Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1077/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_1077/2014

Urteil vom 21. April 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer, Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiber Briw.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Advokat Dr. Nicolas Roulet,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Gewerbsmässiger Diebstahl, Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz usw.;
Strafzumessung; willkürliche Beweiswürdigung,

Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt,
Ausschuss, vom 28. August 2014.

Sachverhalt:

A.

A.a. X.________ wurde vom Strafgericht Basel-Stadt am 5. März 2012 des banden-
und gewerbsmässigen Diebstahls sowie der mehrfachen Übertretung des
Betäubungsmittelgesetzes (BetmG) schuldig erklärt und zu 9 Monaten
Freiheitsstrafe verurteilt, teilweise als Zusatzstrafe zum Urteil des
Strafgerichts Basel-Stadt vom 31. August 2010.

 X.________ erhob gegen dieses Urteil Berufung mit dem Antrag, ihn der
mehrfachen Übertretung des BetmG und des bandenmässigen Diebstahls schuldig zu
sprechen, ihn vom gewerbsmässigen Diebstahl freizusprechen und die Strafe
herabzusetzen.

A.b. Am 4. Dezember 2012 verurteilte ihn das Strafgericht Basel-Stadt wegen
mehrfachen Diebstahls, mehrfacher einfacher Körperverletzung, versuchter
Hehlerei, Beschimpfung, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte,
rechtswidrigen Aufenthalts sowie Vergehens und mehrfachen Übertretens des BetmG
zu 21 Monaten Freiheitsstrafe, teilweise als Zusatzstrafe zu den Urteilen des
Strafgerichtspräsidenten Basel-Stadt vom 31. August 2010, des
Strafbefehlsrichters Basel-Stadt vom 26. Oktober 2010 und der
Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach vom 30. Mai 2012 sowie als vollumfängliche
Zusatzstrafe zum Urteil der Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland vom 25. Oktober
2012.

 X.________ erhob gegen dieses Urteil Berufung und beantragte teilweise
Freisprüche und eine Bestrafung mit 11 Monaten Freiheitsstrafe sowie Fr. 200.--
Busse als Zusatzstrafe zum Urteil vom 25. Oktober 2012.

A.c. Die Instruktionsrichterin des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt
vereinigte am 2. April 2014 beide Berufungsverfahren.

 Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt bestätigte am 28. August 2014
die beiden erstinstanzlichen Urteile im Schuldpunkt und verurteilte X.________
zu insgesamt 27 Monaten Freiheitsstrafe, zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen
zu Fr. 10.-- und einer Busse von Fr. 200.--, als teilweise Zusatzstrafe zu den
Urteilen des Strafgerichts Basel-Stadt vom 31. August 2010, des
Strafbefehlsrichters Basel-Stadt vom 26. Oktober 2010 und der
Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach vom 30. Mai 2012 sowie als vollumfängliche
Zusatzstrafe zum Urteil der Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland vom 25. Oktober
2012. Im Übrigen bestätigte es die erstinstanzlichen Urteile.

B.

 X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das Urteil des
Appellationsgerichts aufzuheben.

 Er sei von der Anklage wegen gewerbsmässigen Diebstahls (Ziff. 2 der
Anklageschrift vom 28. Oktober 2010) sowie den Vorwürfen des Vergehens gegen
das BetmG, der einfachen Körperverletzung z.N. A.________ und der Gewalt und
Drohung gegen Beamte (Ziff. I.1 der Anklageschrift vom 11. Oktober 2012)
freizusprechen und zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, einer Geldstrafe
von 10 Tagessätzen zu Fr. 10.-- und einer Busse von Fr. 200.-- zu verurteilen.

 Eventualiter sei er in Bestätigung des Schuldspruchs mit einer Freiheitsstrafe
von 18 Monaten, einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu Fr. 10.-- und einer
Busse von Fr. 200.-- zu bestrafen. Subeventualiter sei die Sache zu neuer
Entscheidung zurückzuweisen.

 Es seien die aufschiebende Wirkung und die unentgeltliche Prozessführung und
Verbeiständung zu bewilligen.

Erwägungen:

1.

 Der Beschwerdeführer stellte ein Gesuch um aufschiebende Wirkung mit dem
Argument, seine privaten Interessen "auf freiem Fuss" zu bleiben, überwögen die
öffentlichen am sofortigen Vollzug der Freiheitsstrafe, die erst anzutreten
sei, wenn deren exakte Höhe bekannt sei. Er belegt nicht, dass
Vollzugsmassnahmen angeordnet wurden oder unmittelbar bevorstehen, und
begründet keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 103 BGG
(vgl. Urteil 6B_515/2014 vom 26. August 2014 E. 1). Das Gesuch ist abzuweisen.

2.

2.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, die vorinstanzliche Würdigung des
objektiven Sachverhalts der Ziff. I.1 der Anklageschrift vom 11. Oktober 2012
könne nicht als willkürlich bezeichnet werden. Gerügt werde aber die Annahme,
er habe vorsätzlich gehandelt. Denn er sei irrtümlich davon ausgegangen, dass
es sich bei der angesprochenen Person um eine ihm bekannte Frau handelte. Er
habe weitergehen wollen, sei aber von einer männlichen Person zu Boden gebracht
worden und habe sich gewehrt, weil er befürchtete, jemand wolle ihm das Kokain
wegnehmen. Er sei sich nicht bewusst gewesen, dass es sich um Mitarbeiter der
Polizei handelte. Er habe das Kokain nicht verkaufen, sondern mit der Frau
konsumieren wollen, und er habe sich gegen den Angriff verteidigen wollen. Die
Schuldsprüche wegen Verkaufs von Betäubungsmitteln, Gewalt und Drohung gegen
Beamte und einfacher Köperverletzung beruhten auf einer offensichtlich
unrichtigen Feststellung über den inneren Sachverhalt.

2.2. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann vor Bundesgericht nur
gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie
willkürlich ist (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 134 IV 36 E. 1.4.1; zum Begriff der
Willkür BGE 138 I 305 E. 4.3; 137 I 1 E. 2.4). Die Willkürrüge muss in der
Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106
Abs. 2 BGG). Auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt
das Bundesgericht nicht ein (BGE 140 III 264 E. 2.3; 137 IV 1 E. 4.2.3; 136 II
489 E. 2.8).

 Dem Grundsatz in dubio pro reo kommt als Beweiswürdigungsregel im Verfahren
vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende
Bedeutung zu (BGE 138 V 74 E. 7; 127 I 38 E. 2a).

2.3. Die Vorinstanz geht willkürfrei von einer schlüssigen Aussage des
Polizeibeamten sowohl hinsichtlich des Vorzeigens eines Kokainkügelchens zum
Verkauf als auch der Bisswunden an den Händen aus. Der Polizeibeamte blockierte
die Hand des Beschwerdeführers, die das Kokain hielt. Dieser begann sich zu
wehren und biss den Polizisten in beide Hände. Die Beamten hatten sich zuvor in
Deutsch und Englisch sowie mit Polizeiausweis zu erkennen gegeben. Der Einwand
des Beschwerdeführers, er habe sich "über die Umstände des objektiven
Sachverhalts geirrt" (Beschwerde S. 6), nämlich dass es sich um Polizisten und
nicht um Drogenkonsumenten handelte, ändert nichts an der Tatsache, dass er
Kokain verkaufen wollte und sich gegen die Anhaltung gewaltsam wehrte. Die
Vorinstanz hat aufgrund einer willkürfreien Beweiswürdigung und nicht "ohne
Weiteres von den äusseren Gegebenheiten auf die innere Vorstellung geschlossen"
(Beschwerde a.a.O.).

3.

 Der Beschwerdeführer rügt eine Bundesrechtsverletzung, weil die Vorinstanz im
Rahmen der Anklageschrift vom 28. Oktober 2010 zwei Diebstähle im Abstand von
drei Monaten im Gesamtbetrag von Fr. 1'300.-- (bei einer monatlichen Nothilfe
von Fr. 360.--) als gewerbsmässig einstufte. Eine allfällige Erwerbsabsicht
genüge nicht, selbst bei Einbezug früherer ähnlicher Delikte, wie den vier
Diebstählen im Jahre 2010. Für die Jahre 2009 und 2011 seien keine Diebstähle
bekannt. Er habe erst wieder im Jahre 2012 Diebstähle begangen.

 Gewerbsmässigkeit im Sinne von Art. 139 Ziff. 2 StGB ist gegeben, wenn sich
aus der Zeit und den Mitteln, die der Täter für die deliktische Tätigkeit
aufwendet, aus der Häufigkeit der Einzelakte innerhalb eines bestimmten
Zeitraums sowie aus den angestrebten und erzielten Einkünften ergibt, dass er
die deliktische Tätigkeit nach der Art eines Berufs ausübt, wobei eine quasi
"nebenberufliche" deliktische Tätigkeit genügt (BGE 123 IV 113 E. 2c; 119 IV
129 E. 3a). Gewerbsmässigkeit setzt demnach voraus, dass der Täter erstens die
Tat bereits mehrfach beging, zweitens in der Absicht handelte, ein
Erwerbseinkommen zu erlangen und drittens aufgrund seiner Taten geschlossen
werden muss, er sei zu einer Vielzahl von unter den fraglichen Tatbestand
fallenden Handlungen bereit gewesen. Zu berücksichtigen sind bei der
Qualifizierung die Verhältnismässigkeit und das Schuldprinzip sowie die soziale
Gefährlichkeit (BGE 116 IV E. 319 E. 3b und 4b), wobei diese Rechtsprechung
unter Hinweis auf die im früheren Recht vorgesehenen Mindeststrafen erging (BGE
116 IV E. 319 E. 4c S. 333).

 Der Beschwerdeführer erzielte innerhalb von drei Monaten einen Deliktsbetrag
von Fr. 1'300.--, was einen monatlichen Betrag von Fr. 436.-- bei legalem
Einkommen von Fr. 360.-- ausmacht. Das stellt einen namhaften Beitrag an seine
Lebenshaltungskosten dar (Urteil S. 7). Der Beschwerdeführer weist eine
Vielzahl von einschlägigen Vorstrafen auf. Aus den zu beurteilenden Straftaten
muss geschlossen werden, dass er zu einer Vielzahl von unter den fraglichen
Tatbestand fallenden Handlungen bereit gewesen ist, und zwar ungeachtet der
bereits zahlreichen einschlägigen Verurteilungen. Der Beschwerdeführer hatte
sich für ein systematisches Vorgehen entschieden, das ihm zu regelmässigen
zusätzlichen Einnahmen verhelfen sollte (Urteil S. 7). Ein solches Vorgehen ist
ein zusätzliches Kriterium für die Annahme von Gewerbsmässigkeit (BGE 116 IV
319 E. 4c S. 332).

 Die für das gesamte Vermögensstrafrecht massgebende Umschreibung der
Gewerbsmässigkeit hat letztlich eine Richtlinienfunktion (BGE 116 IV 319 E. 3b
S. 329). Die Vorinstanz verbleibt in diesem durch Gesetz und Rechtsprechung
vorgegebenen Rahmen ihres Beurteilungsermessens (zu einer
Ermessensüberschreitung im Rahmen von aArt. 146 Abs. 2 StGB mit einer
Mindeststrafe von drei Monaten vgl. Urteil 6S.89/2005 vom 11. Mai 2005 E. 3.3).

4.

 Schliesslich rügt der Beschwerdeführer eine falsche Anwendung der
Strafzumessungsregeln von Art. 47 ff. StGB. Die Vorinstanz gebe die
Strafzumessungsgründe nur ungenügend und pauschal wieder. Es handle sich um
Alltagskriminalität, wie sie "auf der Gasse" immer wieder vorkomme. Die
Körperverletzungen lägen eher in der Nähe von Tätlichkeiten. Immer seien
Verhaltensweisen Dritter vorangegangen, auf die er reagiert habe. Die
Beschimpfungen und Drohungen seien "auf der Gasse gang und gäbe", so dass
daraus keine Verwerflichkeit abgeleitet werden könne. Er habe aus Not gehandelt
und sei als "klassischer Kleinkrimineller", nicht als Berufskrimineller zu
beurteilen. Die Unmöglichkeit seiner Ausreise sei auf die angolanischen
Behörden zurückzuführen. Seine soziale Situation sei äusserst prekär. Als
abgewiesener Asylbewerber könne er keiner Berufstätigkeit nachgehen. Die
Freiheitsstrafe stehe in keinem Verhältnis zur Tatschuld. Die Tatkomponenten
seien zu stark und die persönlichen Verhältnisse zu wenig entlastend
berücksichtigt worden.

 Das Bundesgericht hat die Grundsätze der Strafzumessung wiederholt dargelegt.
Darauf ist zu verweisen (BGE 136 IV 55 E. 5.4 ff.). Die Vorinstanz verfügt über
einen Ermessensspielraum. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn die Vorinstanz
den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn sie von
rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wesentliche
Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. durch Überschreitung oder Missbrauch
ihres Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 136 IV 55 E. 5.6 S. 61; 135 IV 130 E.
5.3.1 S. 134 f.).

 Der Beschwerdeführer zeigt mit seinen relativierenden Vorbringen nicht auf,
inwiefern die angefochtene Strafzumessung Recht verletzt (vgl. Art. 42 Abs. 2
BGG). Der mehrfach vorbestrafte Beschwerdeführer musste sich der Konsequenzen
seines Verhaltens vollauf im Klaren sein und liess sich durch die
Interventionen der Strafbehörden bislang nicht beeindrucken. Die Vorinstanz
berücksichtigt die massgebenden Strafzumessungstatsachen gemäss Art. 47 ff.
StGB. Auf ihre Ausführungen kann verwiesen werden (Urteil S. 14 ff.).

5.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit der
Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 BGG). Es sind praxisgemäss herabgesetzte
Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. Art. 65 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt, Ausschuss, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. April 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Briw

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