte ihn mit einer unbedingten Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu Fr.
100.--. Sie widerrief die mit Strafbescheid des Untersuchungsamtes Uznach vom
22. Februar 2010 bedingt aufgeschobene Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu Fr.
130.--. X.________ erhob Einsprache gegen den Strafbefehl.

 Nach ergänzender Untersuchung erliess die Staatsanwaltschaft am 14. März 2012
einen neuen Strafbefehl. Sie hielt sowohl am ursprünglichen Strafmass als auch
am Widerruf der bedingten Geldstrafe fest.

C.

 Das Kantonsgericht Schaffhausen bestätigte am 25. Oktober 2012 den
Schuldspruch und die Tagessatzhöhe. Es reduzierte die Anzahl Tagessätze auf
zehn. Auf den Widerruf der bedingten Geldstrafe wurde verzichtet. Stattdessen
verlängerte das Kantonsgericht die Probezeit um ein Jahr auf insgesamt drei
Jahre.

 Am 29. August 2014 hiess das Obergericht Schaffhausen die Berufung von
X.________ teilweise gut. Es sprach ihn des Fahrens trotz Entzug des
Führerausweises schuldig, nahm aber von einer Strafe Umgang. Im Übrigen
bestätigte es das erstinstanzliche Urteil.

D.

 X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des
Obergerichts Schaffhausen sei aufzuheben. Er sei vom Vorwurf des Fahrens trotz
Entzug des Führerausweises freizusprechen. Eventualiter sei Ziffer 2 des
vorinstanzlichen Urteils aufzuheben und das Verfahren zu neuer Entscheidung an
die Vorinstanz zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht beantragt X.________,
der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Erwägungen:

1.

1.1. In objektiver Hinsicht ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer am 3.
Juli 2011 mit einem Lieferwagen über den Schweizer Grenzübergang in Thayngen
fuhr. Dort wartete sein Neffe, um für ihn die Fahrt in der Schweiz
fortzusetzen. Unbestritten ist auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer zu
jenem Zeitpunkt keinen Führerausweis besass, da ihm dieser zuvor entzogen
worden war.

1.2. Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz eine willkürliche und
aktenwidrige Sachverhaltsermittlung (Art. 9 BV) und die Verletzung des
Grundsatzes in dubio pro reo (Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK und Art.
10 StPO) vor. Er macht im Wesentlichen geltend, gestützt auf den aus dem
Internet heruntergeladenen Plan davon ausgegangen zu sein, das Zollgebäude
stehe auf deutschem Territorium. Daraus habe er gefolgert, dass er den Übergang
pas-sieren und den Fahrerwechsel kurz danach vornehmen könne, ohne
schweizerisches Staatsgebiet zu befahren. Er sei demnach einem
Sachverhaltsirrtum unterlegen, was von der Vorinstanz zu Unrecht verneint
werde. Nachdem die Vorinstanz den Sachverhaltsirrtum ausgeschlossen habe, hätte
sie aufgrund des fehlenden Vorsatzes höchstens von einer fahrlässigen, nicht
jedoch von einer eventualvorsätzlichen Deliktsbegehung ausgehen dürfen.

1.3. Was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm und ob er sich in einem
Irrtum befand, betrifft sogenannte innere Tatsachen und ist folglich Tatfrage (
BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 4; 130 IV 58 E. 8.5 S. 62; Urteil des Bundesgerichts
6B_537/2014 vom 18. September 2014 E. 2.1; je mit Hinweisen). Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor
Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf
einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung
des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs.
1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie
willkürlich ist (BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445 mit Hinweisen; vgl. zum
Willkürbegriff: BGE 138 I 305 E. 4.3 S. 319 mit Hinweis). Die Willkürrüge muss
in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art.
106 Abs. 2 BGG). Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil
tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 5 mit Hinweis). Dem
Grundsatz in dubio pro reo kommt in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel
im Verfahren vor Bundesgericht keine Bedeutung zu, die über das Willkürverbot
von Art. 9 BV hinausgeht (BGE 138 V 74 E. 7 S. 82 mit Hinweisen).

1.4. Zum subjektiven Tatbestand führt die Vorinstanz aus, der Beschwerdeführer
habe Zweifel bezüglich des Grenzverlaufs gehabt, ansonsten er sich nicht im
Internet darüber erkundigt hätte. Mit Verweis auf die erstinstanzlichen
Erwägungen hält die Vorinstanz fest, ein Blick auf den vom Beschwerdeführer
konsultierten Plan zeige, dass dieser ungenau und nicht geeignet sei, sich
Klarheit über die konkreten Gegebenheiten zu verschaffen. Der Beschwerdeführer
könne sich daher nicht auf seine angebliche Unwissenheit respektive einen
Sachverhaltsirrtum berufen. Vielmehr hätte er sich bei der zuständigen
Zollstelle informieren oder den Fahrerwechsel vor der Grenzüberquerung
vornehmen müssen, um keine erneute Verurteilung wegen eines Verkehrsdelikts zu
riskieren. Der Beschwerdeführer habe zumindest in Kauf genommen, einige Meter
auf schweizerischem Territorium zu fahren.

1.5. Die Vorbringen des Beschwerdeführers betreffen die tatsächlichen
Voraussetzungen des Sachverhaltsirrtums und des Eventualvorsatzes und können
lediglich unter dem Gesichtspunkt der Willkür geprüft werden. Soweit seine
Sachverhaltsrügen den Begründungsanforderungen überhaupt genügen (Art. 42 Abs.
2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) und nicht lediglich eine Wiederholung der
Argumentation vor Vorinstanz darstellen, sind sie unbegründet. Die Vorinstanz
äussert sich, entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers, ausführlich zum
subjektiven Tatbestand respektive zu dessen Wissens- und Willenskomponente. Der
Beschwerdeführer verkennt, dass das Willkürverbot nicht allein deshalb verletzt
ist, weil das Gericht die Beweise anders gewürdigt hat als er selber. Willkür
liegt nur vor, wenn der angefochtene Entscheid auf einer schlechterdings
unhaltbaren oder widersprüchlichen Wertung beruht, mit der tatsächlichen
Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen
Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem
Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 138 I 305 E. 4.3 S. 319; 135 II 356 E.
4.2.1 S. 362; je mit Hinweis). Inwiefern die Sachverhaltsfeststellung
offensichtlich unhaltbar sein soll, ist nicht ersichtlich. Vielmehr legt die
Vorinstanz in nachvollziehbarer Weise dar, von welchen Überlegungen sie sich
bei der Beurteilung des subjektiven Tatbestandes leiten lässt. Eine
Verpflichtung, sich mit jedem tatbeständlichen Einwand des Beschwerdeführers
auseinanderzusetzen, besteht nicht (vgl. BGE 139 IV 179 E. 2.2 S. 183 mit
Hinweisen). Eine Verletzung der Begründungspflicht ist ebenso wenig ersichtlich
wie ein Verstoss gegen das Willkürverbot.

 Der Beschwerdeführer wendet sich weiter gegen die Erwägung der Vorinstanz,
wonach als notorisch gelte, dass Grenzwachposten auf dem jeweiligen
Staatsgebiet stünden. Diese angeblich notorische Tatsache entspreche nicht der
Realität. Die Vorinstanz ziehe damit offensichtlich falsche Schlussfolgerungen.
Die vom Beschwerdeführer kritisierte vorinstanzliche Erwägung dient lediglich
der Untermauerung der Sachverhaltsfeststellungen. Das Vorbringen des
Beschwerdeführers lässt die Beweiswürdigung im Ergebnis nicht als unhaltbar
erscheinen. Eine Verletzung des Willkürverbots ist nicht ersichtlich.

2.

 Weiter rügt der Beschwerdeführer eine falsche Anwendung von Art. 12 StGB.

2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, gemäss dem Plan, welchen er aus dem
Internet heruntergeladen habe, befinde sich das Zollgebäude auf deutschem
Staatsgebiet. Auf die Informationen aus dem Internet habe er sich verlassen
dürfen. Es habe keine Verpflichtung bestanden, sich zusätzlich bei der
Zollstelle darüber zu informieren, wo genau die Staatsgrenze verlaufe. Da er
der Auffassung gewesen sei, das Zollgebäude stehe auf deutschem Territorium,
sei er einem Sachverhaltsirrtum unterlegen. Die Vorinstanz habe den Sachverhalt
nicht so beurteilt, wie er ihn sich vorgestellt habe. Er habe alles
Erforderliche getan, um den Irrtum zu vermeiden, weshalb er sich nicht strafbar
gemacht habe. Falls die Vorinstanz davon ausgehe, dass er den Irrtum bei
pflichtgemässer Vorsicht hätte vermeiden können, komme lediglich eine
fahrlässige Begehung in Frage, denn für ihn sei der Erfolgseintritt nicht
erkennbar gewesen. Da die fahrlässige Tatbegehung nicht von der Anklage umfasst
sei, sei er vom Vorwurf des Fahrens trotz Entzug des Führerausweises auch in
diesem Fall freizusprechen.

2.2. Wie die Vorinstanz verbindlich festgestellt hat, wusste der
Beschwerdeführer, dass ihm der Grenzverlauf unklar war. Dies leitet sie aus dem
Umstand ab, dass der vom Beschwerdeführer herangezogene Plan nicht geeignet
ist, sich über den Grenzverlauf zu informieren. Weil es der Beschwerdeführer
unterlassen hat, sich zuverlässige Informationen über den Grenzverlauf zu
beschaffen, entschied er sich bewusst fürs Nichtwissen. Dieses Nichtwissen wird
nicht als Irrtum behandelt, so dass kein Sachverhaltsirrtum (Art. 13 StGB)
vorliegt (vgl. BGE 135 IV 12 E. 2.3.1 S. 17).

 Aufgrund des fehlenden Wissens um den genauen Grenzverlauf hat der
Beschwerdeführer in Kauf genommen, einige Meter auf Schweizer Territorium zu
fahren. Die Vorinstanz hat von diesem Wissen und Willen auf Eventualvorsatz
geschlossen (vgl. BGE 134 IV 26 E. 3.2.2 S. 28 f. mit Hinweisen). Inwiefern die
Verurteilung wegen eventualvorsätzlichen Führens eines Motorfahrzeugs trotz
Führerausweisentzugs Bundesrecht verletzt, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen
wird dies vom Beschwerdeführer auch nicht näher dargelegt.

3.

 Der Beschwerdeführer rügt in verschiedener Hinsicht eine Verletzung des
rechtlichen Gehörs.

3.1. Zunächst macht der Beschwerdeführer geltend, er habe sich zur angeblich
notorischen Tatsache, dass Grenzwachposten auf dem jeweiligen Staatsgebiet
stünden, nicht äussern können. Die Vorinstanz stützt sich in Bezug auf den
subjektiven Tatbestand hauptsächlich auf andere Überlegungen, so dass dem
Notorietätsargument keine wesentliche Bedeutung zukommt. Zudem enthielt bereits
das erstinstanzliche Urteil eine nahezu identische Erwägung, wonach der
Beschwerdeführer zumindest habe damit rechnen müssen, dass ein schweizerisches
Zollgebäude auf schweizerischem Gebiet stehe (erstinstanzliches Urteil, S. 4
f.). Dazu konnte sich der Beschwerdeführer im vorinstanzlichen Verfahren
äussern (vgl. Berufungsschrift, S. 5). Die Rüge des Beschwerdeführers ist
unbegründet.

3.2. Der Beschwerdeführer wendet schliesslich ein, die Vorinstanz habe sich mit
der Abgrenzung zwischen Fahrlässigkeit und Eventualvorsatz im konkreten Fall
nicht auseinandergesetzt. In dieser Hinsicht fehle es dem vorinstanzlichen
Urteil an einer rechtlichen Begründung. Der Beschwerdeführer rügt damit die
Verletzung eines Teilaspekts des rechtlichen Gehörs (vgl. BGE 133 I 270 E. 3.1
S. 277). Die Vorinstanz bejaht ein eventualvorsätzliches Handeln, ohne
Bundesrecht zu verletzen. Sie musste sich mit der fahrlässigen Tatbegehung
nicht auseinandersetzen.

4.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei
diesem Ausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art.
66 Abs. 1 BGG). Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch um aufschiebende
Wirkung gegenstandslos geworden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. Dezember 2014

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Schär

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben