Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1036/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_1036/2014

Urteil vom 16. Februar 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterinnen Jacquemoud-Rossari, Jametti,
Gerichtsschreiberin Unseld.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Fürsprecher Dr. Urs Oswald,
Beschwerdeführer,

gegen

Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Versuchte Gefährdung des Lebens; Willkür,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung,
2. Strafkammer, vom 8. Juli 2014.

Sachverhalt:

A.

 Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte X.________ am 8. Juli 2014
zweitinstanzlich wegen versuchter Gefährdung des Lebens zu einer
Freiheitsstrafe von 24 Monaten. Es ordnete eine stationäre therapeutische
Massnahme an und schob den Strafvollzug zugunsten der Massnahme auf.
Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
X.________ lauerte am 5. September 2012 in einem Gebüsch am Aareufer in Bern
einer beliebigen Frau auf, um dieser Schmerzen zuzufügen. In seiner Hosentasche
befand sich ein Plastiksack und in seinem Rucksack u.a. ein Paar Handschuhe,
ein Stofftuch, eine Schnur sowie eine Rolle Klebeband. Als A.________
vorbeirannte, zog er die Handschuhe an, folgte ihr und versuchte, ihr den
Plastiksack über den Kopf zu stülpen. Da ihm dies wegen deren Gegenwehr nicht
gelang, drückte er ihr von hinten den Plastiksack auf Mund und Nase. A.________
konnte sich losreissen und Passanten zu Hilfe rufen.

B. 

 X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, ihn von Schuld und Strafe
freizusprechen. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz,
subeventuell an die erste Instanz, zurückzuweisen.

Erwägungen:

1. 

1.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz gehe willkürlich davon aus, er
habe die Absicht gehabt, A.________ am Atmen zu hindern. Dies ergebe sich nicht
aus seinen Aussagen. Ihm werde das allgemeine Wissen angelastet. Gänzlich
unhaltbar sei jedoch, daraus auf einen angeblichen Willen zu schliessen. Dass
er A.________ am Atmen hindern bzw. ersticken habe wollen, widerspreche auch
den weiteren Feststellungen der Vorinstanz, er habe diese beherrschen, an ihr
seinen Frust ablassen, ihr "den Meister zeigen", sie erschrecken und ihr
Schmerzen zufügen wollen. Bei einer derartigen Konstellation trachte der Täter
eben gerade nicht nach dem Leben der betroffenen Frau.
Der subjektive Tatbestand von Art. 129 StGB verlange einen direkten
Gefährdungsvorsatz. Eventualdolus genüge nicht. Die Behörden hätten es
unterlassen, den Plastiksack näher zu untersuchen, auszumessen und mit dem
Umfang des Kopfes des Opfers in Relation zu setzen. Mit dem Überstülpen einer
losen Einkaufstasche mit einem Umfang, der weit grösser sei als der Kopf des
Opfers, werde keine unmittelbare Lebensgefahr im Sinne von Art. 129 StGB
geschaffen. Erforderlich seien weitere Manipulationen wie das Zuschnüren des
Plastiksacks um den Hals des Opfers. Sein Verhalten sei nicht skrupellos
gewesen.

1.2. 

1.2.1. Den Tatbestand der Gefährdung des Lebens von Art. 129 StGB erfüllt, wer
einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare Lebensgefahr bringt.

1.2.2. Objektiv ist eine konkrete, unmittelbare Lebensgefahr erforderlich. Eine
blosse Gefahr für die Gesundheit genügt nicht. Unmittelbar ist die Gefahr, wenn
sich aus dem Verhalten des Täters nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge direkt
die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Todesfolge ergibt (BGE 133 IV
1 E. 5.1; 121 IV 67 E. 2b/aa). Die Wahrscheinlichkeit des Todes muss nicht
grösser sein als jene seiner Vermeidung (BGE 121 IV 67 E. 2b/aa). Subjektiv
setzt der Tatbestand einen direkten Vorsatz in Bezug auf die unmittelbare
Lebensgefahr voraus. Eventualvorsatz genügt nicht (BGE 133 IV 1 E. 5.1).

1.2.3. Ein Versuch liegt vor, wenn der Täter, nachdem er mit der Ausführung
eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu
Ende führt oder der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht eintritt oder
dieser nicht eintreten kann (Art. 22 Abs. 1 StGB). Beim Versuch erfüllt der
Täter sämtliche subjektiven Tatbestandsmerkmale und manifestiert seine
Tatentschlossenheit, ohne dass alle objektiven Tatbestandsmerkmale verwirklicht
sind (BGE 137 IV 113 E. 1.4.2 mit Hinweisen).

1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die
Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 134
IV 36 E. 1.4.1; vgl. zum Begriff der Willkür: BGE 138 I 305 E. 4.3; 137 I 1 E.
2.4). Die Willkürrüge muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und
substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf eine rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht
ein (BGE 140 III 264 E. 2.3; 137 IV 1 E. 4.2.3; 136 II 489 E. 2.8; je mit
Hinweisen).
Was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm, betrifft innere Tatsachen und
ist somit Tatfrage (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 133 IV 9 E. 4.1; 130 IV 58 E. 8.5).

1.4.

1.4.1. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe aus allgemeiner
Lebenserfahrung gewusst, dass das Überstülpen eines Plastiksacks über den Kopf
zunächst zu Atemnot und schliesslich - beim Beibehalten der Versperrung der
Luftzufuhr - zu einer lebensgefährlichen Situation führen würde. Er habe diese
Gefahr auch gewollt. Aus seinem Vorgehen könne nichts anderes geschlossen
werden. Er habe A.________ beherrschen, seinen aufgestauten Frust ablassen und
ihr "den Meister zeigen" wollen. Er habe sie erschrecken und ihr Schmerzen
zufügen wollen und beabsichtigt, sie mit einem Plastiksack über dem Kopf am
Atmen zu hindern. Diese Handlungen würden allesamt eine gewisse Intensität des
Einwirkens voraussetzen, andernfalls sie ihre Wirkung verfehlen würden. Der
Frau den "Atem nehmen" sei das gewollte Ziel der Machtausübung. Gleichzeitig
ergebe sich dadurch - Vollendung des Deliktes vorausgesetzt - eine unmittelbar
lebensgefährliche Situation, um welche der Beschwerdeführer gewusst und die er
gewollt habe (Urteil S. 34).

1.4.2. Diese Ausführungen lassen keine Willkür erkennen. Die Vorinstanz stellt
auf die Aussagen des Beschwerdeführers ab, der u.a. angab, er habe A.________
den Plastiksack über den Kopf ziehen und ihr Schmerzen zufügen wollen. Er habe
ein Problem mit Frauen und empfinde eine Abneigung allgemein gegen Frauen. Er
habe mit dem Sack verhindern wollen, dass die Frau gleich schreien könne
(Urteil S. 8 f., 15 ff.). Die Vorinstanz geht - namentlich auch angesichts der
im Rucksack des Beschwerdeführers vorgefundenen Gegenstände - davon aus, dieser
habe eine schwere Tat geplant (Urteil S. 18 ff.). Sie würdigt willkürfrei, er
habe eine Atemnot seines Opfers bewirken wollen, um dieses auf diese Art zu
peinigen und am Schreien zu hindern. Sie gelangt folglich zur Überzeugung, der
Beschwerdeführer habe den Plastiksack nach seinem Plan für einige Zeit über dem
Kopf seines Opfers belassen und damit dessen Atmung beeinträchtigen wollen, da
er anders sein Ziel - das Opfer zu peinigen und am Schreien zu hindern - nicht
erreichen konnte. Eine längere Atemnot ist objektiv geeignet, eine unmittelbare
Lebensgefahr herbeizuführen. Für den Nachweis des Vorsatzes darf das Gericht
vom Wissen des Täters auf dessen Willen schliessen (vgl. BGE 137 IV 1 E. 4.2.3
mit Hinweis). Nicht zu beanstanden ist, wenn die Vorinstanz aus der allgemeinen
Lebenserfahrung ableitet, der Beschwerdeführer habe um die Lebensgefahr gewusst
und diese angesichts seines Tatentschlusses auch gewollt.

1.4.3. Der vom Beschwerdeführer verwendete Coop Plastiksack befindet sich bei
den Akten. Der Beschwerdeführer machte vor der Vorinstanz geltend, dieser sei
nicht gutachterlich untersucht und ausgemessen worden. Die Vorinstanz führt
aus, dem Gericht sei es auch in der Beratung erlaubt, sich anhand der
beschlagnahmten Gegenstände ein Bild darüber zu machen, ob ein Gegenstand zur
Begehung eines Deliktes tauglich, wenig tauglich, gefährlich oder besonders
gefährlich sei. Der vom Beschwerdeführer verwendete Plastiksack sei für das
Entstehen einer Erstickungsgefahr jedenfalls nicht von vornherein völlig
untauglich. Dabei gehe es um die Beurteilung von Beweismitteln mit dem von
einem Gericht erwarteten Alltagswissen (Urteil S. 13 f.). Die Vorinstanz bezog
Art und Grösse des Sacks demnach in ihre Beweiswürdigung mit ein. Der
Beschwerdeführer setzt sich damit nicht auseinander. Die vorinstanzliche
Feststellung, der Beschwerdeführer habe die Atmung seines Opfers
beeinträchtigen wollen, erscheint auch unter diesem Gesichtspunkt nicht
willkürlich, da der von ihm verwendete Plastiksack dazu geeignet bzw.
jedenfalls nicht völlig ungeeignet war.

1.4.4. Der Beschwerdeführer handelte mit direktem Vorsatz, da er gemäss den
willkürfreien Feststellungen der Vorinstanz mit dem von ihm geplanten Vorgehen
bei seinem Opfer eine Atemnot bewirken wollte. Er wusste, dass damit eine
unmittelbare Lebensgefahr einhergeht und wollte dies. Die Vorinstanz wirft dem
Beschwerdeführer demgegenüber nicht vor, er habe sein Opfer ersticken wollen
und nach dessen Leben getrachtet. Dieser verkennt, dass sicheres Wissen um die
unmittelbare Lebensgefahr mit sicherem Wissen um den Erfolgseintritt nicht
identisch ist. Bei Tötungsvorsatz greifen Art. 111 ff. StGB ein. Für die
Gefährdung des Lebens im Sinne von Art. 129 StGB genügt, wenn der Täter trotz
der erkannten Lebensgefahr handelt, aber darauf vertraut, die Gefahr werde sich
nicht realisieren (BGE 136 IV 76 E. 2.4; Urteile 1B_535/2012 vom 28. November
2012 E. 4.1; 6S.127/2007 vom 6. Juli 2007 E. 2.3).

1.4.5. Die Vorinstanz bejaht zutreffend auch die Skrupellosigkeit. Auf ihre
Erwägungen kann verwiesen werden (Urteil S. 34 f.). Der Beschwerdeführer bringt
auch diesbezüglich lediglich vor, es habe keine nahe Gefahr des Erstickens
bestanden.

1.5. Der Beschwerdeführer erfüllte alle subjektiven Tatbestandsmerkmale der
Lebensgefährdung. Indem er dazu ansetzte, A.________ den Plastiksack über den
Kopf zu stülpen, manifestierte er zudem seine Tatentschlossenheit. Ein
untauglicher Versuch im Sinne von Art. 22 Abs. 2 StGB ist zu verneinen, da der
Plastiksack als Tatmittel nicht völlig ungeeignet war. Der Schuldspruch wegen
versuchter Gefährdung des Lebens im Sinne von Art. 129 i.V.m. Art. 22 Abs. 1
StGB ist bundesrechtskonform.

2.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die
Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Strafabteilung, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Februar 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Unseld

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