Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1122/2014
Zurück zum Index Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2014
Retour à l'indice Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2014


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_1122/2014

Urteil vom 29. Juni 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Bundesricherin Jametti,
Gerichtsschreiberin Schär.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Britschgi,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden, Kreuzstrasse 2, 6371 Stans,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Fahrlässige Tötung; Garantenstellung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Nidwalden,
Strafabteilung, vom 9. April 2014.

Sachverhalt:

A.

A.a. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden sprach X.________ mit
Strafbefehl vom 17. April 2013 der fahrlässigen Tötung schuldig und bestrafte
ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 135.--.
X.________ erhob Einsprache gegen den Strafbefehl.

Das Kantonsgericht Nidwalden sprach X.________ am 27. September 2013 vom
Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei.

Das Obergericht des Kantons Nidwalden befand X.________ auf Berufung der
Staatsanwaltschaft hin am 9. April 2014 der fahrlässigen Tötung für schuldig
und bestrafte ihn wiederum mit einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen
zu Fr. 135.--.

A.b. Die Vorinstanz geht von folgendem Geschehensablauf aus:

Die A.________ AG realisierte in der Zeit von Mai 2011 bis Juni 2012 als
Bauherrin den Bau einer Seilbahn. Die B.________ besorgte im Winter 2011/2012
für die Bauherrin unter anderem Schneeräumungsarbeiten am Stanserhorn.
X.________ arbeitete als Sicherheitsbeauftragter für die A.________ AG und war
während der Bauarbeiten für die ständige Beurteilung der Lawinensituation im
Bereich der Forststrasse Bluematt verantwortlich. Aufgrund eines möglichen
starken Anstiegs der Lawinengefahr konsultierte er am 20. Februar 2012 den
Bergführer C.________, um mit ihm die Vor- und Nachteile einer Lawinensprengung
zu diskutieren. Am 22. Februar 2012 empfahl ihm dieser, die Zufahrtsstrasse zur
Bluematt zu sperren. Zudem riet er ihm, eine Lawinensprengung erst Ende Woche
vorzunehmen. Am Abend des 23. Februar 2012 versandte X.________ eine E-Mail und
teilte den Adressaten mit, dass mit der Erwärmung vom 23. Februar 2012 an der
Nordseite des Stanserhorns die Lawinengefahr markant angestiegen sei. Die
Strasse dürfe daher "vom Chäscherzug aufwärts bis zur Bluematt" ab sofort nicht
mehr befahren werden. Die Mailadressen kopierte er aus dem Verteiler eines
früheren Bausitzungsprotokolls. D.________, Betriebsförster und -leiter der
B.________, war nicht auf der Empfängerliste und erhielt die E-Mail deshalb
nicht. Weitere Schritte zur Signalisierung der Gefahr, wie etwa eine markierte
Strassensperrung vor Ort, veranlasste X.________ nicht. Am 24. Februar 2012
wollte D.________ mit seinen zwei Kollegen E.________ und F.________ die von
einer Lawine verschüttete Forststrasse räumen. Dabei löste sich um ca. 10.15
Uhr eine Gleitschneelawine, welche F.________ erfasste und verschüttete. Er
konnte zwar geborgen werden, verstarb jedoch kurze Zeit später im Spital.
X.________ wird vorgeworfen, als Verantwortlicher für die Lawinensicherheit im
betroffenen Gebiet nicht die erforderlichen präventiven Massnahmen zur
Verhinderung des Lawinenunglücks ergriffen zu haben.

B. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, die Ziffern 1. bis 6.
des Urteils des Obergerichts seien aufzuheben und er sei vom Vorwurf der
fahrlässigen Tötung freizusprechen. Eventualiter sei das Verfahren zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

C. 
Das Obergericht verzichtet auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. Die
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden beantragt, die Beschwerde
abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Mit Eingabe vom 8. Mai 2015 nahm
X.________ sein Recht zur Replik wahr.

Erwägungen:

1. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz gehe zu Unrecht davon aus,
ihm sei gegenüber den Mitarbeitern der B.________ eine Garantenstellung
zugekommen.

1.1. Gemäss Art. 117 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder
Geldstrafe bestraft, wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht.
Fahrlässig handelt, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger
Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig
ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er
nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist
(Art. 12 Abs. 3 StGB).

Ein fahrlässiges Erfolgsdelikt kann auch durch pflichtwidriges Unterlassen
(Art. 11 StGB) verübt werden. Voraussetzung ist eine Rechtspflicht zur Vornahme
der unterlassenen Handlung (Garantenstellung) sowie die Möglichkeit, diese
Handlung vorzunehmen. Ein sog. unechtes Unterlassungsdelikt liegt vor, wenn im
Gesetz wenigstens die Herbeiführung des Erfolgs durch Tun ausdrücklich mit
Strafe bedroht wird, der Beschuldigte durch sein Tun den Erfolg tatsächlich
hätte abwenden können und infolge seiner Garantenstellung dazu auch
verpflichtet war, so dass die Unterlassung der Erfolgsherbeiführung durch
aktives Tun als gleichwertig erscheint. Für die Annahme einer Garantenstellung
genügt nicht jede, sondern nur eine qualifizierte Rechtspflicht (BGE 134 IV 255
E. 4.2.1; 120 IV 98 E. 2c; je mit Hinweisen). Rechtsprechung und Lehre
unterscheiden zwischen Obhutspflichten, d.h. Garantenstellungen zum Schutz
eines bestimmten Rechtsgutes gegen alle ihm drohenden Gefahren, und
Überwachungspflichten, d.h. Garantenstellungen zur Überwachung bestimmter
Gefahrenquellen zum Schutze unbestimmt vieler Rechtsgüter (Urteil 6S.391/2002
vom 23. Dezember 2002 E. 3, nicht publ. in: BGE 129 IV 119; 113 IV 68 E. 5b; je
mit Hinweisen). Eine Garantenstellung kann sich aus Gesetz, Vertrag, einer
freiwillig eingegangenen Gefahrengemeinschaft oder aus der Schaffung einer
Gefahr ergeben (Art. 11 Abs. 2 lit. a - d StGB).

1.2. Hinsichtlich der Garantenstellung erwägt die Vorinstanz, dem
Beschwerdeführer komme gegenüber der B.________ weder eine Garantenstellung aus
Gesetz noch aus freiwillig eingegangener Gefahrengemeinschaft zu. Hingegen
leitet sie eine solche aus dem im Rahmen der Bauarbeiten am Stanserhorn
erstellten Notfallkonzept ab. Darin werde dem Beschwerdeführer die
Verantwortung für die ständige Beurteilung der Lawinensituation im Gebiet Kälti
/Bluematt übertragen. Er habe einen Lawinen- und Lawinensprengkurs absolviert
und verfüge über praktische Erfahrungen in diesem Bereich. Seine Pflicht sei es
gewesen, sich täglich über die Lawinensituation zu informieren und ein Journal
zu führen. Die B.________ sei als Grossaktionärin der A.________ AG von Anfang
an in das Neubauprojekt involviert gewesen. G.________, Genossenvogt und
Verantwortlicher des Ressorts Baurecht, sei gleichzeitig Verwaltungsrat der
A.________ AG und Mitglied der Seilbahnbaukommission gewesen. Sowohl er als
auch der Betriebsleiter der B.________, D.________, seien im Besitz des
Notfallkonzepts gewesen. D.________ habe sich an den darin festgehaltenen
Verhaltensregeln und Einschätzungen betreffend Lawinengefahr orientiert. Die
B.________ erscheine im Projekt-Adressverzeichnis als Verantwortliche für die
Schneeräumung im Gebiet Chäszug/Kälti und als Spezialistin im Bereich Forst.
Die Forststrasse habe jeweils geräumt werden müssen, damit die am Seilbahnbau
mitwirkenden Arbeiter zu ihrem Einsatzort am Berg gelangen konnten. Zwischen
der A.________ AG und den am Seilbahnbau beteiligten Unternehmen habe eine
(werk-) vertragliche Beziehung bestanden. Die B.________ sei jeweils für
"ausserhalb des Werkvertrags anfallende Arbeiten" im Rahmen ihrer Möglichkeiten
beigezogen worden. Auch ohne schriftlichen Vertrag sei sie der Bauleitung
unterstellt gewesen. Die Mitarbeiter der B.________ hätten damit eine Stellung
analog jener der werkvertraglich gebundenen Unternehmen eingenommen. Die
Sicherungspflicht habe sich deshalb auch gegenüber ihnen entfaltet. Der
Beschwerdeführer habe diese Pflicht effektiv wahrgenommen und im Bedarfsfall
die im Eigentum der B.________ stehende Forststrasse gesperrt.

1.3. Der Beschwerdeführer wendet sich zunächst gegen die vorinstanzlichen
Sachverhaltsfeststellungen in Zusammenhang mit der Garantenstellung. Er rügt
eine willkürliche Beweiswürdigung und die Verletzung des Grundsatzes in dubio
pro reo. Zudem macht er geltend, die Vorinstanz setze sich mit seinen Einwänden
nicht auseinander und verletze damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör.

1.3.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz
festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser
sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne
von Art. 95 BGG (vgl. Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich
unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 139
II 404 E. 10.1 mit Hinweisen; vgl. zum Willkürbegriff: BGE 138 I 305 E. 4.3 mit
Hinweis). Die Willkürrüge muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und
substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf eine rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht
ein (BGE 140 III 264 E. 2.3 mit Hinweisen).

Das rechtliche Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verlangt, dass die Behörde die
Vorbringen des von einem Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch
tatsächlich hört, prüft und in seiner Entscheidfindung berücksichtigt. Nicht
erforderlich ist, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich
auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr
kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Es
müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die
Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 139 IV 179
E. 2.2; 138 IV 81 E. 2.2; je mit Hinweis).

1.3.2. Konkret bringt der Beschwerdeführer vor, gewisse Unternehmen hätten
schriftlich bestätigt, das Notfallkonzept erhalten und ihre Mitarbeiter über
die Verhaltensregeln instruiert zu haben. Eine unterschriftliche Bestätigung
der B.________ liege nicht vor. Zudem seien die Unternehmen, für welche das
Notfallkonzept gelten sollte, mit Verschüttetengeräten und Schaufeln für ihre
Mitarbeiter ausgestattet worden, was sich ebenfalls aus dem Notfallkonzept
ergebe. Im Gegensatz dazu sei die B.________ von der A.________ AG nicht mit
entsprechendem Material ausgerüstet worden. Diese Tatsachen würden von der
Vorinstanz nicht berücksichtigt.

Bereits die erste Instanz stellte fest, die Unternehmer hätten schriftlich
bestätigt, das Notfallkonzept erhalten und ihre Mitarbeiter entsprechend
instruiert zu haben. Der B.________ sei kein Notfallkonzept zugesandt worden.
Deshalb habe sie auch kein solches unterzeichnet (erstinstanzliches Urteil, S.
12). Die Vorinstanz wiederholt diese Feststellungen zwar nicht explizit, setzt
sie jedoch bei ihren weiteren Erwägungen voraus, indem sie ausführt, trotz
Fehlens jedwelcher schriftlicher Vereinbarungen hätten die Mitarbeiter der
B.________ eine Stellung analog jener der werkvertraglich gebundenen
Unternehmen eingenommen, weshalb die im Notfallkonzept festgehaltene Pflicht
zur Gewährleistung der Lawinensicherheit auch ihnen gegenüber Wirkung entfaltet
habe. Auf das Argument der fehlenden Ausrüstung mittels Schaufeln und
Lawinenverschüttetengeräten geht die Vorinstanz nicht ein. Dabei handelt es
sich denn auch nicht um ein ausschlaggebendes Kriterium für die Beurteilung der
Frage, ob eine Garantenpflicht bestand. Ob dem Beschwerdeführer gegenüber den
Mitarbeitern der B.________ trotz fehlender schriftlicher Bestätigung eine
Garantenstellung zukam, wird noch zu prüfen sein (vgl. E. 1.4).

1.3.3. Der Beschwerdeführer wendet ein, bei den Mitarbeitern der B.________
handle es sich um Spezialisten. Sie seien ortskundig und hätten die
Gefahrenbeurteilung am Stanserhorn seit Jahren selbständig vorgenommen. Dieses
Vorbringen überzeugt nicht. Die B.________ wurde im Projektadressverzeichnis
als Spezialistin im Bereich Forst aufgelistet. Dass sie überdies in einem
weiteren Gebiet, nämlich der Lawinensicherung spezialisiert gewesen sein soll,
wird von der Vorinstanz nicht festgestellt. Zur Untermauerung seines Einwandes
verweist der Beschwerdeführer auf verschiedene Aktenstellen. Daraus kann er
jedoch nichts zu seinen Gunsten ableiten. In den erwähnten Einvernahmen
bestätigen die Mitarbeiter der B.________ zwar, oft am Stanserhorn zu arbeiten.
Gleichzeitig sagten sie aber auch aus, im Unfallgebiet würden sie sich zu
dieser Jahreszeit normalerweise nicht aufhalten, da es zu gefährlich sei.

1.3.4. Ebenfalls im Rahmen seiner Sachverhaltsrügen bringt der Beschwerdeführer
vor, um eine Garantenpflicht effektiv wahrnehmen zu können, hätte er über
geplante Einsätze und Arbeiten am Berg informiert werden müssen. Dies sei nicht
der Fall gewesen. Die B.________ habe eigene Einschätzungen der Lawinengefahr
vorgenommen und dementsprechend selber über ihre Einsätze entschieden.
Bezeichnenderweise habe D.________ ausgesagt, er habe in jenem Winter mehrmals
entschieden, dass ein Einsatz zu gefährlich sei. Diese Argumentation betrifft
weniger die Sachverhaltsfeststellung als vielmehr die Beurteilung der
Garantenstellung an sich, weshalb darauf später (E. 1.4.2) einzugehen sein
wird.

1.3.5. Die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz fallen zwar eher knapp
aus. Inwiefern diese willkürlich sein sollen, ist dennoch nicht ersichtlich.
Die Vorinstanz legt die entscheidrelevanten Punkte dar. Es ist nicht
erforderlich, sich mit jedem einzelnen Einwand des Beschwerdeführers zu
befassen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht ersichtlich. Es
erübrigt sich damit, bezüglich der erwähnten Punkte auf die Stellungnahme der
Oberstaatsanwaltschaft näher einzugehen.

1.4. Das Bundesgericht prüft mit voller Kognition, ob die Vorinstanz gestützt
auf ihre tatsächlichen Feststellungen zu Recht vom Bestand einer
Garantenpflicht ausgeht.

1.4.1. Vorab ist festzuhalten, dass sich das Unglück auf dem Grundstück der
B.________ ereignete. Sie war mithin Eigentümerin der Gefahrenquelle.
Zweifellos besteht die Möglichkeit, die Sicherung einer Gefahrenquelle auf dem
eigenen Grundstück auf vertraglicher Basis (partiell) auf eine Drittperson zu
übertragen (vgl. dazu DONATSCH/ TAG, Strafrecht I, Verbrechenslehre, 9. Aufl.
2013, S. 315 f.). Nach der herrschenden Lehre entsteht die Garantenpflicht
sodann nicht schon durch die Vereinbarung als solche, sondern erst durch die
faktische Übernahme der Stellung ( GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches
Strafrecht, Allgemeiner Teil I: Die Straftat, 4. Aufl. 2011, § 14 N. 16;
TRECHSEL/JEAN-RICHARD, in: Trechsel/Pieth [Hrsg.], Schweizerisches
Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 12 zu Art. 11 StGB; KURT
SEELMANN, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2013, N. 34 zu Art.
11 StGB; je mit Hinweisen).

1.4.2. Der Beschwerdeführer wird im Notfallkonzept vom 1. Dezember 2011 als
Verantwortlicher für die Lawinensicherheit im Gebiet Kälti/ Bluematt
aufgeführt. Das Notfallkonzept wurde den am Seilbahnbau beteiligten Unternehmen
zugeschickt. Von einigen Unternehmen wurde eine schriftliche Bestätigung der
Kenntnisnahme sowie der Instruktion ihrer Mitarbeiter eingefordert. Eine
entsprechende Bestätigung der B.________ liegt nicht vor. Weshalb die
A.________ AG von einigen Unternehmen eine schriftliche Erklärung einforderte,
nicht jedoch von der B.________, und was damit beabsichtigt wurde, geht aus dem
vorinstanzlichen Urteil nicht hervor. Dies kann offenbleiben. Fest steht, dass
die Verantwortlichen der B.________, insbesondere D.________ und G.________, im
Besitz des Notfallkonzepts waren. Gemäss den Erwägungen der Vorinstanz
bestanden mit der B.________ zwar nicht die gleichen vertraglichen Beziehungen
wie mit den werkvertraglich gebundenen Unternehmen. Die Kommunikation wurde auf
einer informelleren Ebene geführt. Jedoch führt die Vorinstanz treffend aus,
die B.________ sei von Anfang an in das Bauprojekt involviert gewesen und für
unterschiedliche Arbeiten beigezogen worden. Sie habe daher eine ähnliche
Stellung wie die Werkunternehmer eingenommen. Diese Umstände sprechen für den
Bestand einer Garantenpflicht. Als weiteres Kriterium kann die bereits erwähnte
Unterscheidung zwischen Sicherungs- und Überwachungspflichten sowie Obhuts- und
Schutzpflichten herangezogen werden. Im zu beurteilenden Fall bestand die
Pflicht darin, die Lawinensituation in einem bestimmen Gebiet zu beurteilen und
die Lawinensicherheit zu gewährleisten. Damit standen Sicherungs- und
Überwachungspflichten im Vordergrund. Diese beinhalten in der Regel die
Sicherung einer Gefahrenquelle zum Schutz unbestimmt vieler Rechtsgüter.
Weshalb die Mitarbeiter der B.________ von diesem Schutz ausgenommen sein
sollen, leuchtet nicht ein.

Der Beschwerdeführer wendet ein, die Vorinstanz gehe zu Unrecht von einer
faktischen Übernahme der Garantenstellung aus. Die Mitarbeiter der B.________
hätten eine eigene Beurteilung der Lawinengefahr vorgenommen und selbständig
über ihre Einsätze entschieden. Insbesondere hätten sie vorgängig jeweils keine
Rücksprache mit ihm genommen. Zu beurteilen ist damit die Frage, wann von einer
faktischen Übernahme der Garantenstellung gesprochen werden kann. Dem
vorinstanzlichen Urteil ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer die Strasse
vor dem Unglück bereits mehrmals gesperrt hatte. Dabei kann nicht entscheidend
sein, ob der Beschwerdeführer eine der Eigentümerin gegenüber im
zivilrechtlichen Sinne wirksame Sperrung der Strasse vornehmen konnte.
Ausschlaggebend ist, ob er die Betroffenen jeweils über die Lawinengefahr
informierte und in diesem Sinne die Strasse sperrte, was der Fall war.
Ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass der Beschwerdeführer geplant hatte, eine
Lawinensprengung vorzunehmen. Gestützt auf die erwähnten Umstände geht die
Vorinstanz zu Recht von einer faktischen Übernahme der Garantenstellung aus.

Zweifellos wäre es sinnvoll gewesen, die B.________ hätte vorgängig Rücksprache
mit dem Beschwerdeführer genommen. Dies war jedoch, wie der Beschwerdeführer
selbst ausführt, nicht vorgesehen. Grundsätzlich ist es gerade die Aufgabe
eines Sicherheitsverantwortlichen, die Betroffenen gegebenenfalls über
allfällige Gefahren zu informieren und geeignete Sicherheitsvorkehrungen zu
veranlassen. Genau dieses Unterlassen wird dem Beschwerdeführer von der
Vorinstanz letztlich vorgeworfen. Dass die Mitarbeiter der B.________
zusätzlich eigene Abklärungen bezüglich der Lawinengefahr trafen, entbindet
grundsätzlich nicht von einer solchen Pflicht.

Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, er habe die Lawinengefahr
nicht besser beurteilen können als D.________. Er habe über keine praktische
Erfahrung in diesem Bereich verfügt. Zudem liege seine Lawinenausbildung
bereits 20 Jahre zurück. Dieses Vorbringen vermag den Beschwerdeführer nicht zu
entlasten, da er sich ein Übernahmeverschulden vorwerfen lassen muss (vgl.
Urteil 6S.404/1996 vom 22. August 1996 E. 1c mit Hinweisen).

1.5. Zusammenfassend verletzt die Vorinstanz kein Bundesrecht, indem sie die
Garantenpflicht gegenüber den Mitarbeitern der B.________ bejaht.

2. 
Der Beschwerdeführer bemängelt die vorinstanzlichen Erwägungen betreffend
Vorhersehbarkeit, Vermeidbarkeit und hypothetische Kausalität. Dazu führt er
aus, es habe keine Pflicht bestanden, die Strasse bereits am Freitagmorgen,
d.h. am Morgen des Unfalls zu sperren. Gemäss Notfallkonzept habe bei
Gefahrenstufen 1 und 2 keine Handlungspflicht bestanden. Ab Stufe 3 habe ein
Bergführer beigezogen werden müssen. Erst ab Stufe 4 hätten die Arbeiten
eingestellt werden müssen. Da im Verlauf des Unfalltages die Lawinenstufe von 2
auf 3 ansteigen sollte, habe er am Vorabend den Bergführer C.________
kontaktiert. Am Morgen sei die Lawinenstufe bei 2, also unbedenklich, gewesen.
Man habe aus rein praktischen Gründen entschieden, die Strasse ganztags zu
sperren, da es betriebstechnisch keinen Sinn gemacht habe, lediglich vormittags
zu arbeiten. Eine Pflicht, die Strasse bereits am Morgen zu sperren, habe
jedoch nicht bestanden. Die vorinstanzlichen Erwägungen zu den erwähnten
Punkten seien mangelhaft respektive fehlten gänzlich. Indem sich die Vorinstanz
mit seinen Einwänden nicht auseinandersetze, verletze sie sein rechtliches
Gehör. Des Weiteren weise sie sämtliche Beweisanträge in diesem Zusammenhang
ab, weshalb auch die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung zu beanstanden
sei.

2.1. Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung setzt voraus, dass der Täter
den Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat.
Sorgfaltswidrig ist die Handlungsweise, wenn der Täter im Zeitpunkt der Tat
aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die Gefährdung
der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen, und wenn er
zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat (BGE 135 IV 56 E.
2.1).

Grundvoraussetzung einer Sorgfaltspflichtverletzung und mithin der
Fahrlässigkeitshaftung bildet die Vorhersehbarkeit des Erfolgs. Die zum Erfolg
führenden Geschehensabläufe müssen für den konkreten Täter mindestens in ihren
wesentlichen Zügen voraussehbar sein. Zunächst ist zu fragen, ob der Täter eine
Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte voraussehen beziehungsweise
erkennen können und müssen. Für die Beantwortung dieser Frage gilt der Massstab
der Adäquanz. Danach muss das Verhalten geeignet sein, nach dem gewöhnlichen
Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den
eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen (BGE 135 IV 56 E.
2.1 mit Hinweisen).

Damit der Eintritt des Erfolgs auf das pflichtwidrige Verhalten des Täters
zurückzuführen ist, wird weiter vorausgesetzt, dass der Erfolg auch vermeidbar
war. Die Zurechnung ist ausgeschlossen, wenn der durch eine sorgfaltswidrige
Handlung herbeigeführte Erfolg auch bei pflichtgemässem Verhalten des Täters
eingetreten wäre. Denn der Täter ist nur für solche Erfolge verantwortlich, in
deren Eintritt sich das unerlaubte Risiko verwirklicht. Dies beurteilt sich
nach einem hypothetischen Kausalverlauf. Zwischen der Unterlassung und dem
Erfolg besteht dann ein Kausalzusammenhang, wenn bei Vornahme der gebotenen
Handlung der Erfolg mit einem hohen Grad der Wahrscheinlichkeit nicht
eingetreten wäre (BGE 135 IV 56 E. 2.1 und 5.1; 134 IV 193 E. 7.3; 115 IV 189
E. 2; je mit Hinweisen).

2.2. Die Vorinstanz stellt fest, der Beschwerdeführer habe die Lawinensituation
einwandfrei beurteilt. Er habe gewusst, dass am Tag des Unglücks im Gebiet
Kälti gearbeitet würde. Er habe voraussehen können, dass Personen, welche von
der Strassensperrung keine Kenntnis hatten, sich zur Ausübung ihrer Tätigkeit
in das lawinengefährdete Gebiet begeben würden. Ihm sei vorzuwerfen, die
Mitarbeiter der B.________ nicht über die Lawinengefahr informiert zu haben und
damit seiner Sicherungspflicht nicht nachgekommen zu sein.

2.3. Die Frage der Voraussehbarkeit des Lawinenniedergangs muss aus der Sicht
des Verantwortlichen für die Lawinensicherheit im Zeitpunkt vor dem Unfall
beantwortet werden (BGE 138 IV 124 E. 4.4.1 mit Hinweis). Aus dem Umstand, dass
der Beschwerdeführer die Forststrasse ganztags sperrte, schliesst die
Vorinstanz offenbar, dass er die Lawinensituation einwandfrei beurteilt hat
respektive dass die Lawinengefahr für ihn voraussehbar war. Die vorinstanzliche
Annahme wird weder näher begründet noch wird diesbezüglich eine Beweiswürdigung
vorgenommen. Mit dem Einwand des Beschwerdeführers, es habe keine Verpflichtung
bestanden, die Strasse bereits am Morgen zu sperren, befasst sie sich nicht.
Sämtliche Beweisanträge in Zusammenhang mit der Vorhersehbarkeit der
Lawinengefahr weist die Vorinstanz ab. Sie setzt sich weder mit dem
Lawinenbulletin noch mit den Feststellungen des Gutachtens des WSL-Instituts
für Schnee- und Lawinenforschung SLF vom 24. Januar 2013 auseinander. Dies wäre
erforderlich gewesen, um festzulegen, worin die "gebotene Handlung" respektive
die konkreten Pflichten des Beschwerdeführers bestanden. Weiter zieht die
Vorinstanz die im Notfallkonzept festgelegten Handlungsdirektiven nicht in die
Beurteilung mit ein. Indem die Vorinstanz auf wesentliche Einwände des
Beschwerdeführers nicht eingeht, verletzt sie seinen Anspruch auf rechtliches
Gehör. Ohne eine Beweiswürdigung vorzunehmen, durfte sie nicht darauf
schliessen, der Beschwerdeführer habe die Lawinengefahr vorausgesehen. Aufgrund
der mangelhaften Sachverhaltsfeststellungen sowie der fehlenden rechtlichen
Ausführungen lässt sich das vorinstanzliche Urteil nicht überprüfen. Es ist
daher aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuweisen.

3. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66
Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 BGG). Der Kanton Nidwalden hat dem
Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene
Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons
Nidwalden vom 9. April 2014 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung
an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 
Es werden keine Kosten erhoben.

3. 
Der Kanton Nidwalden hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Nidwalden,
Strafabteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. Juni 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Schär

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben