Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1183/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_1183/2014

Urteil vom 27. Oktober 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Kratz-Ulmer.

Verfahrensbeteiligte
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Guy Reich,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Verletzung von Verkehrsregeln,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, vom 4. November 2014.

Sachverhalt:

A.
X.________ fuhr am 13. Mai 2013 mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 bis 100 km
/h im Kurvenbereich auf dem Normalstreifen der Autobahn. Während der Fahrt
hielt X.________ sein Mobiltelefon während 15 Sekunden ununterbrochen in der
linken Hand.

B.
Am 25. März 2014 verurteilte das Bezirksgericht Bülach X.________ wegen
einfacher Verkehrsregelverletzung zu einer Busse von Fr. 250.--. Auf Berufung
von X.________ hin sprach ihn das Obergericht des Kantons Zürich am 4. November
2014 frei.

C.
Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt Beschwerde in Strafsachen.
Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und X.________ wegen
einfacher Verkehrsregelverletzung mit einer Busse von Fr. 250.-- zu bestrafen.
Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

D.
X.________ beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht verzichtet
auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe Art. 31 Abs. 1 SVG i.V.m.
Art. 3 Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR
741.11) verletzt, in dem sie davon ausging, dass das Halten eines Mobiltelefons
in der Hand während ca. 15 Sekunden keine Verrichtung darstelle, welche die
Bedienung des Fahrzeuges erschwere. Die Beschwerdeführerin erachtet das Halten
eines Mobiltelefons in der Hand während ca. 15 Sekunden als lange Dauer im
Sinne von BGE 120 IV 63.

1.2. Die Vorinstanz kommt zum Schluss, es sei aufgrund der Gesamtumstände nicht
ersichtlich, dass der Beschwerdegegner in verkehrsrelevanter Weise abgelenkt
gewesen sei, zumal er auch nicht durch eine spezielle Fahrweise aufgefallen
sei. Durch das Halten des Telefons habe er weder den Blick vom Verkehr abwenden
noch seine Körperhaltung ändern müssen. Es sei daher davon auszugehen, dass er
auch mit einer Hand am Lenkrad eine allfällige abrupte Bremsung oder andere
Betätigung hätte vornehmen können. Das kurze Halten des Mobiltelefons habe die
Bedienung des Fahrzeuges nicht erschwert (Urteil S. 10).

1.3. Nach Art. 90 Abs. 1 SVG macht sich strafbar, wer die Verkehrsregeln des
SVG oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. Der
Fahrzeuglenker muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen
Vorsichtspflichten nachkommen kann (Art. 31 Abs. 1 SVG). Er muss seine
Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr zuwenden (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 VRV).
Er darf beim Fahren keine Verrichtung vornehmen, welche die Bedienung des
Fahrzeugs erschwert (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VRV). Er hat ferner dafür zu sorgen,
dass seine Aufmerksamkeit insbesondere durch Tonwiedergabegeräte sowie
Kommunikations- und Informationssysteme nicht beeinträchtigt wird (Art. 3 Abs.
1 Satz 3 VRV).
Das Mass der Aufmerksamkeit, die der Fahrzeugführer nach Art. 31 Abs. 1 SVG
i.V.m. Art. 3 Abs. 1 VRV der Strasse und dem Verkehr zuzuwenden hat, richtet
sich nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen
Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen (BGE
127 II 302 E. 3c; 122 IV 225 E. 2b; 120 IV 63 E. 2a). Eine Verletzung von Art.
3 Abs. 1 Satz 1 und 3 VRV durch die Verwendung von Kommunikations- und
Informationssystemen liegt nur vor, wenn die Aufmerksamkeit dadurch auch
tatsächlich beeinträchtigt wird (vgl. BGE 120 IV 63 E. 2c). Art. 3 Abs. 1 Satz
2 VRV untersagt demgegenüber explizit jede die Fahrzeugbedienung erschwerende
Verrichtung. Gesetz und Verordnung gehen mithin davon aus, dass bestimmte
Verrichtungen an sich die notwendige Beherrschung des Fahrzeugs beeinträchtigen
und dadurch - im Sinne eines Gefährdungsdelikts - stets zumindest eine
abstrakte Gefahr für die übrigen Verkehrsteilnehmer schaffen (BGE 120 IV 63 E.
2a).
Der Fahrzeuglenker muss das Lenkrad mindestens mit der einen Hand halten (Art.
3 Abs. 3 VRV) und hat so die andere, wenn sie nicht zum Lenken gebraucht wird,
für Handgriffe wie die Betätigung der Warnsignale, der Richtungsanzeiger,
gegebenenfalls des Schalthebels, der Scheibenwischer, des Lichtschalters und
dergleichen zur Verfügung. Ob eine Verrichtung das Lenken oder einen dieser
Handgriffe erschwert bzw. verunmöglicht, hängt grundsätzlich von der Art der
Verrichtung, dem Fahrzeug und der Verkehrssituation ab. Dauert eine solche
Verrichtung nur sehr kurz und muss dabei weder der Blick vom Verkehr abgewendet
noch die Körperhaltung geändert werden, so kann eine Erschwerung der
Fahrzeugbedienung in der Regel verneint werden. Ist die Verrichtung jedoch von
längerer Dauer oder erschwert sie in anderer Weise die nötigenfalls sofortige
Verfügbarkeit der sich nicht am Lenkrad befindlichen Hand, so ist die
Fahrzeugbedienung in unzulässiger Weise behindert (BGE 120 IV 63 E. 2d).

1.4. In dem sowohl von der Vorinstanz als auch der Beschwerdeführerin zitierten
Urteil hatte das Bundesgericht zu prüfen, ob ein Fahrzeugführer, der während
der Fahrt ohne Freisprechanlage telefonierte, Art. 31 Abs. 1 und 3 SVG i.V.m.
Art. 3 Abs. 1 VRV verletzte. Es erwog, Satz 1 von Art. 3 Abs. 1 VRV sei nicht
bereits dadurch verletzt, dass der Fahrzeuglenker während der Fahrt ein
Telefongespräch führe; ein solches brauche die Konzentration nicht stärker zu
beanspruchen als ein Gespräch mit den Fahrzeuginsassen. Da im konkreten Fall
keine Anzeichen für eine Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit bestanden, befand
das Bundesgericht den Freispruch vom Vorwurf der fehlenden Aufmerksamkeit für
bundesrechtskonform (BGE 120 IV 63 E. 2c). Hingegen prüfte es, ob das Halten
eines Telefonhörers oder -geräts mit der einen Hand während der Fahrt eine
Verrichtung sei, welche die Bedienung des Fahrzeugs erschwere und damit gemäss
Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VRV verboten sei. Das Bundesgericht erwog, da das Führen
eines Telefongesprächs stets länger als einen kurzen Augenblick dauere,
erschwere ein solches - wenn es das Halten des Telefonhörers oder -geräts mit
der einen Hand erfordere - die Ausführung der für die Erfüllung der
Vorsichtspflichten unter entsprechenden Umständen unerlässlichen Verrichtungen.
Je nachdem mit welcher Hand das Gerät gehalten werden müsse, könne dann
beispielsweise beim Abbiegen der Richtungsanzeiger nicht gestellt und
insbesondere bei einem überraschend notwendig werdenden Ausweichmanöver das
Lenkrad nicht rasch genug in der erforderlichen Weise betätigt werden oder am
Strassenrand auftauchende Kinder nicht rechtzeitig mit einem Hupsignal gewarnt
werden. Es gelangte zum Schluss, dass im konkreten Fall das Halten des
Telefonhörers mit der einen Hand während der Fahrt gemäss Art. 31 Abs. 1 und 3
SVG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VRV untersagt sei (BGE 120 IV 63 E. 2d).
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung nimmt eine unzulässige Erschwerung der
Fahrzeugbedienung durch Kommunikationsgeräte auch an, wenn beispielsweise durch
das Einklemmen des Mobiltelefons zwischen Schulter und Wange die freie Bewegung
des Kopfs beeinträchtigt und das Sichtfeld eingeschränkt wird, da dadurch
insbesondere notwendige Seitenblicke oder die Beobachtung des Rückspiegels in
mit Art. 31 SVG nicht vereinbarer Weise behindert oder verunmöglicht werden (
BGE 120 IV 63 E. 2e). Gleiches gilt für die Bedienung eines Funkgerätes (Urteil
6B_2/2010 vom 16. März 2010 E.1.5). Hingegen entschied das Bundesgericht, dass
sich ein Fahrzeugführer, der in den Phasen des Stillstands seines Fahrzeugs im
Stau eine Zeitung las und diese in den Phasen des Aufrückens um einige Meter im
Schritttempo teils auf seinen Oberschenkeln, teils am Lenkrad aufgestützt
liess, unter den konkreten Strassen- und Verkehrsverhältnissen nicht gegen Art.
31 Abs. 1 und 3 SVG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 VRV verstossen habe. Es wies unter
anderem darauf hin, dass nicht bereits ein Verhalten tatbestandsmässig sei, das
beim denkbaren Eintritt eines bestimmten Ereignisses zu einer Fehlreaktion
führen könne; tatbestandsmässig sei grundsätzlich erst die allfällige
Fehlreaktion. Das Bundesgericht wies darauf hin, dass im gegenteiligen Fall das
Rauchen einer Zigarette beim Fahren eo ipso strafbar wäre, weil das Risiko
einer Fehlreaktion beim - keineswegs seltenen - Herunterfallen der Asche
bestehe, die etwa die Kleider beschmutzen oder gar beschädigen könnte (Urteil
6P.68/2006 vom 6. September 2006 E. 3.3).

1.5. Die Vorinstanz stellt in tatsächlicher Hinsicht verbindlich fest, dass der
Beschwerdegegner das Mobiltelefon bei einer Geschwindigkeit von ca. 80 bis 100
km/h im Kurvenbereich bei regem Verkehrsaufkommen auf der Autobahn
ununterbrochen während 15 Sekunden in der linken Hand hielt. Dabei war er auf
der Normalspur unterwegs und wandte weder den Blick von der Strasse ab noch
fiel er durch eine spezielle Fahrweise auf. Die Vorinstanz stellt weder fest,
wo die linke Hand war, noch, dass der Beschwerdeführer telefonierte oder andere
Manipulationen am Mobiltelefon vornahm. Dieses ist daher mit jedem anderen
denkbaren Gegenstand vergleichbar, den man am Steuer halten könnte. Dies könnte
namentlich ein Apfel, ein Taschentuch oder eine Zigarette sein. Der
Beschwerdegegner brachte für die von der Vorinstanz festgestellte
Verkehrssituation die erforderliche Aufmerksamkeit auf. Solange diese
Verkehrssituation andauerte, war der Beschwerdegegner durch das Halten des
Telefons, unabhängig davon wie lange er dies tat, nicht in verkehrsrelevanter
Weise abgelenkt.
Da keine Anzeichen für eine Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit festgestellt
und auch nicht ersichtlich sind, ist Art. 3 Abs. 1 Satz 1 VRV nicht verletzt.

1.6. Hingegen ist näher zu prüfen, ob der Beschwerdegegner durch das Halten des
Telefons eine Verrichtung vorgenommen hat, welche die Bedienung des Fahrzeuges
erschwerte (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VRV).
Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin wesentlich von dem in BGE 120 IV 63 beurteilten Fall der
Benützung eines Mobiltelefons während der Fahrt. Es liegen keine Anhaltspunkte
dafür vor, dass die Bedienung des Fahrzeugs nicht gewährleistet war, zumal sich
aus dem vorinstanzlichen Urteil nicht ergibt, wo die linke Hand des
Beschwerdegegners war. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdegegner die
verkehrsrelevanten Manipulationen mit der anderen Hand vornehmen konnte.
Angesichts der konkreten Verkehrsumstände ist nicht erstellt, dass das Halten
des Telefons den Beschwerdegegner in irgendeiner Weise für die Erfüllung der
unerlässlichen Vorsichtspflichten beeinträchtigte. Die linke Hand büsste durch
das Halten des Telefons nicht an Beweglichkeit ein. Bei einer geänderten
Verkehrssituation hätte er das Telefon sofort weglegen können. Zudem war das
Gesichtsfeld des Beschwerdegegners nicht eingeschränkt, und die freie Bewegung
des Kopfes war für notwendige Seitenblicke oder die Beobachtung des
Rückspielgels nicht behindert.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin erschwerte das Halten des Telefons
während 15 Sekunden in keiner Weise die Verfügbarkeit der sich allenfalls nicht
am Lenkrad befindlichen Hand, zumal es sich nicht um eine lange Dauer im Sinne
der Rechtsprechung handelt. Der Beschwerdegegner hatte seinen Blick stets auf
die Strasse gerichtet. Er hätte jederzeit auf die Verkehrsgeschehnisse
reagieren können. Der Freispruch der einfachen Verkehrsregelverletzung hält vor
Bundesrecht stand. Anders aber wäre der Fall allenfalls zu beurteilen, wenn er
mit dem Mobiltelefon telefoniert oder andere Manipulationen vorgenommen hätte.

2.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine
Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Zürich hat dem
Beschwerdegegner eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68
Abs. 2 BGG).

 Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Es werden keine Kosten erhoben.

3. 
Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren
eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- auszurichten.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. Oktober 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Kratz-Ulmer

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