Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1021/2014
Zurück zum Index Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2014
Retour à l'indice Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2014


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_1021/2014

Urteil vom 3. September 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jaquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer, Bundesrichter Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Bernard,
Beschwerdeführer,

gegen

Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Verlängerung einer stationären Massnahme,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung,
Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 30. September 2014.

Sachverhalt:

A. 
Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte X.________ am 11. März 2008 wegen
mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern, mehrfacher sexueller Nötigung,
mehrfacher sexueller Belästigung sowie Pornographie zu einer Freiheitsstrafe
von 35 Monaten und zu einer Busse von Fr. 500.--. Es ordnete eine stationäre
therapeutische Behandlung an. Den Vollzug der Freiheitsstrafe schob es
zugunsten der Massnahme auf.
Das Regionalgericht Bern-Mittelland verlängerte die stationäre therapeutische
Massnahme jeweils um drei Jahre, letztmals am 25. Juni 2014. Der Entscheid
wurde X.________ anlässlich der Hauptverhandlung vom selben Tag mündlich
eröffnet.
X.________ reichte dagegen am 2. Juli 2014 beim Obergericht des Kantons Bern
Beschwerde ein mit dem Hinweis, er behalte sich eine eingehende
Auseinandersetzung mit dem Entscheid bei Vorliegen der schriftlichen Begründung
vor.
Das Obergericht eröffnete am 4. Juli 2014 ein Beschwerdeverfahren. Das
Verfahren wurde bis zum Eintreffen der schriftlichen Begründung des Entscheids
vom 25. Juni 2014 sistiert.
Die schriftliche Begründung des Entscheids vom 25. Juni 2014 datiert vom 8.
Juli 2014 und wurde den Parteien zugestellt. Sie ging bei X.________ bzw.
dessen Rechtsvertreter am 10. Juli 2014 ein.
Das Obergericht nahm das sistierte Verfahren am 11. Juli 2014 wieder auf. Es
gab der Generalstaatsanwaltschaft Gelegenheit, innert 20 Tagen eine
Stellungnahme zur Beschwerde einzureichen. Die von X.________ eingereichte
Beschwerdeergänzung vom 14. Juli 2014 erkannte es mit Verfügung vom 15. Juli
2014 nicht zu den Akten. Auf die dagegen geführte Beschwerde von X.________
trat das Bundesgericht am 29. August 2014 nicht ein (Verfahren 6B_780/2014). Es
verwies auf die Möglichkeit der Anfechtung des Endentscheids.
Das Obergericht wies die von X.________ erhobene Beschwerde gegen die
Verlängerung der Massnahme am 30. September 2014 in der Sache ab.

B. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt im Wesentlichen, es
sei das obergerichtliche Urteil vom 30. September 2014 aufzuheben. Die Sache
sei an das Obergericht zurückzuweisen, welches seine Beschwerdeergänzung vom
14. Juli 2014 zu den Akten zu nehmen und den Fall neu materiell zu beurteilen
habe. Eventualiter sei die Angelegenheit mit der Anweisung an die kantonalen
Instanzen zurückzuweisen, anstelle des Beschwerdeverfahrens ein
Berufungsverfahren durchzuführen. Subeventualiter sei eine ambulante Massnahme
anzuordnen und er aus der stationären therapeutischen Massnahme bedingt zu
entlassen. Subsubeventualiter sei die stationäre therapeutische Massnahme um
maximal ein Jahr zu verlängern.

C. 
Das Obergericht stellt in der Vernehmlassung zur Beschwerde keinen Antrag. Die
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern verzichtet auf Stellungnahme.

D. 
Das Bundesgericht hat den Entscheid öffentlich beraten (Art. 58 Abs. 1 BGG).

Erwägungen:

1.
Der angefochtene Endentscheid, mit welchem die erstinstanzlich angeordnete
Verlängerung der stationären Massnahme gemäss Art. 59 Abs. 4 StGB um drei Jahre
geschützt wurde, unterliegt der Beschwerde in Strafsachen im Sinne von Art. 78
ff. BGG. Ebenso unterliegt der Beschwerde in Strafsachen die Verfügung der
Vorinstanz vom 15. Juli 2014, mit welcher die Beschwerdeergänzung des
Beschwerdeführers vom 14. Juli 2014 nicht zu den Akten genommen wurde (Art. 93
Abs. 3 BGG). Der Beschwerdeführer ist zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 BGG).
Er rügt die Verletzung von Bundesrecht, was zulässig ist. Auf die Beschwerde
ist einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, der
Verfahrensfairness und des Prinzips der Waffengleichheit namentlich deshalb,
weil die Vorinstanz den Beginn der 10-tägigen Frist für die Einreichung der
Beschwerde auf den Zeitpunkt der mündlichen Entscheideröffnung vom 25. Juni
2014 festlegte und seine fristgerechte Beschwerdeergänzung vom 14. Juli 2014
zur schriftlichen Begründung des Entscheids aus dem Recht wies. Der
Generalstaatsanwaltschaft habe sie nach Zustellung der schriftlichen
Entscheidbegründung hingegen eine Frist von 20 Tagen angesetzt, um zur
Beschwerde Stellung zu nehmen.
Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, es gehe vorliegend um die
Verlängerung einer stationären Massnahme nach Art. 59 Abs. 4 StGB. Es handle
sich um ein Verfahren betreffend selbständige nachträgliche gerichtliche
Entscheide im Sinne von Art. 363 ff. StPO. In der Verfügung vom 11. Juli 2014
führe die Vorinstanz aus, bei der Anordnung einer stationären therapeutischen
Massnahme handle es sich unzweifelhaft um ein Urteil, da über eine Straffrage
materiell entschieden werde. Konsequenterweise hätte die Vorinstanz anstelle
des Beschwerdeverfahrens ein Berufungsverfahren eröffnen müssen.
Es ist vorab das Vorbringen zu behandeln, die Vorinstanz hätte anstelle des
Beschwerdeverfahrens richtigerweise ein Berufungsverfahren einleiten müssen.

3.

3.1. Als Entscheide im Nachverfahren gemäss Art. 363 ff. StPO gelten solche, in
denen sich ein Gericht im Nachgang an ein in Rechtskraft erwachsenes
Strafurteil hauptsächlich in Bezug auf die Massnahme oder den Vollzug der
Strafe nochmals mit der Sache zu befassen hat. Das ursprüngliche Verfahren wird
fortgesetzt. Solche nachträgliche Entscheide in Nachverfahren sind subsidiär.
Kommt es wegen neuer Straftaten zu einer Anklage, übernimmt das dafür
zuständige Gericht auch die Abänderungen und Ergänzungen des vorherigen Urteils
(Art. 81 Abs. 4 lit. d, Art. 326 Abs. 1 lit. g StPO). In den Verfahren gemäss
Art. 363 ff. StPO geht es mithin um die nachträgliche Abänderung oder Ergänzung
der Sanktionsfolgen von rechtskräftigen Strafurteilen. Es soll damit einer
späteren Entwicklung Rechnung getragen werden. Die Grundlage dafür findet sich
im materiellen Recht. Beispiele für solche Nachverfahren sind die Festlegung
einer Ersatzfreiheitsstrafe bei Nichtbezahlung der Geldstrafe bzw. Busse nach
Art. 36 und Art. 106 Abs. 5 StGB, die Umwandlung der gemeinnützigen Arbeit in
Geld- oder Freiheitsstrafe bei mangelnder Kooperation des Betroffenen nach Art.
39 StGB, die Verlängerung oder nachträgliche Anordnung einer stationären
Massnahme nach Art. 59 Abs. 4 StGB bzw. Art. 62c Abs. 3 StGB oder gar die
nachträgliche Anordnung der Verwahrung nach Art. 62c Abs. 4 StGB ( MARIANNE
HEER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl., Basel
2014, Rz. 1 zu Art. 363 StPO; s.a. CHRISTIAN SCHWARZENEGGER, in: Kommentar zur
Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Lieber/Hansjakob [Hrsg.], 2.
Aufl. 2014, Rz. 1 zu Art. 363 StPO). Die inhaltliche Bandbreite der Entscheide,
welche im Nachverfahren im Sinne von Art. 363 ff. StPO ergehen, ist somit weit.
Es geht einerseits um Bagatellen im strafvollzugsrechtlichen Massengeschäft
bzw. um Fälle minderen Gewichts, andererseits um Entscheidungen, die für den
Betroffenen mit ganz massiven Konsequenzen verbunden sind.

3.2. Das Nachverfahren im Sinne von Art. 363 ff. StPO ist im Gesetz nur
rudimentär geregelt. Die zuständige Behörde - in aller Regel die Straf- oder
Vollzugsbehörde - leitet das Verfahren auf Erlass eines nachträglichen
richterlichen Entscheids von Amtes wegen ein, sofern das Bundesrecht nichts
anderes bestimmt, und reicht dem Gericht die entsprechenden Akten und ihren
Antrag ein (Art. 364 Abs. 1 StPO). In den übrigen Fällen können die verurteilte
Person oder andere dazu berechtigte Personen mit einem schriftlichen und
begründeten Gesuch die Einleitung des Verfahrens beantragen (Art. 364 Abs. 2
StPO).
Das zuständige Gericht - grundsätzlich das Gericht, welches das
erstinstanzliche Urteil gefällt hat (Art. 363 Abs. 1 StPO) - prüft in der
Folge, ob die Voraussetzungen für den nachträglichen richterlichen Entscheid
erfüllt sind, und ergänzt, wenn nötig, die Akten oder lässt weitere Erhebungen
durchführen (Art. 364 Abs. 3 StPO). Es gibt den betroffenen Personen und
Behörden Gelegenheit, sich zum vorgesehenen Entscheid zu äussern und Anträge zu
stellen (Art. 364 Abs. 4 StPO). Das Gericht entscheidet grundsätzlich gestützt
auf die Akten. Es kann aber auch eine Verhandlung anordnen (Art. 365 Abs. 1
StPO). Es erlässt seinen Entscheid schriftlich und begründet ihn kurz. Hat eine
mündliche Verhandlung stattgefunden, so eröffnet es seinen Entscheid sofort
mündlich (Art. 365 Abs. 2 StPO).

3.3. Das Gesetz regelt damit nicht ausdrücklich, in welcher Rechtsform
nachträgliche selbstständige Entscheide im Sinne von Art. 363 ff. StPO zu
ergehen haben. Art. 365 Abs. 2 StPO spricht (ebenso wie die Marginale zur
Gesetzesbestimmung) insofern neutral von "Entscheiden". Es stellt sich daher
die Frage, ob solche Entscheide in Urteilsform oder aber in Beschluss- bzw.
Verfügungsform zu ergehen haben, mit der Folge, dass im einen Fall die Berufung
(Art. 398 Abs. 1 StPO), im andern Fall die Beschwerde (Art. 393 Abs. 1 lit. b
StPO) das zulässige Rechtsmittel bildet. In der Literatur wird in diesem
Zusammenhang mitunter von der "Urteil/Berufung"-Lösung oder aber der "Beschluss
/Beschwerde"-Lösung gesprochen ( NIKLAUS SCHMID, Nochmals zum Rechtsmittel
gegen selbstständig gefällte Entscheide nach Art. 365 StPO, in forum poenale 4/
2011, S. 222 ff.).

3.4. Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach
dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der
Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die
Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der
Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und
konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im
normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio
legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus
und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer
hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen (zur Publikation bestimmter
Entscheid 6B_490/2014 vom 27. April 2015 E. 2.4; BGE 140 III 206 E. 3.5.4; 140
IV 1 E. 3.1; je mit Hinweisen).

3.5. Art. 80 ff. StPO enthalten Vorschriften zu Form und Inhalt von
Entscheiden. Sie knüpfen an die allgemein gebräuchliche Begriffsbildung an.
Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 StPO ergehen Entscheide, in denen über Straf- und
Zivilfragen materiell befunden wird, in Form eines Urteils. Die anderen
Entscheide ergehen gemäss Art. 80 Abs. 1 Satz 2 StPO in Beschlussform, wenn sie
von einer Kollektivbehörde (recte wohl Kollegialbehörde), in Verfügungsform,
wenn sie von einer Einzelperson gefällt werden. Nach Art. 81 Abs. 3 lit. a StPO
spricht sich ein Urteil inhaltlich zur tatsächlichen und rechtlichen Würdigung
des der beschuldigten Person zur Last gelegten Verhaltens aus und enthält die
Begründung der Sanktionen und der Nebenfolgen sowie der Kosten- und
Entschädigungsfolgen. Das Urteilsdispositiv gemäss Art. 81 Abs. 4 lit. b StPO
umfasst im Sinne einer Zusammenfassung der zentralen Punkte den Entscheid über
Schuld und Sanktion, Kosten- und Entschädigungsfolgen sowie allfällige
Zivilklagen.

3.6. Nach den Gesetzesmaterialien sollen die nachträglichen richterlichen
Entscheide im Sinne von Art. 363 ff. StPO, ungeachtet ihrer jeweiligen
inhaltlichen Tragweite für den Betroffenen, nicht in Urteilsform ergehen,
sondern als Beschluss bzw. Verfügung, weil kein neues Sachurteil anstehe. Die
Materialien sind unmissverständlich. Sie sprechen deutlich dafür, dass sich der
Gesetzgeber bewusst und in voller Kenntnis der Sachlage für die sogenannte
"Beschluss/Beschwerde"-Lösung entschieden hat. So listen der Begleitbericht des
Bundesamts für Justiz zum Vorentwurf für eine Schweizerische
Strafprozessordnung unter Einschluss des Vorentwurfs 2001 sowie namentlich die
Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts
die Entscheide, die als nachträgliche richterliche Anordnungen zu gelten haben,
im Einzelnen auf und halten ausdrücklich fest, diese Entscheide müssten - weil
kein neues Sachurteil anstehe - in Form eines Beschlusses oder einer Verfügung
ergehen und unterlägen deshalb der Beschwerde (vgl. Begleitbericht zum
Vorentwurf für eine Schweizerische Strafprozessordnung, Bundesamt für Justiz,
Bern 2001, S. 236; Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des
Strafprozessrechts, in BBl 2006 1085 ff., S. 1298 f.).

3.7. Die Lehre folgt überwiegend der in der Botschaft vertretenen "Beschluss/
Beschwerde"-Lösung. Ausgeführt wird namentlich, der StPO liege ein enger
Urteilsbegriff zugrunde. Darunter fielen nur Entscheide, in denen im Sinne
eines umfassenden Sachurteils über Schuld und Unschuld, bei Schuldspruch über
die Sanktion sowie die Nebenfolgen befunden werde. Auch wo selbstständige
nachträgliche Entscheide Sachentscheide beträfen, mit denen eine Frage des
materiellen Strafrechts beurteilt werde, liege deshalb kein (neues) Sachurteil
vor. Es bestehe bereits ein rechtskräftiges Strafurteil, das bloss abgeändert
oder ergänzt werde. Der nachträgliche gerichtliche Entscheid ergehe daher in
Form eines Beschlusses bzw. einer Verfügung. Zulässiges Rechtsmittel sei die
Beschwerde (so NIKLAUS SCHMID, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, Rz. 3 und 4 zu
Art. 365 StPO; SCHWARZENEGGER, a.a.O., Rz. 1 und 3 zu Art. 365 StPO; DANIEL
JOSITSCH, Grundriss des Schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl., Zürich
2013, N. 558 f.; ANDREAS KELLER, in: Kommentar zur Schweizerischen
Strafprozessordnung, Donatsch/Lieber/Hansjakob [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, Rz. 21
zu Art. 393 StPO; RUCKSTUHL/DITTMANN/ARNOLD, Strafprozessrecht, Zürich 2011, S.
352 N. 1141; MARIE-LOUISE STAMM, Rechtsmittel bei selbstständigen
nachträglichen Entscheiden nach Art. 363 ff. StPO, forum poenale 5/2012, S. 30
f.; MICHEL PERRIN, Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011,
N. 10 zu Art. 365 StPO; JEANNERET/KUHN, Précis de procédure Pénale, Bern 2013,
S. 453 f. N. 17120; vgl. auch MOREILLON/PAREIN-REYMOND, CPP, Code de procédure
pénale, 2013, Rz. 7 und 8 zu Art. 365 StPO).

3.8. Das Bundesgericht hat sich unter Hinweis auf die Botschaft und einzelne
Autoren in seiner bisherigen Rechtsprechung dafür ausgesprochen, dass die
Beschwerde zulässiges Rechtsmittel gegen nachträgliche gerichtliche Entscheide
im Sinne von Art. 363 ff. StPO sein soll (Entscheide 6B_293/2012 vom 21.
Februar 2012 E. 2 betreffend Verlängerung einer ambulanten Massnahme, 6B_425/
2013 vom 31. Juli 2013 E. 1.2 betreffend Widerruf einer bedingten Strafe sowie
namentlich 6B_688/2013 vom 28. Oktober 2013 E. 2.1. und 2.2 betreffend
Verlängerung einer stationären Massnahme; vgl. auch Entscheid 6B_538/2013 vom
14. Oktober 2013 E. 5.2, worin es ausdrücklich heisst, nachträgliche
gerichtliche Entscheide im Sinne von Art. 363 ff. StPO seien "par la voie du
recours à l'exclusion de l'appel" anzufechten).

3.9. Die in der Botschaft und von der herrschenden Lehre vertretene Auffassung,
dass Entscheide im Verfahren nach Art. 363 ff. StPO als Beschluss bzw.
Verfügung ergehen und mit Beschwerde anzufechten sind, ist bei einem nicht
unerheblichen Teil des Schrifttums auf Kritik gestossen. Eingewendet wird
namentlich, mit der nachträglichen Modifikation eines rechtskräftigen
Strafurteils auf der Grundlage von Art. 363 ff. StPO werde eine neue
materiellrechtliche Entscheidung über eine Straffrage getroffen, indem die
ursprüngliche Sanktionsfolge ergänzt oder abgeändert werde. Diese Entscheidung
müsse zwingend in Urteilsform gemäss Art. 80 Abs. 1 Satz 1 StPO ergehen. Dass
jedenfalls einschneidende Entscheide im Bereich des Massnahmenrechts nur als
Urteil ausgefällt werden könnten, werde auch an anderer Stelle des Gesetzes
deutlich. So ergehe die Anordnung der Massnahme bei einer schuldunfähigen
Person nach Art. 375 Abs. 2 StPO ausdrücklich in Form eines Urteils; dies
"aufgrund der Tragweite der möglichen Sanktionen" (Botschaft, a.a.O., S. 1305).
Das Gesetz sehe die Urteilsform auch für die nachträgliche Verwahrung im Fall
eines fehlerhaften Urteils im Sinne von Art. 65 Abs. 2 StGB vor, deren
Verfahren sich nach den Regeln über die Wiederaufnahme richte (Art. 65 Abs. 2
StGB i.V.m. 410 StPO). Weshalb bei nachträglichen Entscheiden andere Regeln
gelten sollen, sei nicht einsehbar, zumal es in der Sache um das Gleiche gehe.
Das Rechtsmittel der Beschwerde und die gesetzliche Ausgestaltung des
Beschwerdeverfahrens würden dem inhaltlichen Gewicht dieser Entscheide nicht
gerecht. Daher sei im Verfahren nach Art. 363 ff. StPO die Berufung als
zulässiges Rechtsmittel zuzulassen ( HEER, a.a.O., Rz. 4 ff. zu Art. 365 StPO;
RIEDO/FIOLKA/NIGGLI, Strafprozessrecht sowie Rechtshilfe in Strafsachen, Basel
2011, Rz. 2695 und Rz. 2697 f.; NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des
Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, S. 529 f. N. 1508 und 1509; CHRISTOPHER
GETH, Rechtsmittel gegen selbstständige nachträgliche Entscheidungen des
Gerichts nach Art. 363 ff. StPO, AJP 3/2011, S. 313 ff.; RENATE SCHNELL,
Entscheide nach Art. 365 StPO - berufungsfähig oder nur der Beschwerde
zugänglich, forum poenale 4/2011, S. 111 f.).

3.10. In Anlehnung an die Minderheitsmeinung haben mehrere Kantone explizit die
Berufung als zulässiges Rechtsmittel gegen nachträgliche gerichtliche
Entscheide im Verfahren nach Art. 363 ff. StPO bezeichnet (vgl. dazu PATRICK
GUIDON, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl.,
Basel 2014, Rz. 12 zu Art. 393 StPO mit Hinweisen; so namentlich St. Gallen
[GVP 2011 Nr. 79], Aargau [AGVE 2012 Nr. 82] und Luzern [LGVE 2012 I Nr. 68]).
Andere Kantone erachten dagegen die Beschwerde als das zulässige Rechtsmittel
(beispielsweise Basel-Stadt [BJM 4/2013 S, 209 ff.], Zürich [ZR 110 (2011) Nr.
53], Schwyz [EGV 2012 A 5.5 S. 36]).

3.11. Unter diesen Umständen besteht Anlass, die kontroverse Frage zum
zulässigen Rechtsmittel gegen selbstständige gerichtliche Entscheide im Sinne
von Art. 363 ff. StPO einer näheren Überprüfung zu unterziehen, zumal sich das
Bundesgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung damit nicht vertieft
befasste.

4.

4.1. Die Argumente der Minderheitsmeinung für die "Urteil/Berufung"-Lösung
haben Einiges für sich, namentlich soweit es sich um nachträgliche gerichtliche
Entscheide handelt, die materielle Sachentscheide betreffen, welche mit
weitreichenden Konsequenzen für den Betroffenen verbunden sind. So wird im
Nachverfahren nach Art. 363 ff. StPO im Zusammenhang mit Art. 65 Abs. 1 StGB
überhaupt erstmals der eingriffsintensive Freiheitsentzug einer Massnahme
angeordnet. Eine nachträgliche Anordnung oder Verlängerung einer stationären
Massnahme - etwa im Sinne von Art. 59 Abs. 4 StGB oder Art. 62c Abs. 3 StGB -
ist für den Betroffenen sodann nicht von geringerer Tragweite als die
ursprüngliche Anordnung der Sanktion. Ebenso wenig kann es aus Sicht der
betroffenen Person einen Unterschied machen, ob die nachträgliche Anordnung
einer Verwahrung aufgrund eines fehlerhaften Urteils gemäss Art. 65 Abs. 2 StGB
(dann Urteilsform) oder als Folge der Aussichtslosigkeit oder
Undurchführbarkeit einer Massnahme gemäss Art. 62c Abs. 4 StGB i.V.m. Art. 363
ff. StPO (dann Beschlussform) erfolgt. Vor diesem Hintergrund kann man sich
fragen, ob in diesen Fällen der nachträgliche Entscheid, mit welchem das
ursprüngliche Urteil in Anwendung des materiellen Rechts abgeändert wird,
aufgrund der damit verbundenen Eingriffsintensität nicht als Urteil ergehen
müsste, welches mit Berufung anzufechten wäre (ähnlich nicht publizierter
Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 26. März
2013 E. 2.1/b S. 8).

4.2. Allerdings ist zu beachten, dass im Bereich von Rechtsmitteln das Gebot
der Rechtssicherheit in hohem Masse gilt. Angesichts der inhaltlichen
Bandbreite von möglichen nachträglichen Entscheiden ist mithin unabdingbar,
dass bezüglich des zu ergreifenden Rechtsmittels Klarheit herrscht ( STAMM,
a.a.O., S. 31). Der Gesetzgeber hat sich im Zusammenhang mit den nachträglichen
gerichtlichen Entscheiden gemäss Art. 363 ff. StPO - ungeachtet ihrer
inhaltlichen Tragweite - bewusst und unmissverständlich für die "Beschluss/
Beschwerde"-Lösung entschieden (vorstehend E. 3.6). Ausgangspunkt dieser
Entscheidung bildet ein formaler Urteilsbegriff, wie er schon früher in der
vorherrschenden Prozesslehre der Schweiz vertreten wurde und auch der geltenden
StPO zugrunde liegt, wenn man Art. 80 ff. StPO nicht isoliert, sondern im
strafprozessualen Kontext liest (Art. 80 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 81 Abs. 3
lit. a und Abs. 4 lit. b StPO; siehe vorstehend E. 3.5). Als Urteile gelten
danach nur solche Sachentscheide, in denen umfassend über Schuld oder Unschuld,
bei einem Schuldspruch über die Sanktion und die Nebenfolgen entschieden wird (
SCHMID, a.a.O., forum poenale, S. 223; wohl auch DONATSCH/SCHWARZENEGGER/
WOHLERS, Strafprozessrecht, 2. Aufl. 2014, S. 264; HAUSER/SCHWERI/HARTMANN,
Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2006, § 45 N. 1 ff.; GÉRARD
PIQUEREZ, Traité de procédure pénale suisse, 2. Aufl. 2006, N. 582; SCHMID,
Strafprozessrecht, 4. Aufl. 2004, N. 581). Nachträgliche richterliche
Anordnungen haben nicht diesen umfassenden Inhalt. Sie sind (bloss)
urteilsähnlich ( HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, a.a.O. ). Auch wo nachträgliche
richterliche Entscheide unstreitig Sachentscheide betreffen, mit welchen über
eine materielle Straffrage befunden wird (zum Beispiel im Rahmen der
nachträglichen Anordnung einer stationären Massnahme), ergeht kein neues
umfassendes Sachurteil im Sinne von Art. 80 ff. StPO. Es besteht vielmehr
bereits ein rechtskräftiges Strafurteil, das durch die nachträgliche
richterliche Entscheidung (lediglich) modifiziert wird ( DONATSCH/
SCHWARZENEGGER/WOHLERS, a.a.O., S. 324 f.; STAMM, a.a.O., S. 30 f.).

4.3. Dass der "Beschwerde/Beschluss"-Lösung für nachträgliche richterliche
Entscheide im Sinne von Art. 363 ff. StPO eine bewusste gesetzgeberische
Entscheidung zugrunde liegt, zeigt auch ein Blick in die
Jugendstrafprozessordnung. So hat der Gesetzgeber in Art. 43 lit. a JStPO
ausdrücklich vorgesehen, dass Entscheide, mit welchen Massnahmen im Sinne von
Art. 18 JStG nachträglich abgeändert werden, mit Beschwerde anzufechten sind (
DIETER HEBEISEN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2.
Aufl., Basel 2014, Rz. 3 zu Art. 43 JStPO; HEER, a.a.O., Rz. 9 zu Art. 365
StPO; siehe auch RENATE SCHNELL, Ausgewählte Aspekte zu den Rechtsmitteln im
Anwendungsbereich der JStPO, in: Schweizerische Strafprozessordnung und
Schweizerische Jugendstrafprozessordnung, [Hrsg. Marianne Heer], Bern 2010, S.
247 ff., S. 265).

4.4. Den Bedenken der Minderheitsmeinung, dass die Beschwerde bzw. das
Beschwerdeverfahren der inhaltlichen Tragweite (eines grossen Teils) der
nachträglichen richterlichen Entscheide im Sinne von 363 ff. StPO nicht gerecht
wird ( SCHNELL, a.a.O., S. 211; HEER, a.a.O., Rz. 10 zu Art. 365 StPO; siehe
auch LUZIUS EUGSTER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung,
2. Aufl., Basel 2014, Rz. 14b zu Art. 399 StPO), ist entgegen zu halten, dass
auch die Beschwerde eine umfassende Prüfung der im Streite liegenden
Angelegenheit zulässt. Die Beschwerde ist ein ordentliches, vollkommenes und
devolutives Rechtsmittel, welches die Überprüfung des angefochtenen Entscheids
mit freier Kognition erlaubt. Noven sind zulässig. Verfahrensmässig sind keine
Nachteile auszumachen: Ein zweiter Schriftenwechsel darf durchgeführt werden
(Art. 390 Abs. 3 StPO). Zusätzliche Erhebungen oder Beweisabnahmen können, wenn
nötig, erfolgen (Art. 390 Abs. 4 StPO i.V.m. Art. 364 Abs. 3 StPO) und je nach
Tragweite des Falles kann mündlich verhandelt werden (Art. 390 Abs. 5 StPO
i.V.m. Art. 365 Abs. 1 StPO). Damit erlaubt die Beschwerde, falls notwendig,
ein der Berufung angenähertes Verfahren. Einzig die Beschwerdefrist von 10
Tagen ist gegenüber der Berufungserklärungsfrist von 20 Tagen verkürzt.
Angesichts der Tatsache, dass bei den nachträglichen gerichtlichen Entscheiden
nur ein klar umgrenzter Ausschnitt, d.h. die Sanktionsfolge, eines bereits
vorliegenden früheren Strafurteils neu geregelt wird, scheint die Frist von 10
Tagen zur Beschwerdeerhebung jedoch ausreichend (dazu eingehend STAMM, a.a.O.,
S. 30).

4.5. Die Meinung, die vornehmlich mit Verfahrensfragen befasste
Beschwerdeinstanz könnte nicht ausreichend in der Lage sein, die sich in den
Nachverfahren stellenden materiellrechtlichen Fragen zu beurteilen, entbehrt
der Grundlage. Im Übrigen steht es den Kantonen frei, die Befugnisse der
Beschwerdeinstanz dem Berufungsgericht zu überweisen (Art. 20 Abs. 2 StPO).
Damit entfiele auch die (vermeintliche) Problematik, dass zwei unterschiedliche
Rechtsmittelinstanzen über identische Sachfragen zu entscheiden haben. Hinzu
kommt das Fol-gende: Für nachträgliche Entscheide ist gemäss Art. 363 Abs. 1
StPO grundsätzlich das Gericht zuständig, welches das erstinstanzliche
Sachurteil gefällt hat. Diese Regelung ist indes nicht zwingend. Das Gesetz
lässt vielmehr eine abweichende Regelung zu. Die Kantone können folglich andere
erstinstanzliche Instanzen für zuständig erklären und beispielsweise betreffend
die Nachverfahren nach Art. 363 ff. StPO separate Sanktionengerichte einrichten
( SCHWARZENEGGER, a.a.O., Rz. 5 zu Art. 363 StPO; vgl. die Regelung in den
Kantonen Genf und Waadt). Der Umstand, dass bereits das Gericht, welches das
erstinstanzliche Sachurteil gefällt hat, nicht zwingend zuständig zu sein
braucht, kann letztlich nur heissen, dass es auch nicht notwendigerweise das
Berufungsgericht sein muss, welches in den Nachverfahren zweitinstanzlich
entscheidet.

4.6. Ein weiterer Einwand der Minderheitsmeinung betrifft die angebliche
Inkonsistenz in Bezug auf die nachträglichen Entscheide im
Strafbefehlsverfahren ( GETH, a.a.O., S. 30). Fallen nachträgliche Entscheide
im Nachgang zu einem Strafbefehl an, ist die Staatsanwaltschaft zuständig (Art.
363 Abs. 2 StPO). Der nachträgliche Entscheid ergeht in der Form eines
Strafbefehls, gegen welchen Einsprache erhoben werden kann (Art. 354 StPO;
Botschaft, a.a.O., S. 1298 f.; siehe auch SCHWARZENEGGER, a.a.O., Rz. 6 zu Art.
363 StPO). Das Einspracheverfahren folgt anschliessend den Regeln von Art. 355
und 356 StPO. Diese Bestimmungen nehmen nicht vorweg, in welcher Form der
Entscheid des erstinstanzlichen Gerichts ergeht. Da im Nachverfahren kein
umfassendes neues Strafurteil ergeht, sondern (lediglich) die Sanktionsfolge im
Sinne eines blossen Teilaspekts angepasst, ergänzt oder geändert wird, hat der
nachträgliche richterliche Entscheid nach den allgemeinen Regeln als Beschluss
bzw. Verfügung zu ergehen, welcher mit Beschwerde angefochten werden kann (vgl.
STAMM, a.a.O., S. 31; SCHMID, a.a.O., Praxiskommentar, Rz. 4 zu Art. 363 StPO).

4.7. Unter all diesen Umständen hält das Bundesgericht namentlich mit Rücksicht
auf den klaren gesetzgeberischen Willen in Übereinstimmung mit der
überwiegenden Lehre an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass die
Beschwerde das zulässige Rechtsmittel gegen selbstständige nachträgliche
Entscheide im Sinne von Art. 363 ff. StPO ist. Es läge am Gesetzgeber - wenn er
es für notwendig ansieht - Abhilfe zu schaffen.
Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass die Vorinstanz zu Recht ein
Beschwerdeverfahren eingeleitet hat. Die Beschwerde in Strafsachen erweist sich
in diesem Punkt als unbegründet.

5.

5.1. Zu behandeln bleibt die Rüge des Beschwerdeführers, die Vorinstanz habe
seinen Anspruch auf rechtliches Gehör, die Verfahrensfairness sowie das Prinzip
der Waffengleichheit verletzt, indem sie den Beginn der 10-tägigen Frist für
die Einreichung der Beschwerde auf den Zeitpunkt der mündlichen
Entscheideröffnung vom 25. Juni 2014 festgelegt und seine Beschwerdeergänzung
vom 14. Juli 2014 zur schriftlichen Entscheidbegründung aus dem Recht gewiesen
habe. Er habe seine Beschwerde folglich nicht gestützt auf die ausführliche
schriftliche Begründung des Entscheids abfassen können. Der
Generalstaatsanwaltschaft habe die Vorinstanz demgegenüber nach Zustellung der
schriftlichen Entscheidbegründung eine Frist von 20 Tagen zur Stellungnahme
eingeräumt.

5.2. Nach Art. 29 Abs. 1 und 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK haben die Parteien
Anspruch auf rechtliches Gehör und ein faires Gerichtsverfahren. Der Anspruch
auf rechtliches Gehör umfasst als Mitwirkungsrecht alle Befugnisse, die einer
Partei einzuräumen sind, damit sie in einem Verfahren zu allen wesentlichen
Punkten und Entscheidgrundlagen Stellung nehmen und ihren Standpunkt wirksam
zur Geltung bringen kann (BGE 140 I 99 E. 3.4; 135 I 187 E. 2.2; 132 II 485 E.
3.2). Alle Verfahrensbeteiligten sollen sich dabei nach Möglichkeit mit
gleicher Wirksamkeit am Verfahren beteiligen können (BGE 139 I 121 E. 4.2.1;
137 IV 172 E. 2.6; vgl. auch BGE 131 II 169 E. 2.2.3). Die Waffengleichheit ist
als formales Prinzip schon dann verletzt, wenn eine Partei bevorteilt wird; es
ist nicht notwendig, dass die Gegenpartei dadurch tatsächlich einen Nachteil
erleidet (BGE 137 V 210 E. 2.1.2).

5.3. Die nachträglichen richterlichen Anordnungen nach Art. 363 ff. StPO
ergehen als Beschluss bzw. als Verfügung. Zulässiges Rechtsmittel ist die
Beschwerde (Art. 393 Abs. 1 lit. b StPO). Gemäss Art. 365 Abs. 2 Satz 1 StPO
erlässt das Gericht seinen Entscheid schriftlich und begründet diesen kurz.
Eine schriftliche Begründung erfolgt auch, wenn ein Entscheid nach Art. 365
Abs. 2 Satz 2 StPO mündlich eröffnet wird. Bei mündlicher Eröffnung ist nicht
zwingend ein Dispositiv auszuhändigen. Für die Rechtsmittelfrist von zehn Tagen
gemäss Art. 396 Abs. 1 StPO ist nach Art. 384 lit. b StPO die Zustellung des
begründeten Entscheids massgebend (vgl. SCHMID, a.a.O., Praxiskommentar, Rz. 3
zu Art. 365 StPO; DERSELBE, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2.
Aufl. 2013, Fn. 119, S. 628; SCHWARZENEGGER, a.a.O., Rz. 3 zu Art. 365 StPO;
siehe auch HEER, a.a.O., Rz. 7 zu Art. 365 StPO).

5.4. Die Vorinstanz geht davon aus, dass die 10-tägige Rechtsmittelfrist im
Beschwerdeverfahren mit der Aushändigung des "Urteilsdispositivs" zu laufen
beginnt. Sie beruft sich auf Art. 396 Abs. 1 i.V.m. Art. 384 lit. a und Art. 80
Abs. 1 StPO. Eine Beschwerdeergänzung nach Ablauf dieser Frist sehe die StPO
nicht vor (Entscheid, S. 3).

5.4.1. Mit ihrer Argumentation vermengt die Vorinstanz Elemente des Berufungs-
mit solchen des Beschwerdeverfahrens. Sie verkennt, dass Art. 384 lit. a StPO
nur zur Anwendung kommt, wenn Entscheide als Urteile ergehen. Diesfalls beginnt
die Frist nach der genannten Gesetzesbestimmung mit der Aushändigung oder der
Zustellung des schriftlichen Dispositivs. Bei andern Entscheiden ist
demgegenüber Art. 384 lit. b StPO massgebend. Die Frist beginnt danach mit der
Zustellung des Entscheids zu laufen. Eine Aushändigung des Dispositivs reicht
hierfür nicht aus. Überdies müssen zugestellte Entscheide auch begründet sein (
FRANZ RIKLIN, StPO Kommentar, 2. Aufl. 2014, Rz. 3 und 4 zu Art. 384 StPO,
VIKTOR LIEBER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/
Lieber/Hansjakob [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, Rz. 1 und 3 zu Art. 384 StPO).

5.5. Der erstinstanzliche Entscheid betreffend die Verlängerung der Massnahme
ist ein nachträglicher gerichtlicher Entscheid im Sinne von Art. 363 ff. StPO.
Er hatte als Beschluss zu ergehen. Die Vorinstanz leitete zutreffend ein
Beschwerdeverfahren ein. Folgerichtig hätte sie davon ausgehen müssen, dass die
Rechtsmittelfrist im Beschwerdeverfahren - auch bei mündlicher Eröffnung - mit
der Zustellung des schriftlich begründeten Entscheids zu laufen beginnt. Das
tat sie fälschlicherweise nicht. Mit ihrem Vorgehen hat sie nicht nur die
massgebenden Bestimmungen der StPO zur Fristenregelung unrichtig angewandt,
sondern auch gegen die als verletzt gerügten Verfassungsbestimmungen
verstossen, indem sie die fristgerechte Beschwerdeergänzung des
Beschwerdeführers vom 14. Juli 2014 zum schriftlich begründeten Entscheid vom
25. Juni 2014 aus dem Recht wies. Jenem blieb es dadurch - im Unterschied zur
Generalstaatsanwaltschaft, welche zum schriftlich begründeten Entscheid
Stellung nehmen konnte - verwehrt, sich zu den Erwägungen im schriftlich
begründeten Entscheid zu äussern. Der vorinstanzliche Entscheid ist deshalb
aufzuheben und die Vorinstanz hat über die Verlängerung der Massnahme im Sinne
von Art. 59 Abs. 4 StGB unter Berücksichtigung der zu Unrecht aus dem Recht
gewiesenen Beschwerdeergänzung vom 14. Juli 2014 neu zu befinden. Die
Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als begründet.

6. 
Die Beschwerde ist gutzuheissen und die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Bei dieser Ausgangslage erübrigt sich eine
Behandlung der materiellen Vorbringen des Beschwerdeführers. Darauf ist nicht
einzutreten.
Der Kanton Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG). Die Entschädigung ist praxisgemäss seinem
Rechtsvertreter auszurichten. Insofern wird das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege gegenstandslos (BGE 139 III 396 E. 4.1). Es sind keine Kosten zu
erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird, der Entscheid
des Obergerichts des Kantons Bern vom 30. September 2014 aufgehoben und die
Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 
Es werden keine Kosten erhoben.

3. 
Der Kanton Bern hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das
bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Strafabteilung, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. September 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben