Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1126/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_1126/2014

Urteil vom 21. April 2014

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Rüedi,
Gerichtsschreiberin Andres.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Marcel Hubschmid,
Beschwerdeführer,

gegen

Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Freiburg, Postfach 1638, 1701 Freiburg,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Verfahrenseinstellung, Verfahrenskosten und Entschädigung,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Freiburg, Strafkammer, vom 10.
Oktober 2014.

Sachverhalt:

A. 
Eine Freundin von A.________ informierte die Kantonspolizei Freiburg am 15.
Juni 2013 um 03.45 Uhr, diese sei soeben sexuell missbraucht worden. Am 7.
August 2013 reichte A.________ gegen X.________ Strafantrag ein. Die
Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg stellte das am 23. Oktober 2013
eröffnete Strafverfahren wegen sexueller Nötigung, Vergewaltigung und evtl.
Schändung am 4. August 2014 ein. Sie auferlegte X.________ die gesamten
Verfahrenskosten und verweigerte ihm eine Entschädigung sowie Genugtuung.

 Die gegen diesen Entscheid von X.________ erhobene Beschwerde und sein Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege wies das Kantonsgericht Freiburg ab. Es
auferlegte ihm die Verfahrenskosten und verweigerte ihm eine Entschädigung.

B. 
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen im Hauptpunkt, das
kantonsgerichtliche Urteil sei aufzuheben, er sei für das
Untersuchungsverfahren mit Fr. 7'822.15 und für das kantonsgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen. Ferner sei ihm eine Genugtuung in
Höhe von Fr. 5'000.-- zuzusprechen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.

 Das Kantonsgericht und die Staatsanwaltschaft verzichten auf eine
Stellungnahme.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer macht zusammengefasst geltend, die Vorinstanz
verstosse gegen Art. 426 Abs. 2 und Art. 430 StPO sowie Art. 8 i.V.m. 28 ZGB,
indem sie ihm die Kosten auferlege und eine Entschädigung sowie Genugtuung
verweigere. Er bringt unter anderem vor, sein Verhalten sei nicht adäquat
kausal für die entstandenen Kosten. Zudem hätten die Staatsanwaltschaft und die
Vorinstanz den Sachverhalt rechtswidrig festgestellt (Art. 97 i.V.m. 95 Abs. 1
lit. a BGG und Art. 6 sowie 10 StPO).

1.2. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen den Beschwerdeführer
gestützt auf Art. 319 Abs. 1 lit. a und b StPO ein, weil sich der anfängliche
Tatverdacht nicht erhärten liess. Sie führte aus, selbst wenn vollumfänglich
auf die Aussagen der Privatklägerin abgestellt würde, fehle es an einem
Nötigungsmittel und am Vorsatz des Beschwerdeführers (Einstellungsverfügung S.
10, kantonale Akten). Bei der Kostenauflage erwog sie, es sei nicht
entscheidend, welche der beiden Versionen zuträfe beziehungsweise wie sich die
sexuellen Handlungen tatsächlich abgespielt hätten. Eine angetrunkene Frau halb
nackt auf einem Feld ohne jegliche Nachsicht liegen zu lassen, nachdem man sich
durch sie befriedigen liess und ihr ins Gesicht ejakuliert habe, zeuge von
grosser Respektlosigkeit sowie Unart. Ein solches Verhalten verletze ganz
offensichtlich Persönlichkeitsrechte im Sinne von Art. 28 ZGB
(Einstellungsverfügung S. 11, kantonale Akten).

 Die Vorinstanz argumentiert, der Beschwerdeführer habe im
Untersuchungsverfahren ausgesagt, die Privatklägerin sei betrunken gewesen, er
habe eine Frau zum "Abschleppen" gesucht. Nach den sexuellen Handlungen habe er
die Privatklägerin mit heruntergelassener Hose auf dem Feld zurückgelassen.
Laut seinen Angaben habe er kein Bedürfnis gehabt, sich um sie zu kümmern, er
sei (eher) der Empfänger der sexuellen Handlungen gewesen. Gemäss den
Arztberichten sei bei der Privatklägerin im Spital ein Schockzustand
diagnostiziert worden. Sie leide seit dem Vorfall unter Schlaf- sowie
Konzentrationsstörungen und anhaltenden Angstzuständen. Die Vorinstanz erwägt,
es möge zwar grundsätzlich zutreffen, dass das Verhalten des Beschwerdeführers
rein oder vorwiegend moralisch verwerflich sei und daher keine Kostenauflage zu
begründen vermöge. Jedoch sei die Privatklägerin in ihrer psychischen
Integrität zumindest bis zum 14. April 2014 verletzt gewesen, was in
Zusammenhang mit den Erlebnissen des fraglichen Tages stehe. Die
Persönlichkeitsverletzung sei aufgrund der Umstände als schwer zu betrachten.
Die Staatsanwaltschaft habe dem Beschwerdeführer zu Recht die Verfahrenskosten
auferlegt und ihm eine Entschädigung verweigert (Entscheid S. 4 f.).

1.3. Gemäss Art. 426 Abs. 2 StPO können der beschuldigten Person bei
Einstellung des Verfahrens die Verfahrenskosten ganz oder teilweise auferlegt
werden, wenn sie rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens
bewirkt oder dessen Durchführung erschwert hat. Unter den gleichen
Voraussetzungen kann nach Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO eine Entschädigung
herabgesetzt oder verweigert werden.

 Einer nicht verurteilten beschuldigten Person können die Kosten auferlegt
werden, wenn sie in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise, d.h. im Sinne einer
analogen Anwendung der sich aus Art. 41 OR ergebenden Grundsätze, eine
geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm, die sich aus der Gesamtheit
der schweizerischen Rechtsordnung ergeben kann, klar verletzt und dadurch das
Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat. In
tatsächlicher Hinsicht darf sich die Kostenauflage nur auf unbestrittene oder
bereits klar nachgewiesene Umstände stützen. Diese Grundsätze gelten auch für
die Verweigerung einer Parteientschädigung (BGE 120 Ia 147 E. 3b S. 155; 119 Ia
332 E. 1b S. 334; 112 Ia 371 E. 2a S. 374; Urteil 6B_67/2014 vom 2. September
2014 E. 2.3; je mit Hinweisen). Zwischen dem zivilrechtlich vorwerfbaren
Verhalten und den durch die Untersuchung entstandenen Kosten muss ein
Kausalzusammenhang bestehen (BGE 116 Ia 162 E. 2c S. 170 f. und E. 2d/bb S. 174
f. mit Hinweisen; Urteil 6B_835/2009 vom 21. Dezember 2009 E. 1.2), und das
Gericht muss darlegen, inwiefern die beschuldigte Person durch ihr Handeln in
zivilrechtlich vorwerfbarer Weise gegen eine Verhaltensnorm klar verstossen hat
(Urteile 6B_662/2013 vom 19. Juni 2014 E. 1.3 und 1P.164/ 2002 vom 25. Juni
2002, in: Pra 2002 Nr. 203 S. 1067).

1.4. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Sachverhaltsfeststellung der
Staatsanwaltschaft und deren Begründung für die Einstellung des Verfahrens
wendet, ist darauf nicht einzutreten. Anfechtungsobjekt im Verfahren vor
Bundesgericht ist der letztinstanzliche kantonale Entscheid (Art. 80 Abs. 1
BGG), vorliegend jener des Kantonsgerichts. Im Übrigen wird ihm in der
Begründung des Kostenentscheids weder von der Staatsanwaltschaft noch von der
Vorinstanz direkt oder indirekt vorgeworfen, es treffe ihn ein strafrechtliches
Verschulden, womit die Unschuldsvermutung nicht verletzt ist. Die Vorinstanz
stützt die Kostenauflage einzig auf den vom Beschwerdeführer geschilderten
Sachverhalt, wonach er die Privatklägerin nach den sexuellen Handlungen,
betrunken und halb nackt auf dem Feld allein gelassen habe. Ob dieses Verhalten
objektiv betrachtet geeignet war, die Persönlichkeit der Privatklägerin in
rechtlich relevanter Weise zu verletzen (vgl. Urteile 6B_990/2013 vom 10. Juni
2014 E. 1.2 und 1B_21/2012 vom 27. März 2012 E. 2.4 mit Hinweisen), kann
offengelassen werden. Keinesfalls war es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge
und der allgemeinen Erfahrung des Lebens geeignet, den Verdacht einer
strafbaren Handlung zu erwecken und damit Anlass zur Eröffnung eines
Strafverfahrens zu geben (vgl. BGE 116 Ia 162 E. 2c S. 170). Hätte die
Privatklägerin den Sachverhalt so geschildert, wie ihn die Vorinstanz ihrem
Kostenentscheid zugrunde legt (der Beschwerdeführer habe sie betrunken und halb
nackt nach sexuellen Handlungen auf einem Feld zurückgelassen), wäre kein
Strafverfahren eröffnet worden. Folglich war das Verhalten des
Beschwerdeführers weder adäquat kausal für die Einleitung des Strafverfahrens
noch für die dadurch entstandenen Kosten. Damit hat der Beschwerdeführer das
Strafverfahren nicht in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise verursacht. Die
Vorinstanz verstösst gegen Art. 426 Abs. 2 und Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO,
wenn sie ihm die Verfahrenskosten auferlegt und eine Entschädigung sowie
Genugtuung verweigert. Bei diesem Ausgang des Verfahrens braucht auf die
weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers nicht eingegangen zu werden.

2. 
Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der
angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

 Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 StPO). Das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gegenstandslos. Der Kanton Freiburg
hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen
(Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Die Entschädigung ist praxisgemäss seinem
Rechtsvertreter auszurichten und wird auf den üblichen Pauschalbetrag von Fr.
3'000.-- festgesetzt.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Entscheid
des Kantonsgerichts Freiburg vom 10. Oktober 2014 wird aufgehoben und die Sache
zur neuen Beurteilung an das Kantonsgericht zurückgewiesen.

2. 
Es werden keine Kosten erhoben.

3. 
Der Kanton Freiburg hat dem Vertreter des Beschwerdeführers eine Entschädigung
von Fr. 3'000.-- auszurichten.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Freiburg, Strafkammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. April 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Andres

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