Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.939/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_939/2014

Urteil vom 12. August 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Schöbi, Bovey,
Gerichtsschreiberin Friedli-Bruggmann.

Verfahrensbeteiligte
A.A.________,
vertreten durch Advokat Dr. Rolf Jucker,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.A.________,
vertreten durch Advokatin Ama Mülthaler,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Ehescheidung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 1. Kammer, vom 2. September 2014.

Sachverhalt:

A. 
Die am 1. Juli 1988 geschlossene Ehe zwischen A.A.________ (Beschwerdeführerin)
und B.A.________ (Beschwerdegegner) wurde mit Urteil des Gerichtspräsidiums
Laufenburg vom 28. Februar 2014 geschieden. Das Gerichtspräsidium genehmigte
dabei eine Teilvereinbarung der Parteien vom 5. Dezember 2013 über die
Scheidungsfolgen (betreffend Teilung der Pensionskassenguthaben, Übernahme der
gemeinsamen Liegenschaft durch die Ehefrau zu Alleineigentum, güterrechtliche
Auseinandersetzung). Soweit nachfolgend noch strittig, verpflichtete das
Gerichtspräsidium sodann den Beschwerdegegner folgende monatliche
Unterhaltsbeiträge an die Beschwerdeführerin zu leisten: Fr. 4'590.-- ab
Rechtskraft des Scheidungsurteils bis zum 31. Januar 2015; Fr. 3'880.-- ab 1.
Februar 2015 bis zum 31. Dezember 2028. Die Parteien haben zwei volljährige
Kinder.

B.

B.a. Der Beschwerdegegner erhob am 2. April 2014 Berufung beim Obergericht des
Kantons Aargau und verlangte, es sei festzustellen, dass er der
Beschwerdeführerin keinen nachehelichen Unterhalt zu zahlen habe. Eventualiter
sei er zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von Fr. 1'213.-- bis zum 31. Januar
2015 zu verpflichten. Subeventualiter seien die Unterhaltsbeiträge auf Fr.
1'213.-- bis zum 31. Januar 2015 und Fr. 1'000.-- ab dem 1. Februar 2015 bis
zum 1. Januar 2018, eventualiter bis zum 1. Januar 2020, festzusetzen.

B.b. Die Beschwerdeführerin beantragte mit Berufungsantwort vom 23. Mai 2014
die Abweisung der Berufung. Der Beschwerdegegner ergänzte am 26. Mai 2014 seine
Berufungsanträge in einem nachfolgend nicht (mehr) strittigen Punkt. Am 13.
August 2014 reichte die Beschwerdeführerin eine Bestätigung ihrer Arbeitgeberin
nach.

B.c. Das Obergericht hiess die Berufung mit Urteil vom 2. September 2014
teilweise gut und verpflichtete den Beschwerdegegner, der Beschwerdeführerin
monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 4'411.-- ab Rechtskraft des
Scheidungsurteils bis zum 31. Januar 2015 und von Fr. 419.-- ab 1. Februar 2015
bis zum 31. Dezember 2018 zu bezahlen.

C.

C.a. Die Beschwerdeführerin gelangt mit Beschwerde in Zivilsachen vom 27.
November 2014 an das Bundesgericht. Sie verlangt die Aufhebung des
obergerichtlichen Urteils. Ihr sei ein indexierter Unterhaltsbeitrag von Fr.
4'411.-- ab Rechtskraft des Scheidungsurteils bis zum 31. Januar 2015 und von
Fr. 3'880.-- ab 1. Februar 2015 bis zum 31. Dezember 2028 zuzusprechen.
Eventualiter sei die Sache zur Bestimmung des der Beschwerdeführerin möglichen
und effektiv zu erzielenden Einkommens an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sodann
ersucht sie - für den Fall einer Gutheissung der Beschwerde - um Neuregelung
der vorinstanzlichen Kosten, eventualiter ebenfalls um Rückweisung.

C.b. Der Beschwerdegegner beantragt mit Beschwerdeantwort vom 11. Mai 2015 die
Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Urteil des
Obergerichts sei zu bestätigen. Das Obergericht selbst verzichtete ausdrücklich
auf eine Vernehmlassung.

C.c. Die Beschwerdeantwort wurde der Beschwerdeführerin zur Wahrung ihres
rechtlichen Gehörs zugestellt. Sie verzichtete auf eine weitere Stellungnahme.

Erwägungen:

1.

1.1. Angefochten sind die Fr. 30'000.-- übersteigenden vermögensrechtlichen
Folgen eines kantonal letztinstanzlichen Ehescheidungsurteils (Art. 72 Abs. 1,
Art. 74 Abs. 1 lit. b, Art. 75 Abs. 1, Art. 90 BGG). In der Sache ist strittig,
in welcher Höhe und für welche Dauer der Beschwerdegegner nachehelichen
Unterhalt an die Beschwerdeführerin zu leisten hat. Die Beschwerdeführerin ist
gemäss Art. 76 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Die Beschwerdefrist (Art.
100 Abs. 1 i.V.m. Art. 46 BGG) ist ebenfalls eingehalten, womit die Beschwerde
in Zivilsachen grundsätzlich zulässig ist.

1.2. In rechtlicher Hinsicht sind bei der Beschwerde in Zivilsachen alle Rügen
gemäss Art. 95 f. BGG zulässig und das Bundesgericht wendet in diesem Bereich
das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an
die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der
Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem
angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 133 II 249
E. 1.4.1 S. 254; 132 II 257 E. 2.5 S. 262). Allerdings ist in der
Beschwerdeschrift in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt
Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Dabei ist
das Bundesgericht grundsätzlich an den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesbezüglich kann einzig
vorgebracht werden, dieser sei offensichtlich unrichtig festgestellt worden
(Art. 97 Abs. 1 BGG) oder er beruhe auf einer anderen Rechtsverletzung im Sinne
von Art. 95 BGG. Hierfür gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE
133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f.; 134 II 244 E. 2.2 S. 246). Strenge Anforderungen
gelten auch für Verfassungsrügen einschliesslich der willkürlichen Anwendung
von kantonalem Recht und Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung. Das
Bundesgericht prüft nur klar und detailliert erhobene und soweit möglich
belegte Rügen, während es auf ungenügend begründete Rügen und rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht eintritt (BGE 134 II
244 E. 2.2 S. 246).

 Willkür (Art. 9 BV) in der Beweiswürdigung liegt vor, wenn das Gericht Sinn
und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne
sachlichen Grund ein wichtiges Beweismittel, das für den Entscheid wesentlich
sein könnte, unberücksichtigt gelassen hat oder wenn es auf Grundlage der
festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen getroffen hat.
Vorausgesetzt ist dabei, dass die angefochtene Tatsachenermittlung den
Entscheid im Ergebnis und nicht bloss in der Begründung als willkürlich
erscheinen lässt (vgl. BGE 137 III 226 E. 4.2 S. 234; 136 III 552 E. 4.2 S.
560).

1.3. Soweit die Festsetzung von Unterhalt in Frage steht, ist zu beachten, dass
der Sachrichter in verschiedener Hinsicht auf sein Ermessen verwiesen ist (Art.
4 ZGB; BGE 127 III 136 E. 3a S. 141). Bei der Überprüfung solcher Entscheide
übt das Bundesgericht eine gewisse Zurückhaltung. Es greift nur ein, wenn die
kantonale Instanz von dem ihr zustehenden Ermessen falschen Gebrauch gemacht
hat (BGE 128 III 161 E. 2c/aa S. 162; 128 III 121 E. 3d/aa S. 124; je mit
Hinweis).

2. 
Die Vorinstanz ging bei der Berechnung der Unterhaltsbeiträge auf Seite 26 f.
des Urteils bis und mit 31. Januar 2015 vom tatsächlichen Einkommen der
Beschwerdeführerin aus (Nettolohn von monatlich Fr. 3'817.30 für eine bis 31.
Januar 2015 befristete Anstellung bei der C.________ GmbH mit einem Pensum von
50 %). Ab dem 1. Februar 2015 rechnete ihr die Vorinstanz ein hypothetisches
Einkommen für eine Vollzeitstelle zu einem Lohn von monatlich Fr. 7'430.-- an.
Die erste Instanz war bei der Beschwerdeführerin von einem hypothetischen
Einkommen von Fr. 4'260.-- ausgegangen.

3. 
Die Beschwerdeführerin wehrt sich in verschiedener Hinsicht (nachfolgend E. 3.
und E. 4) gegen die Einsetzung eines hypothetischen Einkommens von mehr als Fr.
4'260.--.

3.1. Vorab wendet sie sich gegen die vorinstanzliche Annahme, sie sei voll
arbeitsfähig. Sie bringt vor, sie leide seit Jahren an gesundheitlichen
Beeinträchtigungen. Sie sei nur zu etwa 60 % arbeitsfähig. Auch bestreite sie
den Schluss der Vorinstanz, dass mit Abschluss des Scheidungsverfahrens ihre
Belastung wegfalle und sich ihr psychischer Zustand stabilisiere. Das
erstinstanzliche Gericht habe das Zeugnis von Dr. D.________ vom 5. Juli 2013
als tauglichen Beweis anerkannt und damit eine Arbeitsfähigkeit von 60-80 %
angenommen. Ergänzend verweist sie zum Beweis auf "Arztzeugnisse vom 24.7.,
25.7., 25.7. und 20.6.2012, 5.7.2013, 3.5.2014 (sic); Beilagen 15-20". Die
Vorinstanz habe willkürlich gehandelt und es verletze Bundesrecht (Art. 125
Abs. 1 ZGB), wenn ihre gesundheitlichen Beschwerden nicht berücksichtigt
würden.

3.2. Soweit sie die vorinstanzliche Beweiswürdigung rügt, müsste die
Beschwerdeführerin Willkür dartun (E. 1.2). Der Beschwerde lässt sich indes
keine Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Erwägungen entnehmen, welche
den Anforderungen an eine Willkürrüge genügt. Namentlich hielt der angefochtene
Entscheid zum Arztzeugnis vom 5. Juli 2013 fest, die Beweiseingabe sei erst am
8. November 2013 und damit verspätet erfolgt, d.h. nach Abschluss des
Behauptungsverfahrens gemäss Art. 229 Abs. 1 ZPO. Deshalb könne auf eine
Würdigung dieses Beweismittels verzichtet werden. Die Beschwerdeführerin
äussert sich hierzu nicht. Weiter kritisiert sie die Annahme der Vorinstanz,
ihr psychischer Gesundheitszustand dürfte sich mit Abschluss der Scheidung
bessern, beschreibt aber weder, weshalb dies ausgeschlossen, noch inwiefern
ihre Arbeitsfähigkeit überha upt aus psychischen Gründen eingeschränkt sei. Sie
legt vor Bundesgericht auch keine anderen Gründe für eine allfällige
Arbeitsunfähigkeit dar. Eine blosse Auflistung von Arztzeugnissen, wie dies die
Beschwerdeführerin tut, reicht nicht aus. Die Beschwerdeführerin kommt damit
ihrer Rügepflicht nicht nach.

4. 
Die Beschwerdeführerin ist sodann der Ansicht, die Aufnahme einer
vollzeitlichen Erwerbstätigkeit sei ihr nicht zumutbar (E. 4.2) und eine
Anstellung mit dem von der Vorinstanz angenommenen Lohn zu finden, überhaupt
nicht möglich (E. 4.3).

4.1. Von einem hypothetischen Einkommen kann ausgegangen werden, falls und
soweit der Pflichtige bei gutem Willen bzw. bei ihm zuzumutender Anstrengung
mehr zu verdienen vermöchte, als er effektiv verdient. Wo die reale Möglichkeit
einer Einkommenssteigerung fehlt, muss eine solche jedoch ausser Betracht
bleiben. Zu den Beurteilungskriterien gehören insbesondere die berufliche
Qualifikation, das Alter und der Gesundheitszustand des betreffenden Ehegatten
sowie die Lage auf dem Arbeitsmarkt (BGE 137 III 102 E. 4.2.2.2 S. 108; Urteil
5A_668/2014, 5A_670/2014 vom 11. Mai 2015 E. 3.2.1). Unterlässt es ein Ehegatte
aus bösem Willen oder aus Nachlässigkeit oder verzichtet er freiwillig darauf,
ein für den Familienunterhalt ausreichendes Einkommen zu erzielen, kann auf das
Einkommen abgestellt werden, das er bei gutem Willen verdienen könnte (BGE 128
III 4 E. 4a S. 5; mit Hinweis auf BGE 127 III 136 E. 2a S. 139, 119 II 314 E.
4a S. 316, 117 II 16 E. 1b S. 17, 110 II 116 E. 2a S. 117 und Hinweisen auf die
Literatur).

 Ob der Beschwerdeführerin ein hypothetisches Einkommen in der angenommenen
Höhe zugemutet werden kann, ist Rechtsfrage, ob dessen Erzielung auch als
tatsächlich möglich erscheint, ist hingegen Tatfrage, die durch entsprechende
Feststellungen oder durch die allgemeine Lebenserfahrung beantwortet wird (BGE
137 III 102 E. 4.2.2.2 S. 108; 137 III 118 E. 2.3 S. 121); auch letzternfalls
müssen aber jene Tatsachen als vorhanden festgestellt sein, die eine Anwendung
von Erfahrungssätzen überhaupt erst ermöglichen (BGE 128 III 4 E. 4c/bb S. 7
mit Hinweisen).

4.2. In Bezug auf die (fehlende) Zumutbarkeit beruft sich die
Beschwerdeführerin auf ihren Gesundheitszustand, das Alter und ihre Ausbildung.
Sie verfüge nicht über spezifische berufliche Abschlüsse und entsprechende
Ausbildungen. Die erste Instanz habe ihr ein hypothetisches Einkommen von Fr.
4'260.-- zugemutet, für ein Pensum von 60 % auf der Basis ihrer heutigen 50
%-Stelle. Dies habe sie akzeptiert. Eine Arbeitstätigkeit von 100 % sei ihr
indes nicht zumutbar. Daran ändere die Qualifikation ihrer geschiedenen Ehe als
Zuverdienst-Ehe nichts.

 Die Rüge betreffend Gesundheit ist angesichts des Ergebnisses in Erwägung 3
gegenstandslos. Im Übrigen beschränkt sich die Beschwerdeführerin darauf, die
weiteren Gründe für die behauptete Unzumutbarkeit als blosse Stichworte in den
Raum zu stellen. Dies genügt den Begründungsanforderungen an die Beschwerde
nicht (E. 1.2). Hierauf ist nicht einzutreten.

4.3. Die Beschwerdeführerin bestreitet sodann, dass eine reale Möglichkeit
bestünde, ein Einkommen in der umstrittenen Höhe von monatlich Fr. 7'430.-- zu
erzielen.

4.3.1. In diesem Zusammenhang wirft die Beschwerdeführerin der Vorinstanz
Willkür vor. Die Vorinstanz nehme an, ihr sei eine grössere Anstrengung
zuzumuten. Dies reiche aber nicht, sie müsse das ihr unterstellte Einkommen
auch real erzielen können. Die Beschwerdeführerin verweist dabei auf BGE 137
III 118. Sie führt aus, die Vorinstanz hätte die rechtserheblichen Umstände
prüfen müssen, d.h. die konkrete Arbeitsmarktsituation, Ausbildung und Alter
der Beschwerdeführerin. Die entsprechenden Sachverhaltsfeststellungen würden
indes fehlen. Willkürlich sei sodann, dass die Vorinstanz für die hypothetische
Einkommensprognose lediglich auf den letzten Verdienst und damit auf ein
einziges Jahr aus ihrem Erwerbsleben abgestützt habe, ohne die früheren
Anstellungen und den dafür erzielten Lohn in die Überlegungen miteinzubeziehen.
Seit 2003 habe sie 40-50 % gearbeitet. Ab 2010 habe sie 80 % gearbeitet und
damit einen durchschnittlichen monatlichen Nettolohn von Fr. 4'000.-- gehabt.
Die Stelle bei der C.________ GmbH, auf welche sich die Vorinstanz nun
abstütze, sei auf ein Jahr befristet gewesen (bis 31. Januar 2015). Dies sei
eine aussergewöhnliche Chance gewesen. Per 1. Februar 2015 habe sie noch keine
Anstellung gefunden. Mangels Abschluss der Marketing-Weiterbildung verfüge sie
nur über eine Ausbildung als kaufmännische Angestellte. Jedenfalls lasse sich
nicht willkürfrei annehmen, dass sie bei einem Pensum von 100 % einfach das
Einkommen verdoppeln könne, das sie bei der C.________ GmbH für die befristeten
50 % erzielt habe. Der hypothetische Betrag sei in etwa das Doppelte des
Einkommens, das sie in den davorliegenden elf Jahren jeweils bei einem Pensum
von 80 % erzielt hatte (resp. hätte). Ohne entsprechende Qualifikationen lasse
sich eine Vollzeitstelle mit derart hoher Verdienstmöglichkeit nicht finden.
Gemäss Lohnstrukturerhebungen des Bundesamtes für Statistik sei für eine Frau
im Alter der Beschwerdeführerin (50) ohne Kaderfunktion, im privaten Sektor,
von einem Medianlohn von Fr. 5'211.-- für eine Vollzeitstelle auszugehen. Das
Vorgehen der Vorinstanz sei um so stossender, als der Beschwerdegegner über ein
Jahres-Nettoeinkommen von über Fr. 165'000.-- (Steuern und Krankenkassenprämien
bereits abgezogen) verfü ge.

4.3.2. Der Beschwerdeführer hält dem in seiner Vernehmlassung vom 11. Mai 2015
insbesondere entgegen, die Vorinstanz habe richtigerweise den letzten (höheren)
Verdienst als massgeblich erachtet. Die Beschwerdeführerin habe sich als
Assistenz Bankleitung/Marketing, als Geschäftsstellenleitung, als Produkt
Manager und als CFO-Assistant 80-100 % beworben. Es sei anzunehmen, dass diese
Stellen dem höheren Entlöhnungssektor entsprächen. Schliesslich sei auch der
Einwand nicht zu hören, die Beschwerdeführerin habe wenig Arbeitserfahrung. Sie
sei sieben Jahre vor der Geburt des Sohnes 1992 und ab 2002 wieder 13 Jahre
berufstätig gewesen sei, wie sich aus einer AHV-Rentenvorausberechnung ergebe,
welche die Beschwerdeführerin im Scheidungsverfahren eingereicht habe. Im
Übrigen berufe sich die Beschwerdeführerin auf Rechtsprechung zum
hypothetischen Einkommen, welche für den Kindesunterhaltspflichtigen in engen
wirtschaftlichen Verhältnissen gelte, nicht jedoch für die Beschwerdeführerin
als Unterhaltsberechtigte.

4.3.3. Vorab kann festgehalten werden, dass der Vorwurf des Beschwerdegegners,
die Beschwerdeführerin stütze sich auf nicht einschlägige Rechtsprechung, ins
Leere läuft. Der Richter kann im Rahmen der Unterhaltsbemessung gemäss Art. 125
Abs. 2 ZGB auch der unterhaltsberechtigten Person ein hypothetisches Einkommen
anrechnen (BGE 137 III 102 E. 4.2.2.2 S. 108; anders gelagert ist der
vorliegend - entgegen den Vorbringen des Beschwerdegegners - nicht zu
besprechende Fall von Art. 125 Abs. 3 ZGB, wo ein an sich gegebener
Unterhaltsanspruch gekürzt oder aufgehoben werden kann; vgl. hierzu Urteil
5A_716/2013 vom 31. März 2014 E. 3.4 mit Hinweisen).

 Die Kritik der Beschwerdeführerin trifft demgegenüber zu. Zwar lassen sich dem
angefochtenen Entscheid einige tatsächliche Feststellungen zu den ab 2003
ausgeübten Tätigkeiten entnehmen. Auf den jeweils erzielten Lohn geht die
Vorinstanz aber nur teilweise ein. Die Vorinstanz hat immerhin festgehalten,
die Beschwerdeführerin habe sich zehn Jahre ausschliesslich der Kinderbetreuung
gewidmet. Etwa im Jahr 2003 sei sie mit einem Pensum von 40 % wieder ins
Erwerbsleben eingetreten und habe sich in der Folge mittels einer
eineinhalbjährigen Abendschule im Bereich Marketing weitergebildet.
Feststellungen zu ihrer ursprünglichen Ausbildung/Qualifikationen, zu
Arbeitsstellen und Berufserfahrungen vor der Erwerbspause fehlen aber.
Ebensowenig äussert sich der angefochtene Entscheid dazu, in welchen
Tätigkeitsfeldern die Beschwerdeführerin (heute) über genügende und aktuelle
Kenntnisse aufweist, um entsprechende Stellenprofile antreten zu können. Sodann
ist richtig, dass sich die Vorinstanz für die Berechnung des hypothetischen
Einkommens ausschliesslich auf das zuletzt erzielte Einkommen stützte, d.h.
dieses praktisch verdoppelte.

 Für die Festlegung hypothetischer Einkommenszahlen wird in der Praxis
regelmässig auf Lohnstrukturerhebungen abgestützt. Diese weisen den monatlichen
Bruttolohn nach Wirtschaftszweigen, Anforderungsniveau des Arbeitsplatzes
("Kategorien") und Geschlecht aus. Zu berücksichtigen ist sodann das Alter. Die
ersten beiden Parameter lassen sich indes mangels vorinstanzlichen
Feststellungen oder nachprüfbaren Behauptungen zu den beruflichen
Qualifikationen sowie Berufserfahrungen nicht bestimmen. Ebensowenig kann nach
Erfahrungswissen beurteilt werden, wie die Chancen der Beschwerdeführerin auf
dem Arbeitsmarkt sind. Die hierzu notwendigen Feststellungen lassen sich auch
dem erstinstanzlichen Urteil nicht entnehmen. Der Erstrichter hatte das als
zumutbar erachtete Einkommen von Fr. 4'260.-- ebenfalls auf der Basis der
Anstellung bei der C.________ GmbH errechnet, indem er nämlich das Einkommen
von 50 % auf 60 % erhöhte. Die vom Beschwerdegegner ins Feld geführten
Bewerbungen lassen sodann keine Rückschlüsse auf die tatsächlichen
Erwerbsmöglichkeiten der Beschwerdeführerin zu - dies um so weniger, als die
Bewerbungen offensichtlich nicht zu einer Anstellung geführt haben. Zumindest
behauptet dies der Beschwerdegegner nicht. Ebensowenig reicht eine
AHV-Rentenvorausberechnung, um die fachlichen Qualifikationen und Erfahrungen
einer Person einzuschätzen. Auch insofern kann dem Beschwerdegegner nicht
gefolgt werden.

4.3.4. Zusammengefasst kann willkürfrei nicht angenommen werden, der
Beschwerdeführerin sei die Erzielung eines Einkommens von Fr. 7'430.--
tatsächlich möglich. Aufgrund des unvollständig ermittelten Sachverhalts, kann
das Bundesgericht nicht reformatorisch entscheiden.

4.4. Die Beschwerdeführerin dringt mit ihrem Eventualantrag (lit. C.a) durch,
womit die Beschwerde teilweise gutzuheissen ist. Das angefochtene Urteil ist
aufzuheben und die Sache zur Ergänzung des Sachverhalts (im Hinblick auf die
Ermittlung des real erzielbaren Einkommens) und zu neuem Entscheid an das
Obergericht zurückzuweisen (Art. 107 Abs. 2 BGG). Entsprechend neu zu berechnen
ist auch der von der Höhe des Lohns abhängige Betrag für den Vorsorgebedarf der
Beschwerdeführerin. Die Vorinstanz wird dabei - je nach Ausgang - auch neu über
die Kostenverteilung im kantonalen Verfahren zu befinden haben.

 Die Rüge der Beschwerdeführerin betreffend die vorinstanzliche Kostenverlegung
wird damit gegenstandslos. Ebenso der Antrag der Beschwerdeführerin, neue
Beweise zuzulassen (Absagen auf Bewerbungen).

5. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem, im Rahmen der
Gutheissung des Eventualbegehrens, unterliegenden Beschwerdegegner aufzuerlegen
(Art. 66 Abs. 1 BGG) und er hat die Beschwerdeführerin für den im
bundesgerichtlichen Verfahren angefallenen Aufwand zu entschädigen (Art. 68
Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der
Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau vom 2. September 2014 wird
aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an das
Obergericht zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten für das bundesgerichtliche Verfahren von Fr. 1'500.-- werden
dem Beschwerdegegner auferlegt.

3. 
Der Beschwerdegegner hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. August 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Die Gerichtsschreiberin: Friedli-Bruggmann

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