Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.979/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_979/2014

Urteil vom 12. Februar 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Herrmann, Schöbi,
Gerichtsschreiberin Friedli-Bruggmann.

Verfahrensbeteiligte
1. A.A.________,
2. B.A.________,
beide vertreten durch Advokat Peter Jossen,
Beschwerdeführer,

gegen

1. C.________,
2. D.D.________ und E.D.________,
3. F.________,
4. G.________,
alle vier vertreten durch Advokat Stefan Escher,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Wegrecht,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Wallis, I. Zivilrechtliche
Abteilung, vom 30. September 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.A.________ und B.A.________ (Beschwerdeführer) sind Eigentümer des
Grundstücks Nr. uuu auf dem Gebiet der Gemeinde U.________. Die daselbst
gelegenen Grundstücke Nrn. vvv, www, xxx, yyy und zzz stehen im Eigentum von
C.________, D.D.________ und E.D.________, F.________ und G.________
(Beschwerdegegner). Die Parteien streiten um Bestand, Inhalt und Umfang eines
Wegrechts. Die Beschwerdegegner klagten am 10. Juni 2010 auf Einräumung einer
näher umschriebenen Erschliessungsdienstbarkeit. Die Beschwerdeführer
beantragten die Abweisung der Klage, soweit darauf eingetreten werden könne. In
Gutheissung der Klage räumte das Bezirksgericht Brig zu Gunsten der Grundstücke
der Beschwerdegegner und zu Lasten des Grundstücks der Beschwerdeführer ein
Durchgangs- und Durchfahrtsrecht in der Breite gemäss beiliegendem Plan ein
(Ziff. 1). Es wies das Grundbuchamt in Brig gerichtlich an, unter Vorlage des
rechtskräftigen Urteils, die Dienstbarkeit (auf dem Plan grün eingezeichnet)
gemäss Ziff. 1 im Grundbuch einzutragen (Ziff. 2). Alle anderslautenden und
weitergehenden Begehren wurden abgewiesen (Ziff. 3), die Gerichtskosten in der
Höhe von Fr. 4'250.-- den Beschwerdeführern auferlegt (Ziff. 4) und die
Beschwerdeführer verpflichtet, den Beschwerdegegnern eine Parteientschädigung
von Fr. 6'550.-- und Fr. 1'000.-- für geleistete Kostenvorschüsse in
solidarischer Haftbarkeit zu bezahlen (Ziff. 5 des Urteils vom 28. März 2013).

B. 
Die Beschwerdeführer reichten gegen das bezirksgerichtliche Urteil am 8. Mai
2013 Berufung ein und beantragten, das angefochtene Urteil sei unter
Kostenfolgen aufzunehmen (recte: aufzuheben) und es sei eine angemessene
Parteientschädigung zu bezahlen. In ihrer Berufungsantwort vom 12. Juli 2013
schlossen die Beschwerdegegner, das mit Berufung angefochtene Urteil sei zu
bestätigen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen. Die Berufungsantwort wurde
den Beschwerdeführern am 22. Juli 2013 zugestellt und den Parteien am 13.
August 2014 die Besetzung der Berufungsinstanz mitgeteilt. Das Kantonsgericht
Wallis trat auf die Berufung nicht ein (Ziff. 1), auferlegte den
Beschwerdeführern die Kosten des Berufungsverfahrens von Fr. 1'400.-- (Ziff. 2)
und verpflichtete die Beschwerdeführer, den Beschwerdegegnern unter
solidarischer Haftbarkeit eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 2'000.--
zu bezahlen (Ziff. 3 des Urteils vom 30. September 2014).

C. 
Mit Eingabe vom 9. Dezember 2014 stellen die Beschwerdeführer dem Bundesgericht
das Primärbegehren, das kantonsgerichtliche Urteil aufzuheben und gerichtlich
festzustellen, dass auf ihrer Parzelle Nr. uuu keine Dienstbarkeit bestehe,
sowie das Sekundärbegehren, das kantonsgerichtliche Urteil aufzuheben und den
Prozess im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen, unter Kosten-
und Entschädigungsfolgen in allen Instanzen. Es sind die kantonalen Akten,
hingegen keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Erwägungen:

1. 
Das Kantonsgericht ist auf die Berufung nicht eingetreten, weil die
Beschwerdeführer mit ihrem blossen Aufhebungsantrag kein formell zulässiges
Berufungsbegehren gestellt hätten (E. 2 S. 6 f.) und weil ihre Berufungsschrift
den formellen Anforderungen an die Begründung nicht genüge (E. 3 S. 7 ff. des
angefochtenen Urteils). Das Kantonsgericht hat damit kein Sachurteil, sondern
einen Nichteintretensentscheid gefällt. Einzig zulässig vor Bundesgericht sind
deshalb Anträge auf Aufhebung des Nichteintretensentscheides und Rückweisung
der Angelegenheit an die Vorinstanz zur Beurteilung in der Sache, wie sie die
Beschwerdeführer als Sekundärbegehren stellen. Auf die Primärbegehren in der
Sache und auf deren Begründung (ab S. 14 ff. der Beschwerdeschrift) kann
deshalb nicht eingetreten werden (BGE 140 III 234 E. 3.2.3 S. 239; 138 III 46
E. 1.2 S. 48). Mit diesem Vorbehalt erweist sich die Beschwerde gemäss Art. 72
ff. BGG grundsätzlich als zulässig.

2. 
Die Beschwerdeführer machen geltend, sie hätten ihre Berufung lediglich
"fristwahrend" eingereicht und mit den Beschwerdegegnern über eine
einvernehmliche Lösung - wie bereits während des erstinstanzlichen Verfahrens -
weiterverhandelt. Sie wenden ein, es verletze ihren Anspruch auf rechtliches
Gehör und das Verbot des überspitzten Formalismus, dass das Kantonsgericht
ihnen nicht die Gelegenheit eingeräumt habe, ihre Berufungsschrift zu ergänzen
(S. 13 Bst. B der Beschwerdeschrift).

2.1. Die Berufung ist gemäss Art. 311 Abs. 1 ZPO schriftlich und begründet
einzureichen und hat ein Rechtsbegehren zu enthalten (BGE 137 III 617 E. 4.2.2
S. 618 f.). Die Beschwerdeführer erheben keinerlei Einwände gegen die
Beurteilung des Kantonsgerichts, dass ihre Berufungsschrift weder einen formell
zulässigen Antrag noch eine formell genügende Begründung enthält. Sie machen
vielmehr einzig geltend, es hätte ihnen die Möglichkeit zur Ergänzung ihrer
bloss fristwahrenden Berufung eingeräumt werden müssen. Dabei rügen sie keine
unrichtige Anwendung von Bestimmungen der hier anwendbaren Schweizerischen
Zivilprozessordnung (SR 272), sondern die Verletzung verfassungsmässiger Rechte
(Art. 29 Abs. 1 und 2 BV).

2.2. Gemäss Art. 132 Abs. 1 ZPO sind Mängel wie fehlende Unterschrift und
fehlende Vollmacht innert gerichtlicher Nachfrist zu verbessern, andernfalls
die Eingabe als nicht erfolgt gilt. Die Ansetzung einer Nachfrist setzt voraus,
dass der Mangel bzw. Fehler verbesserlich ist, was nicht der Fall ist, wenn es
sich um eine freiwillige - d.h. nicht versehentliche - Unterlassung handelt
(Urteile 5A_461/2012 vom 1. Februar 2013 E. 4.1 und 4D_2/2013 vom 1. Mai 2013
E. 3.1, in: SZZP 2013 S. 295 f.). Auf die Nachfrist zur Verbesserung könnten
sich deshalb auch die Beschwerdeführer nicht berufen, die lediglich
fristwahrend und unter Missachtung der formellen Voraussetzungen eine Berufung
eingereicht haben. Die Frage kann indessen dahingestellt bleiben. Denn die
Rechtsprechung legt Art. 132 Abs. 1 ZPO gleich wie Art. 42 Abs. 5 BGG aus, so
dass im Rechtsmittelverfahren eine Nachfrist zur Ergänzung von Rechtsschriften,
die den formellen Anforderungen, wie sie sich aus Gesetz und Rechtsprechung
ergeben, nicht genügen, nicht gewährt werden kann (BGE 137 III 617 E. 6.4 S.
622; Urteile 5A_82/2013 vom 18. März 2013 E. 3.3.3 und 4A_463/2014 vom 23.
Januar 2015 E. 1).

2.3. Eine Nachfristansetzung zur Ergänzung der Rechtsmittelbegründung ist auch
nicht nach allgemeinen Grundsätzen geboten. Wie das Bundesgericht immer wieder
betont, stellt nicht jede prozessuale Formstrenge einen überspitzten
Formalismus dar, sondern nur jene, die durch kein schutzwürdiges Interesse mehr
gerechtfertigt ist und zum blossen Selbstzweck wird. Prozessuale Formen sind
unerlässlich, um die ordnungsgemässe Abwicklung des Verfahrens sowie die
Durchsetzung des materiellen Rechts zu gewährleisten. Eingaben an Behörden, vor
allem Rechtsmittelschriften, haben daher im allgemeinen bestimmten formellen
Anforderungen zu genügen: Es soll aus ihnen hervorgehen, dass und weshalb der
Rechtsuchende einen Entscheid anficht und inwieweit dieser geändert oder
aufgehoben werden soll. Wird daher die Gültigkeit eines Rechtsmittels kraft
ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung davon abhängig gemacht, dass es eine
minimale Begründung enthält, so liegt darin weder eine Verweigerung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör noch kann darin ein überspitzter Formalismus
gesehen werden (BGE 134 II 244 E. 2.4.2 S. 247 f.; Urteil 5D_65/2014 vom 9.
September 2014 E. 5.3).

2.4. Es bleibt deshalb bei Art. 311 Abs. 1 ZPO, wonach die Berufung bei der
Rechtsmittelinstanz innert 30 Tagen seit Zustellung des begründeten Entscheides
bzw. seit der nachträglichen Zustellung der Entscheidbegründung schriftlich und
begründet einzureichen ist. Eine "fristwahrende" Berufung, die erst nach Ablauf
der Berufungsfrist vollständig begründet wird, ist nicht vorgesehen. Vielmehr
ist auch die bloss "fristwahrend" und insoweit vorsorglich eingelegte Berufung
ohne weiteres eine ordentliche Berufung. Sie ist innert der gesetzlichen
Berufungsfrist zu begründen und kann die Berufungsfrist nicht unterlaufen oder
verlängern, die auch gerichtlich nicht erstreckt werden kann (Art. 144 Abs. 1
ZPO; zit. Urteil 5A_82/2013 vom 18. März 2013 E. 3.3.1). Unter Herrschaft des
bisherigen kantonalen Prozessrechts war die Rechtslage nicht anders (z.B.
Michel Ducrot, Le droit judiciaire privé valaisan, 2000, S. 488; Barbara Merz,
Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2007, N. 5 zu § 225
ZPO/TG).

2.5. Die Rüge der Beschwerdeführer, sie hätten einen Anspruch auf Ergänzung
ihrer Berufungsschrift nach Ablauf der Berufungsfrist, erweist sich aus den
dargelegten Gründen als unbegründet.

3. 
Weitere Verfassungsverletzungen erblicken die Beschwerdeführer darin, dass
ihnen keine Möglichkeit eingeräumt worden sei, zur Berufungsantwort der
Beschwerdegegner Stellung zu nehmen.

3.1. Gestützt auf die Akten hat das Bundesgericht in Bst. B zum
Berufungsverfahren von Amtes wegen ergänzt (Art. 105 Abs. 2 BGG), dass das
Kantonsgericht dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführer die Berufungsantwort
der Beschwerdegegner am 22. Juli 2013 zugestellt hat (act. 416 mit Stempel und
Visum). Das angefochtene Urteil wurde alsdann mehr als ein Jahr später gefällt.

3.2. Das Kantonsgericht ist damit dem verfassungsrechtlich Gebotenen
nachgekommen. Aufgabe des Gerichts ist es, in jedem Einzelfall ein effektives
Replikrecht der Parteien zu gewährleisten. Hierzu kann das Gericht einen
zweiten Schriftenwechsel anordnen oder den Parteien Frist für eine allfällige
Stellungnahme ansetzen. Es kann Eingaben aber auch lediglich zu Kenntnisnahme
zustellen, wenn von den Parteien erwartet werden kann, dass sie umgehend
unaufgefordert Stellung nehmen oder eine Stellungnahme beantragen (BGE 138 I
484 E. 2.4 S. 487). Letztere Voraussetzung war hier erfüllt, belegen doch die
Beschwerdeführer, dass in der Berufungsantwort der Beschwerdegegner das
Scheitern der Verhandlungen über eine einvernehmliche Lösung des Rechtsstreits
dokumentiert worden sei (S. 11 Bst. E Ziff. 6 der Beschwerdeschrift). Die
Beschwerdeführer hätten damit genügend Anlass, ausreichend Zeit und auch die
Gelegenheit gehabt, zur Berufungsantwort unaufgefordert Stellung zu nehmen oder
eine Stellungnahme zu beantragen.

3.3. Soweit sie die Möglichkeit, zur Berufungsantwort der Beschwerdegegner
Stellung zu nehmen, betrifft, erweist sich die Beschwerde aus den dargelegten
Gründen als unbegründet.

4. 
Insgesamt muss die Beschwerde abgewiesen werden, soweit darauf einzutreten ist.
Die Beschwerdeführer werden damit kostenpflichtig, nicht hingegen
entschädigungspflichtig, zumal keine Vernehmlassungen eingeholt wurden (Art. 66
Abs. 1 und 5 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführern unter
solidarischer Haftbarkeit auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Wallis, I.
Zivilrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. Februar 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Die Gerichtsschreiberin: Friedli-Bruggmann

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