Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1085/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_1085/2014

Urteil vom 10. Februar 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiber Moses.

Verfahrensbeteiligte
A.X.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

1. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4051 Basel,
2. B.X.________,
vertreten durch Advokat Alain Joset,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Wiederaufnahme des eingestellten Verfahrens,

Beschwerde gegen den Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons
Basel-Stadt, Einzelgericht, vom 20. August 2014.

Sachverhalt:

A.

 A.X.________ erklärte am 16. März 2010 gegenüber der Staatsanwaltschaft des
Kantons Basel-Stadt, sie habe im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren
mehrfach sexuelle Übergriffe von ihrem Vater B.X.________ erlitten. Am 10.
August 2010 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren infolge Verjährung
ein.

B.

 Die Staatsanwaltschaft verfügte am 5. Juli 2013 die Wiederaufnahme des
Verfahrens gegen B.X.________. Das Appellationsgericht des Kantons-Basel Stadt
hob diesen Entscheid in Gutheissung einer Beschwerde von B.X.________ am 20.
August 2014 auf.

C.

 A.X.________ führt Beschwerde ans Bundesgericht. Sie beantragt, der Entscheid
des Appellationsgerichtes sei aufzuheben. Ihr sei die unentgeltliche
Rechtspflege zu gewähren.

Erwägungen:

1.

1.1. Am 30. November 2008 nahmen Volk und Stände die Volksinitiative "für die
Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern"
(Unverjährbarkeitsinitiative) an. Art. 123b BV schreibt seither vor, dass die
Verfolgung sexueller oder pornografischer Straftaten an Kindern vor der
Pubertät und die Strafe für solche Taten unverjährbar sind. Gestützt darauf
erliess die Bundesversammlung Ausführungsbestimmungen, welche am 1. Januar 2013
in Kraft gesetzt wurden. Für verschiedene Sexualstraftaten tritt nunmehr keine
Verjährung ein, wenn sie an Kindern unter 12 Jahren begangen wurden (Art. 101
Abs. 1 lit. e StGB). Dies gilt auch, wenn die Strafverfolgung oder die Strafe
am 30. November 2008 nach dem bis zu jenem Zeitpunkt geltenden Recht noch nicht
verjährt war (Art. 101 Abs. 3 StGB).

1.2. Als die Staatsanwaltschaft am 10. August 2010 das Verfahren gegen den
Beschwerdegegner 2 infolge Verjährung einstellte, hatte die Bundesversammlung
noch keine Ausführungsbestimmungen zu Art. 123b BV erlassen. Sie begründet die
Wiederaufnahme des Verfahrens damit, dass mit dem Inkrafttreten der
Ausführungsbestimmungen (Art. 101 Abs. 1 lit. e und Abs. 3 StGB) eine neue
Tatsache bestehe, welche zum Zeitpunkt der Einstellungsverfügung noch nicht
vorgelegen habe und dazu führe, dass allfällige Straftaten des
Beschwerdegegners 2 zum Nachteil der Beschwerdeführerin zwischen dem 1.
Dezember 1993 und dem 14. Mai 1995 nicht verjährt seien. Die Vorinstanz erwägt
im Wesentlichen, dass die Umsetzung der Unverjährbarkeitsinitiative auf
Gesetzesstufe keine neue Tatsache im Sinne von Art. 323 Abs. 1 StPO darstelle,
weshalb die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den
Beschwerdegegner 2 nicht erfüllt seien. Sie fügt hinzu, es sei zum Zeitpunkt
der Verfahrenseinstellung voraussehbar gewesen, dass das Prozesshindernis der
Verjährung in absehbarer Zeit hinweggefallen wäre. Es wäre deshalb angezeigt
gewesen, das Verfahren zu sistieren, anstatt es einzustellen. Eine
Wiederanhandnahme desselben wäre auf diese Weise möglich gewesen.

2.

2.1. Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Unverjährbarkeitsinitiative sei
bereits im November 2008 angenommen worden. Dadurch, dass die
Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt statt sistiert habe, könne sie
nicht zu ihrem Recht kommen. Es sei nicht verständlich, dass keine Möglichkeit
bestehe, diesen Fehler zu korrigieren.

2.2. Die Einstellung des Verfahrens gegen den Beschwerdegegner 2 im August 2010
erging in Anwendung des damals geltenden kantonalen Strafprozessrechts. Nach §
167 Abs. 1 aStPO/BS konnten Einstellungsbeschlüsse der Staatsanwaltschaft
mittels Rekurs angefochten werden. Auf die Rekursmöglichkeit war im
Einstellungsbeschluss hinzuweisen (§ 109 Abs. 3 aStPO/BS). Die
Beschwerdeführerin hat die Einstellung nicht angefochten, womit diese nach
Ablauf der zehntägigen Rekursfrist (§ 169 Abs. 1 aStPO/BS) in Rechtskraft
erwachsen ist. Die Rüge, es bestehe keine Möglichkeit, den Fehler der
Staatsanwaltschaft zu korrigieren, ist unbegründet.

2.3. Ab dem 1. Januar 2011 richten sich die Wirkungen von
Einstellungsverfügungen, die vor diesem Datum in Anwendung kantonalen Rechts
ergangen sind, nach der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO). Dies
betrifft auch die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens (Urteil
6B_512/2012 vom 30. April 2013 E. 1.2 mit Hinweisen).
Nach Art. 320 Abs. 4 StPO kommt eine rechtskräftige Einstellungsverfügung einem
freisprechenden Endentscheid gleich. Art. 11 StPO verbietet in diesem Fall eine
erneute Strafverfolgung wegen der gleichen Tat (Abs. 1); vorbehalten bleiben
die Wiederaufnahme eines eingestellten oder nicht anhand genommenen Verfahrens
und die Revision (Abs. 2). Art. 323 Abs. 1 StPO sieht die Wiederaufnahme des
Verfahrens vor, wenn der Staatsanwaltschaft neue Beweismittel oder Tatsachen
bekannt werden, die für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der
beschuldigten Person sprechen und sich nicht aus den früheren Akten ergeben.
Die Wiederaufnahme eines eingestellten Verfahrens ist grundsätzlich an
geringere Voraussetzungen geknüpft als die Revision eines rechtskräftigen
Urteils gemäss Art. 410 ff. StPO (Urteil 6B_92/2014 vom 8. Mai 2014 E. 3.1 mit
Hinweisen). Gleichwohl stimmt der Begriff der neuen Beweismittel oder Tatsachen
von Art. 323 Abs. 1 StPO mit demjenigen von Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO
überein. Unter Tatsachen sind Umstände zu verstehen, die im Rahmen des dem
Urteil zu Grunde liegenden Sachverhalts von Bedeutung sind. Mit Beweismitteln
wird der Nachweis von Tatsachen erbracht. Eine Meinung, eine persönliche
Würdigung oder eine neue Rechtsauffassung vermag die Wiederaufnahme nicht zu
rechtfertigen (BGE 137 IV 59 E. 5.1.1; Urteile 6B_339/2012 vom 11. Oktober 2012
E. 2.2.2; 6B_658/2012 vom 2. Mai 2013 E. 1.3.2). Die am 1. Januar 2013 in Kraft
getretene Gesetzesänderung betrifft nicht den dem Beschwerdegegner 2 zur Last
gelegten Sachverhalt, sondern dessen rechtliche Beurteilung. Die
Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne von Art. 323
Abs. 1 StPO sind - wie die Vorinstanz zutreffend erwägt - nicht erfüllt.

3.

3.1. Die Beschwerdeführerin beruft sich auf Treu und Glauben. Sie macht
geltend, sie habe 2010 gedacht, die Unverjährbarkeitsinitiative sei bereits
umgesetzt worden. Die Staatsanwaltschaft habe ihr nicht geraten, einen
Rechtsbeistand beizuziehen. Nachdem sie ihre Unterlagen bei der Polizei
eingereicht habe, sei sie davon ausgegangen, der Erfolg der Anzeige sei
sichergestellt. Hätte sie später Anzeige erstattet, wäre die Verjährung nicht
eingetreten. Im Rahmen eines anderen Strafverfahrens gegen den Beschwerdegegner
2, in welchem sie im Jahre 2012 als Zeugin aussagte, habe die Richterin sie
gefragt, ob sie Anzeige erstatten wolle. Auch ihre damalige Rechtsvertreterin
habe sie im Jahr 2013 ermutigt, den Beschwerdegegner 2 erneut anzuzeigen.

3.2. Unabhängig davon, ob die Staatsanwaltschaft ihr empfahl, einen
Rechtsbeistand beizuziehen, musste der Beschwerdeführerin spätestens mit der
Eröffnung der Einstellungsverfügung klar sein, dass noch keine
Ausführungsbestimmungen auf Gesetzesstufe in Kraft waren. Von der Möglichkeit,
die Einstellungsverfügung anzufechten und zu verlangen, das Verfahren sei bis
zu einer Konkretisierung der Volksinitiative zu sistieren, machte sie keinen
Gebrauch. Die Beschwerdeführerin kann sich unter diesen Umständen nicht darauf
berufen, sie habe gedacht, die Unverjährbarkeitsinitiative sei bereits 2010
umgesetzt gewesen. Ob sie daraus etwas zu ihren Gunsten hätte ableiten können,
kann offenbleiben. Dass sie 2012 und 2013 ermutigt worden sei, den
Beschwerdegegner 2 erneut anzuzeigen, vermag nichts daran zu ändern, dass die
Einstellungsverfügung bereits 2010 unangefochten in Rechtskraft erwachsen ist
und die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht erfüllt
sind. Darauf ist nicht weiter einzugehen. Ebenso wenig kann die
Beschwerdeführerin sich darauf berufen, sie habe den angezeigten Sachverhalt
mittels Unterlagen belegt. Eine Strafanzeige steht - unabhängig von allfälligen
Beweismitteln - am Anfang einer strafrechtlichen Untersuchung und führt nicht
zwingend zum Erfolg bzw. zur Verurteilung der angezeigten Person. Sie ist
deshalb von vornherein nicht geeignet, einen Vertrauenstatbestand zu schaffen.

4.

 Die Beschwerdeführerin rügt, es sei ihr als Opfer sexuellen Missbrauchs nicht
möglich, neue Beweise und Tatsachen zu den Misshandlungen vorzubringen. Mit
dieser Argumentation verkennt sie, dass die Staatsanwaltschaft die
Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den Beschwerdegegner 2 aufgrund der
Änderung der Verjährungsfristen in Art. 101 Abs. 1 lit. e und Abs. 3 StGB
verfügte. Demzufolge war im vorinstanzlichen Verfahren einzig zu bestimmen, ob
diese Gesetzesänderung als neuer Beweis oder Tatsache im Sinne von Art. 323
Abs. 1 StPO zu qualifizieren ist. Nicht zu beantworten war hingegen die Frage,
ob hinsichtlich des Sachverhalts die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des
Verfahrens erfüllt waren. Die Rüge ist unbegründet.

5.

 Die Beschwerdeführerin bringt vor, es gebe noch weitere Ereignisse, über
welche sie noch nicht geredet habe. Dies war nicht Gegenstand des
vorinstanzlichen Verfahrens, weshalb darauf mangels Ausschöpfung des kantonalen
Instanzenzuges nicht einzutreten ist (Art. 80 Abs. 1 BGG).

6.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Aufgrund
der besonderen Umstände des Falles ist auf die Erhebung von Kosten zu
verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird
gegenstandslos.
Dem Beschwerdegegner 2 ist keine Entschädigung zuzusprechen, da ihm im
bundesgerichtlichen Verfahren keine Umtriebe entstanden sind.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Es werden keine Kosten erhoben.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt, Einzelgericht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Februar 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Moses

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