Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.903/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_903/2014

Urteil vom 9. Februar 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Rüedi,
Gerichtsschreiberin Andres.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jakob Rhyner,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
2. A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Michael Schöbi,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Fahrlässige Körperverletzung,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom 2.
Juni 2014.

Sachverhalt:

A.

 Als X.________ mit seinem Personenwagen das Tierfuhrwerk von A.________
überholte, brannten die Pferde durch. A.________ stürzte von der Kutsche und
zog sich eine Schulterfraktur zu.

B.

 Das Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland verurteilte X.________ wegen
fahrlässiger Körperverletzung zu einer bedingten Geldstrafe von 10 Tagessätzen
zu Fr. 80.-- und einer Busse von Fr. 400.--. Es stellte fest, er hafte im
Grundsatz für die Folgen der Körperverletzung, und verwies die Forderung im
Übrigen auf den Zivilweg. Es auferlegte X.________ die Verfahrenskosten und
verpflichtete ihn, A.________ für dessen Aufwendungen im Verfahren zu
entschädigen.

 Dieses Urteil bestätigte das Kantonsgericht St. Gallen insoweit, als der
Schuldspruch, die Zivilforderung sowie die Kosten- und Entschädigungsfolgen
betroffen waren. Es verurteilte X.________ zu einer bedingten Geldstrafe von 10
Tagessätzen zu Fr. 50.--. Auf eine Verbindungsbusse verzichtete es.

C.

 X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil des
Kantonsgerichts sei aufzuheben, und er sei freizusprechen. Die Zivilforderung
sei vollständig auf den Zivilweg zu verweisen. Eventualiter sei die Sache zu
neuer Beurteilung an das Kantonsgericht zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.

 Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verurteilung wegen fahrlässiger
Körperverletzung. Sein Überholmanöver sei nicht sorgfaltswidrig gewesen.

1.1.

1.1.1. Fahrlässig handelt, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger
Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt (Art. 12 Abs.
3 StGB). Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäss Art. 125
StGB setzt somit voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer
Sorgfaltspflicht verursacht hat. Sorgfaltswidrig ist die Handlungsweise, wenn
der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse
und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte
erkennen können und müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten
Risikos überschritten hat. Für die Zurechenbarkeit des Erfolgs genügt die
blosse Vorhersehbarkeit nicht. Erforderlich ist auch dessen Vermeidbarkeit. Der
Erfolg ist vermeidbar, wenn er nach einem hypothetischen Kausalverlauf bei
pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Das Mass der im
Einzelfall zu beachtenden Sorgfalt richtet sich, wo besondere, der
Unfallverhütung und der Sicherheit dienende Normen ein bestimmtes Verhalten
gebieten, in erster Linie nach diesen Vorschriften (BGE 135 IV 56 E. 2.1 S. 64
f. mit Hinweisen).

1.1.2. Im Strassenverkehr beurteilt sich der Umfang der zu beachtenden Sorgfalt
nach den Bestimmungen des Strassenverkehrsgesetzes und der dazu gehörenden
Verordnungen. Wer überholt, muss auf die übrigen Strassenbenützer, namentlich
auf jene, die er überholen will, besonders Rücksicht nehmen (Art. 35 Abs. 3
SVG). Der Fahrzeugführer hat das Erschrecken von Tieren möglichst zu vermeiden
(Art. 42 Abs. 1 SVG). Bei der Begegnung mit Tierfuhrwerken und Tieren hat er so
zu fahren, dass die Tiere nicht erschreckt werden (Art. 4 Abs. 4 der
Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 [SR 741.11]).

1.2. Die Vorinstanz stellt fest, der Beschwerdegegner habe auf einem Feldweg im
Schritttempo ein Tierfuhrwerk geführt. Der Beschwerdeführer habe in seinem
Personenwagen von hinten aufgeschlossen und sei kurze Zeit hinter dem
Beschwerdegegner geblieben. Dieser habe den Beschwerdeführer bemerkt, nach
hinten geblickt und die Fahrt fortgesetzt, ohne ein Zeichen zu geben. Darauf
habe ihn der Beschwerdeführer auf der angrenzenden Wiese im Abstand von zirka 7
m mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 10 km/h überholt. Wegen des
Überholvorgangs seien die Pferde durchgebrannt, weshalb der Beschwerdegegner
von der Kutsche gestürzt sei und sich eine Trümmerfraktur der linken Schulter
zugezogen habe.

 Der Beschwerdeführer sei als ehemaliger Pferdehalter vertraut im Umgang mit
diesen Tieren. Es sei ihm bewusst gewesen, dass beim Überholen besondere
Vorsicht geboten ist. Er hätte mit dem Überholvorgang warten müssen, bis ihm
der Beschwerdegegner beispielsweise durch ein Handzeichen oder einen
Zwischenhalt signalisiert hätte, dass er überholen könne. Er habe gewusst, dass
er durch seinen Überholvorgang eine für den Beschwerdegegner und dessen Pferde
überraschende Situation schaffen würde.

 Der Beschwerdeführer habe voraussehen können, dass die Pferde aufgrund seines
Überholmanövers durchgehen könnten. Ebenso sei für ihn erkennbar gewesen, dass
der Beschwerdegegner in der Folge vom Kutschbock fallen und sich verletzen
könnte. Es lägen keine ganz aussergewöhnlichen Umstände vor, mit denen
schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass
sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs erscheinen und
so alle anderen mitverursachenden Faktoren in den Hintergrund drängen. Selbst
wenn der Beschwerdegegner mitverantwortlich wäre, weil er etwa den Verkehr
hinter sich nicht genügend aufmerksam verfolgte und deshalb seine Pferde
ungenügend auf den Überholvorgang vorbereitete, änderte dies an der
Voraussehbarkeit der Ereignisse durch den Beschwerdeführer nichts. Es sei nicht
ersichtlich, worin die ganz aussergewöhnlichen Umstände liegen sollten. Zudem
habe der Beschwerdeführer, noch bevor die Pferde scheuten, angenommen, dass der
Beschwerdegegner sich nicht adäquat verhalten und insbesondere die Pferde nicht
zurückgehalten hatte. Entsprechend sei er zu besonderer Vorsicht angehalten
gewesen. Indem er sein Manöver dennoch ausführte, habe er die Grenzen des
erlaubten Risikos überschritten und die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten
verletzt.

 Der Erfolg sei ohne Weiteres vermeidbar gewesen. Hätte der Beschwerdeführer
mit dem Überholvorgang zugewartet oder davon abgesehen, wäre es mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zum Durchgehen der Pferde und
dem daraus resultierenden Sturz des Beschwerdegegners samt Verletzungen
gekommen.

 Der Beschwerdeführer habe gewisse Vorsichtsmassnahmen getroffen, indem er mit
vergleichsweise grossem Abstand und tiefer Geschwindigkeit überholte. Da die
Massnahmen ungenügend gewesen seien, änderten sie nichts an seinem fahrlässigen
Verhalten und seien lediglich im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen.

1.3. Der Schuldspruch der fahrlässigen Körperverletzung ist
bundesrechtskonform. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, dringt nicht
durch.

1.3.1. Über weite Strecken übt der Beschwerdeführer appellatorische Kritik an
der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung, ohne darzulegen, inwiefern diese
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn
er ausführt, die Pferde seien nicht wegen seines Überholmanövers erschrocken,
sondern aus einem anderen Grund durchgebrannt, oder wenn er vorträgt, alle
hätten in ihm "recht unfair" den Schuldigen gesehen. Gleiches gilt, wenn er
"allen bisherigen Strafbehörden" vorwirft, sie hätten keinerlei Beweise
abgenommen, die sich zu seinen Gunsten hätten auswirken können. Er legt nicht
dar, inwiefern die Überprüfung der Pferde, der Kutsche oder des
Beschwerdegegners unabdingbar waren. Darauf ist nicht einzutreten.

1.3.2. Im Übrigen bringt der Beschwerdeführer vor, nach den vorinstanzlichen
Erwägungen seien Pferde gewohnt, dass Traktoren auf Wiesen und Äckern fahren,
während es unüblich sei, dass Autos sie von hinten auf einer Wiese überholten.
Dies sei widersinnig, könnten Pferde doch kaum Fahrzeugkategorien
auseinanderhalten. Überdies sei nicht ersichtlich, weshalb ein knatternder
Traktor ein Pferd nicht erschrecken könne, wogegen ein sehr langsam in 7 m
Distanz fahrendes Auto ein Pferd aufzuscheuchen vermöge. Die Vorinstanz erwägt
unter Hinweis auf das Gutachten vom 28. Februar 2014, Pferde suchten bei
unerwarteten Ereignissen ihr Heil in der Flucht. An Verkehr gewöhnten sie sich
schnell. Sie seien damit vertraut, dass auf Strassen mit Verkehr Motorfahrzeuge
von vorne kreuzen und von hinten überholen. Ebenso seien sie gewohnt, dass
Traktoren auf Wiesen und Äckern fahren. Ungewohnt, weil unüblich, sei es für
Pferde, dass sie von einem auf einer Wiese fahrenden Auto von hinten überholt
werden. Damit hält die Vorinstanz entgegen den Ausführungen des
Beschwerdeführers nicht fest, die Pferde wären nicht erschrocken, hätte nicht
sein Personenwagen, sondern ein Traktor sie überholt. Ebenso wenig erwägt sie,
Pferde könnten Fahrzeugkategorien unterscheiden.

 Der Beschwerdeführer wendet ein, der Beschwerdegegner hätte die Pferde auf
jeden Fall im Griff haben müssen. Dass er die Nervosität des Beschwerdegegners
wahrgenommen habe, könne ihm nicht angelastet werden. Die Vorinstanz erwägt,
der Beschwerdeführer habe vor dem Überholmanöver bemerkt, dass der
Beschwerdegegner nervös sei. Spätestens in diesem Zeitpunkt hätte er gewahr
werden müssen, dass der Beschwerdegegner die Pferde allenfalls nicht
hinreichend auf sein Überholmanöver vorbereiten würde und seine Tiere
ungenügend im Griff haben könnte. Es wäre folglich angezeigt gewesen, dass er
auf ein Handzeichen oder einen Zwischenhalt des Beschwerdegegners wartet oder
ganz vom Überholen absieht. Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden.

 Weiter trägt der Beschwerdeführer vor, es sei schleierhaft, welche
zusätzlichen Vorsichtsmassnahmen er hätte treffen sollen. Die Vorinstanz erwägt
zutreffend, er hätte zumindest sicherstellen müssen, dass der Beschwerdegegner
den Überholvorgang rechtzeitig erkennt und Einfluss auf seine Pferde nehmen
kann. Dass nirgends geschrieben steht, der Beschwerdeführer habe nur auf ein
Handzeichen des Beschwerdegegners überholen dürfen, schadet freilich nicht. Der
Beschwerdeführer wendet ein, er habe sein Überholmanöver abgebrochen, als er
wahrnahm, dass der Beschwerdegegner die Pferde nicht im Griff hatte. Dies hilft
ihm nicht, da er in diesem Zeitpunkt den Kausalverlauf bereits in Gang gesetzt
hatte.

 Als unbegründet erweist sich auch die Rüge, es sei nicht untersucht worden, ob
die Pferde mit Scheuklappen versehen waren. Die Vorinstanz gelangt zum
Ergebnis, es könne offenbleiben, ob die Pferde Scheuklappen trugen. Zwar halte
es der Gutachter für unwahrscheinlich, dass Pferde ohne Scheuklappen
erschrecken, er schliesse eine Schreckreaktion aber nicht aus.

2.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. Februar 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Andres

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