Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.895/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_895/2014

Urteil vom 30. März 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Rüedi, Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Martin Looser,
Beschwerdeführer,

gegen

Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Amtsleitung, Feldstrasse 42, 8090
Zürich,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Verweigerung der Benutzung des Familienzimmers im Strafvollzug,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 3.
Abteilung, Einzelrichterin, vom 21. Juli 2014.

Sachverhalt:

A. 
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte X.________ am 6. April 2011 u.a. wegen
mehrfacher qualifizierter Vergewaltigung und einfacher Körperverletzung zu
einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren. Die Berufung von X.________ gegen
dieses Urteil blieb ebenso erfolglos wie die anschliessend beim Bundesgericht
eingereichte Beschwerde in Strafsachen (Verfahren 6B_24/2012). X.________
befindet sich seit dem 15. Dezember 2011 in der Justizvollzugsanstalt
Pöschwies.

B. 
Das Amt für Justizvollzug wies am 3. April 2012 ein erstes Gesuch von
X.________ um Benützung des Familienzimmers mit seiner damaligen Verlobten und
heutigen Ehefrau Y.________ ab. Einen dagegen gerichteten Rekurs wies die
Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich (Justizdirektion) am 20.
Juni 2012 ab.
X.________ ersuchte am 5. September 2013 erneut darum, das Familienzimmer zu
benützen. Das Amt für Justizvollzug lehnte das Gesuch am 9. Oktober 2013 ab.
Die Justizdirektion wies den dagegen erhobenen Rekurs am 5. März 2014 ab. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Zürich wies die Beschwerde von X.________ am 21.
Juli 2014 ab.

C. 
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 15. September 2014 beantragt X.________, es
sei das verwaltungsgerichtliche Urteil vom 21. Juli 2014 aufzuheben und ihm zu
erlauben, das Familienzimmer zu benützen. Eventualiter sei die Sache an den
Beschwerdegegner bzw. die Vorinstanz zurückzuweisen und die entsprechende
Behörde anzuweisen, eine Risikoabklärung über ihn auf der Basis eines
unabhängigen psychiatrischen Gutachtens vorzunehmen und gestützt darauf über
sein Gesuch zu befinden. Im Falle der Rückweisung sei der Beschwerdegegner
überdies anzuweisen, die technischen und organisatorischen Vorkehren zu
treffen, damit eine Benützung des Familienzimmers auch für seine körperlich
behinderte Ehefrau möglich und jedenfalls nicht mit höheren Risiken verbunden
sei als für nicht behinderte Besucherinnen.

Erwägungen:

1. 
Gemäss Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG unterliegen der Beschwerde in Strafsachen auch
Entscheide über den Vollzug von Strafen und Massnahmen. Zur Beschwerde ist
legitimiert, wer ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder
Änderung des angefochtenen Entscheids hat (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG). Ein
bloss generelles oder tatsächliches Interesse genügt demgegenüber nicht (BGE
133 IV 228 E. 2.3). Der Beschwerdeführer kann vorliegend ein rechtliches
geschütztes Recht aus kantonalem Recht ableiten (E. 3.2). Auf die Beschwerde
ist daher grundsätzlich einzutreten.
Soweit der Beschwerdeführer im Blick auf die körperliche Behinderung seiner
Ehefrau einen Verstoss gegen das Verbot der Diskriminierung behinderter
Menschen unter Berufung auf Art. 8 Abs. 2 EMRK (wohl Art. 8 Abs. 1 EMKR
gemeint) geltend macht, ist er nicht in seinen eigenen rechtlich geschützten
Interessen verletzt. Entsprechendes gilt, soweit er sich auf die Rechte seiner
Ehefrau betreffend selbstständige Lebensführung und Pflege persönlicher
Beziehungen beruft. Auf die Beschwerde ist insofern nicht einzutreten.

2. 
Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz Willkür nach Art. 9 BV vor. Um die
Gefährdung seiner Ehefrau bei der Benützung des Familienzimmers im Sinne eines
unüberwachten Kontakts richtig einschätzen zu können, hätte sie ein
unabhängiges psychiatrisches Gutachten einholen müssen. Die Vorinstanz stütze
sich indessen alleine auf veraltete computergestützte Risikoprognosen, lasse
die persönliche Einschätzung seiner Ehefrau namentlich zur Gefahrenlage ausser
Acht und messe der Tatsache kein Gewicht zu, dass ihm eine "gute Rückmeldung"
zum Vollzugsverhalten attestiert worden sei.
Der Beschwerdeführer kritisiert überdies den Schluss der Vorinstanz, die
Sicherheit seiner Ehefrau könne bei der Benützung des Familienzimmers nicht
gewährleistet werden. Auch damit stelle sie den Sachverhalt willkürlich fest,
was in eine Verletzung seiner Rechte münde.

3.

3.1. Nach Art. 84 Abs. 1 StGB hat der Gefangene das Recht, Besuche zu empfangen
und mit Personen ausserhalb der Anstalt Kontakt zu pflegen. Soweit es um
nahestehende Personen geht, ist der Kontakt nach Möglichkeit zu erleichtern
(Art. 84 Abs. 1 Satz 2 StGB). Gemäss Art. 84 Abs. 2 Satz 1 StGB kann der
Kontakt zum Schutz der Ordnung und Sicherheit der Strafanstalt jedoch
kontrolliert, beschränkt oder untersagt werden. Die Frage der Intim- und
Beziehungsbesuche regelt Art. 84 StGB nicht ausdrücklich.

3.2. Auf kantonaler Ebene regelt § 117 der Justizvollzugsverordnung vom 6.
Dezember 2006 des Kantons Zürich (JVV; GS 331.1) die Familien- und
Beziehungsbesuche ( BENJAMIN BRÄGGER, Intimbesuche im geschlossenen Straf- und
Massnahmenvollzug in der Schweiz, in: Sexualität, Devianz und Delinquenz, Bern
2014, S. 141 ff., S. 151). Nach § 117 Abs. 3 JVV können Ehegatten, eingetragene
Partnerinnen oder Partner, Lebenspartnerinnen oder -partner sowie Kinder für
längere Besuche zugelassen werden, wenn der verurteilten Person keine Urlaube
gewährt werden können (lit. a) und die erforderlichen personellen und
räumlichen Voraussetzungen gegeben sind (lit. b). Sind keine Missbräuche zu
befürchten, werden Besuche nicht überwacht (§ 117 Abs. 4 JVV). Wegen
Fluchtgefahr oder zur Verhinderung der Gefährdung von Besucherinnen oder
Besuchern [...] kann dieses Recht im Einzelfall jedoch dauernd oder
vorübergehend allgemein eingeschränkt werden (§ 122 Abs. 3 JVV).

3.3. Gefangene haben ein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art.
8 Abs. 1 EMRK). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) begrüsst
die Tendenz der Mitgliedstaaten, Intim- oder Beziehungsurlaube zuzulassen. Die
Einschränkung bzw. Verweigerung solcher Besuche könne zur Aufrechterhaltung der
Ordnung und Verhütung von Straftaten im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK indes
gerechtfertigt sein. Die Konventionsstaaten verfügten über einen grossen
Ermessensspielraum (vgl. Urteil des EGMR vom 9. Dezember 2013, Varnas v.
Lithuania, Nr. 42615/06, Ziff. 107 ff.; Urteil des EGMR vom 29. August 2012,
Epners-Gefners v. Latvia, Nr. 37862/02;. Urteil des EGMR vom 29. April 2003,
Aliev v. Ukraine, Nr. 41220/98, Ziff. 188, s.a. Urteil des EGMR vom 4. Dezember
2007, Dickson v. The United Kingdom, Nr. 44362/04, Ziff. 74 im Zusammenhang mit
"artificial insemination"; vgl. BRÄGGER, a.a.O., S. 142, S. 151 f.).

4.

4.1. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur
gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie
willkürlich ist (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 134 IV 36 E. 1.4.1).

4.2. Die Auslegung und Anwendung kantonalen Rechts prüft das Bundesgericht nur
unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür (BGE 138 IV 13 E. 2 S. 15).
Willkür im Sinne von Art. 9 BV liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn
der angefochtene Entscheid auf einer unhaltbaren oder widersprüchlichen
Beweiswürdigung beruht, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch
steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder
in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 138 I 49 E.
7.1 mit Hinweisen).

5.

5.1. Der Beschwerdeführer wurde wegen Körperverletzungs- und schwerwiegender
Sexualdelikten verurteilt. Das Rückfallrisiko wurde als mittelhoch bzw. als
hoch eingestuft. Die entsprechende Risikoabklärung vom 19. September 2011
beruht entgegen der aktenwidrigen Behauptung des Beschwerdeführers nicht nur
auf einer computergestützten Risikoeinschätzung, sondern (zusätzlich) auf einer
differenzierten Einzelfallanalyse durch eine Fachperson der Abteilung für
Forensisch-Psychologische Abklärungen (AFA) des kantonalen Justizvollzugs
(kantonale Akten, act. 5). Die Risikobeurteilung der AFA ist breit abgestützt,
nachvollziehbar sowie in sich schlüssig. Sie befasst sich mit allen
massgebenden Gesichtspunkten. Dadurch, dass dem Beschwerdeführer gemäss
Protokoll der Vollzugskoordinationssitzung vom 4. Juli 2013 erste positive
Veränderungen bei der Deliktsaufarbeitung zugebilligt werden, wird sie weder
inhaltlich noch unter dem Aspekt ihrer Aktualität in Frage gestellt. Die
Vorinstanz weist willkürfrei auf die noch nicht ausreichende Auseinandersetzung
des Beschwerdeführers mit den Straftaten hin. Auf die persönliche Einschätzung
der Gefahrenlage durch die Ehefrau des Beschwerdeführers kommt es nach der
nicht zu beanstandenden vorinstanzlichen Auffassung im Übrigen nicht an. Nicht
relevant ist daher, dass sich jene nicht fürchtet bzw. davon ausgeht, der
Beschwerdeführer stelle für sie auch bei einem unbeaufsichtigten Kontakt keine
Gefahr dar. Die Vorinstanz durfte ohne Willkür auf die Risikoabklärung der AFA
abstellen und ein unabhängiges psychiatrisches Gutachten im vorliegenden
Zusammenhang nicht als erforderlich erachten. Der Willkürvorwurf erweist sich
als unbegründet.

5.2. Soweit sich der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde auf Art. 10 Abs. 2
und Art. 13 Abs 1 BV sowie Art. 8 Abs. 1 EMRK beruft, kommt seinen Vorbringen
keine über das bereits Dargelegte hinausgehende selbstständige Bedeutung zu,
zumal er die genannten Verfassungs- und Konventionsbestimmungen nur deshalb für
verletzt erachtet, weil die Vorinstanz auf die Einholung eines unabhängigen
psychiatrischen Gutachtens zur Abklärung der Rückfallgefahr verzichtete.

5.3. Die Vorinstanz durfte nach dem Gesagten ohne Willkür davon ausgehen, der
Beschwerdeführer sei in Bezug auf Körperverletzungs- und Sexualdelikte
rückfallgefährdet. Dass er die ihm zur Last gelegten Delikte an ihm unbekannten
Opfern und damit ausserhalb familiärer Beziehungen beging, führt in Bezug auf
die Einschätzung der Gefahrenlage betreffend die sexuelle und/oder körperliche
Integrität seiner Ehefrau im Rahmen eines unbeaufsichtigten Besuchs nicht zu
einem anderen Ergebnis. Ausschlaggebend ist, dass es dem Beschwerdeführer
gemäss Risikoabklärung der AFA an der Hemmung fehlt, seine sexuellen Triebe
auch gegen den Willen des Opfers an diesen zu befriedigen. Wie die Hintergründe
einer seiner Straftaten zeigen, wurde er auch im Rahmen eines einvernehmlichen
Geschlechtsverkehrs gegenüber dem Opfer zunehmend aggressiv und verletzte
dieses schliesslich durch einen Biss in das Gesicht (vgl. Verfahren 6B_24/
2012). Bei dieser Sachlage durfte die Vorinstanz willkürfrei und ohne
Rechtsverletzung folgern, die Sicherheit der Ehefrau könne im Rahmen eines
unbeaufsichtigten Besuchs in der Strafanstalt nicht ausreichend gewährleistet
werden. Der angefochtene Entscheid ist damit nicht zu beanstanden.

5.4. Die im Sinne eines zusätzlichen Begründungselements gemachten Ausführungen
der Vorinstanz, die Ehefrau des Beschwerdeführers wäre aufgrund ihrer
körperlichen Behinderung auch nicht in der Lage, den Alarmknopf im
Familienzimmer zu betätigen, erweisen sich unter diesen Umständen als nicht
relevant. Auf die dagegen erhobenen Vorbringen in der Beschwerde muss deshalb
nicht eingegangen werden.

6.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die
Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich,
3. Abteilung, Einzelrichterin, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. März 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill

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