Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.995/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_995/2014

Urteil vom 1. April 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiber Moses.

Verfahrensbeteiligte
A.X.________ und B.X.________,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Volker Pribnow,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Einstellung (fahrlässige Tötung), rechtliches Gehör,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, vom 8. September 2014.

Sachverhalt:

A.

 C.X.________ trat am 21. April 2010 zwecks Auswechslung des Herzschrittmachers
ins Spital A.________ ein. Die Operation erfolgte am 22. April 2010.
C.X.________ verstarb am 29. April 2010.

B.

 Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich stellte am 20. Mai 2014 das
Strafverfahren gegen Unbekannt wegen fahrlässiger Tötung ein. Die von
A.X.________ und B.X.________ (Eltern von C.X.________) dagegen gerichtete
Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich am 8. September 2014 ab.

C.

 A.X.________ und B.X.________ führen Beschwerde in Strafsachen. Sie
beantragen, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich sei aufzuheben
und die Sache sei an die Staatsanwaltschaft zur Fortführung der Untersuchung,
eventualiter an die Vorinstanz zur Neubeurteilung, zurückzuweisen.

D.

 Die Oberstaatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Zürich verzichten
auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

 Der Privatkläger ist zur Beschwerde gegen eine Einstellungsverfügung nur
legitimiert, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung seiner
Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG). In erster
Linie geht es um Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung gemäss Art. 41 ff.
OR, die üblicherweise vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden müssen.
Gemäss Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG hat der Beschwerdeführer darzulegen, dass die
gesetzlichen Legitimationsvoraussetzungen erfüllt sind. Richtet sich die
Beschwerde gegen die Einstellung oder Nichtanhandnahme eines Verfahrens, hat
der Privatkläger nicht notwendigerweise bereits vor den kantonalen Behörden
eine Zivilforderung geltend gemacht. Selbst wenn er bereits adhäsionsweise
privatrechtliche Ansprüche geltend gemacht hat (vgl. Art. 119 Abs. 1 lit. b
StPO), werden in der Einstellungsverfügung keine Zivilklagen behandelt (Art.
320 Abs. 3 StPO). In jedem Fall muss der Privatkläger im Verfahren vor
Bundesgericht darlegen, aus welchen Gründen sich der angefochtene Entscheid
inwiefern auf welche Zivilforderungen auswirken kann. Das Bundesgericht stellt
an die Begründung der Legitimation strenge Anforderungen. Genügt die Beschwerde
diesen Begründungsanforderungen nicht, kann darauf nur eingetreten werden, wenn
aufgrund der Natur der untersuchten Straftat ohne Weiteres ersichtlich ist, um
welche Zivilforderungen es geht (zur Publikation bestimmtes Urteil 6B_261/2014
vom 4. Dezember 2014 E. 1.1 mit Hinweisen).
Die Beschwerdeführer sind als Eltern des Verstorbenen nahe Angehörige im Sinne
von Art. 1 Abs. 2 OHG. Dass sich der angefochtene Entscheid auf ihre
Zivilforderungen - insbesondere hinsichtlich ihrer Ansprüche aus Genugtuung -
auswirkt, liegt auf der Hand (Urteil 6B_807/2013 vom 28. April 2014 E. 2 mit
Hinweisen), zumal ihr Verhältnis zum Spital privatrechtlicher Natur ist. Auf
die Beschwerde ist einzutreten.

2.

 Die Staatsanwaltschaft liess zwei Gutachten erstellen. In der
Einstellungsverfügung vom 20. Mai 2014 hielt sie im Wesentlichen fest, dass
sich aus diesen keine Sorgfaltspflichtverletzung der involvierten
Medizinalpersonen ergebe. Die Einvernahme Letzterer erscheine nicht adäquat.
In ihrer Beschwerde an die Vorinstanz machten die Beschwerdeführer insbesondere
geltend, der in den Gutachten festgestellte Sachverhalt sei unvollständig,
zumal die Geschehnisse im Spital A.________ nicht ausreichend dokumentiert
worden seien. Die Staatsanwaltschaft habe den Antrag, die involvierten
Medizinalpersonen zu befragen, zu Unrecht abgewiesen.

3.

 Die Vorinstanz erwägt, die Eröffnung einer Strafuntersuchung setze einen
hinreichenden Tatverdacht voraus. Die Staatsanwaltschaft habe einen solchen nie
bejaht. Es stelle sich daher die Frage, ob die Staatsanwaltschaft anstelle der
Einstellung die Nichtanhandnahme des Strafverfahrens hätte verfügen sollen, was
aber offenbleiben könne. Für die Einvernahme der von den Beschwerdeführern
bezeichneten Personen sei eine Vorladung notwendig, was eine Zwangsmassnahme
sei. Dies sei nur bei einem hinreichenden Tatverdacht zulässig. Die Beschwerde
sei nach Art. 396 Abs. 1 StPO zu begründen und die Beschwerdeführer hätten
darlegen müssen, worin sie einen hinreichenden Tatverdacht erblicken. Die
Beschwerde sei insofern unbegründet. Der Tatbestand der fahrlässigen Tötung
setzte zudem eine Sorgfaltspflichtverletzung voraus. Die Beschwerdeführer
würden nicht darlegen, worin diese bestehen soll. Ein Kausalzusammenhang
zwischen dem allfälligen Löschen der Daten des Monitorsystems mit dem Tod von
C.X.________ sei nicht ersichtlich; der Hinweis auf die Beweisvereitelung
ändere daran nichts. Ebenso wenig würden sie begründen, inwiefern die noch zu
erhebenden Tatsachen beweiserheblich sein sollen.

4.

 Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör. Sie machen geltend, die Vorinstanz qualifiziere die Verfügung der
Staatsanwaltschaft überraschenderweise als Nichtanhandnahmeverfügung und
verlange zu Unrecht, dass in der Beschwerde dargelegt werde, inwiefern ein
Tatverdacht besteht.

5.

5.1. Die Strafuntersuchung gilt als eröffnet, sobald sich die
Staatsanwaltschaft mit dem Straffall zu befassen beginnt und selber erste
Untersuchungshandlungen vornimmt. In diesem Verfahrensstadium hat sie, wenn sie
zur Überzeugung kommt, dass kein Straftatbestand erfüllt ist, das Verfahren
durch Einstellung nach Art. 319 ff. StPO, nicht durch Nichtanhandnahme nach
Art. 310 StPO, abzuschliessen. Der in Art. 309 Abs. 3 StPO erwähnten
Eröffnungsverfügung kommt lediglich deklaratorische Wirkung zu (Urteile 6B_962/
2013 vom 1. Mai 2014 E. 2; 6B_912/2013 vom 4. November 2014 E. 1.1.4; je mit
Hinweisen).
Nachdem die Staatsanwaltschaft am 6. Januar 2011 einen Vorermittlungsauftrag an
die Polizei im Sinne von Art. 309 Abs. 2 StPO erteilte (kant. Akten, act. 1/3),
vernahm sie am 25. Februar 2011 den Vater von C.X.________ als Zeugen (kant.
Akten, act. 2/1). Darauf gab sie am 27. April 2011 ein erstes und am 23. April
2013 ein zweites Gutachten in Auftrag (kant. Akten, act. 4/1 und 6/1). Die
Staatsanwaltschaft nahm selbst Untersuchungshandlungen vor, womit sie das
Verfahren eröffnete. Ab diesem Zeitpunkt kann das Verfahren nicht mehr mit
einer Nichtanhandnahmeverfügung erledigt werden und die Frage, ob für die
Eröffnung einer Untersuchung ein hinreichender Tatbestand besteht, ist nicht
mehr von Bedeutung.

5.2. Die Ablehnung von Beweisanträgen durch die Staatsanwaltschaft ist in der
Regel nicht anfechtbar (Art. 318 Abs. 2 und Art. 394 lit. b StPO). Sofern das
Verfahren in der Folge eingestellt wird, kann die Privatklägerschaft dagegen
Beschwerde führen und geltend machen, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei
verletzt worden (Urteil 1B_17/2013 vom 12. Februar 2013 E. 1.1 mit Hinweisen).
Im vorinstanzlichen Verfahren mussten die Beschwerdeführer daher
ausschliesslich darlegen, inwiefern die Verfügung der Staatsanwaltschaft den
Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, bzw. dass die Voraussetzungen für die
Ablehnung der von ihr gestellten Beweisanträge nicht erfüllt waren. Dazu, ob
ein hinreichender Tatverdacht besteht, mussten sie sich - entgegen der Meinung
der Vorinstanz - nicht äussern.
Die Staatsanwaltschaft kann Beweisanträge nur ablehnen, wenn damit die
Beweiserhebung über Tatsachen verlangt wird, die unerheblich, offenkundig, der
Strafbehörde bekannt oder bereits rechtsgenügend erwiesen sind (Art. 318 Abs. 2
StPO). Die Beschwerdeführer haben in der Beschwerde an die Vorinstanz
ausreichend begründet, weshalb sie die Ablehnung der Beweisanträge durch die
Staatsanwaltschaft als unzulässig erachten. Sie führen insbesondere aus, dass
einer der Gutachter darauf hinweise, dass die Dokumentation des Spitals
lückenhaft und mangelhaft sei. Eine Sorgfaltspflichtverletzung könne daher
(noch) nicht bejaht werden. Die Einvernahme der beteiligten Medizinalpersonen
sei notwendig, um den Sachverhalt vollständig abzuklären. Dass dieser
Beweisantrag hinsichtlich einer allfälligen Sorgfaltspflichtverletzung nicht
unerheblich ist, ist offensichtlich und bedarf keiner weitergehenden
Begründung.

6.

 Die Vorinstanz stellt überhöhte Anforderungen an die Begründung der Beschwerde
und setzt sich mit den Rügen der Beschwerdeführer nicht auseinander. Sie
verletzt somit deren Anspruch auf rechtliches Gehör. Die Sache ist an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Es erübrigt sich, auf die weiteren Rügen der
Beschwerdeführer einzugehen.

7.

 Die Beschwerde ist gutzuheissen. Für das bundesgerichtliche Verfahren sind
keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Zürich hat den
Beschwerdeführern eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68
Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Beschluss des Obergerichts des Kantons
Zürich vom 8. September 2014 wird aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid
an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 
Es werden keine Kosten erhoben.

3. 
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführern für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. April 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Moses

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