Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.798/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_798/2014

Urteil vom 20. Mai 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Konrad Jeker,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Departement Volkswirtschaft und Inneres, Amt für Justizvollzug, Bahnhofplatz
3c, 5001 Aarau,
2. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 20,
Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Aufhebung einer stationären therapeutischen Massnahme,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2.
Kammer, vom 4. Juni 2014.

Sachverhalt:

A. 
X.________ wurde mit zwei Strafbefehlen vom 9. September 2010 und 17. März 2011
zu Geldstrafen von 30 bzw. 150 Tagessätzen verurteilt. Die beiden Geldstrafen
wurden am 3. Januar 2012 in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt. Während
ihres Vollzugs ordnete das Bezirksgericht Bremgarten am 5. Juli 2012 auf Antrag
des Amts für Justizvollzug eine stationäre therapeutische Massnahme im Sinne
von Art. 65 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 59 StGB an. Das bezirksgerichtliche
Urteil erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
Die stationäre therapeutische Massnahme wurde in der Justizvollzugsanstalt
Lenzburg und im Therapiezentrum Im Schache vollzogen. Am 15. Juli 2013
verweigerte das Amt für Justizvollzug des Kantons Aargau (AJV) die bedingte
Entlassung von X.________. Am 23. Dezember 2013 ordnete es dessen
vorübergehende Unterbringung im Zentralgefängnis Lenzburg an. Am 3. März 2014
wurde X.________ zum Massnahmenvollzug in die psychiatrische Klinik
Königsfelden eingewiesen.

B. 
Am 16. Dezember 2013 ersuchte X.________ um Aufhebung der stationären
therapeutischen Massnahme. Das AJV lehnte das Gesuch am 25. Februar 2014 ab.
Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Aargau am 4. Juni 2014 ab.

C. 
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 18. August 2014 beantragt X.________, das
verwaltungsgerichtliche Urteil vom 4. Juni 2014 und die angeordnete stationäre
therapeutische Massnahme seien aufzuheben. Eventualiter sei die Sache zur neuen
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. X.________ ersucht überdies um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

D. 
Das Verwaltungsgericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau
verzichten am 10. und 17. April 2015 auf eine Vernehmlassung zur Beschwerde.
Das Departement Volkswirtschaft und Inneres macht von der Gelegenheit, zur
Beschwerde Stellung zu nehmen, ebenfalls keinen Gebrauch, weist in seiner
Eingabe vom 22. April 2015 aber gestützt auf einen Bericht der Psychiatrischen
Dienste Aargau AG vom 11. Februar 2015 und eine Verfügung des AJV vom 27.
Februar 2015 darauf hin, dass X.________ offenbar zu seiner
Therapiebereitschaft zurückgefunden habe.

Erwägungen:

1. 
Die Vorinstanz lehnt eine Aufhebung der stationären therapeutischen Massnahme
ab. Sie führt im Wesentlichen aus, dem Beschwerdeführer gehe es darum, die
stationäre therapeutische Behandlung zu Fall zu bringen, indem er sich als
nicht massnahmenfähig und -willig darstelle. In den umfangreichen medizinischen
Unterlagen werde er nirgends als nicht therapierbar qualifiziert. Seine aktuell
fehlende Motivation sei als vorübergehende Erscheinung zu qualifizieren. Nach
wie vor bestehe die begründete Hoffnung, dass er auf ein Intensivprogramm
ansprechen werde. Die bisherige Therapiedauer von sechs Monaten sei zu kurz,
als diese bereits einen Einfluss auf die Legalprognose hätte bewirken können.
Das öffentliche Interesse an der Weiterführung der Massnahme überwiege das
Interesse des rückfallgefährdeten Beschwerdeführers an deren Aufhebung. Eine
mildere zielführende Massnahme sei nicht ersichtlich. Die stationäre
therapeutische Massnahme sei folglich nicht nur notwendig, sondern auch
verhältnismässig und damit weiterzuführen (Entscheid, S. 7 ff.).
Nach Auffassung des Beschwerdeführers verletzt der angefochtene Entscheid
Bundesrecht. Die stationäre therapeutische Massnahme sei unter anderem deshalb
aufzuheben, weil sie aussichtslos sei und ihre Weiterführung einen
unverhältnismässigen Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit
darstelle. Zur Begründung seiner Beschwerde verweist er auf den Umstand, dass
Anlass der Massnahmenanordnung zwei in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelte
Geldstrafen von insgesamt 180 Tagessätzen bildeten. Der im Massnahmenvollzug
ausgestandene Freiheitsentzug liege bereits ein Vielfaches über dieser
Ersatzfreiheitsstrafe. Dass eine Rückfallgefahr für die Begehung weiterer
Straftaten mit einer Wahrscheinlichkeit bestehe, welche die Fortführung der
Massnahme und damit die einhergehende Beschränkung der persönlichen Freiheit
rechtfertige, sei nicht erstellt. Die medizinischen Vorakten liessen auf die
Aussichtslosigkeit der Massnahme schliessen. Bereits aus dem Gutachten 2006
ergebe sich, dass er nicht willens und in der Lage sei, sich einer Therapie
nachhaltig zu unterziehen. Zusammenfassend sei es weder notwendig noch
zumutbar, ihn weiterhin stationär zu behandeln.

2. 
Streitgegenstand vor Bundesgericht bildet die Nichtaufhebung und damit die
Weiterführung der nachträglichen stationären therapeutischen Massnahme.

2.1. Nach Art. 56 Abs. 6 StGB ist eine Massnahme, für welche die
Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind, aufzuheben (vgl. Art. 62c Abs. 1 lit.
a StGB; siehe BGE 137 IV 201 E. 1.3; vgl. GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches
Strafrecht, Allgemeiner Teil, Strafen und Massnahmen, Bern 2. Aufl. 2006, § 9
Rz. 52; MARIANNE HEER, Basler Kommentar, Strafrecht, 3. Aufl. 2013, Rz. 17 zu
Art. 62c StGB; ROTH/THALMANN, in: Commentaire Romand, Code pénal I, 2009, Rz.
53 zu Art. 56 StGB). Dieser Grundsatz ist weit auszulegen. Er kommt nicht nur
zur Anwendung, wenn die Anordnungsvoraussetzungen einer Massnahme nachträglich
entfallen und damit nicht mehr bestehen, sondern - a fortiori - auch dann, wenn
sie von Anfang an gar nie vorgelegen haben. Das ergibt sich unmittelbar aus dem
Grundrecht der persönlichen Freiheit, fehlt es doch in beiden Fällen an einer
Legitimationsgrundlage bzw. an einer Rechtfertigung für einen weiteren mit der
Massnahme verbundenen Freiheitsentzug. Im einem Fall besteht diese Grundlage
nicht mehr, im andern Fall hat sie von Anfang an gar nie bestanden. Es geht
dabei nicht um eine Überprüfung der Massnahmenanordnung als solche und damit
auch nicht um eine allfällige Korrektur des in Rechtskraft erwachsenen
Anordnungsurteils. Es geht vielmehr um die Überprüfung der Weiterführung der
Massnahme. Ergibt diese Prüfung, dass die Voraussetzungen der Massnahme nicht
mehr vorliegen oder von Anfang an gar nie vorgelegen haben, ist sie im Sinne
von Art. 56 Abs. 6 StGB aufzuheben.

2.2. Dass eine Massnahme, für welche die Voraussetzungen nicht erfüllt sind
oder von Anfang an gar nie bestanden haben, aufzuheben ist, ergibt sich auch
aus dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Dieser Grundsatz beansprucht im
gesamten Massnahmenrecht, sowohl bei der Anordnung als auch bei
Folgeentscheidungen wie beispielsweise der Nichtaufhebung bzw. Weiterführung
der Massnahme, uneingeschränkt Geltung. Der Verhältnismässigkeitsgrundsatz wird
in Art. 56 Abs. 2 StGB konkretisiert. Danach darf der mit einer Massnahme
verbundene Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Täters im Hinblick auf die
Wahrscheinlichkeit und Schwere weiterer Straftaten nicht unverhältnismässig
sein. Was das konkret bedeutet, hängt entscheidend von der Gewichtung der im
Einzelfall einander widerstreitenden Interessen ab, d.h. insbesondere von der
Grösse der Gefahr, der die Massnahme begegnen soll, und der Schwere des
Eingriffs in die Rechte des Betroffenen, der mit ihr verbunden ist. Eine
unverhältnismässige Massnahme darf nicht angeordnet und auch nicht
aufrechterhalten werden, sie muss vielmehr aufgehoben werden. Dem
Verhältnismässigkeitsgebot kommt insofern ähnlich dem Schuldprinzip
Begrenzungsfunktion zu (vgl. Urteil des Bundesgerichts 6B_109/2013 vom 19. Juli
2013 E. 4.4 mit Hinweisen).

3.

3.1. Der Beschwerdeführer wurde am 9. September 2010 und 17. März 2011 im
Strafbefehlsverfahren zu zwei Geldstrafen von 30 bzw. 150 Tagessätzen wegen
Tätlichkeiten, Drohung, Nötigung und einfacher Körperverletzung verurteilt. Am
3. Januar 2012 wurden die Geldstrafen wegen Uneinbringlichkeit in eine
Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt. Der Beschwerdeführer wurde am 6. Januar 2012
in Haft genommen. Kurz vor Ablauf des Vollzugs der Ersatzfreiheitsstrafe wurde
am 5. Juli 2012 die nachträgliche stationäre therapeutische Massnahme im Sinne
von Art. 65 Abs. 1 i.V.m. Art. 59 StGB angeordnet. Die Vorinstanz entschied am
4. Juni 2014, dass die Massnahme nicht aufzuheben, sondern weiterzuführen sei.

3.2.

3.2.1. Grundlage der nachträglichen Massnahmenanordnung bzw. der
Massnahmenfortführung und der damit einhergehenden Freiheitsentziehung bilden
zwei in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelte Geldstrafen.

3.2.2. Art. 65 Abs. 1 StGB regelt die nachträgliche stationäre therapeutische
Massnahme. Diese bildet eine sehr eingriffsintensive Intervention zu Lasten des
Verurteilten. Damit eine solche Massnahme (überhaupt) angeordnet und - a
fortiori - weitergeführt werden kann, setzt die genannte Gesetzesbestimmung in
formeller Hinsicht voraus, dass der Täter zu einer unbedingten Freiheitsstrafe
verurteilt wurde (vgl. SCHWARZENEGGER/HUG/JOSITSCH, Strafrecht II, Strafen und
Massnahmen, 8. Aufl. Zürich, S. 224 f). Gemeint ist damit eine Verurteilung zu
einer Freiheitsstrafe im Sinne von Art. 40 StGB.

3.2.3. Eine im Strafbefehlsverfahren ergangene Verurteilung zu einer Geldstrafe
gemäss Art. 34 StGB erfüllt diese Voraussetzung offenkundig nicht, auch wenn
sie ersatzweise als Freiheitsstrafe vollzogen wird (Art. 36 StGB). Denn die
Geldstrafe wird in Ersatzfreiheitsstrafe nur umgewandelt, wenn der Verurteilte
sie nicht bezahlt und diese auch auf dem Betreibungsweg uneinbringlich ist.
Trotz Umwandlung kann der Verurteilte durch nachträgliche vollständige oder
teilweise Bezahlung der Geldstrafe den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe in
entsprechendem Umfang vermeiden. Darin zeigt sich, dass die
Ersatzfreiheitsstrafe ihrer Natur nach lediglich Geldstrafenvollzug ist. Sie
ist mit andern Worten nur Behelf zur Durchsetzung des primär auf Geldleistung
gerichteten Strafanspruchs des Staates (siehe BGE 129 IV 212 E. 2.3; 124 IV 205
E 8b; 105 IV 14 E. 2 zur Umwandlungsstrafe bei Nichtbezahlung der Busse unter
altem Recht; vgl. ANNETTE DOLGE, Basler Kommentar, Strafrecht, 3. Aufl. 2013,
Rz. 5 und 16 zu Art. 36 StGB; SANDRO CIMICHELLA, Die Geldstrafe im Schweizer
Strafrecht, Diss. Bern 2006, S. 250; YVAN JEANNERET, in: Commentaire Romand,
Code pénal I, 2009, Rz. 1 zu Art. 36 StGB).

3.2.4. Eine Ersatzfreiheitsstrafe bildet demnach nicht Freiheitsstrafe im Sinne
von Art. 40 StGB. Auf ihrer Grundlage kann eine nachträgliche stationäre
therapeutische Massnahme gemäss Art. 65 Abs. 1 StGB damit von vornherein
offensichtlich weder angeordnet noch weitergeführt werden. Der hier zu
beurteilenden Massnahme fehlt (e) es damit von Anfang an einer
Grundvoraussetzung. Sie ist daher im Sinne von Art. 56 Abs. 6 StGB aufzuheben.

3.3.

3.3.1. Zum gleichen Ergebnis führt das im Massnahmenrecht geltende
Verhältnismässigkeitsprinzip gemäss Art. 56 Abs. 2 StGB. Der Beschwerdeführer
verübte verschiedene Straftaten. In zwei Strafbefehlen wurden ihm
Tätlichkeiten, eine einfache Körperverletzung sowie Drohung und Nötigung zur
Last gelegt. Die Art des Verfahrens (Strafbefehl), die gewählte Strafart
(Geldstrafe) und das konkrete Strafmass (180 Tagessätze) machen insgesamt
deutlich, dass es sich bei den vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten um
relativ geringfügige Delinquenz im unteren Bereich der Kriminalität handelt.
Die Geldstrafen wurden in eine Ersatzfreiheitsstrafe umgewandelt, welche
Ausgangspunkt für die Anordnung der Massnahme bildete. Der Beschwerdeführer
befindet sich seit dem 6. Januar 2012 im Vollzug. Seine Freiheit war ihm im
Zeitpunkt des vorinstanzlichen Entscheids folglich seit rund 2 Jahren und 5
Monaten entzogen. Im Zeitpunkt des bundesgerichtlichen Entscheids werden es
rund 3 Jahre und 4 Monate sein. Dieser Zeitraum ist - namentlich mit Blick auf
die eher geringe Schwere der in Frage stehenden Straftaten - sehr lang. Der
Freiheitsentzug übersteigt die Ersatzfreiheitsstrafe um ein Vielfaches und
steht mit der ursprünglich ausgefällten Geldstrafe von insgesamt 180
Tagessätzen in einem offenkundigen Missverhältnis. Der Eingriff in die
persönliche Freiheit des Beschwerdeführers wiegt damit sehr schwer. Dies gilt
umso mehr, als der Freiheitsentzug bis zum vorinstanzlichen Entscheid offenbar
nur zu einem Bruchteil für die therapeutische Behandlung genutzt wurde bzw.
werden konnte (vgl. Entscheid, S. 10, wo von einer bisherigen Therapiedauer von
lediglich sechs Monaten die Rede ist).

3.3.2. Der Grundrechtseingriff auf Seiten des Beschwerdeführers ist mit seinen
Anlasstaten und der Schwere der in Freiheit zu erwartenden Taten abzuwägen. Es
kommt dabei namentlich auf den Grad der Wahrscheinlichkeit erneuter Tatbegehung
und das Gewicht der gefährdeten Rechtsgüter an. Je länger die Massnahme und
damit der Freiheitsentzug für den Betroffenen dauert, desto strenger werden die
Anforderungen an die Wahrung der Verhältnismässigkeit (vgl. vorstehend E. 2.2).
Eine nachträgliche stationäre therapeutische Massnahme von mittlerweile
mehrjähriger Dauer darf daher nicht unbesehen fortgeführt werden, wenn
"lediglich" die Gefahr von Straftaten droht, welche die öffentliche Sicherheit
nicht in schwerer Weise zu gefährden vermögen. In dieser Hinsicht ist vielmehr
erforderlich, dass die nahe Gefahr bzw. das ernsthafte Risiko schwerwiegender
Delinquenz besteht. Mit andern Worten reichen nur die zumindest nicht
unerhebliche Wahrscheinlichkeit der Begehung von weiteren gravierenden
Straftaten und die Beeinträchtigung bedeutender bzw. hochwertiger Rechtsgüter
für die Begründung der Gefährlichkeit eines Betroffenen aus, um einen weiteren
Freiheitsentzug im Rahmen einer nachträglichen stationären Massnahme zu
rechtfertigen (vgl. statt vieler Urteil des Bundesgerichts 6P.130/2005 E. 3.2,
publiziert in Praxis 2006 Nr. 84 zur nachträglichen Umwandlung in eine
stationäre Massnahme; vgl. auch BGE 137 II 233 E. 5.2.1 zur Verlängerung von
Massnahmen). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Das (Ergänzungs-)
Gutachten vom 23. August 2012 geht zwar mittelfristig von einer Rückfallgefahr
für Gewaltstraftaten aus (vgl. kantonale Akten, Gutachten, S. 18 und S. 20).
Dass es sich um eine erhebliche Rückfallgefahr für schwerwiegende
Gewaltdelinquenz handelt, ergibt sich daraus entgegen den Feststellungen der
Vorinstanz nach der begründeten Auffassung des Beschwerdeführers jedoch nicht
(vgl. Entscheid, S. 8 und 10). Die Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer in
Freiheit weitere Gewaltdelikte minderer Schwere verüben könnte, reicht unter
den gegebenen Umständen für eine Massnahmenfortführung und eine damit
einhergehende weitere Freiheitsentziehung aber nicht aus.

3.3.3. Die Fortführung der nachträglichen stationären therapeutischen Massnahme
erweist sich unter Berücksichtigung der mässigen Schwere der Anlassdelikte, des
Masses der Gefährlichkeit, der bisherigen Massnahmendauer unter Einschluss der
Ersatzfreiheitsstrafe sowie des Grundrechts der persönlichen Freiheit des
Beschwerdeführers als nicht mehr verhältnismässig. Sie ist deshalb aufzuheben.

4. 
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und
die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Auf die weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers (Verletzung von Art. 6 Ziff.
1 EMRK und von Art. 29 Abs. 2 BV) braucht unter diesen Umständen nicht
eingegangen zu werden.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4
StGB). Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung wird gegenstandslos. Der Kanton Aargau hat den Rechtsvertreter
des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu
entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Aargau vom 4. Juni 2014 aufgehoben und die Angelegenheit zur neuen
Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 
Es werden keine Kosten erhoben erhoben.

3. 
Der Kanton Aargau hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt
Konrad Jeker, für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu
entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau,
2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. Mai 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill

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