Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.730/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_730/2014

Urteil vom 2. März 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiber Briw.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Fäh,
Beschwerdeführerin,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Entschädigung der amtlichen Verteidigung,

Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 28.
Mai 2014.

Sachverhalt:

A.

 Rechtsanwältin X.________ war seit 5. November 2011 amtliche Verteidigerin im
Strafverfahren gegen A.________. Dieser wurde am 5. November 2011 festgenommen
und befand sich bis 10. April 2012 in Untersuchungshaft. Das Kreisgericht St.
Gallen sprach A.________ am 19. Dezember 2013 der versuchten schweren
Körperverletzung und des Raufhandels schuldig und verurteilte ihn zu 3 Jahren
und 6 Monaten Freiheitsstrafe. X.________ reichte an der erstinstanzlichen
Hauptverhandlung eine Kostennote im Betrag von insgesamt Fr. 18'984.55 (Honorar
Fr. 15'980.--, Barauslagen Fr. 1'598.25, Mehrwertsteuer Fr. 1'406.30) ein. Das
Kreisgericht sprach ihr eine Entschädigung von insgesamt Fr. 12'094.10 zu.

 Die Anklagekammer des Kantons St. Gallen wies die von Rechtsanwältin
X.________ gegen die Festsetzung der Entschädigung für die amtliche
Verteidigung erhobene Beschwerde am 28. Mai 2014 ab.

B.

 Rechtsanwältin X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei ihr für die amtliche
Verteidigung im erstinstanzlichen Strafverfahren eine Entschädigung von Fr.
18'948.55 zuzusprechen.

Erwägungen:

1.

 Beschwerdegegenstand ist eine Entscheidung der Anklagekammer des Kantons St.
Gallen im Beschwerdeverfahren (Art. 135 Abs. 3 lit. a StPO; BGE 139 IV 199 E.
5.2 und 5.6) über die vom Kreisgericht St. Gallen der Beschwerdeführerin als
amtlicher Verteidigerin für das erstinstanzliche Verfahren zugesprochene
Entschädigung. Die Beschwerdeführerin ist berechtigt, den vorinstanzlichen
Entscheid mit Beschwerde in Strafsachen anzufechten (BGE 139 IV 261 [nicht
publizierte] E. 1; zur Publikation in Band 140 der amtlichen Sammlung
vorgesehenes Urteil 6B_360/2014 vom 30. Oktober 2014 E. 1.7).

2.

2.1. Die Beschwerdeführerin beantragte im erstinstanzlichen Verfahren die
Zusprache eines Honorars von Fr. 15'980.--. Sie reichte eine detaillierte
Honorarnote ein und machte einen Aufwand von 79,9 Stunden und einen
Stundenansatz von Fr. 200.-- geltend.

 Die Vorinstanz setzte das Honorar auf Fr. 9'600.-- fest. Sie verwies darauf,
dass nach der massgebenden kantonalen Honorarordnung das Honorar der amtlichen
Verteidigung grundsätzlich als Pauschale bemessen wird und die zugesprochene
Entschädigung dem Maximalansatz der Grundpauschale entspricht. Ein
ausserordentlich aufwändiger Fall liege nicht vor, sodass die Voraussetzungen
für eine Erhöhung des Honorars um die Hälfte der Pauschale oder für eine
ausnahmsweise Bemessung nach Zeitaufwand nicht gegeben seien.

2.2. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung der Wirtschaftsfreiheit (Art.
27 BV), des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) und des Rechts
auf effektive Verteidigung (Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK, Art. 32 Abs. 2 BV sowie
Art. 128 StPO).

3.

3.1. Der amtliche Anwalt erfüllt eine staatliche Aufgabe, welche durch das
kantonale öffentliche Recht geregelt wird. Mit seiner Einsetzung entsteht
zwischen ihm und dem Staat ein besonderes Rechtsverhältnis. Gestützt darauf hat
der Anwalt eine öffentlich-rechtliche Forderung gegen den Staat auf
Entschädigung im Rahmen der anwendbaren kantonalen Bestimmungen (BGE 131 I 217
E. 2.4; 122 I 1 E. 3a). Der amtliche Anwalt kann aus Art. 29 Abs. 3 BV einen
Anspruch auf Entschädigung und Rückerstattung seiner Auslagen herleiten. Dieser
umfasst aber nicht alles, was für die Wahrnehmung der Interessen des Mandanten
von Bedeutung ist. Ein verfassungsrechtlicher Anspruch besteht nur, "soweit es
zur Wahrung der Rechte notwendig ist". Nach diesem Massstab bestimmt sich der
Anspruch sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht, d.h. in
Bezug auf den Umfang der Aufwendungen. Entschädigungspflichtig sind danach nur
jene Bemühungen, die in einem kausalen Zusammenhang mit der Wahrung der Rechte
im Strafverfahren stehen, und die notwendig und verhältnismässig sind (zu einer
gewissen zusätzlichen persönlichen und sozialen Betreuung vgl. Urteil 6B_951/
2013 vom 27. März 2014 E. 3.2). Das Honorar muss allerdings so festgesetzt
werden, dass der unentgeltlichen Rechtsvertretung ein Handlungsspielraum
verbleibt und sie das Mandat wirksam ausüben kann (Urteile 1B_96/2011 vom 6.
Juni 2011 E. 2.2 und 6B_856/2009 vom 9. November 2009 E. 4.2).

3.2. Den Kantonen steht bei der Bemessung des Honorars des amtlichen Anwalts
ein weites Ermessen zu. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn die Festsetzung
des Honorars ausserhalb jeden vernünftigen Verhältnisses zu den vom Anwalt
geleisteten Diensten steht und in krasser Weise gegen das Gerechtigkeitsgefühl
verstösst. Ausserdem übt es grosse Zurückhaltung, wenn das kantonale
Sachgericht den Aufwand als übersetzt bezeichnet und entsprechend kürzt. Es ist
Sache der kantonalen Behörden, die Angemessenheit anwaltlicher Bemühungen zu
beurteilen (BGE 122 I 1 E. 3a; 118 Ia 133 E. 2b und d; vgl. Urteile 6B_652/2014
vom 10. Dezember 2014 E. 2.3 und 6B_951/2013 vom 27. März 2014 E. 4.2).

 Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung wird es als zulässig
erachtet, das Honorar für amtliche Mandate im Vergleich zu jenem der freien
Mandate tiefer anzusetzen (BGE 139 IV 261 E. 2.2.1; 132 I 201 E. 7.3.4). Eine
Verletzung des Willkürverbots - und mittelbar auch der Wirtschaftsfreiheit -
liegt erst dann vor, wenn die zugesprochene Entschädigung die Selbstkosten
nicht zu decken und einen zwar bescheidenen, nicht aber bloss symbolischen
Verdienst nicht zu gewährleisten vermag. Im Sinne einer Faustregel hat das
Bundesgericht festgehalten, dass sich die Entschädigung für einen amtlichen
Anwalt im schweizerischen Durchschnitt in der Grössenordnung von 180 Franken
pro Stunde (zuzüglich Mehrwertsteuer) bewegen muss, um vor der Verfassung
standzuhalten (BGE 132 I 201 E. 8.6 und 8.7).

3.3. Die amtliche Verteidigung wird nach dem Anwaltstarif des Bundes oder
desjenigen Kantons entschädigt, in dem das Strafverfahren geführt wurde (Art.
135 Abs. 1 StPO). Massgebend ist somit die st. gallische Honorarordnung für
Rechtsanwälte und Rechtsagenten (HonO; sGS 963.75). Nach Art. 10 HonO wird das
Honorar des amtlichen Verteidigers grundsätzlich als Pauschale bemessen. In
aussergewöhnlichen Fällen kann das Honorar um höchstens die Hälfte erhöht oder
ausnahmsweise nach Zeitaufwand bemessen werden. Ist das Kreisgericht zuständig,
beträgt die Pauschale im Strafprozess Fr. 1'500.-- bis Fr. 12'000.-- (Art. 21
Abs. 1 lit. c HonO). Innerhalb des für die Pauschale gesetzten Rahmens wird das
Honorar nach den besonderen Umständen, namentlich nach Art und Umfang der
Bemühungen und der Schwierigkeiten des Falles, bemessen; berücksichtigt werden
die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten (Art. 19 HonO; Art. 31 Abs. 1
und 2 Anwaltsgesetz [AnwG; sGS 963.70]). Das Honorar wird bei unentgeltlicher
Prozessführung oder amtlicher Verteidigung um einen Fünftel herabgesetzt (Art.
31 Abs. 3 AnwG).

4.

4.1. Art. 27 Abs. 2 BV schützt ausdrücklich den freien Zugang zu einer
privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit. Dazu zählt auch die Anwaltstätigkeit
im Monopolbereich (BGE 138 II 440 E. 4; 130 II 87 E. 3). Nicht in den
Geltungsbereich von Art. 27 BV fällt indessen die eigentliche Tätigkeit als
amtlicher (unentgeltlicher) Verteidiger, weil es sich dabei um eine staatliche
Aufgabe des betroffenen Rechtsanwalts handelt (BGE 132 I 201 E. 7.1; 109 Ia 107
E. 2b; oben E. 3.1 und BGE 139 IV 261 E. 2.2.1).

4.2. Die Festsetzung des Honorars im Rahmen einer Pauschale verletzt als solche
das Recht auf effektive Verteidigung gemäss Art. 32 Abs. 2 BV nicht. Bei diesem
Recht handelt es sich um einen heute in Art. 132 StPO normierten, verfassungs-
und konventionsrechtlich (Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK) gewährleisteten,
Individualanspruch des Beschuldigten auf wirksame Verteidigung (BGE 139 IV 113
E. 1.2 und 4.3; vgl. Urteile 1B_262/2014 vom 24. September 2014 E. 2.1, 6B_837/
2013 vom 8. Mai 2014 E. 2.1 ff. sowie 1B_263/2013 vom 20. November 2013 E.
4.3). Auf dieses Recht kann sich die Beschwerdeführerin, die weder beschuldigte
noch angeklagte Person ist, hier nicht berufen. Die Rechtsprechung übersieht im
Übrigen nicht, dass die amtliche Vertretung nicht zu "Frondiensten"
verpflichtet werden kann, indem sie für den Staat Leistungen zu erbringen hat,
ohne dabei einen Verdienst zu erzielen (BGE 132 I 201 E. 8.5). Sie verkennt
auch nicht, dass die Honorierung sich mittelbar auf die wirksame Verteidigung
auswirken kann (oben E. 3.1 am Ende). Die ebenfalls als verletzt gerügte
Bestimmung von Art. 128 StPO betrifft die Interessenvertretung und nicht die
Entschädigung der amtlichen Verteidigung (Art. 135 Abs. 1 StPO).

 Die allgemein gehaltenen Ausführungen der Beschwerdeführerin zur Entwicklung
der Verteidigungsarbeit, der st. gallischen Honorarordnung und der
Gerichtskostenverordnung sowie der von ihr vorgenommene Quervergleich mit
anderen kantonalen Honorarordnungen sind nicht geeignet, im konkreten
Anwendungsfall eine Verletzung von Bundesrecht (Art. 95 Abs. 1 lit. a BGG) bzw.
von Grundrechten oder von kantonalem Recht (Art. 106 Abs. 2 BGG) zu begründen.

4.3. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist es zulässig, für das
Anwaltshonorar Pauschalen vorzusehen. Bei einer Honorarbemessung nach
Pauschalbeträgen werden alle prozessualen Bemühungen zusammen als einheitliches
Ganzes aufgefasst und der effektive Zeitaufwand lediglich im Rahmen des
Tarifansatzes berücksichtigt. Pauschalen nach Rahmentarifen erweisen sich aber
dann als verfassungswidrig, wenn sie auf die konkreten Verhältnisse in keiner
Weise Rücksicht nehmen und im Einzelfall ausserhalb jedes vernünftigen
Verhältnisses zu den vom Rechtsanwalt geleisteten Diensten stehen (Urteil
6B_856/2009 vom 9. November 2009 E. 4.4 mit Hinweis).

4.4. Im zu beurteilenden Fall liegt es im Rahmen des der Vorinstanz zustehenden
Ermessens, die Entschädigung der Beschwerdeführerin als Pauschale festzusetzen.
Nach der Honorarordnung des Kantons St. Gallen kann das Honorar nur in
aussergewöhnlichen Fällen und bei diesen nur ausnahmsweise nach Zeitaufwand
bemessen werden. Ein aussergewöhnlich aufwändiger Fall wird von der kantonalen
Praxis bejaht, wenn er ausserordentlich kompliziert oder umfangreich ist (
NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, N. 482, S.
176). Gestützt auf diese Praxis nimmt die Vorinstanz zu Recht an, die von der
Beschwerdeführerin vertretene Strafsache sei nicht aussergewöhnlich aufwändig
gewesen. Sie verweist darauf, dass lediglich zwei, grundsätzlich
übersichtliche, Sachverhalte zur Diskussion standen. Der Aktenumfang sei als
durchschnittlich, jedenfalls nicht als ausserordentlich gross zu bezeichnen.
Der Beschuldigte sei antragsgemäss schuldig erklärt worden. Das beim
Kreisgericht eingereichte Plädoyer habe zehn Seiten umfasst, und die
Gerichtsverhandlung habe knapp drei Stunden gedauert.

 Ein ausserordentlich komplizierter oder umfangreicher Fall liegt nicht schon
dann vor, wenn das Pauschalhonorar den vom amtlichen Anwalt betriebenen
Zeitaufwand nicht vollumfänglich deckt. Dass das zugesprochene Honorar
ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu den von der Beschwerdeführerin
erbrachten Bemühungen steht, ist jedenfalls nicht ersichtlich. Die Vorinstanz
überschreitet mithin das ihr zustehenden weite Ermessen nicht.

4.5. Da die Ausrichtung eines Pauschalbetrages als Anwaltshonorar nicht zu
beanstanden ist, sieht die Vorinstanz auch zutreffend von einer Beurteilung der
einzelnen Positionen der eingereichten Honorarrechnung ab. Sie verletzt daher
ihre Begründungspflicht gemäss Art. 29 Abs. 2 BV nicht (vgl. BGE 136 I 229 E.
5.2), indem sie sich nicht im Einzelnen mit der Kostennote der
Beschwerdeführerin auseinandersetzt und ausdrücklich begründet, weshalb sie
allenfalls einzelne der in Rechnung gestellten Positionen für übersetzt hält.

5.

 Die Beschwerde ist abzuweisen. Der Beschwerdeführerin sind die Kosten des
bundesgerichtlichen Verfahrens aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. März 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Briw

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