Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.287/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_287/2014

Urteil vom 30. März 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Benno Lindegger,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
2. A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Hubatka,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Fahrlässige schwere Körperverletzung, fahrlässige Beseitigung oder
Nichtanbringung von Sicherheitsvorrichtungen,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom
21. Januar 2014.

Sachverhalt:

A.

 X.________ ist Geschäftsführer und Hauptaktionär der B.________ AG. Am 25.
Februar 2010 kam es zu einem Arbeitsunfall an einer CNC-Drehbank. Der Unfall
ereignete sich in einem Nebengebäude der Unternehmung, wo drei Maschinen
untergebracht waren, an welchen hauptsächlich A.________ arbeitete. Dieser
hatte den Werkzeugrevolver einer Drehbank neu ausrichten wollen, als sich die
Maschine vermutlich durch einen Fehlgriff in Gang setzte. Sein Kopf und sein
linker Arm wurden eingeklemmt. A.________ erlitt schwere Verletzungen. Im
Rahmen der Unfalluntersuchung stellte sich heraus, dass die
Schutztürüberwachung der Maschine manipuliert worden war. Diese konnte sich
deshalb auch bei geöffneter Schutztür in Bewegung setzen. Es zeigte sich, das
die Schutzvorrichtungen auch bei den anderen Maschinen im Nebengebäude und
einer weiteren Maschine im Hauptgebäude überbrückt worden waren.
Die Anklage wirft X.________ vor, er habe als Arbeitgeber pflichtwidrig nicht
dafür gesorgt, dass die Schutzvorrichtungen korrekt verwendet wurden. Er habe
es unterlassen, seine Angestellten entsprechend zu instruieren, zu überwachen
und zu kontrollieren. Bei Einhaltung seiner Pflichten hätte er verhindern
können, dass Maschinen ohne funktionsfähige Sicherung verwendet wurden. Das
Fehlen der Schutzvorrichtungen habe zu einer konkreten Gefahr für die an den
Maschinen arbeitenden Personen geführt. Bei Anwendung der gebotenen Vorsicht
wäre für ihn erkennbar gewesen, dass die Unterlassung zu schweren Verletzungen
führen könne.

B.

 Das Kantonsgericht St. Gallen sprach X.________ am 21. Januar 2014
zweitinstanzlich der fahrlässigen schweren Körperverletzung sowie der
fahrlässigen Beseitigung oder Nichtanbringung von Sicherheitsvorrichtungen
schuldig. Es verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen
zu Fr. 130.-- bei einer Probezeit von zwei Jahren. Die Zivilklage von
A.________ verwies es auf den Zivilweg.

C.

 Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, das Urteil des
Kantonsgerichts sei aufzuheben und er von den Vorwürfen der fahrlässigen
schweren Körperverletzung und der fahrlässigen Beseitigung oder Nichtanbringung
von Sicherheitsvorrichtungen freizusprechen.

Erwägungen:

1.

 Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Vorwurf, durch pflichtwidriges
Unterlassen von Sorgfaltspflichten die Tatbestände der fahrlässigen schweren
Körperverletzung nach Art. 125 Abs. 2 StGB und der Beseitigung oder
Nichtanbringung von Sicherheitsvorrichtungen im Sinne von Art. 230 Ziff. 1
i.V.m. Ziff. 2 StGB erfüllt zu haben. Die Vorinstanz lege nicht dar, dass
intakte Sicherheitsschalter bei der Unfallmaschine den Arbeitsunfall vermieden
hätten. Überdies bejahe sie zu Unrecht die Adäquanz. Seine mangelnde Kontrolle
und Aufsicht habe die nicht bestimmungsgemässe Verwendung des Not-Aus-Schalters
weder verursacht noch begünstigt. Er habe davon ausgehen können und dürfen,
dass der erfahrene Beschwerdegegner zur Reparatur der Maschine deren
Schutzvorrichtungen bestimmungsgemäss einsetze und jene mit dem
Not-Aus-Schalter verraste. Er habe nicht erkennen müssen, dass sich der
Beschwerdegegner ohne Stillsetzen der Maschine in deren Innenraum begeben
werde. Dessen Fehlverhalten sei aussergewöhnlich und nicht vorhersehbar.

2.

2.1. Nach Art. 125 Abs. 2 StGB ist strafbar, wer fahrlässig einen Menschen
schwer an Körper oder Gesundheit schädigt. Nach Art. 230 Ziff. 2 StGB wird
bestraft, wer fahrlässig in Fabriken oder in anderen Betrieben oder an
Maschinen eine zur Verhütung von Unfällen dienende Vorrichtung u.a.
vorschriftswidrig nicht anbringt und dadurch Leib und Leben von Mitmenschen
gefährdet. Fahrlässig handelt, wer die Folge seines Verhaltens aus
pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht
nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht
nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen
Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 12 Abs. 3 StGB).
Eine fahrlässige Körperverletzung kann auch durch pflichtwidriges Unterlassen
begangen werden (vgl. Art. 11 StGB). Voraussetzung ist eine Rechtspflicht zur
Vornahme der unterlassenen Handlung (Garantenstellung) sowie die Möglichkeit,
diese Handlung vorzunehmen (BGE 134 IV 255 E. 4.2.1; 120 IV 98 E. 2c; je mit
Hinweisen). Das Unterlassen, eine Sicherheitsvorrichtung anzubringen,
beschreibt ein unechtes Unterlassungsdelikt. Es betrifft vor allem denjenigen
Täter, der nach der Betriebsorganisation die Sicherheitsmassnahmen zu treffen
hätte, diese aber nicht vornimmt (vgl. BRUNO ROELLI/PETRA FLEISCHHANDERL, in:
Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2013, Rz. 11 zu Art. 230).

2.2. Ein Verhalten ist sorgfaltswidrig und damit fahrlässig, wenn der Täter im
Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten
die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können
und müssen, und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos
überschritten hat. Wo besondere, der Unfallverhütung und der Sicherheit
dienende Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der
zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften (BGE 135 IV 56
E. 2.1 S. 64 mit Hinweisen).
Grundvoraussetzung einer Sorgfaltspflichtverletzung und mithin der
Fahrlässigkeitshaftung bildet die Vorhersehbarkeit des Erfolgs. Die zum Erfolg
führenden Geschehensabläufe müssen für den konkreten Täter mindestens in ihren
wesentlichen Zügen voraussehbar sein. Zunächst ist zu fragen, ob der Täter eine
Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte voraussehen beziehungsweise
erkennen können und müssen. Für die Beantwortung dieser Frage gilt der Massstab
der Adäquanz. Danach muss das Verhalten geeignet sein, nach dem gewöhnlichen
Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den
eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen (BGE 135 IV 56 E.
2.1 S. 64 f. mit Hinweisen).
Die Adäquanz ist nur zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände, wie
das Mitverschulden des Opfers beziehungsweise eines Dritten oder Material- oder
Konstruktionsfehler, als Mitursache hinzutreten, mit denen schlechthin nicht
gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als
wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs erscheinen und so alle
anderen mitverursachenden Faktoren - namentlich das Verhalten des
Angeschuldigten - in den Hintergrund drängen (BGE 135 IV 56 E. 2.1; 131 IV 145
E. 5.1 und E. 5.2; 130 IV 7 E. 3.2; 127 IV 62 E. 2d; je mit Hinweisen).
Damit der Eintritt des Erfolgs auf das pflichtwidrige Verhalten des Täters
zurückzuführen ist, wird weiter vorausgesetzt, dass der Erfolg auch vermeidbar
war. Die Zurechnung ist ausgeschlossen, wenn der durch eine sorgfaltswidrige
Handlung herbeigeführte Erfolg auch bei pflichtgemässem Verhalten des Täters
eingetreten wäre. Denn der Täter ist nur für solche Erfolge verantwortlich, in
deren Eintritt sich das unerlaubte Risiko verwirklicht. Dies beurteilt sich
nach einem hypothetischen Kausalverlauf. Für die Zurechnung des Erfolgs genügt
es, wenn das Verhalten des Täters mindestens mit einem hohen Grad an
Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete (BGE 135 IV 56 E. 2.1 und
5.1; 134 IV 193 E. 7.3; 130 IV 7 E. 3.2; je mit Hinweisen).

3.

3.1. Der Beschwerdeführer bestreitet seine Garantenstellung zu Recht nicht. Er
war und ist Hauptaktionär und Geschäftsführer der B.________ AG. Da die
Unternehmung im Zeitpunkt des Arbeitsunfalles keinen Sicherheitsbeauftragten
hatte, war er in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer u.a. auch für Fragen
der Arbeitssicherheit verantwortlich. Die Pflicht zum Schutz der Arbeitnehmer
am Arbeitsplatz bzw. zur Unfallverhütung trafen ihn somit in eigener Person.
Die Vorinstanz verweist in diesem Zusammenhang zutreffend auf Art. 328 Abs. 2
OR, Art. 82 Abs. 1 UVG sowie die Verordnung vom 19. Dezember über die Verhütung
von Unfällen und Berufskrankheiten (VUV; SR 832.30) und folgert unter den
gegebenen Umständen ohne Bundesrechtsverletzung, dass der Beschwerdeführer für
die Einhaltung und Durchsetzung der Sicherheitsvorschriften verantwortlich war
(Entscheid, S. 9) und ihm im gleichen Umfang Garantenstellung zukommt (vgl.
Urteil 6S.311/2005 E. 3.2 und 3.3 vom 26. Oktober 2005).

3.2. Was der Beschwerdeführer gegen das Vorliegen des adäquaten
Kausalzusammenhangs vorbringt, überzeugt nicht. Unklar bleibt, was er mit
seinen Ausführungen zum vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt bezweckt,
zumal er diesen weder als unvollständig noch als willkürlich anficht. Darauf
ist folglich nicht einzutreten (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG, Art, 106 Abs. 2 BGG;
BGE 136 I 65 E. 1.3.1 S. 68 mit Hinweisen). Erstellt ist, dass in seinem
Betrieb die Schutzvorrichtungen bei mehreren Maschinen nicht funktionsfähig
waren. Der Zustand der Maschinen entsprach mithin nicht den geltenden
Sicherheitsvorschriften zur Unfallverhütung. Weiter ist erwiesen, dass die
B.________ AG zwar über ein schriftliches Sicherheitskonzept verfügte, dieses
Konzept jedoch kaum umgesetzt wurde und es an einer Sicherheitskultur im
Betrieb fast gänzlich fehlte. Nach Art. 328 Abs. 2 OR hat der Arbeitgeber die
zum Schutz von Leben und Gesundheit des Arbeitnehmers notwendigen Massnahmen zu
treffen. Hierzu gehört auch, dass er vom Arbeitnehmer die Einhaltung der
Sicherheitsvorschriften verlangt und dies in angemessener Weise kontrolliert
und notfalls durchsetzt (vgl. Art. 6 Abs. 3 VUV, siehe auch Art. 28 Abs. 4 VUV;
BGE 102 II 18 E. 1). Diese Verantwortung in Bezug auf die Betriebssicherheit
und Unfallverhütung hat der Beschwerdeführer durch Unterlassen der nötigen
Aufsicht und Kontrollen seiner Mitarbeiter nach den unangefochten gebliebenen
Feststellungen der Vorinstanz jahrelang nicht wahrgenommen (vgl. Entscheid, S.
9 ff.). Damit hat er die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten in Bezug auf die
Sicherheit seiner Mitarbeiter am Arbeitsplatz verletzt.

3.3. Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass die jahrelange Unterlassung
von Aufsichts- und Kontrollpflichten geeignet ist, einen Erfolg in Form des
hier eingetretenen zu bewirken. Der konkrete Arbeitsunfall liegt vom
Geschehensablauf her nicht ausserhalb des Vorhersehbaren. Der Beschwerdegegner
führte Wartungsarbeiten an der CNC-Drehbank im Wissen um die nicht
funktionsfähige Schutzvorrichtung und ohne Betätigen des Not-Aus-Schalters
durch. Gemäss den von der Vorinstanz als glaubhaft eingestuften Aussagen des
Beschwerdegegners hatte die Schutzvorrichtung an der Unfallmaschine nie
funktioniert. Die Maschine sei als Occasion in diesem Zustand geliefert worden.
Er habe dies gewusst, daran aber nie etwas geändert, weil es für die Arbeit
einfacher gewesen sei (Entscheid, S. 12). Dass der Beschwerdegegner als
erfahrener Facharbeiter wissentlich die fragliche Schutzvorrichtung umging,
stellt ein erhebliches Fehlverhalten seinerseits dar und bildet Mitursache für
das Unfallgeschehen, vermag den Beschwerdeführer entgegen seiner Auffassung
aber nicht vollends zu entlasten. Das Fehlerverhalten des Beschwerdegegners ist
nicht derart aussergewöhnlich, dass damit schlechthin nicht gerechnet werden
müsste, und wiegt auch nicht derart schwer, dass die Pflichtwidrigkeit des
Beschwerdeführers dadurch vollständig in den Hintergrund gedrängt würde. Zum
einen kennt das Strafrecht eine Schuldkompensation nicht und zum andern trug
letzten Endes der Beschwerdeführer die Verantwortung für die Sicherheit seines
Mitarbeiters. Das Fehlverhalten des Beschwerdegegners vermag den adäquaten
Kausalzusammenhang nicht zu unterbrechen.

3.4. Die Vorinstanz bejaht unter ausreichender Ausführungen auch das Kriterium
der Vermeidbarkeit. Es ist offensichtlich, dass die Verletzungen, welche der
Beschwerdegegner durch den Unfall erlitt, mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht
eingetreten oder jedenfalls weniger schwer ausgefallen wären, wenn der
Beschwerdeführer seinen Aufsichts- und Kontrollpflichten nachgekommen und die
Einhaltung der Sicherheitsvorschriften zum Schutze seiner Mitarbeiter
durchgesetzt hätte. Bei funktionierender Schutzvorrichtung hätte sich die
Unfallmaschine überhaupt nicht oder jedenfalls nur mit reduzierter
Geschwindigkeit in Bewegung gesetzt. Dass sich der eingetretene Erfolg auch
durch Betätigen des Not-Aus-Schalters hätte verhindern lassen, ist entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers nicht relevant. Ausschlaggebend ist allein,
dass der Erfolg jedenfalls nicht oder nicht im gleichen Umfang eingetreten
wäre, wenn der Beschwerdeführer seine ihm obliegenden Pflichten in Bezug auf
die Einhaltung und Durchsetzung von Sicherheitsvorschriften nachgekommen wäre.

4.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei
diesem Verfahrensausgang trägt der Beschwerdeführer die Gerichtskosten (Art. 66
Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. März 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill

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