Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1185/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_1185/2014

Urteil vom 24. Februar 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Schär.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Advokat Dr. Christian von Wartburg,
Beschwerdeführerin,

gegen

1. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Erste Staatsanwältin,
Grenzacherstrasse 8, 4132 Muttenz,
2. A.________,
vertreten durch Advokat Dr. Urs Beat Pfrommer,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Fahrlässige Körperverletzung, Verletzung von Verkehrsregeln; Willkür,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Strafrecht, vom 23. September 2014.

Sachverhalt:

A.

 Am 25. November 2011 lenkte X.________ in Allschwil auf der Baslerstrasse
einen Personenwagen in Richtung Dorfzentrum. Auf der Höhe der Verzweigung
Baslerstrasse/Carmenstrasse spurte sie unter Ankündigung der Richtungsänderung
angrenzend zur Mittellinie ein, um nach links in die Carmenstrasse abzubiegen.
Zu diesem Zeitpunkt stand ein Lastwagen auf der Baslerstrasse in der Kolonne
des Gegenverkehrs. Diese Verkehrsteilnehmer hatten links in Fahrtrichtung Basel
beziehungsweise Wasgenring eingespurt und mussten wegen des Rotlichts an der
Kreuzung weiter vorne warten. Der Lenker des Lastwagens gab X.________ ein
Zeichen, woraufhin sie vor diesem hindurch in die Carmenstrasse einbiegen
wollte. Dabei kollidierte sie mit dem Motorradfahrer A.________, welcher in der
Zwischenzeit rechts neben dem Lastwagen vorbeigefahren war. A.________ stürzte
und wurde verletzt. Ihm musste eine neue Hüftprothese eingesetzt werden, was
einen stationären Spital- und einen anschliessenden Rehaaufenthalt zur Folge
hatte. Damit habe sich X.________ der fahrlässigen einfachen Körperverletzung
schuldig gemacht.

B.

 Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft verurteilte X.________ mit Strafbefehl
vom 9. April 2013 zu einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 50.--
sowie einer Busse von Fr. 500.--. Die Zivilforderung von A.________ wurde auf
den Zivilweg verwiesen.

 X.________ erhob Einsprache gegen den Strafbefehl. Das Strafgericht
Basel-Landschaft bestätigte am 7. Januar 2014 den Schuldspruch, reduzierte
jedoch die bedingte Geldstrafe auf 10 Tagessätze zu Fr. 30.--. Es hiess die
Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen von A.________ mit einer
Haftungsquote von 100% gut und verwies sie im Übrigen auf den Zivilweg.
Überdies wurde X.________ verpflichtet, A.________ eine Entschädigung in der
Höhe von Fr. 5'771.40 zu bezahlen.

 Das Kantonsgericht Basel-Landschaft hiess die Berufung von X.________ am 23.
September 2014 teilweise gut. Es reduzierte die Tagessatzhöhe auf Fr. 10.--. Im
Übrigen wurde das Urteil des Strafgerichts bestätigt.

C.

 X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, das Urteil des
Kantonsgerichts vom 23. September 2014 sei aufzuheben und sie sei vom Vorwurf
der fahrlässigen einfachen Körperverletzung freizusprechen. Die Schadenersatz-
und Genugtuungsforderungen von A.________ seien abzuweisen.

Erwägungen:

1.

 Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz eine willkürliche
Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (Art. 9 BV) vor und macht die
Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" (Art. 10 Abs. 3 StPO; Art. 32
Abs. 1 BV; Art. 6 Ziff. 2 EMRK) geltend.

1.1. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur
gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie
willkürlich ist (BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445 mit Hinweisen; vgl. zum
Willkürbegriff: BGE 138 I 305 E. 4.3 S. 319 mit Hinweis). Die Willkürrüge muss
in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art.
106 Abs. 2 BGG). Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil
tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 5 mit Hinweis). Dem
Grundsatz in dubio pro reo kommt in der von der Beschwerdeführerin angerufenen
Funktion als Beweiswürdigungsregel (vgl. Art. 10 Abs. 3 StPO) im Verfahren vor
dem Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende
Bedeutung zu (BGE 138 V 74 E. 7 S. 82 mit Hinweisen).

1.2. Die Beschwerdeführerin beanstandet die Feststellung der Vorinstanz, wonach
der Verkehr auf der Gegenfahrbahn bereits auf der Höhe der Unfallstelle
zweispurig gewesen sei. Die Strasse werde erst rund 30 Meter nach der
Unfallstelle durch eine entsprechende Markierung in zwei Spuren unterteilt. Die
linke Spur sei für die an der Kreuzung weiter vorne nach links in den
Wasgenring abbiegenden Fahrzeuge vorgesehen. Eine generelle Praxis der
Verkehrsteilnehmer, bereits vor der markierten Stelle in zwei Kolonnen zu
fahren, mache die Strasse nicht zweispurig. Zudem habe der Lastwagenfahrer
ausgesagt, rechts neben ihm habe kein Auto mehr Platz gehabt, da er nicht ganz
links eingespurt habe. Die Feststellung der Vorinstanz, wonach die Strasse an
der Unfallstelle zweispurig gewesen sei, verletze das Willkürverbot und
verstosse gegen den Grundsatz in dubio pro reo.

 Bereits die erste Instanz hielt fest, gemäss Aussage der Beschwerdeführerin
hätten sowohl der Lastwagen als auch die vor ihm wartenden Fahrzeuge, wie es
dort üblich sei, so weit links eingespurt, dass rechts davon mindestens eine
ganze Fahrzeugbreite Platz verblieben sein müsse. Es habe demnach ohne weiteres
rechts vorbeigefahren werden können. Dass sich der Lastwagenfahrer während der
Voruntersuchung nicht mehr an die damalige Positionierung seines Lastwagens
habe erinnern können, ändere an dieser Schlussfolgerung nichts. In der
Zwischenzeit sei an der Unfallstelle eine Sperrfläche markiert worden, welche
das zweispurige Fahren verbiete. Dies sei ein weiteres Indiz dafür, dass es
einer gängigen Praxis entsprochen habe, an der Unfallstelle in zwei Kolonnen zu
fahren. In Ergänzung dazu hält die Vorinstanz fest, es sei gerichtsnotorisch,
dass die Verkehrsteilnehmer, welche an der Kreuzung Baslerstrasse/Morgartenring
/Wasgenring nach links abbiegen wollten, insbesondere bei hohem
Verkehrsaufkommen bereits vor der signalisierten Einspurstrecke einspuren
würden. Schliesslich habe die Beschwerdeführerin zumindest mit einem hinter dem
Lastwagen auftauchenden Fahrrad gerechnet. Gestützt auf die Aussagen der
Beteiligten und die soeben erwähnten Überlegungen durfte die Vorinstanz
willkürfrei darauf schliessen, dass rechts des Lastwagens genügend Platz für
eine zweite Fahrspur vorhanden war und dass es einer gängigen Praxis entsprach,
bereits auf der Höhe der Unfallstelle einzuspuren. Ob das Fahren in mehreren
Kolonnen respektive das Rechtsüberholen durch den Motorradfahrer einen
Verkehrsregelverstoss darstellt, ist keine Frage der Sachverhaltsfeststellung
und daher an dieser Stelle nicht zu prüfen (vgl. dazu E. 2.3 ff.).

1.3. Die Beschwerdeführerin bemängelt weiter, die Vorinstanz gehe davon aus,
sie sei in einem Zug abgebogen. Tatsächlich habe es sich jedoch um ein
mehrstufiges Abbiegemanöver gehandelt. In einer ersten Phase habe sie links
eingespurt und auf eine Möglichkeit gewartet, um einbiegen zu können. Der
Lastwagen habe etwas zurückgesetzt, um ihr die Durchfahrt zu ermöglichen. Sie
sei zunächst vor den Lastwagen gefahren, habe dort angehalten und den
Sichtkontakt zum Lastwagenfahrer gesucht. Dieser habe ihr signalisiert, dass
sie freie Fahrt habe. Die Feststellung der Vorinstanz, sie hätte lediglich die
nächste Grünphase abwarten und den Lastwagen passieren lassen müssen, um die
gesamte Gegenfahrbahn überblicken zu können, sei willkürlich. Da sie sich beim
inkriminierten Manöver bereits vor dem Lastwagen befunden habe, habe sie den
Gegenverkehr blockiert. Es sei somit faktisch nicht mehr möglich gewesen, den
Lastwagen beim nächsten Lichtsignalintervall passieren zu lassen.

 Die Vorinstanz unterstellt der Beschwerdeführerin nicht, in einem Zug
abgebogen zu sein. Vielmehr wurde bereits im erstinstanzlichen Urteil
festgehalten, dass die Beschwerdeführerin vor dem Lastwagen zum Stehen kam und
auf ein weiteres Zeichen des Lastwagenfahrers wartete (erstinstanzliches
Urteil, S. 11). Obschon die Vorinstanz die Sachverhaltsfeststellungen in
abgekürzter Form wiedergibt, ist nicht ersichtlich, dass sie vom Sachverhalt
des Strafgerichts abzuweichen beabsichtigt. Die Willkürrüge geht somit an der
Sache vorbei. Soweit die Beschwerde in diesem Punkt den
Begründungsanforderungen (Art. 42 Abs. 2 BGG und 106 Abs. 2 BGG) überhaupt
genügt, ist sie unbegründet.

2.

 Die Beschwerdeführerin macht in rechtlicher Hinsicht geltend, ihr könne keine
Sorgfaltspflichtverletzung vorgeworfen werden. Zudem habe die Vorinstanz das
Vertrauensprinzip (Art. 26 Abs. 1 SVG) falsch angewendet.

2.1. Fahrlässig handelt, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger
Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt (Art. 12 Abs.
3 StGB). Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäss Art. 125
Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer
Sorgfaltspflicht verursacht hat. Sorgfaltswidrig ist die Handlungsweise, wenn
der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse
und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte
erkennen können und müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten
Risikos überschritten hat. Wo besondere, der Unfallverhütung und der Sicherheit
dienende Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der
zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften. Fehlen
solche, kann auf analoge Regeln privater oder halbprivater Vereinigungen
abgestellt werden, sofern diese allgemein anerkannt sind. Dies schliesst nicht
aus, dass der Vorwurf der Fahrlässigkeit auch auf allgemeine Rechtsgrundsätze
wie etwa den allgemeinen Gefahrensatz gestützt werden kann (BGE 135 IV 56 E.
2.1 S. 64 mit Hinweisen). Die Zurechenbarkeit des Erfolgs bedingt die
Vorhersehbarkeit nach dem Massstab der Adäquanz. Danach muss das Verhalten
geeignet sein, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des
Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu
begünstigen. Die Adäquanz ist nur zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche
Umstände, wie das Mitverschulden des Opfers bzw. eines Dritten oder Material-
oder Konstruktionsfehler, als Mitursache hinzutreten, mit denen schlechthin
nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als
wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs erscheinen und so alle
anderen mitverursachenden Faktoren - wie das Verhalten des Beschuldigten - in
den Hintergrund drängen (BGE 135 IV 56 E. 2.1 S. 64 f. mit Hinweisen). Weitere
Voraussetzung ist, dass der Erfolg vermeidbar war. Dabei wird ein
hypothetischer Kausalverlauf untersucht und geprüft, ob der Erfolg bei
pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Für die Zurechnung des
Erfolgs genügt, wenn das Verhalten des Täters mindestens mit einem hohen Grad
an Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete (BGE 135 IV 56 E. 2.1 S.
64 f. mit Hinweisen).

2.2. Gemäss Art. 36 Abs. 3 SVG ist vor dem Abbiegen nach links den
entgegenkommenden Fahrzeugen der Vortritt zu lassen. Diese Vortrittsregel wird
durch Art. 14 Abs. 1 der Verkehrsregelverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR
741.11) konkretisiert, wonach der Vortrittsbelastete den Vortrittsberechtigten
in seiner Fahrt nicht behindern darf und mit Blick darauf seine Geschwindigkeit
frühzeitig zu mässigen und wenn nötig vor Beginn der Verzweigung zu halten hat.
Den Vortrittsberechtigten behindert grundsätzlich, wer ihn zu einem Verhalten
veranlasst, zu dem er nicht verpflichtet ist und das er nicht will, ihm also
die Möglichkeit nimmt, sich im Rahmen seiner Vortrittsberechtigung frei im
Verkehr zu bewegen, namentlich wenn der Berechtigte gezwungen wird, seine
Fahrtrichtung oder seine Geschwindigkeit brüsk zu ändern (Urteil 6B_509/2010
vom 14. März 2011 E. 3.3.2 mit Hinweis).
Nach der Grundregel von Art. 26 Abs. 1 SVG hat sich im Verkehr jedermann so zu
verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder
behindert noch gefährdet. Daraus leitet die Rechtsprechung den
Vertrauensgrundsatz ab, wonach jeder Strassenbenützer darauf vertrauen darf,
dass sich die anderen Verkehrsteilnehmer ebenfalls ordnungsgemäss verhalten.
Auf den Vertrauensgrundsatz kann sich indes nur berufen, wer sich selbst
verkehrsregelkonform verhalten hat. Wer gegen die Verkehrsregeln verstösst und
dadurch eine unklare oder gefährliche Verkehrslage schafft, kann nicht
erwarten, dass andere diese Gefahr durch erhöhte Vorsicht ausgleichen (BGE 125
IV 83 E. 2b S. 88 mit Hinweisen; Urteil 6B_651/2013 vom 23. Januar 2014 E.
4.2). Jedoch gilt diese Einschränkung dort nicht, wo gerade die Frage, ob der
Verkehrsteilnehmer eine Verkehrsvorschrift verletzt hat, davon abhängt, ob er
sich auf den Vertrauensgrundsatz berufen kann oder nicht. Denn es wäre
zirkelschlüssig, in einem solchen Fall den Vertrauensgrundsatz nicht anzuwenden
mit der Begründung, der Täter habe eine Verkehrsregel verletzt. Dies hängt ja
gerade davon ab, ob und inwieweit er sich auf das verkehrsgerechte Verhalten
der anderen Verkehrsteilnehmer verlassen darf (BGE 125 IV 83 E. 2b S. 88 mit
Hinweis).

2.3. Unbestrittenermassen war die Beschwerdeführerin gegenüber den
Verkehrsteilnehmern des Gegenverkehrs vortrittsbelastet. Dies war ihr bekannt,
weshalb sie sich langsam auf die Gegenfahrbahn vortastete. Die
Beschwerdeführerin ist der Auffassung, da der Lastwagen ein "unauflösbares
Sichthindernis" dargestellt habe, sei den Anforderungen an die Sorgfaltspflicht
mit einem langsamen Vortasten Genüge getan.

 Es ist zunächst zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin beim Abbiegen ihren
Sorgfaltspflichten nachgekommen ist. Erst wenn dies zu bejahen wäre, wäre
danach zu fragen, ob sie darauf vertrauen durfte, der Vortrittsberechtigte
verletze seinerseits die Verkehrsregeln nicht (vgl. BGE 120 IV 252 E. 2d/bb S.
254 f.), bzw. ob aufgrund besonderer Anzeichen für ein Fehlverhalten des
anderen Verkehrsteilnehmers Anlass für erhöhte Vorsicht bestand. Somit ist an
dieser Stelle nicht zu prüfen, ob das Überholen des Beschwerdegegners 2 einen
Verkehrsregelverstoss darstellte. Erst wenn festgestellt würde, dass die
Beschwerdeführerin darauf vertrauen durfte, dass kein Motorradfahrer den
Lastwagen rechts überholt, wäre das Verhalten des Beschwerdegegners 2 auf seine
Verkehrsregelkonformität zu prüfen.

2.4. Die Vorinstanz erwägt, die von der Beschwerdeführerin herangezogene
Rechtsprechung (BGE 93 IV 32) komme vorliegend nicht zur Anwendung, da die
Sichtbeschränkung, im Gegensatz zu den vom Bundesgericht erwähnten Mauern,
Hecken oder parkierten Fahrzeugen lediglich von kurzer Dauer gewesen sei. Beim
nächsten Wechsel des Lichtsignals an der Kreuzung Baslerstrasse/Morgartenring/
Wasgenring hätte der Lastwagen die Stelle passiert und die Beschwerdeführerin
hätte die vortrittsberechtigte Gegenfahrbahn, inklusive der vom
Beschwerdegegner 2 benutzten Verkehrsfläche, selber überblicken können. Erst in
dieser neuen Situation wäre ein gefahrloses Linksabbiegen möglich gewesen.
Alternativ hätte sie ihre Fahrt in gerader Richtung soweit fortsetzen können,
bis die Strassen- und Verkehrsverhältnisse es ihr gestattet hätten, ihren Wagen
zu wenden, um auf der anderen Seite der Strasse zurückzufahren und dann rechts
in die Einfahrt einzubiegen. Die Vorinstanz verweist dazu auf BGE 84 IV 115.

2.5. Das Bundesgericht befasste sich bereits mehrmals mit der Frage, welche
Sorgfalt ein vortrittsbelasteter Verkehrsteilnehmer beim Abbiegen bei
eingeschränkter Sicht aufwenden muss. In diesem Zusammenhang erwog es, eine
gewisse Behinderung der Vortrittsberechtigten könne kaum vermieden werden, wenn
die Sicht für einen Wartepflichtigen bei einer Einmündung durch Mauern oder
Hecken so beschränkt werde, dass er zwangsläufig mit dem Vorderteil seines
Wagens in die vortrittsbelastete Verkehrsfläche gelange, bevor er von seinem
Fahrersitz aus überhaupt Einblick in diese erhalte. In solchen Situationen sei
ein sehr vorsichtiges Hineintasten zulässig, wenn der Vortrittsberechtigte das
ohne Sicht langsam einmündende Fahrzeug rechtzeitig genug sehen könne, um
entweder selbst auszuweichen oder den Wartepflichtigen durch ein Signal zu
warnen (BGE 105 IV 339 E. 3 S. 339 mit Hinweis; vgl. auch BGE 127 IV 34 E. 3c/
bb S. 43 f. mit Hinweisen). Dabei dürfe grundsätzlich darauf vertraut werden,
dass vortrittsberechtigte Fahrzeuge abbremsen oder sogar anhalten würden, wenn
das einbiegende Fahrzeug aus genügend grosser Entfernung gesehen werden könne (
BGE 89 IV 140 E. 3c S. 145 f.).

 Wie die Vorinstanz ausführt, ist in den erwähnten Entscheiden von dauerhaften
Sichthindernissen wie Mauern und Hecken die Rede. Das Bundesgericht hatte
jedoch auch schon Fälle zu beurteilen, bei denen die Sichtbeschränkung
vorübergehender Natur war. In BGE 122 IV 133 versperrte ein Lieferwagen,
welcher der Vortrittsbelasteten die Vorfahrt gewähren wollte, dieser
gleichzeitig die Sicht. Das Bundesgericht erwog, auch in diesem Fall könne der
Sorgfaltspflicht mit einem langsamen Vortasten Genüge getan werden. Zu einer
Verurteilung der Automobilistin kam es jedoch nicht, da diese nicht habe damit
rechnen müssen, dass ein Motorradfahrer mit übersetzter Geschwindigkeit und in
Verletzung von Art. 47 Abs. 2 SVG die stehende Kolonne überholen würde.

2.6. Ein vorsichtiges Hineintasten genügt nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung nur, wenn der Vortrittsberechtigte das ohne Sicht langsam
einmündende Fahrzeug rechtzeitig genug sehen kann, um entweder selbst
auszuweichen oder den Wartepflichtigen durch ein Signal zu warnen (BGE 105 IV
339 E. 3 S. 339). Dies war vorliegend nicht der Fall; wie bereits die erste
Instanz festgestellt hat, war der Beschwerdegegner 2 nicht in der Lage, die
Kollision aus eigener Kraft zu vermeiden, da er die Beschwerdeführerin zu spät
erblickte. Dass der Beschwerdegegner 2 mit übersetzter Geschwindigkeit
unterwegs gewesen wäre, ist nicht erstellt. Hinzu kommt, dass im Gegensatz zu
BGE 122 IV 133 der Erfolgseintritt für die Beschwerdeführerin im vorliegenden
Fall ohne weiteres erkennbar war. Wie die Vorinstanz verbindlich feststellt,
bestand eine gängige Praxis, wonach die links eingespurten Fahrzeuge rechts
überholt wurden. Diese Praxis war der Beschwerdeführerin bekannt. Das
Überholmanöver des Beschwerdegegners 2 kann demnach weder als abwegig noch als
aussergewöhnlich bezeichnet werden. Vielmehr war es geradezu alltäglich. Die
Beschwerdeführerin musste aufgrund der konkreten Umstände und insbesondere im
dichten Feierabendverkehr mit dem Überholen eines Motorrades rechnen. Sie
durfte daher nicht ohne weiteres auf das Ausbleiben des Erfolgs vertrauen. Ein
entsprechender Irrtum wäre jedenfalls bei pflichtgemässer Vorsicht vermeidbar
gewesen (vgl. Art. 13 Abs. 2 StGB). Ein die Vorhersehbarkeit des
Erfolgseintritts unterbrechendes Mitverschulden des Motorradfahrers, mit dem
die Beschwerdeführerin schlechthin nicht rechnen musste, liegt nach den
zutreffenden vorinstanzlichen Erwägungen ebenfalls nicht vor. Im Zusammenhang
mit der Adäquanz macht die Beschwerdeführerin weiter geltend, diese sei zu
verneinen, da das falsche Signal des Lastwagenfahrers und nicht ihr eigenes
Handeln ursächlich für die Kollision gewesen sei. Auch diese Argumentation
verfängt nicht. Die Beschwerdeführerin beging eine Verkehrsregelverletzung. Die
falsche Zeichengebung wurde richtigerweise bei der Verschuldensbemessung
berücksichtigt. Die Adäquanz entfällt damit jedoch nicht. Das Übersehen des
Motorrades durch den Lastwagenfahrer war nicht derart aussergewöhnlich, dass
die Beschwerdeführerin damit schlechterdings nicht hätte rechnen müssen.
Vielmehr besteht bei einem Lastwagenfahrer bekanntlich eine erhöhte Gefahr,
dass dieser andere Verkehrsteilnehmer aufgrund der eingeschränkten Sicht
übersieht. Die Beschwerdeführerin durfte sich nicht ohne weiteres auf seine
Zeichengebung verlassen.

 Auch die vorinstanzlichen Erwägungen zur Vermeidbarkeit des Erfolgseintritts
sind nicht zu beanstanden. Sie geht davon aus, dass es nicht zur Kollision mit
Körperverletzungsfolge gekommen wäre, wenn die Beschwerdeführerin das
Vortrittsrecht des Beschwerdegegners 2 nicht verletzt hätte. Der Erfolg im
vorerwähnten Sinne sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf die
Vortrittsrechtsverletzung der Beschwerdeführerin zurückzuführen. Die Vorinstanz
erwähnt zudem konkrete Handlungsalternativen. Demnach wäre es für die
Beschwerdeführerin zumutbar gewesen, die nächste Grünphase abzuwarten oder die
Fahrt in gerader Richtung fortzusetzen und anschliessend zu wenden.

 Soweit die Beschwerdeführerin unter Berufung auf Art. 26 Abs. 1 SVG geltend
macht, sie habe sich darauf verlassen dürfen, dass der Lastwagenfahrer sich
selber "verkehrsmässig korrekt versichert habe", dass sie die Strasse gefahrlos
queren könne, kann ihr ebenfalls nicht gefolgt werden. Die Beschwerdeführerin
kann sich gegenüber dem Beschwerdegegner 2 nicht auf das Vertrauensprinzip
berufen mit der Begründung, ein Dritter habe gegen eine Verkehrsregel
verstossen.

2.7. Insgesamt verletzt das vorinstanzliche Urteil kein Bundesrecht.

3.

 Die Beschwerdeführerin beantragt, die Zivilansprüche des Beschwerdegegners 2
seien abzuweisen. Der Antrag wird nicht näher begründet. Die Beschwerdeführerin
geht von der Prämisse des Freispruchs aus. Es bleibt jedoch beim
vorinstanzlichen Schuldspruch. Der Antrag ist abzuweisen.

4.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei
diesem Ausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen
(Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Beschwerdegegner 2 ist keine Entschädigung
zuzusprechen, da ihm im bundesgerichtlichen Verfahren keine Umtriebe entstanden
sind.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. Februar 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Schär

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