Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1224/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_1224/2014

Urteil vom 9. April 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Bundesrichtern Jametti,
Gerichtsschreiber Held.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Stephan A. Buchli,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Strafzumessung (mehrfache qualifizierte Widerhandlung gegen das BetmG),

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, vom 4. November 2014.

Sachverhalt:

A.

 X.________ war von Ende Februar 2010 bis Anfang März 2011 an der Lagerung
sowie an landesinternen und grenzüberschreitenden Transporten von rund 6,4 kg
Kokaingemisch und ca. 75 kg Streckmitteln beteiligt. Drahtzieher und
Organisator der einzelnen Tätigkeiten und insbesondere verantwortlich für den
Absatz des Kokains und der Streckmittel war A.________.

B.

 Das Bezirksgericht Zürich verurteilte X.________ am 27. Februar 2014 wegen
mehrfacher qualifizierter Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz (4,4
kg reines Kokain und 75 kg Streckmittel) zu einer Freiheitsstrafe von vier
Jahren. Das Obergericht des Kantons Zürich erkannte ein strafbares Verhalten
nur hinsichtlich der Handlungen mit 4,4 kg Kokain und sprach ihn von den
Vorwürfen des Anstalten-Treffens in Zusammenhang mit Streckmitteln frei. Es
verurteilte X.________ wegen mehrfacher qualifizierter Widerhandlungen gegen
das BetmG zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und neun Monaten.

C.

 X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, er sei zu einer
teilbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren zu verurteilen, deren Vollzug im
Umfang von 18 Monaten aufzuschieben sei. Eventualiter sei die Sache zur neuen
Beurteilung der Strafe oder des "Vollzugs" an die Vorinstanz zurückzuweisen.

 Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich haben auf
Vernehmlassungen verzichtet.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz komme angesichts der hohen
Einsatzstrafe ihrer Begründungspflicht nicht nach. Sie gewichte das Kriterium
der Betäubungsmittelmenge falsch und lasse ausser Acht, dass die von ihm
importierten 5 kg Kokaingemisch vollständig sichergestellt wurden, weshalb die
mittelbare Gesundheitsgefährdung vieler Personen gering gewesen sei. Die
Vorinstanz mache sich die Strafzumessungserwägungen des erstinstanzlichen
Gerichts zu eigen und verkenne dabei, dass ihm als Kurierfahrer, der nicht bei
der Planung und Organisation des Kokaintransports vom Kosovo in die Schweiz
mitgewirkt hat, kein professionelles Verhalten und keine gesteigerte kriminelle
Energie vorgeworfen werden könne. Sie berücksichtige nicht hinreichend seine
Abhängigkeit vom Haupttäter A.________, dem er widerspruchslos gehorcht habe,
weshalb auch die Erhöhung der Einsatzstrafe um 13 Monate für die übrigen
Tathandlungen unhaltbar sei. Die Vorinstanz begründe die - im Übrigen zu
niedrig ausgefallene - Strafminderung infolge der Freisprüche nicht.

1.2.

1.2.1. Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, sind
den Parteien schriftlich zu eröffnen und müssen namentlich die massgebenden
Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art, insbesondere die Angabe der
angewendeten Gesetzesbestimmungen enthalten (Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG). Aus
dem Entscheid muss klar hervorgehen, von welchem festgestellten Sachverhalt die
Vorinstanz ausgegangen ist und welche rechtlichen Überlegungen sie angestellt
hat (BGE 138 IV 81 E. 2.2; 135 II 145 E. 8.2; je mit Hinweisen). Die
Begründungspflicht dient dazu, den Parteien die für den Entscheid massgebenden
Umstände zur Kenntnis zu bringen, damit sie sich ein Bild über die Tragweite
machen, ihn auf seine Richtigkeit hin überprüfen und gegebenenfalls sachgemäss
anfechten können (Urteil 8C_258/2014 vom 15. Dezember 2014 E. 5.2 mit Hinweis).
Genügt ein Entscheid diesen Anforderungen nicht, so kann das Bundesgericht ihn
in Anwendung von Art. 112 Abs. 3 BGG an die kantonale Behörde zur Verbesserung
zurückweisen oder aufheben. Hingegen steht es ihm nicht zu, sich an die Stelle
der Vorinstanz zu setzen, die ihrer Aufgabe nicht nachgekommen ist (Urteil
5D_10/2014 vom 25. März 2014 E. 2.1 mit Hinweisen).

1.2.2. Ist ein Urteil zu begründen, so hält das Gericht in der Begründung auch
die für die Zumessung der Strafe erheblichen Umstände und deren Gewichtung fest
(Art. 50 StGB). Der Richter muss die Überlegungen, die er bei der Bemessung der
Strafe vorgenommen hat, in den Grundzügen wiedergeben, sodass die
Strafzumessung nachvollziehbar ist (BGE 134 IV 17 E. 2.1; Urteil 6B_510/2013
vom 4. März 2014 E. 4.3; je mit Hinweisen).

1.2.3. Im Rechtsmittelverfahren kann das Gericht für die tatsächliche und die
rechtliche Würdigung des angeklagten Sachverhalts aus Gründen der
Prozessökonomie auf die Begründung der Vorinstanz verweisen, wenn es dieser
beipflichtet (Art. 82 Abs. 4 StPO; Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur
Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1157 Ziff. 2.2.8.5 zu Art.
80). Auf neue tatsächliche oder rechtliche Vorbringen, die erstmals im
Rechtsmittelverfahren vorgebracht werden, ist einzugehen. Vom Instrument der
Verweisung ist zurückhaltend Gebrauch zu machen, da andernfalls bei der das
Rechtsmittel ergreifenden Person der Eindruck entstehen kann, die
Rechtsmittelinstanz setze sich mit ihren Vorbringen nicht auseinander (vgl.
Nils Stohner, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2.
Aufl. 2014, N. 9 zu Art. 82 StPO).

 Ein Verweis erscheint in erster Linie bei nicht streitigen Sachverhalten und
abstrakten Rechtsausführungen sinnvoll, kommt hingegen bei strittigen
Sachverhalten und Beweiswürdigungen sowie der rechtlichen Subsumtion des
konkreten Falls nur dann in Frage, wenn die Rechtsmittelinstanz den
vorinstanzlichen Erwägungen (vollumfänglich) beipflichtet. Art. 82 Abs. 4 StPO
entbindet die Rechtsmittelinstanzen nicht von deren Begründungspflicht und
findet seine Grenzen, wenn sich nicht mehr ohne Weiteres feststellen lässt, was
die massgebenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen der
Rechtsmittelinstanz sind (vgl. Urteile 6B_776/2013 vom 22. Juli 2014 E. 1.5;
6B_356/2012 vom 1. Oktober 2012 E. 3.5; je mit Hinweisen; Bernhard Ehrenzeller,
in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 7 f. zu Art. 112
BGG).

1.3.

1.3.1. Die Vorinstanz verweist sowohl bei der (nicht angefochtenen)
Sachverhaltsfeststellung als auch bei ihren rechtlichen Erwägungen in Anwendung
von Art. 82 Abs. 4 StPO mehrmals "grundsätzlich" bzw. "teilweise" auf das
erstinstanzliche Urteil. Sie macht sich dessen Erwägungen jedoch nicht
vollumfänglich zu eigen oder bestätigt diese umfassend, sondern nimmt eine
Vielzahl von "Korrekturen, Ergänzungen und Präzisierungen" vor. Ihren
Verweisungen und Ausführungen lässt sich nicht entnehmen, in welchem Umfang sie
die erstinstanzlichen Erwägungen übernimmt, präzisiert oder korrigiert bzw.
ersetzt. Es ist dem Beschwerdeführer nicht zuzumuten und auch nicht Aufgabe des
Bundesgerichts, aufgrund eines Abgleichs beider kantonaler Entscheide zu
ermitteln, was aller Wahrscheinlichkeit nach die massgebenden und verbindlichen
Erwägungen des Berufungsurteils sind. Die Entscheidgründe müssen sowohl in
tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht ohne Weiteres nachvollziehbar
sein, was vorliegend nicht der Fall ist. Zudem ist das Berufungsurteil trotz
der zahlreichen Verweise auf die erstinstanzlichen Erwägungen sechs Seiten
länger als der Entscheid des Bezirksgerichts, und die vorinstanzlichen
Strafzumessungserwägungen sind aufgrund der umfangreichen "Korrekturen,
Präzisierungen und Ergänzungen" ebenfalls nicht knapper, weshalb sich die
Verweise auch aus Gründen der Verfahrensökonomie als nicht zweckmässig
erweisen.

1.3.2. Die vorinstanzlichen Erwägungen sind aufgrund der unklaren Verweise
teilweise missverständlich und widersprüchlich. Inwieweit das Bezirksgericht
die massgebenden Strafzumessungsfaktoren "grundsätzlich zutreffend genannt und
gewürdigt" haben soll, obwohl es entgegen der Vorinstanz auch den Umgang mit
Streckmitteln für strafbar hielt und das objektive Tatverschulden als
"erheblich" und nicht nur wie die Vorinstanz als "nicht besonders schwer"
einstufte, ist nicht nachvollziehbar. Unklar bleibt, in welchem Umfang die
Vorinstanz die Freisprüche von rund der Hälfte der Anklagevorwürfe hinsichtlich
des Anstalten-Treffens zu Handlungen mit 75 kg Streckmitteln berücksichtigt.
Die rudimentäre Erwägung, "dass der Beschwerdeführer bezüglich der Handlungen
mit dem Streckmittel freizusprechen ist, wurde berücksichtigt, wirkt sich bei
der Strafzumessung aber nur geringfügig aus (vgl. dazu auch Urk. 71 S. 17
[erstinstanzliches Urteil]) ", genügt im Hinblick auf eine transparente, in den
Grundzügen nachvollziehbare und überprüfbare Strafzumessung nicht. Daran ändert
auch der Verweis auf das erstinstanzliche Urteil nichts, der sich zudem als
widersprüchlich erweist. Die Vorinstanz stellt zutreffend fest, dass entgegen
der erstinstanzlichen Erwägungen das BetmG nicht in seiner aktuellen, sondern
in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung anzuwenden ist, weshalb die vom
Bezirksgericht vorgenommene "leichte Erhöhung" nicht mit Art. 19 Abs. 3 lit. c
BetmG (gemeint sein dürfte lit. a), der in der zum Tatzeitpunkt geltenden und
anwendbaren Gesetzesfassung noch nicht existierte, begründet werden kann. Dass
die Vorinstanz das erstinstanzliche Strafmass von 4 Jahren Freiheitsstrafe in
ihren Erwägungen bestätigt, letztlich jedoch eine Freiheitsstrafe von 3¾ Jahren
ausspricht, ist unerklärlich.

1.3.3. Zudem verkennt die Vorinstanz, dass die Berufung nach Art. 398 ff. StPO
grundsätzlich ein reformatorisches Rechtsmittel ist (BBl 2006 1318 Ziff.
2.9.3.3). Sie verfügt als Berufungsgericht über umfassende Kognition in
tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (vgl. Art. 398 Abs. 2 und 3 StPO;
Urteile 6B_497/2014 vom 6. März 2015 E. 1.4; 6B_339/2014 vom 27. November 2014
E. 1.3, nicht publ. in: BGE 140 IV 145), das - tritt es auf die Berufung ein -
ein neues, den erstinstanzlichen Entscheid ersetzendes Urteil fällt (vgl. Art.
408 StPO). Die Vorinstanz hätte die Strafe unter Berücksichtigung der
Freisprüche sowie der übrigen wesentlichen Strafzumessungsfaktoren neu
festsetzen und nachvollziehbar begründen müssen und sich nicht mit einer
Überprüfung der erstinstanzlichen Rechtsanwendung begnügen dürfen. Daran ändert
die Möglichkeit, im Rechtsmittelverfahren auf die Begründung der Erstinstanz zu
verweisen, nichts (vgl. Urteile 6B_776/2013 vom 22. Juli 2014 E. 1.5; 6B_356/
2012 vom 1. Oktober 2012 E. 3.5; je mit Hinweisen).

1.4. Der angefochtene Entscheid genügt in mehrfacher Hinsicht nicht den
gesetzlichen Begründungsanforderungen gemäss Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG und
Art. 50 StGB und verletzt zudem Art. 82 Abs. 4 StPO.

2.

 Die Beschwerde ist gutzuheissen, weshalb es sich erübrigt, auf die weiteren
Rügen einzugehen. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG).
Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons
Zürich vom 4. November 2014 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an
die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 3'000.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. April 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Held

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