Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.676/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_676/2014

Urteil vom 30. Juli 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiber Moses.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel U. Walder,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Rückzug der Berufung,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, vom 28. Mai 2014.

Sachverhalt:

A.

 Das Bezirksgericht Zürich verurteilte X.________ am 29. Mai 2013 wegen
qualifizierter Geldwäscherei, mehrfacher qualifizierter Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 und 7 i.V.m. Art. 19 Ziff. 2
lit. a aBetmG) und Unterlassung der Buchführung zu einer Freiheitsstrafe von 41
Monaten und einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu Fr. 30.--. Es verzichtete
auf den Widerruf des bedingten Vollzugs zweier Freiheitsstrafen von 25 bzw. 2
Monaten aus den Jahren 2008 und 2009, wobei es die Probezeit um ein Jahr
verlängerte.

 X.________ und die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich erhoben gegen
dieses Urteil Berufung. Das Obergericht des Kantons Zürich wies die
Beweisanträge von X.________ ab und setzte die Berufungsverhandlung auf den 28.
Mai 2014 fest. Mit E-Mail vom 27. Mai 2014 zogen sowohl die Staatsanwaltschaft
als auch X.________ ihre Berufungen zurück. Das Obergericht schrieb das
Verfahren als durch Rückzug der Berufungen erledigt ab.

B.

 X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, der Beschluss des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 28. Mai 2014 sei aufzuheben und die Sache
zur Durchführung des Berufungsverfahren an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er
stellt verschiedene Beweisanträge und ersucht um aufschiebende Wirkung seiner
Beschwerde.

C.

 Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde sei
abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Obergericht des Kantons Zürich
reichte seine Stellungnahme am 4. Dezember 2014 ein. X.________ replizierte am
16. Februar 2015.

Erwägungen:

1. 

1.1. Der Beschwerdeführer macht zusammengefasst geltend, nach Intervention und
auf Veranlassung von Oberrichter A.________ sei er entgegen seinem eigentlichen
inneren Willen gezwungen worden, die Berufung zurückzuziehen. Oberrichter
A.________ habe seine damalige Verteidigerin am Freitag, 23. Mai 2014,
angerufen und den Rückzug der Berufung verlangt. Daraufhin habe sie mit ihm auf
den Montag einen Termin vereinbart. Anlässlich dieser Besprechung habe sie ihm
eröffnet, dass der Oberrichter angerufen und den Rückzug der Berufung
nahegelegt habe. Zu diesem Zeitpunkt, zwei Tage vor der Verhandlung, habe sie
die Arbeiten für ihr Plädoyer abgeschlossen gehabt. Teil des Handels sei
gewesen, dass auch der Staatsanwalt seine Berufung zurückziehe. Seine
Verteidigerin habe gleichentags Oberrichter A.________ angerufen, um die Frage
des Strafantritts zu klären. Sie habe dem Beschwerdeführer hierauf eine Frist
von 24 Stunden angesetzt, um rechtzeitig vor dem Verhandlungstermin am Mittwoch
eine Rückzugserklärung zu unterschreiben. Er sei unter ungeheurem Zeitdruck
gestanden und habe sich überrumpelt gefühlt. Da sich seine Verteidigerin dem
Diktat des Oberrichters unterworfen habe, sei er sodann nicht notwendig
verteidigt gewesen, als er die Frage des Rückzugs der Berufung habe entscheiden
müssen. Ein Richter, der Kontakt zu einem Verteidiger aufnehme, ihn zu einem
Rückzug dränge und effektiv nötige, erweise sich zudem als befangen (Beschwerde
S. 5 ff.).

1.2. In der Vernehmlassung der Vorinstanz führt Oberrichter A.________
zusammengefasst aus, es könne keine Rede davon sein, dass der Beschwerdeführer
(und die Staatsanwaltschaft) von Seiten der Vorinstanz gezwungen oder gar
genötigt worden sei, die Berufung zurückzuziehen. Die Initiative dafür sei
nicht von ihm ausgegangen. Er habe lediglich, für den Fall, dass die Berufung
zurückgezogen werden sollte, die Nichtverhaftung im Gerichtssaal zugesichert
und Abklärungen betreffend Zeitpunkt des Strafantritts (sowie zu einem hängigen
neuen Strafverfahren) getätigt. Die Vorinstanz sei davon ausgegangen, die
damalige Verteidigerin habe in Absprache und im Einverständnis des
Beschwerdeführers gehandelt.

1.3. Der Staatsanwalt hält in seiner Stellungnahme im Wesentlichen fest,er habe
sich am Donnerstagnachmittag, 22. Mai 2014, telefonisch mit der Verteidigerin
in Verbindung gesetzt, um anzufragen, ob sie an einem gegenseitigen Rückzug der
Berufung interessiert sei. Mit anderen Worten habe er sich als Partei im
vorliegenden Strafverfahren an die Gegenpartei gewandt, um ihr allfälliges
Interesse an einem gegenseitigen Rückzug abzuklären, ohne dass er dieses
selbstverständlich zulässige Vorgehen mit der Vorinstanz abgesprochen hätte.

1.4. Der Beschwerdeführer ergänzt in seiner Replik, seine Verteidigerin habe
ihm von der Intervention des Oberrichters A.________ berichtet. Ob der
Staatsanwalt den Rückzug der Berufungen angeregt habe, wie dieser annehme,
lasse sich nicht abschliessend feststellen. Insbesondere sei unklar, ob jener
vor seinem Anruf bei der Verteidigerin mit einem anderen Mitglied des
Richtergremiums der Vorinstanz, z.B. dem Referenten, Kontakt gehabt habe. Denn
es sei seltsam und lasse sich auch mit taktischen Überlegungen nicht begründen,
weshalb der Staatsanwalt auf die Idee gekommen sei, die Verteidigung von einem
Rückzug überzeugen zu wollen. Ein solches Vorgehen mache vielmehr gerade dann
Sinn, wenn man über Insiderinformationen verfüge und mit einer Niederlage
rechnen müsse. Wohl nicht umsonst habe ihm die erfahrene Verteidigerin
ursprünglich eine gute Prognose für das vorinstanzliche Verfahren gestellt. Die
Vernehmlassungen erweckten sodann deutlich den Anschein, dass ihn seine
damalige Verteidigerin bezüglich der Intervention von Oberrichter A.________
wissentlich falsch informiert und so bei ihm einen Willensmangel hervorgerufen
habe.

2.

2.1. Nach der Rechtsprechung muss der Rückzug eines Rechtsmittels klar,
ausdrücklich und unbedingt erfolgen (BGE 119 V 36 E. 1b mit Hinweis). Zulässig
ist der Rückzug des Rechtsmittels unter der Bedingung, dass die Gegenpartei ihr
eigenes Rechtsmittel ebenfalls zurückziehe ( PETER REETZ, in: Sutter-Somm/
Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen
Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N. 40 der Vorbemerkungen zu Art. 308-318
ZPO; FRANK/STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3.
Aufl. 1997, N. 5 zu § 264 ZPO). Wie im Fall der Anschlussberufung (Art. 401
Abs. 3 StPO), ermöglicht dies einer Partei, ihre Berufung zurückzuziehen, ohne
die Gefahr eingehen zu müssen, dass eine andere Partei ihr eigenes Rechtsmittel
aufrecht erhält und eine reformatio in peius möglich bleibt.

2.2.

2.2.1. Der Rückzug des Rechtsmittels ist endgültig, es sei denn, die Partei sei
durch Täuschung, eine Straftat oder eine unrichtige behördliche Auskunft zu
ihrer Erklärung veranlasst worden (Art. 386 Abs. 3 StPO). Willensmängel sind
von demjenigen, der sich darauf beruft, nachzuweisen (Urteil 2C_292/2014 vom
18. August 2014 E. 2.1). In welcher Form diese geltend zu machen sind, regelt
Art. 386 Abs. 3 StPO nicht ausdrücklich. In der Lehre wird die Auffassung
vertreten, dass dies sinnvollerweise nur im Rahmen einer offenen
Rechtsmittelfrist gegen die Verfahrensabschreibung geschehen könne. Später
komme nur noch die Revision in Betracht ( ZIEGLER/KELLER, in: Basler Kommentar,
Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 4 zu Art. 386 StPO).

2.2.2. Nach Art. 410 Abs. 1 StPO kann die Revision verlangen, wer durch ein
rechtskräftiges Urteil, einen Strafbefehl, einen nachträglichen richterlichen
Entscheid oder einen Entscheid im selbstständigen Massnahmenverfahren beschwert
ist. Urteile sind Entscheide, in denen über Straf- und Zivilfragen materiell
befunden wird; die anderen Entscheide ergehen in der Form eines Beschlusses
oder einer Verfügung (Art. 80 Abs. 1 StPO). Gegen Letztere ist die Revision
nicht zulässig ( THOMAS FINGERHUTH, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.],
Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 17 zu Art.
410 StPO mit Hinweisen). Dies betrifft auch die Abschreibung des Verfahrens
infolge Rückzug eines Rechtsmittels.

2.2.3. Nach dem Rückzug des Rechtsmittels ist die Situation nicht anders, als
wäre dieses nie erhoben worden ( RICHARD CALAME, in: Commentaire romand, Code
de procédure pénale suisse, 2011, N. 4 zu Art. 386 StPO). Das Verfahren vor der
Berufungs- oder Beschwerdeinstanz wird mit dem Rückzug unmittelbar beendet und
der Abschreibungsbeschluss hat lediglich deklaratorischen Charakter (BGE 109 V
234 E. 3 mit Hinweisen). Die in Art. 386 Abs. 3 StPO erwähnten Willensmängel
werden typischerweise auch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bekannt oder ihre
Wirkung dauert darüber hinaus an. Ihre Geltendmachung nach diesem Zeitpunkt
muss daher, obwohl die Revision nach Art. 410 Abs. 1 StPO unzulässig ist,
möglich bleiben. Art. 386 Abs. 3 StPO statuiert lediglich, dass der Rückzug
eines Rechtsmittels endgültig ist, es sei denn, bestimmte Willensmängel lägen
vor. Umgekehrt bedeutet dies, dass ein im Sinne von Art. 386 Abs. 3 StPO mit
Willensmängeln behafteter Rechtsmittelrückzug nicht endgültig ist und
widerrufen werden kann. Im Sinne dieser Bestimmung hat die Partei, deren
Rückzugserklärung sich als unwirksam erweist, einen Anspruch darauf, dass ihr
Rechtsmittel von der zuständigen Berufungs- oder Beschwerdeinstanz in der Sache
behandelt wird. Ein solcher Widerruf ist daher - unabhängig von der
Beschwerdefrist ans Bundesgericht - an diejenige Instanz zu richten, gegenüber
welcher der Rückzug des Rechtsmittels erklärt wurde. Ohne Belang ist, ob dies
vor oder nach dem Erlass eines Abschreibungsbeschlusses erfolgt, zumal
Letzterem bloss deklaratorische Wirkung zukommt. Widerruft eine Partei ihren
Rückzug, ist das Rechtsmittelverfahren neu aufzunehmen. Erachtet die
Beschwerde- oder Berufungsinstanz, der Rückzug sei wirksam, ist auf das
Rechtsmittel - wie bei einer verspäteten Eingabe - nicht einzutreten. Soweit
vor Bundesgericht ein Abschreibungsbeschluss angefochten und - wie vorliegend -
geltend gemacht wird, der Rückzug des Rechtsmittels sei nach Art. 386 Abs. 3
StPO unwirksam, ist auf die Beschwerde mangels Ausschöpfung des kantonalen
Instanzenzuges nicht einzutreten (Art. 80 Abs. 1 BGG). Hätte das Bundesgericht
über die behaupteten Willensmängel zu befinden, müsste es sich wie ein
Sachgericht zur Beweiswürdigung äussern und sein Ermessen in Beweisfragen über
dasjenige des Sachgerichts setzen. Dies widerspricht dem Grundsatz, wonach das
Bundesgericht in Tatfragen nur prüft, ob die Vorinstanz das Willkürverbot
verletzt hat (Urteil 6B_389/2012 vom 6. November 2012 E. 4.4)

3.

 Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. Die Unzuständigkeit des
Bundesgerichts war nicht ohne Weiteres erkennbar, weshalb es sich rechtfertigt,
die Sache zuständigkeitshalber an die Vorinstanz zu überweisen (Art. 30 Abs. 2
BGG; Urteil 2D_89/2008 vom 30. September 2008 E. 3.1). Auf die Erhebung von
Kosten ist zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um aufschiebende
Wirkung wird gegenstandslos.

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2. 
Die Sache wird zuständigkeitshalber der Vorinstanz überwiesen.

3. 
Es werden keine Kosten erhoben.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. Juli 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Moses

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