Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.521/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_521/2014

Urteil vom 6. März 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer,
Gerichtsschreiberin Siegenthaler.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Sylvain M. Dreifuss,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
2. A.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Verletzung des rechtlichen Gehörs (mehrfacher Betrug),

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht,
1. Kammer, vom 20. März 2014.

Sachverhalt:

A.

 Am 27. Januar 2012 stellte das Bezirksgericht Baden das Verfahren gegen
X.________ hinsichtlich diverser Anklagepunkte wegen Verjährung ein und sprach
ihn von mehreren Vorwürfen frei. Hingegen sprach es ihn schuldig des mehrfachen
Betrugs, der mehrfachen Urkundenfälschung sowie der gewerbsmässigen Hehlerei
und verurteilte ihn zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten bei
einer Probezeit von drei Jahren.

B.

 Das Obergericht des Kantons Aargau hiess die Berufung von X.________ am 20.
März 2014 teilweise gut und stellte das Verfahren gegen ihn infolge
zwischenzeitlicher Verjährung in weiteren Anklagepunkten ein. Wegen mehrfachen
Betrugs verurteilte es ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu
Fr. 90.--.

C.

 X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Aargau vom 20. März 2014 sei hinsichtlich des
Schuldspruchs, der ausgesprochenen Strafe sowie der Kosten- und
Entschädigungsfolgen aufzuheben, und er sei vom Vorwurf des mehrfachen Betrugs
freizusprechen. X.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.

D.

 Das Obergericht des Kantons Aargau beantragt sinngemäss die Abweisung der
Beschwerde. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs.

1.2. Aufgrund der aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV)
fliessenden Begründungspflicht (Art. 81 Abs. 3 lit. a StPO) ist das Gericht
gehalten, sein Urteil zu begründen. Es kann sich auf die für den Entscheid
wesentlichen Punkte beschränken, muss jedoch wenigstens kurz die Überlegungen
nennen, von denen es sich hat leiten lassen und auf die sich sein Urteil
stützt. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass der Betroffene in voller
Kenntnis der Tragweite des Entscheids die Sache weiterziehen kann und der
Rechtsmittelinstanz die Überprüfung der Rechtsanwendung möglich ist (vgl. BGE
139 IV 179 E. 2.2; 138 IV 81 E. 2.2; je mit Hinweis).

1.3.

1.3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, schon vor Vorinstanz habe er
vorgebracht, die Auskunftspersonen seien anlässlich ihrer Einvernahmen nicht
auf die allfällige Strafbarkeit einer falschen Anschuldigung sowie Irreführung
der Rechtspflege hingewiesen worden, weshalb ihre Aussagen nicht verwertbar
seien. Offensichtlich teile die Vorinstanz seine Meinung nicht. Sie lege ihre
Gründe aber nicht dar und verletze dadurch ihre Begründungspflicht. Zwar erwäge
sie, dass nicht jedes vorschriftswidrig erlangte Beweismittel unverwertbar sei
und eine Abwägung vorgenommen werden müsse zwischen dem öffentlichen Interesse
an der Wahrheitsfindung und dem privaten Interesse des Beschuldigten am Schutz
seiner Rechtsgüter. Eine Erläuterung, weshalb sie das öffentliche Interesse
schliesslich höher gewichtet als seines, sei ihrer Urteilsbegründung allerdings
nicht zu entnehmen (Beschwerde, S. 24 ff.).

1.3.2. Die Vorinstanz hält zunächst fest, aus einem Mangel bei der
Beweiserhebung könne nicht ohne Weiteres auf ein Verwertungsverbot geschlossen
werden. Es sei eine Abwägung zwischen öffentlichem Interesse an der
Wahrheitsfindung und privatem Interesse des Beschuldigten am Schutz seiner
Rechtsgüter vorzunehmen. Ausserdem sei zu berücksichtigen, ob das regelwidrig
erlangte Beweismittel an sich zulässig und auf gesetzmässigem Weg erreichbar
wäre. Im Einzelfall sei überdies zu prüfen, ob die mit der fraglichen
Beweisregel geschützten Interessen des Beschuldigten nur mit der
Unverwertbarkeit der rechtswidrig erlangten Beweise gewahrt werden könnten
(Urteil, S. 11 f.).

 Auf die Rüge der unterbliebenen Belehrung zu den Straffolgen einer falschen
Anschuldigung bzw. Irreführung der Rechtspflege tritt die Vorinstanz
anschliessend nicht ein mit der Begründung, diese sei erstmals im
Berufungsverfahren erhoben worden und damit verspätet erfolgt. Weiter erwägt
sie, im Übrigen werde die Frage, ob es sich bei der Belehrung einer
Auskunftsperson um ein Gültigkeitserfordernis oder eine blosse
Ordnungsvorschrift handle, in der Literatur nicht einhellig beantwortet.
Richtigerweise sei für die Beurteilung auch hier auf den Einzelfall
abzustellen, wobei vorliegend dem Umstand, dass der Geschädigte ein
persönliches Interesse am Verfahrensausgang habe, im Rahmen der Beweiswürdigung
Rechnung zu tragen sei. Dabei sei festzuhalten, dass seine Aussagen insgesamt
glaubhaft erschienen und durch objektive Indizien gestützt würden (Urteil, S.
12 f.).

1.3.3. Damit kommt die Vorinstanz ihrer Begründungspflicht nur ungenügend nach.
Indem sie die Rüge der unterlassenen Belehrung als verspätet erachtet, verkennt
sie, dass sie als Berufungsgericht Rechtsmittelbehörde mit umfassender
Kognition ist (vgl. Art. 398 Abs. 2 und 3 StPO). Sie beschränkt diese in
unzulässiger Weise, wenn sie sich mit entscheidrelevanten Vorbringen des
Beschwerdeführers nicht befasst (vgl. BGE 131 II 271 E. 11.7.1; Urteil 6B_72/
2014 vom 27. November 2014 E. 3.4.2; je mit Hinweisen). Dadurch verweigert sie
ihm das rechtliche Gehör.

 Soweit sie trotz ihrer Feststellung, die Rüge sei verspätet, auf sie eintritt,
setzt sie sich mit den Einwänden des Beschwerdeführers nicht genügend
auseinander, wenn sie lediglich allgemein auf die nötige Interessenabwägung
sowie die unterschiedlichen Meinungen in der Literatur verweist, ohne selbst
ein Fazit für den konkreten Fall zu ziehen. Dass sie die Aussagen des
Geschädigten insgesamt als glaubhaft einstuft, ist in Bezug auf deren
Verwertbarkeit nicht relevant. Warum sie diese letztlich bejaht, ist ihren
Erwägungen nicht zu entnehmen. Es bleibt unklar, ob sie die Befragung der
Auskunftspersonen als korrekt durchgeführt und die Verwertbarkeit ihrer
Aussagen deshalb als gegeben erachtet, oder ob sie der Meinung ist, ihre
Aussagen seien trotz (allfälliger) Verfahrensmängel infolge einer
entsprechenden Interessenabwägung verwertbar. Eine Überprüfung der
vorinstanzlichen Rechtsanwendung ist unter diesen Umständen nicht möglich.

1.4.

1.4.1. Der Beschwerdeführer begründet seine Rüge weiter damit, dass auch in
Bezug auf die Herabsetzung seiner Entschädigung eine Begründung fehle. Schon
vor erster Instanz habe er geltend gemacht, infolge der Verfahrenseinstellungen
und Freisprüche Anspruch auf Genugtuung und Entschädigung zu haben - aufgrund
der erlittenen Untersuchungshaft und der damit verbundenen
Persönlichkeitsverletzung sowie wirtschaftlicher Einbussen. Die Vorinstanz
spreche ihm eine reduzierte Entschädigung aus, ohne auf allfällige
Herabsetzungsgründe gemäss Art. 430 StPO einzugehen. Es sei ebenfalls nicht
ersichtlich, weshalb sie es ablehne, ihm eine Entschädigung nach Art. 429 Abs.
1 lit. b und c StPO auszurichten. Ein Herabsetzungs- oder Verweigerungsgrund
sei nicht erkennbar (Beschwerde, S. 49 ff.).

1.4.2. Die Vorinstanz erwägt (Urteil, S. 19 f.), das erstinstanzliche Gericht
habe trotz Freispruchs und verjährungsbedingter Verfahrenseinstellung in
mehreren Anklagepunkten die gesamten Verfahrenskosten dem Beschwerdeführer
auferlegt und auf die Zusprechung einer Entschädigung verzichtet. Dabei habe es
weder dargetan, dass dieser die Einleitung des Verfahrens rechtswidrig oder
schuldhaft bewirkt, noch dass er dessen Durchführung erschwert habe. Dies sei
auch nicht ersichtlich. Dem Beschwerdeführer seien deshalb die Kosten des
erstinstanzlichen Verfahrens zu drei Vierteln zu erlassen und eine reduzierte
Entschädigung nach Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO zuzuerkennen. Im Übrigen sei
seine Berufung abzuweisen.

1.4.3. Mit diesen Ausführungen legt die Vorinstanz nicht nachvollziehbar dar,
weshalb sie dem Beschwerdeführer lediglich eine reduzierte Entschädigung
zuspricht. Sie erläutert ebenso wenig, aus welchen Gründen sie ihm eine
Entschädigung nach Art. 429 Abs. 1 lit. b und c StPO verweigert. Auch in diesem
Punkt genügt das angefochtene Urteil den Begründungsanforderungen nicht.

 Daran vermag die im Rahmen ihrer Vernehmlassung vom 6. Januar 2015
nachträglich vorgetragene Begründung nichts zu ändern, wonach die geforderte
Genugtuung wegen erstandener Untersuchungshaft und die verlangte Entschädigung
für Verdienstausfälle angesichts des teilweisen Schuldspruchs nicht begründet
erschienen. Dass damit die vom Beschwerdeführer erlittene Verletzung seines
Anspruchs auf rechtliches Gehör im bundesgerichtlichen Verfahren geheilt werden
könnte, ist ausgeschlossen (vgl. BGE 137 I 195 E. 2.3.2 mit Hinweisen).

2.

 Die Beschwerde ist gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die
Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird sich
mit den Vorbringen des Beschwerdeführers zu befassen und ihren Entscheid
nachvollziehbar zu begründen haben. Auf die übrigen Rügen und Einwände des
Beschwerdeführers ist bei dieser Sachlage nicht einzugehen.

 Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4
BGG). Der Kanton Aargau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Sein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege wird damit gegenstandslos. Die Entschädigung ist
praxisgemäss seinem Rechtsvertreter auszurichten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau vom 20. März 2014 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung
an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 
Es werden keine Kosten erhoben.

3. 
Der Kanton Aargau hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt
Sylvain M. Dreifuss, für das bundesgerichtliche Verfahren eine
Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. März 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Siegenthaler

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