Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1250/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_1250/2014

Urteil vom 29. September 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Gerichtsschreiberin Kratz-Ulmer.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Lerf,
Beschwerdeführer,

gegen

Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Diebstahl; Strafzumessung; Aufschub des Strafvollzugs zwecks ambulanter
Massnahme,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung,
1. Strafkammer, vom 21. November 2014.

Sachverhalt:

A. 
Das Regionalgericht Bern-Mittelland verurteilte am 12. September 2013
X.________ wegen schwerer Körperverletzung, Hinderung einer Amtshandlung und
Widerhandlung gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten,
deren Vollzug es zugunsten einer ambulanten therapeutischen Massnahme aufschob,
einer Geldstrafe von 5 Tagessätzen zu Fr. 90.-- sowie einer Übertretungsbusse
von Fr. 100.--. Das Strafverfahren wegen Diebstahls durch Entreissen stellte es
ein. Den von der Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland am 27. September 2011
ausgesprochenen bedingten Vollzug der Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu Fr.
80.-- widerrief es nicht.

B. 
Das Obergericht des Kantons Bern hiess die von der Generalstaatsanwaltschaft
erhobene Berufung am 21. November 2014 gut und sprach X.________ des Diebstahls
durch Entreissen schuldig. Es verurteilte ihn unter Berücksichtigung der
rechtskräftigen erstinstanzlichen Schuldsprüche zu einer teilbedingten
Freiheitsstrafe von 36 Monaten, wovon 18 Monate zu vollziehen sind, einer
Geldstrafe von 5 Tagessätzen zu Fr. 90.-- und einer Übertretungsbusse von Fr.
100.--. Zudem ordnete es eine ambulante therapeutische Behandlung an. Es
widerrief den bedingten Vollzug der Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu Fr. 80.--.

C. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts sei teilweise aufzuheben, das Strafverfahren wegen Diebstahls
einzustellen und er zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, einer Geldstrafe
von 5 Tagessätzen zu Fr. 90.-- sowie einer Übertretungsbusse von Fr. 100.-- zu
verurteilen. Der Vollzug der Freiheitsstrafe sei zugunsten der ambulanten
therapeutischen Massnahme aufzuschieben. Der bedingte Vollzug der Geldstrafe
von 15 Tagessätzen zu Fr. 80.-- sei nicht zu widerrufen und die Probezeit um
ein Jahr zu verlängern. Eventualiter sei der Schuldspruch des Obergerichts zu
bestätigen, wobei er zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als 22 Monaten zu
verurteilen sei. Der Vollzug der Freiheitsstrafe sei zugunsten der ambulanten
Behandlung aufzuschieben. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.

Erwägungen:

1. 
Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung der Beschwerde an das
Bundesgericht in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt
Recht verletzt. Dies setzt voraus, dass sich der Beschwerdeführer wenigstens
kurz mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids auseinandersetzt. Soweit
der Beschwerdeführer auf seine Eingabe vor Vorinstanz verweist, ist darauf
nicht einzutreten. Die Beschwerde muss die Begründung selber enthalten (vgl.
BGE 133 II 396 E. 3.1; 131 III 384 E. 2.3).
Mit Eingabe vom 1. Mai 2015 beantragt der Beschwerdeführer, es sei ein
medizinisch-therapeutischer Bericht bei Frau A.________ einzuholen,
eventualiter sei sie zur ambulanten Therapie zu befragen. Darauf ist nicht
einzutreten. Diese Eingabe ging nach Ablauf der 30-tägigen Rechtsmittelfrist
ein und erweist sich als verspätet (vgl. Art. 100 Abs. 1 BGG). Zudem nimmt das
Bundesgericht keine Beweise ab und ordnet keine Beweiserhebungen an (BGE 133 IV
293 E. 3.4.2).

2.

2.1. Der Beschwerdeführer rügt, dass das Berufungsverfahren schriftlich
durchgeführt worden sei. Damit sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29
Abs. 2 BV) und das Fairnessgebot verletzt worden (Art. 6 Ziff. 1 EMRK). Zur
Beurteilung der Glaubhaftigkeit seiner Aussagen und seines Charakters sei es
unabdingbar, dass sich das Gericht einen persönlichen Eindruck von seiner
Person mache. Es sei stossend, ihn im guten Glauben belassen zu haben, wenn die
Vorinstanz bereits gewusst habe, dass sie anders als die erste Instanz
entscheiden werde.

2.2. Der Beschwerdeführer sagte zweimal bei der Kantonspolizei Bern und einmal
anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung aus (Urteil S. 8).
Die Vorinstanz verzichtete auf die nochmalige Befragung des Beschwerdeführers.
Mit Verfügung vom 10. März 2014 wurden die Parteien um schriftliche Mitteilung
ersucht, ob sie mit der Durchführung des schriftlichen Verfahrens einverstanden
seien. Am 1. April 2014 teilte der Beschwerdeführer der Vorinstanz mit, dass er
mit der schriftlichen Verfahrensdurchführung einverstanden sei (Urteil S. 5).

2.3. Das Berufungsverfahren ist grundsätzlich mündlich (vgl. Art. 405 Abs. 1
StPO). Schriftliche Berufungsverfahren sollen nach der Intention des
Gesetzgebers die Ausnahme bleiben. Art. 406 StPO regelt abschliessend, wann
Ausnahmen zulässig sind (BGE 139 IV 290 E. 1.1 mit Hinweisen). Die Berufung
kann u.a. im schriftlichen Verfahren behandelt werden, wenn ausschliesslich
Rechtsfragen zu entscheiden sind (Art. 406 Abs. 1 lit. a StPO). Gemäss Art. 406
Abs. 2 StPO kann die Verfahrensleitung das schriftliche Verfahren mit dem
Einverständnis der Parteien zudem anordnen, wenn die Anwesenheit der
beschuldigten Person nicht erforderlich ist (lit. a) oder Urteile eines
Einzelgerichts Gegenstand der Berufung sind (lit. b). Einschlägig ist hier Art.
406 Abs. 2 lit. a StPO. Der Beschwerdeführer erklärte sich mit Schreiben vom 1.
April 2014 mit der Durchführung des schriftlichen Verfahrens einverstanden
(Urteil S. 5). Letzterer verzichtete ausdrücklich und rechtsgültig auf eine
mündliche Verhandlung. Die Vorinstanz durfte folglich ohne Rechtsverletzung die
Berufung des Beschwerdeführers im schriftlichen Verfahren erledigen.

3.

3.1. Der Beschwerdeführer rügt, er habe sich eines Diebstahls in Form eines
geringfügigen Vermögensdelikts schuldig gemacht. Das Strafverfahren habe
mangels Strafantrages eingestellt werden müssen. Es könne nicht nachgewiesen
werden, dass er mehr als "seine" Hunderternote aus der Handtasche genommen
hätte, wenn mehr darin gewesen wäre. Es könne nicht darauf geschlossen werden,
dass er der Prostituierten die gesamte Handtasche nehmen wollte.

3.2. Die Vorinstanz stellt gestützt auf die Erstaussagen des Beschwerdeführers,
diejenigen der Prostituierten und jene des Zeugen fest, der Beschwerdeführer
habe der Prostituierten am 30. Mai 2012 nach entgeltlichen sexuellen Handlungen
die Handtasche mitsamt Inhalt (Deliktsbetrag ca. Fr. 302.--) entrissen. Der
Entreissdiebstsahl sei im Umfang von Fr. 302.-- auch in subjektiver Hinsicht
erfüllt, weshalb sich Ausführungen zum Tatbestand des geringfügigen
Vermögensdeliktes im Sinne von Art. 172ter StGB erübrigten (Urteil S. 7 und
14).

3.3. Was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm und mit welcher Absicht er
handelte, betrifft sogenannte innere Tatsachen, ist damit Tatfrage (BGE 137 IV
1 E. 4.2.3 S. 4; 121 IV 90 E. 2b S. 92; je mit Hinweisen).
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des
Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die
Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 139 II 404 E. 10.1; 137
III 226 E. 4.2; je mit Hinweisen; zum Begriff der Willkür vgl. BGE 139 III 334
E. 3.2.5; 138 I 49 E. 7.1; je mit Hinweisen). Eine entsprechende Rüge muss klar
vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106
Abs. 2 BGG; BGE 138 I 225 E. 3.2 mit Hinweisen). Auf rein appellatorische
Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 140 III
264 E. 2.3; 139 II 404 E. 10.1; 137 IV 1 E. 4.2.3; je mit Hinweisen).
Der Beschwerdeführer stellt der Beweiswürdigung der Vorinstanz in rein
appellatorischer Kritik lediglich seine Sicht der Dinge gegenüber. Darauf ist
nicht einzutreten.
Im Übrigen durfte die Vorinstanz angesichts der Wegnahme der Handtasche der
Prostituierten von einem Entreissdiebstahl ausgehen. Wer einen Taschendiebstahl
begeht, hat bekanntlich die Bereitschaft, das zu nehmen, was ihm in die Hände
fällt und erhofft sich eine möglichst grosse Beute (vgl. BGE 123 IV 155 E. 1b;
BGE 123 IV 197 E. 2c). Der Schuldspruch wegen Diebstahls verletzt kein
Bundesrecht.

4.

4.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Strafzumessung. Die Vorinstanz
habe seinen Eventualvorsatz hinsichtlich der schweren Körperverletzung sowie
die Täterkomponente nicht genügend strafmildernd berücksichtigt. Er
beanstandet, dass die Vorinstanz von der Strafe der ersten Instanz abgewichen
sei, obwohl sie sich Zurückhaltung auferlege. Gesamthaft hätte die Vorinstanz
von einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als 22 Monaten ausgehen dürfen.

4.2. Das Bundesgericht hat die Grundsätze der Strafzumessung nach Art. 47 ff.
StGB wiederholt dargelegt (BGE 136 IV 55 E. 5.4 ff.; 132 IV 102 E. 8.1; je mit
Hinweisen). Darauf kann verwiesen werden. Es liegt im Ermessen des
Sachgerichts, in welchem Umfang es die verschiedenen Strafzumessungsfaktoren
berücksichtigt. Das Bundesgericht greift auf Beschwerde hin nur in die
Strafzumessung ein, wenn das Sachgericht den gesetzlichen Strafrahmen über-
oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien
ausgegangen ist oder wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. in
Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 136 IV
55 E. 5.6 mit Hinweis).

4.3. Die Vorinstanz setzt sich in ihren Erwägungen zur Strafzumessung mit den
wesentlichen schuldrelevanten Komponenten auseinander und würdigt sämtliche
Strafzumessungsgründe zutreffend. Dass sie dabei dem Eventualvorsatz nicht
genügend Rechnung getragen hätte, ist nicht erkennbar. Die Vorinstanz fällte
ein neues Urteil und musste deshalb die Strafe selbst zumessen (vgl. Art. 408
StPO). Im Übrigen kann auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen
Urteil verwiesen werden. Insgesamt sind die Erwägungen der Vorinstanz ohne
weiteres nachvollziehbar und die daraus gezogenen Schlüsse einleuchtend.
Jedenfalls hat die Vorinstanz mit ihrer Strafzumessung ihr Ermessen nicht
verletzt (Urteil S. 17 f.).

5.

5.1. Der Beschwerdeführer beantragt, die Freiheitsstrafe zugunsten der
ambulanten Massnahme aufzuschieben. Es bestünde eine erhöhte Gefahr, dass er
aus dem Gleichgewicht falle, wenn er aus dem günstigen sozialen Umfeld
herausgerissen und ihm die gewährte Chance auf Bewährung im Alltag genommen
werde.

5.2. Nach Art. 63 Abs. 2 StGB kann das Gericht den Vollzug einer zugleich
ausgesprochenen Freiheitsstrafe zugunsten einer ambulanten Massnahme
aufschieben, um der Art der Behandlung Rechnung zu tragen. Gemäss der Praxis
des Bundesgerichts gilt der Grundsatz, dass die Strafe vollzogen und die
ambulante Massnahme gleichzeitig durchgeführt wird. Es ist vom
Ausnahmecharakter des Strafaufschubs auszugehen (BGE 129 IV 161 E. 4.1 und E.
4.3).

 Die Anordnung des Strafaufschubs ist an zwei Voraussetzungen gebunden.
Einerseits muss der Täter ungefährlich sein. Andererseits muss die ambulante
Therapie vordringlich sein. Ein Aufschub muss sich aus Gründen der
Heilbehandlung hinreichend rechtfertigen. Er ist anzuordnen, wenn die ambulante
Therapie (ausserhalb des Strafvollzugs) im konkreten Einzelfall aktuelle und
günstige Bewährungsaussichten eröffnet, die durch den Strafvollzug zunichte
gemacht oder erheblich vermindert würden. Unter dem Gesichtspunkt des
Gleichheitsgebotes muss der Behandlungsbedarf umso ausgeprägter sein, je länger
die zu Gunsten der ambulanten Therapie aufzuschiebende Freiheitsstrafe ist (BGE
129 IV 161 E. 4.1 mit Hinweisen).

5.3. Die Vorinstanz stützt sich auf das psychiatrische Gutachten vom 28.
September 2012. Danach habe der Beschwerdeführer die Delikte jeweils unter
Alkoholeinfluss begangen. Gemäss dem Gutachten bestünde im Falle von erneuten
Rauschzuständen ein mindestens mittleres Risiko, dass der Beschwerdeführer
ähnliche Straftaten erneut begehe (Urteil S. 21). Die Vorinstanz erwägt, dass
dem Gutachten keine Hinweise zu entnehmen seien, dass der Erfolg der ambulanten
Therapie durch einen Freiheitsentzug erheblich beeinträchtigt. Anhaltspunkte
dafür, dass die Nachteile der Kombination von ambulanter Massnahme und
Strafvollzug vorliegend deutlich über das Ausmass hinausgingen, das
grundsätzlich mit jedem Entzug der Freiheit verbunden sei, lägen ebenfalls
nicht vor. Zudem dränge sich der Strafaufschub nicht auf, da der
Beschwerdeführer mit der schweren Körperverletzung eine schwere Straftat in nur
leicht bis höchstens mittelgradig verminderter Schuldfähigkeit begangen habe
(Urteil S. 21).

5.4. Das bei den Akten liegende Gutachten vom 28. September 2012 nimmt
ausführlich Stellung zum psychischen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers,
der Schuldfähigkeit und der Rückfallgefahr. Die Gutachterin führt aus, dass
eine ambulante Massnahme auch vollzugsbegleitend durchgeführt werden könne. In
diesem Fall sei die Massnahme auch nach der Entlassung des Beschwerdeführers
weiterzuführen. Für Letzteren sei es wahrscheinlich nicht besonders schwierig,
die Abstinenz in einem hochstrukturierten Rahmen, wie der Strafanstalt,
durchzuhalten. Entscheidend sei das Risiko zukünftiger Delikte. Deswegen sollte
er nach einer etwaigen Entlassung unterstützt werden, um die Toleranzabstinenz
von Alkohol auch langfristig unter Alltagsbedingungen zu erhalten.
Es ist nicht zu beanstanden, dass die Strafe nicht aufgeschoben wurde, da sie
gemäss Gutachten parallel zur ambulanten Massnahme vollzogen werden kann. Die
Anordnung des Strafvollzugs ist bundesrechtskonform.

6.

6.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Widerruf der bedingten
Geldstrafe vom 27. September 2011. Er habe beim Vorfall vom 6. Oktober 2011,
der zum Schuldspruch wegen schwerer Körperverletzung führte, das Urteil vom 27.
September 2011 noch nicht gekannt. Formell habe er daher kein Probezeitdelikt
begangen (Urteil S. 13).

6.2. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe am 6. Oktober 2011 eine
schwere Körperverletzung und während hängigem Strafverfahren am 30. Mai 2012
einen Diebstahl und die Hinderung einer Amtshandlung begangen. Aufgrund dieser
Probezeitdelikte und unter Berücksichtigung der neuen teilbedingten
Freiheitsstrafe sei der bedingte Vollzug der mit Strafbefehl ausgefällten
Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu Fr. 80.-- zu widerrufen (Urteil S. 23).

6.3. Nach Art. 46 Abs. 1 StGB widerruft das Gericht die bedingte Strafe oder
den bedingten Teil der Strafe, wenn der Verurteilte während der Probezeit ein
Verbrechen oder Vergehen begeht und deshalb zu erwarten ist, dass er weitere
Straftaten verüben wird.
Ein während der Probezeit begangenes Verbrechen oder Vergehen führt nicht
zwingend zum Widerruf des bedingten Strafaufschubs. Dieser erfolgt nur, wenn
wegen des neuen Delikts von einer negativen Einschätzung der
Bewährungsaussichten auszugehen ist, d.h. aufgrund der erneuten Straffälligkeit
eine eigentliche Schlechtprognose besteht. Die Prüfung der Bewährungsaussichten
des Täters ist anhand einer Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände
vorzunehmen (BGE 134 IV 140 E. 4.2 und E. 4.4 mit Hinweisen). Bei der
Beurteilung der Bewährungsaussichten ist mitzuberücksichtigen, ob die neue
Strafe bedingt oder unbedingt ausgesprochen wird. Der Richter kann zum Schluss
kommen, dass vom Widerruf des bedingten Vollzugs für die frühere Strafe
abgesehen werden kann, wenn die neue Strafe vollzogen wird, oder umgekehrt
annehmen, beim Vollzug der früheren Strafe könne eine Schlechtprognose für die
neue Strafe im Sinne von Art. 42 Abs. 1 StGB verneint und diese folglich
bedingt ausgesprochen werden (BGE 134 IV 140 E. 4.5 mit Hinweisen). Der
Entscheid über die Gewährung und derjenige über den Widerruf des bedingten
Strafvollzugs können wegen unterschiedlicher Grundlagen für die Prognose
divergieren, denn der Widerrufsverzicht setzt bei Vorverurteilungen im
Gegensatz zum bedingten Strafaufschub keine besonders günstigen Umstände
voraus. Die mögliche Warnwirkung der zu vollziehenden Strafe ist zwingend zu
beachten (BGE 134 IV 140 E. 4.5; 116 IV 177 E. 3d).
Dem Richter steht bei der Prüfung der Prognose des künftigen Legalverhaltens
ein Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn der Richter
sein Ermessen über- bzw. unterschreitet oder missbraucht und damit Bundesrecht
verletzt (BGE 134 IV 140 E. 4.2).

6.4. Die Vorinstanz hat angesichts der Probezeitdelikte, namentlich des
Entreissdiebstahls und der Hinderung einer Amtshandlung, dem Beschwerdeführer
eine schlechte Prognose gestellt und die ausgefällte Geldstrafe von 15
Tagessätzen zu Fr. 80.-- widerrufen. Es kann dahingestellt bleiben, ob der
Beschwerdeführer Kenntnis vom Strafbefehl vom 27. September 2011 hatte, als er
die schwere Körperverletzung beging, da er auch am 30. Mai 2011 und somit
während der Probezeit delinquierte. Die Vorinstanz überschreitet ihr Ermessen
nicht, indem sie dem Beschwerdeführer eine schlechte Prognose stellt.

7. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Ausgangsgemäss sind die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs.
1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist abzuweisen, da die
Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der finanziellen Lage des
Beschwerdeführers wird mit reduzierten Gerichtskosten Rechnung getragen (Art.
65 Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Strafabteilung, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. September 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Kratz-Ulmer

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