Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.823/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_823/2014

Urteil vom 23. Januar 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiber Held.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Advokatin Dr. Eva Weber,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Mehrfache Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz; Grundsatz ne bis in
idem,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht,
2. Kammer, vom 27. Mai 2014.

Sachverhalt:

A.

 X.________ ist Gesellschafter und Geschäftsführer mit Einzelunterschrift der
A.________ GmbH, die unter anderem die Geräte "POI-Pilot 3000" und "POI-Pilot
5000+" neben anderen europäischen Ländern auch in der Schweiz zum Verkauf
anbietet. Bei den Geräten handelt es sich um GPS-Geräte, die durch die
Installation entsprechender Software zu sogenannten Radar-Warngeräten
aufgerüstet werden können.
Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft stellte am 5. Mai 2011 ein gegen
X.________ eingeleitetes Strafverfahren wegen Inverkehrbringens von Geräten und
Vorrichtungen, welche die behördliche Kontrolle des Strassenverkehrs
erschweren, stören oder unwirksam machen können (z.B. Radarwarngeräte) ein. Die
Einstellungsverfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

B.

 Die Staatsanwaltschaft Baden erhob am 10. Dezember 2012 Anklage gegen
X.________ und legte ihm zur Last, zwischen dem 2. August 2011 und 30. August
2012 für eine juristische Person Geräte, welche die behördliche Kontrolle des
Strassenverkehrs erschweren, stören oder unwirksam machen, in den Verkehr
gebracht und angepriesen zu haben.

 Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte X.________ im
Berufungsverfahren am 27. Mai 2014 wegen mehrfacher Widerhandlungen gegen das
Bundesgesetz über den Strassenverkehr (Inverkehrbringen von Radarwarngeräten),
begangen zwischen 2. August 2011 und 30. August 2012, zu einer Busse von Fr.
3'000.-- als Zusatzstrafe zu einem Urteil des Strafgerichts Basel-Landschaft
aus dem Jahr 2012. Von weiteren Vorwürfen sprach es ihn frei.

C.

 X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und "subsidiäre
Verfassungsbeschwerde". Er beantragt sinngemäss, er sei vom Vorwurf der
mehrfachen Verkehrsregelverletzung freizusprechen, eventualiter sei die Sache
zur neuen Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen. X.________ ersucht um
aufschiebende Wirkung seiner Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Bundesrecht im Sinne von Art. 95 lit. a BGG umfasst die von den Bundesbehörden
erlassenen Rechtsnormen aller Erlassstufen und aller Rechtsgebiete, weshalb mit
den Einheitsbeschwerden insbesondere auch die Verletzung verfassungsmässiger
Rechte gerügt werden kann (BGE 134 IV 36 E. 1.4.3 S. 41). Da in Strafsachen
alle letztinstanzlichen kantonalen Entscheide mit der ordentlichen Beschwerde
angefochten werden können, verbleibt für die subsidiäre Verfassungsbeschwerde
kein Anwendungsbereich (Urteile 6B_945/2013 vom, 23. Mai 2014 E. 2; 6B_807/2013
vom 28. April 2014 E. 1; je mit Hinweisen). Die vom Beschwerdeführer im Rahmen
der subsidiären Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen sind als Beschwerde in
Strafsachen entgegenzunehmen.

2.

2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Grundsatzes "ne bis in
idem". Über seine Strafbarkeit wegen Verkaufs der POI-Pilot-Geräte "3000" und
"50001+" sei im Sinne einer "res iudicata" mit Einstellungsbeschluss der
Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft vom 5. Mai 2011 ein für alle mal
rechtskräftig entschieden worden. Das Verbot der Doppelbestrafung sei aufgrund
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Dauerdelikten nicht ausgeschlossen,
denn nach einer rechtskräftigen Verfahrenseinstellung könne im Gegensatz zu
einem richterlichen Schuldspruch der Wille, einen rechtswidrigen Zustand nicht
beseitigen zu wollen, nicht neu gefasst werden. Wäre dies der Fall, könnte ein
rechtskräftiger Freispruch bei einem Dauerdelikt keine Sperrwirkung entfalten,
was offensichtlich falsch sei und keiner weiteren Ausführungen bedürfe.

2.2. Die Vorinstanz erwägt, die am 5. Mai 2011 ergangene Einstellungsverfügung
der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft könne sich (bereits denklogisch) nicht
auf die zur Anklage gebrachten und als Dauerdelikt zu betrachtenden
Vertriebshandlungen zwischen August 2011 und August 2012 beziehen, weshalb das
Verbot der doppelten Strafverfolgung (Art. 11 Abs. 1 StPO) nicht zur Anwendung
komme und sich die Frage einer allfälligen Wiederaufnahme nach Art. 11 Abs. 2
StPO nicht stelle.

2.3.

2.3.1. Der Grundsatz "ne bis in idem" besagt, dass niemand wegen einer
Straftat, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht
eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem
Strafverfahren desselben Staates erneut verfolgt oder bestraft werden darf
(vgl. Art. 4 des Protokolles Nr. 7 zur EMRK [SR 0.101.07]; Art. 14 Abs. 7 IPBPR
[SR 0.103.2]; Art. 11 Abs. 1 StPO; BGE 137 IV 363 E. 2.1 S. 364 f.; Urteil
6B_20/2014 vom 14. November 2014 E. 3.2; je mit Hinweisen). Die Anwendung des
Prinzips "ne bis in idem" setzt unter anderem voraus, dass dem Richter im
ersten Verfahren die Möglichkeit zugestanden haben muss, den Sachverhalt unter
allen tatbestandsmässigen Punkten zu würdigen (BGE 135 IV 6 E. 3.3 S. 10 mit
Hinweis). Eine rechtskräftige Einstellungsverfügung kommt einem freisprechenden
Endentscheid gleich (Art. 320 Abs. 4 StPO).

2.3.2. Die Vorbringen gehen an der Sache vorbei, soweit sie überhaupt den
Begründungsanforderungen gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG genügen. Der
Beschwerdeführer setzt sich nicht detailliert mit den vorinstanzlichen
Erwägungen auseinander und zeigt nicht auf, inwieweit der angefochtene
Entscheid Bundesrecht verletzten soll (vgl. BGE 140 III 86 E. S. 88 f. mit
Hinweisen). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers und der Vorinstanz
stellt das angeklagte Inverkehrbringen der GPS-Geräte nebst Zubehör in Form des
Verkaufens kein Dauerdelikt dar, weshalb sich die Frage einer allfälligen
Zäsurwirkung infolge der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft
Basel-Landschaft vom 5. Mai 2011 nicht stellt. Ein Verbot gegen das
Doppelbestrafungsgebot scheidet demnach von vornherein aus, da Gegenstand des
angefochtenen Urteils ausschliesslich Handlungen sind, die zeitlich nach dem
Erlass der in Rechtskraft erwachsenen Einstellungsverfügung erfolgten.

3.

3.1. Der Beschwerdeführer rügt sinngemäss, der vorinstanzlich festgestellte
Sachverhalt sei willkürlich und verletze Art. 323 Abs. 1 lit. b StPO. Die zu
den GPS-Geräten mitgelieferte CD-ROM enthalte keine verbotenen POI-Datensätze,
sondern sei lediglich eine Kommunikationshilfe zwischen GPS-Gerät und Internet.
Sämtliche POI-Daten - ob erlaubt oder verboten - stünden jedermann im Internet
zur Verfügung und müssten vom Kunden selbst auf das GPS-Gerät geladen werden.
Dieser Sachverhalt habe bereits der Einstellungsverfügung der
Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft zugrunde gelegen. Die Diskrepanz zwischen
dem angefochtenen Entscheid und dem von der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft
festgestellten Sachverhalt beruhe ausschliesslich auf mangelndem technischen
Know-how der Vorinstanz. Eine Sachverhaltsfeststellung zuungunsten des
Beschwerdeführers mangels technischen Know-hows sei willkürlich. Indem die
Vorinstanz ihm vorwerfe, dass er sich nicht genügend über die Strafbarkeit
seines Verhaltens informiert habe, verstosse sie gegen den Grundsatz "in dubio
pro reo".

3.2. Die Vorinstanz erwägt, neben dem eigentlichen GPS-Gerät werde eine CD-ROM
mitgeliefert, die den Zugang zu zwei verschiedenen Datensätzen ermögliche, von
denen einer auch verbotene POI-Daten enthalte. Die Aufforderung an den Nutzer
in der Schweiz, nur den legalen POI-Datensatz zu installieren, ändere nichts
daran, dass es sich um ein Gerät im Sinne von Art. 57b aSVG handle, das
geeignet sei, Strassenverkehrskontrollen zu stören. Subjektiv sei der
Beschwerdeführer einem Sachverhaltsirrtum unterlegen, denn er habe angenommen,
es handle sich nicht um verbotene Radarwarngeräte. Dass der Irrtum einzig auf
einer falschen Rechtsauslegung beruhe, sei unerheblich, da ein Rechtsirrtum nur
dann vorläge, wenn der Beschwerdeführer in Verkennung der Rechtslage den
Vertrieb von Radarwarngeräten für straflos gehalten hätte, was nicht der Fall
gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe jedoch gestützt auf die
Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft und seiner
offensichtlich ungenügenden Abklärungen nicht von der Rechtmässigkeit seines
Tuns ausgehen dürfen. Vielmehr hätte das (eingestellte) Strafverfahren Anlass
sein müssen, sein Vorgehen zu überdenken oder zumindest zuverlässige
Abklärungen zu treffen, womit er seinen Irrtum hätte vermeiden können. Dass er
dies nicht getan habe, grenze an bewusstes "Nichtwissenwollen" respektive eine
eventualvorsätzliche Inkaufnahme der Tatverwirklichung, womit zumindest eine
fahrlässige Tatbegehung erstellt sei.

3.3. Die Rügen erweisen sich als unbegründet, soweit angesichts der
gesteigerten Begründungsanforderungen einer Willkürrüge (vgl. Art. 42 Abs. 2,
Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 140 III 264 E. 3 S. 266; 138 I 305 E. 4.3; 137 IV 1 E.
4.2.3; je mit Hinweisen) überhaupt auf sie eingetreten werden kann.
Unzutreffend ist, die Vorinstanz gehe davon aus, der illegale Datensatz sei auf
der CD-ROM enthalten. Die Vorinstanz stellt in Übereinstimmung mit dem
Vorbringen des Beschwerdeführers fest, die CD ermögliche den Zugang zu dem von
der A.________ GmbH zur Verfügung gestellten illegalen Datenersatz. Unklar ist,
was der Beschwerdeführer mit seiner Rüge zum Ausdruck bringen will, die
vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen verstiessen gegen Art. 323 Abs. 1
lit. b StPO und seien damit willkürlich. Dies kann jedoch offenbleiben, denn er
übersieht, dass die Vorinstanz die Voraussetzungen einer Wiederaufnahme
aufgrund unterschiedlicher Lebenssachverhalte zutreffend verneint und Art. 323
StPO nicht zur Anwendung gelangt.

 Inwieweit aufgrund der verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz
überhaupt ein - wie auch immer gearteter - Irrtum des Beschwerdeführers
vorliegen soll, ist nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer wusste, dass die
Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft bei Erlass der Einstellungsverfügung
fälschlicherweise davon ausging, die A.________ GmbH stelle den Käufern nicht
den (Zugang zum) illegalen POI-Datensatz zur Verfügung. Ihm war durchaus
bewusst, dass der Verkauf der GPS-Geräte bei gleichzeitig gewährtem Zugriff auf
illegale Datensätze strafbar ist. Dass die Vorinstanz unzutreffend einen
Sachverhaltsirrtum anstelle eines (vermeidbaren) Rechtsirrtums annimmt, wirkt
sich nicht zu Ungunsten des Beschwerdeführers aus.

4.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die
Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Mit
dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer
auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. Januar 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Held

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