Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1029/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_1029/2014

Urteil vom 23. Juni 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Andres.

Verfahrensbeteiligte
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Kantonales Untersuchungsamt,
Spisergasse 15, 9001 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Armin Eugster,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Übertretung des Heilmittelgesetzes,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom
22. August 2014.

Sachverhalt:

A. 
Das Kreisgericht St. Gallen verurteilte X.________ wegen mehrfacher
vorsätzlicher Tierquälerei und mehrfacher vorsätzlicher Übertretung des
Bundesgesetzes vom 9. Oktober 1992 über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände
(Lebensmittelgesetz, LMG; SR 817.0) sowie des Bundesgesetzes vom 15. Dezember
2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21)
zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 300 Tagen und einer Busse von Fr.
15'000.--.

 Dagegen erhob X.________ Berufung. Das Kantonsgericht des Kantons St. Gallen
sprach ihn je in einem Anklagepunkt frei vom Vorwurf der vorsätzlichen
Übertretung des Lebensmittelgesetzes und des Heilmittelgesetzes. Im Übrigen
bestätigte es die angefochtenen Schuldsprüche und verurteilte ihn zu einer
bedingten Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu Fr. 230.-- und einer Busse von Fr.
2'000.--.

B. 
Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen beantragt mit Beschwerde in
Strafsachen, das kantonsgerichtliche Urteil sei aufzuheben, soweit X.________
vom Vorwurf der vorsätzlichen Übertretung des Heilmittelgesetzes freigesprochen
wurde, und die Sache sei zur Neubeurteilung an das Kantonsgericht
zurückzuweisen.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den vorinstanzlichen Freispruch des
Beschwerdegegners vom Vorwurf der vorsätzlichen Übertretung des
Heilmittelgesetzes durch Abgabe von Arzneimitteln ohne Berechtigung.

1.1.

1.1.1. Die Vorinstanz stellt unbestritten fest, der Beschwerdegegner habe von
seinem Bestandestierarzt zwischen dem 27. Oktober 2007 und dem 5. Mai 2011
insgesamt 925 kg Antibiotika bezogen und seinen Mastschweinen verabreicht. Am
1. Juni 2005 habe der Bestandestierarzt den Gesundheitszustand der Mastschweine
überprüft und dokumentiert. Dabei habe der Beschwerdegegner eine
Tierarzneimittel-Vereinbarung (TAM-Vereinbarung) gemäss Art. 10 Abs. 2 der
Verordnung vom 18. August 2004 über die Tierarzneimittel
(Tierarzneimittelverordnung, TAMV; SR 812.212.27) unterzeichnet. In der Folge
habe der Bestandestierarzt in den beiden Schweinemastbetrieben des
Beschwerdegegners keine Betriebsbesuche mehr durchgeführt.

1.1.2. Die Vorinstanz erwägt, der Übertretungstatbestand nach Art. 87 Abs. 1
lit. f i.V.m. Art. 86 Abs. 1 lit. c HMG könne vom Beschwerdegegner als
Tierhalter nicht erfüllt werden. Nach dem Abschluss der TAM-Vereinbarung sei
der Bestandestierarzt für den sachgemässen Umgang mit den Tierarzneimitteln
verantwortlich gewesen. Er wäre verpflichtet gewesen, die Betriebe des
Beschwerdegegners der TAM-Vereinbarung entsprechend zu besuchen und sich die
notwendige Kenntnis über den Gesundheitszustand der Tiere zu verschaffen. Die
Verletzung der Pflichten, die in der TAM-Vereinbarung und der
Tierarzneimittelverordnung festgehalten seien, müsse sich der Beschwerdegegner
nicht anrechnen lassen, weshalb er vom Vorwurf der unberechtigten Abgabe von
Heilmitteln freizusprechen sei.

1.2. Die Beschwerdeführerin bringt vor, der Übertretungstatbestand gemäss Art.
87 Abs. 1 lit. f i.V.m. Art. 86 Abs. 1 lit. c HMG sei auf den Tierhalter
anwendbar, da dieser trotz einer gewissen Überwachungspflicht des
Bestandestierarztes eigenverantwortlich die Lebensmittelsicherheit und den
korrekten Umgang mit Tierarzneimitteln zu gewährleisten habe. Der
Bestandestierarzt müsse sicherstellen, dass die auf Vorrat abgegebenen
Tierarzneimittel durch den Tierhalter korrekt angewendet werden. Diese
Überwachungspflichten des Bestandestierarztes entbänden den Tierhalter jedoch
nicht von der Sorgfaltspflicht gemäss Art. 3 HMG und der Selbstkontrollpflicht
im Sinne von Art. 23 LMG i.V.m. Art. 47 ff. (recte Art. 49 ff.) der
Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung vom 23. November 2005 (LGV; SR
817.02). Der Tierhalter trage im Umgang mit Tierarzneimitteln
Eigenverantwortung. Als Lebensmittelproduzent habe er die
Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten. Der Beschwerdegegner habe erst durch
die Unterzeichnung der TAM-Vereinbarung die Berechtigung erhalten, seinen
Tieren während einer Mastperiode selber Tierarzneimittel zu verabreichen. Ihm
sei bekannt gewesen, dass er nach Abschluss der Mast nicht mehr dazu berechtigt
gewesen sei.

1.3.

1.3.1. Nach dem Übertretungsstraftatbestand von Art. 87 Abs. 1 lit. f HMG wird
bestraft, wer vorsätzlich die Tatbestände nach Art. 86 Abs. 1 HMG erfüllt, ohne
dass dadurch die Gesundheit von Menschen gefährdet wird. Gemäss Art. 86 Abs. 1
lit. c HMG wird bestraft, wer Heilmittel abgibt, ohne dazu berechtigt zu sein.

1.3.2. Als Heilmittel im Sinne von Art. 86 Abs. 1 lit. c HMG gelten auch
Tierarzneimittel (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 4 Abs. 1 lit. a HMG;
Ursula Eggenberger Stöckli, in: Basler Kommentar, Heilmittelgesetz, 2006, N. 25
zu Art. 4 HMG; siehe auch Thomas Eichenberger, in: Basler Kommentar,
Heilmittelgesetz, 2006, N. 25 zu Art. 42 HMG). Denn Rückstände von
Tierarzneimitteln in Lebensmitteln tierischer Herkunft können die Gesundheit
des Konsumenten gefährden. Es können Allergien auftreten und die Resistenz des
Organismus gegen schädliche Einwirkungen kann beim Menschen wie beim Tier
beeinträchtigt werden (Eichenberger, a.a.O., N. 6 vor Art. 42-44 HMG). Insofern
kann nicht gesagt werden, Art. 86 HMG erfasse nur Heilmittel im Humanbereich
(vgl. aber Benedikt A. Suter, in: Basler Kommentar, Heilmittelgesetz, 2006, N.
7, 9, 20, 21 zu Art. 86 HMG).

1.3.3. Der Begriff des Abgebens gemäss Art. 86 Abs. 1 lit. c HMG ist im Sinne
von Art. 4 Abs. 1 lit. f HMG zu verstehen (vgl. Suter, a.a.O., N. 21 zu Art. 86
HMG), nämlich als entgeltliche oder unentgeltliche Übertragung oder Überlassung
eines verwendungsfertigen Heilmittels für die Verwendung durch den Erwerber
oder die Erwerberin sowie für die Anwendung an Drittpersonen oder an Tieren.
Damit ist das Übertragen eines verwendungsfertigen Heilmittels an den
Endverbraucher gemeint, das heisst, an die Person, welche das Heilmittel an
sich selbst, an Drittpersonen oder an Tieren anwendet (Eggenberger Stöckli,
a.a.O., N. 83 zu Art. 4 HMG). Endverbraucher ist der Tierhalter, der das
Arzneimittel für sein Tier beschafft (Eichenberger, a.a.O., N. 4 f. zu Art. 42
HMG).
Daran ändert nichts, dass die Botschaft vom 1. März 1999 zum Heilmittelgesetz
diesbezüglich als missverständlich erscheinen mag, wenn der Bundesrat vorab
festhält, "Abgeben" sei "Überlassung eines Arzneimittels an den Endverbraucher"
oder "Überlassung des Medizinproduktes an den Anwender", und sodann ausführt,
unter den Begriff "Abgabe" falle auch die "Anwendung an Drittpersonen oder am
Tier" (BBl 1999 3491 Ziff. 22.02 Art. 4). Auch im Nebenstrafrecht gilt das
Bestimmtheitsgebot ("nulla poena sine lege certa"), welches aus dem
Legalitätsprinzip ("nulla poena sine lege") abgeleitet wird, wonach eine Strafe
oder Massnahme nur wegen einer Tat verhängt werden darf, die das Gesetz
ausdrücklich unter Strafe stellt (Art. 1 StGB). Eine Strafnorm muss so präzise
formuliert sein, dass der Bürger sein Verhalten danach richten und die Folgen
eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umständen entsprechenden Grad an
Gewissheit erkennen kann (BGE 138 IV 13 E. 4.1 S. 20 mit Hinweisen).

1.4.

1.4.1. Ein Arzneimittel darf für Tiere nur verschrieben oder abgegeben werden,
wenn die verschreibende Person das Tier oder den Tierbestand kennt. Ist das
Arzneimittel für Nutztiere bestimmt, so muss die verschreibende Person auch
deren Gesundheitszustand kennen (Art. 42 Abs. 1 und 2 HMG). Gemäss Art. 10 Abs.
1 TAMV müssen Tierärztinnen und Tierärzte vor der Verschreibung oder der Abgabe
eines Tierarzneimittels, über das Buch geführt werden muss (Art. 26 TAMV), den
Gesundheitszustand des zu behandelnden Nutztieres oder der zu behandelnden
Nutztiergruppe persönlich beurteilen. Tierärztinnen, Tierärzte sowie
Tierarztpraxen können mit der Tierhalterin oder dem Tierhalter schriftlich eine
TAM-Vereinbarung über regelmässige Betriebsbesuche und den korrekten Umgang mit
Tierarzneimitteln abschliessen. In diesem Fall können sie Tierarzneimittel auch
ohne vorgängigen Bestandesbesuch verschreiben oder abgeben (Art. 10 Abs. 2
TAMV). Besteht eine TAM-Vereinbarung, so darf die Tierärztin oder der Tierarzt
für eine bezeichnete Indikation Tierarzneimittel im Verhältnis zur
Bestandesgrösse auch auf Vorrat verschreiben oder abgeben (Art. 11 Abs. 2
TAMV). Die Beurteilungskriterien, die Besuchsfrequenzen und der Inhalt der
TAM-Vereinbarung richten sich nach Anhang 1 (Art. 10 Abs. 4 TAMV).

1.4.2. Verabreicht der Tierhalter die Tierarzneimittel an die Tiere, dann liegt
darin keine Abgabe im Sinne von Art. 86 Abs. 1 lit. c HMG, nur weil eine
TAM-Vereinbarung abgeschlossen wurde. Dies gilt auch, wenn der Tierarzt wie im
vorliegenden Fall gegen die Vorgaben der Tierarzneimittelverordnung verstösst,
indem er die vorgeschriebenen Besuche unterlässt. Daran ändert nichts, dass
sich der Beschwerdegegner in der TAM-Vereinbarung verpflichtete, die erhaltenen
Tierarzneimittel nur für die bezeichnete Tierart einzusetzen und die
Anweisungen des Tierarztes zu befolgen. Eine Begründung für die gegenteilige
Auffassung findet sich weder in der Beschwerde noch im erstinstanzlichen
Urteil.

2. 
Die Beschwerde ist abzuweisen. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66
Abs. 4 BGG). Dem Beschwerdegegner sind im bundesgerichtlichen Verfahren keine
Auslagen entstanden, weshalb ihm keine Parteientschädigung zuzusprechen ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Es werden keine Kosten erhoben.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. Juni 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Andres

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