Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.931/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_931/2014

Urteil vom 1. Mai 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Herrmann, Bovey,
Gerichtsschreiber Möckli.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Philip Stolkin,
Beschwerdeführer,

gegen

B.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwältin Claudia Brun,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Persönlichkeitsverletzung (vorsorgliche Massnahmen),

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug, II.
Zivilabteilung, vom 22. Oktober 2014.

Sachverhalt:

A. 
Im August 2000 erlitt A.________ einen Auffahrunfall. Seither beklagt er sich
über psychische und somatische Beeinträchtigungen. Der Unfallverursacher war
bei der B.________ AG haftpflichtversichert. Diese liess A.________ von 19.
August bis 26. Oktober 2009 sowie vom 20. Februar bis 1. März 2013 durch eine
Detektei observieren. Dabei wurden Film- und Videoaufnahmen erstellt. Die
beauftragte Detektei verfasste für beide Zeiträume einen Ermittlungsbericht.

B. 
Mit Teilklage vom 26. Juli 2014 machte A.________ eine Genugtuung von Fr.
40'000.-- im Zusammenhang mit dem Auffahrunfall geltend. Gleichzeitig
beantragte er im Sinn einer vorsorglichen Massnahme insbesondere die
Vernichtung oder jedenfalls Sicherstellung der Ermittlungsberichte inkl.
Filmmaterial sowie die Untersagung weiterer Observationen. Subsidiär verlangte
er die Feststellung einer Persönlichkeitsverletzung.
Mit Entscheid vom 28. April 2014 wies das Kantonsgericht Zug das Gesuch um
Erlass vorsorglicher Massnahmen ab, soweit es darauf eintrat.
Die Berufung gegen den Massnahmeentscheid beschränkte A.________ auf das
Begehren, es seien weitere Observationen zu untersagen. Mit Entscheid vom 22.
Oktober 2014 wies das Obergericht des Kantons Zug die Berufung ab.

C. 
Gegen den obergerichtlichen Entscheid hat A.________ am 24. November 2014 eine
Beschwerde in Zivilsachen und eine subsidiäre Verfassungsbeschwerde erhoben mit
den Begehren um dessen Aufhebung und Untersagung weiterer Observationen im
Rahmen einer vorsorglichen Massnahme. Es wurden keine Vernehmlassungen
eingeholt.

Erwägungen:

1. 
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid in einer Zivilsache
(Art. 72 Abs. 1 und 75 Abs. 1 BGG). In diesem ging es einzig noch um das
vorsorgliche Verbot weiterer Observationen, welches zufolge seiner
persönlichkeitsrechtlichen Verankerung wie die Persönlichkeitsverletzung selbst
eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit darstellt (vgl. BGE 127 III 481 E.
1a S. 483). Damit steht die Beschwerde in Zivilsachen offen. Wo diese gegeben
ist, kommt die subsidiäre Verfassungsbeschwerde, wie schon ihr Name sagt, nicht
in Betracht (vgl. Art. 113 BGG).
Bei vorsorglichen Massnahmen können nur verfassungsmässige Rechte als verletzt
angerufen werden (Art. 98 BGG). Hierfür gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 106
Abs. 2 BGG), nach welchem das Bundesgericht nur auf substanziierte und, soweit
möglich, belegte Rügen eintritt, während appellatorische Kritik am
angefochtenen Entscheid ungenügend ist (BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445; 140 III
264 E. 2.3 S. 266).

2. 
Das Kantonsgericht ging davon aus, dass die Voraussetzungen im Sinn von Art.
261 ZPO für den Erlass einer vorsorglichen Massnahme nicht glaubhaft gemacht
seien. Das Obergericht kam zum gleichen Ergebnis und hielt fest, der
Beschwerdeführer zeige nicht auf, inwiefern die Gefahr einer erneuten
Observation zu Unrecht verneint worden wäre. Die Versicherung habe ausdrücklich
erklärt, dass sie keine weiteren Observationen vornehmen werde. Dies sei
glaubhaft, zumal eine solche nur Sinn mache, solange der Beobachtete nichts
davon wisse. Eine weitere Überwachung zur Beschaffung von Beweismitteln während
des laufenden Verfahrens sei deshalb nicht ernsthaft zu befürchten, umso mehr
als hierfür auch die Zeit kaum ausreichen würde, müsste doch erst noch ein
Bericht verfasst und dieser ausgewertet werden. Die Zusicherung des Verzichtes
scheine deshalb als ausreichend und im Übrigen habe die Versicherung den
Beschwerdeführer in der Vergangenheit auch nicht umfassend, sondern zweimal
während einer beschränkten Zeit punktuell überwacht. Weil insgesamt keine
Anhaltspunkte bestünden, dass eine erneute Observation drohe, könne offen
bleiben, ob diese überhaupt eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung
darstelle würde, denn rechtsprechungsgemäss könne sie durch ein überwiegendes
privates oder öffentliches Interesse gerechtfertigt sein.

3. 
In seiner 55-seitigen Beschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von
Art. 6 und 8 EMRK, von Art. 5, 10, 13, 29a, 35, 36, 57 und 117 BV sowie des
UNO-Pakts II. Zusammengefasst bringt er vor, an einer Angststörung zu leiden.
Durch die detaillierte Überwachung hätten sich seine Symptome verstärkt und
angesichts der drohenden weiteren Überwachung werde dieser Zustand perpetuiert.
Der Staat müsse das Individuum gegen die Allmacht von Grosskonzernen schützen
und deren quasistaatliche Allmacht begrenzen. Es fehle an einer gesetzlichen
Grundlage, um ihn zu überwachen und damit in sein Persönlichkeitsrecht
einzugreifen. Insbesondere reiche Art. 52 Abs. 3 OR vorliegend als
Rechtfertigung nicht aus. Der Observierung sei mit Bezug auf die angestrebten
Ziele die Eignung abzusprechen und ein polydisziplinäres Gutachten wäre
jedenfalls ein milderes Mittel zur Bereinigung medizinischer Inkonsistenzen.
Was sodann die Voraussetzungen von Art. 261 ZPO und das Glaubhaftmachen
anbelange, so könne beim Unterlassungsanspruch das Gefährdungskritierium kaum
nachgewiesen werden; aus den bereits erfolgten Observationen müsse im Sinn
einer Vermutung auf eine Wiederholungsgefahr geschlossen werden.

4. 
Im kantonalen Verfahren Massnahmeverfahren hatte der Beschwerdeführer - wie
dies auch beim früheren Art. 28c Abs. 1 ZGB der Fall gewesen wäre - einen
materiellen Anspruch zivilrechtlicher Natur und dessen Gefährdung
(Verfügungsanspruch, Art. 261 Abs. 1 lit. a ZPO) sowie einen drohenden nicht
leicht wieder gutzumachenden Nachteil (Verfügungsgrund, Art. 261 Abs. 1 lit. b
ZPO) glaubhaft zu machen. Vor Bundesgericht müsste er mit substanziierten Rügen
aufzeigen, dass und inwiefern das Obergericht diese Voraussetzungen und damit
Art. 261 ZPO willkürlich gehandhabt oder in diesem Zusammenhang andere
verfassungsmässige Rechte verletzt hätte (vgl. E. 1).
Der erwähnte materielle Anspruch besteht im vorliegenden Kontext darin, dass
dem Beschwerdeführer nach Art. 28a Abs. 1 Ziff. 1 ZGB ein Anspruch auf ein
(strafbewehrtes) Unterlassungsurteil zusteht, wenn eine widerrechtliche
Verletzung der Persönlichkeit ernsthaft zu befürchten ist (vgl. BGE 97 II 97 E.
5b S. 108; Urteile 5A_309/2013 vom 4. November 2013 E. 5.3.2; 5A_286/2012 vom
29. Oktober 2012 E. 2.4.2; 5A_92/2010 vom 16. Oktober 2010 E. 6).

4.1. Die weitschweifigen Ausführungen des Beschwerdeführers zielen primär
darauf, dass der Versicherung kein Observationsrecht zustehe bzw. die
Observation eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung darstelle.
Dies trifft so nicht zu. Unter gegebenen Voraussetzungen ist die von einem
privaten Haftpflichtversicherer veranlasste Observation durch eine Detektei
durchaus zulässig, denn das überwiegende Interesse der Versicherung bzw. der
dahinter stehenden Versichertengemeinschaft, keine unberechtigten Leistungen zu
erbringen, stellt einen Rechtfertigungsgrund dar; die Einzelheiten sind in BGE
136 III 410 umfassend dargestellt. Ferner sei darauf hingewiesen, dass die
Observation möglicher Versicherungsbetrüger beispielsweise im Bereich des
Invalidenversicherungsrechts gesetzlich explizit vorgesehen ist (Art. 59 Abs. 5
IVG); namentlich in BGE 137 I 327 werden die Voraussetzungen näher erläutert.
Ob die in den Jahren 2009 und 2013 erfolgten Observationen gerechtfertigt
waren, ist nicht Thema des vorliegenden Verfahrens. Ob weitere Observationen
gerechtfertigt wären, könnte Thema sein, weil es bejahendenfalls bereits an
einer widerrechtlichen Persönlichkeitsverletzung fehlen würde; indes hat das
Obergericht diese Frage offen gelassen, weil es die weiteren Voraussetzungen
von Art. 261 ZPO verneint hat, und folglich ist die Frage auch vorliegend nicht
zu vertiefen.

4.2. In Bezug auf die vom Obergericht beurteilten weiteren Voraussetzungen
(ernsthaftes Drohen der Verletzung sowie eines nicht leicht wieder
gutzumachenden Nachteils) bringt der Beschwerdeführer nur wenig vor und selbst
dies nur in abstrakter Weise. Um den an Verfassungsrügen, insbesondere an
Willkürrügen zu stellenden Begründungsanforderungen zu genügen, müsste er sich
aber im Einzelnen mit den oberinstanzlichen Erwägungen auseinandersetzen (BGE
138 I 171 E. 1.4 S. 176; 140 III 264 E. 2.3 S. 266). Deren Kern ist, dass die
Versicherung garantiert habe, keine weiteren Observationen zu veranlassen, und
dass die Einhaltung dieses Versprechens glaubhaft sei, umso mehr als
Observationen nur bei fehlender Kenntnis des Beobachteten zielführend seien und
im Übrigen auch die Zeit bis zum Entscheid in der Hauptsache zu knapp wäre, um
neue Observationsberichte anzufertigen und auszuwerten.
Mit all diesen Erwägungen, welche zur Verneinung einer ernsthaften Drohung
geführt haben, setzt sich der Beschwerdeführer nicht auseinander. Er beschränkt
sich darauf, in appellatorischer Weise seine eigene Sicht der Dinge zu
schildern und zu behaupten, bei Observationen in der Vergangenheit bestehe die
Vermutung, dass solche auch in Zukunft stattfänden. Abgesehen davon, dass es
keine diesbezügliche Vermutung gibt, sondern die Umstände des Einzelfalls zu
prüfen sind, wäre sie bzw. die Frage der Beweislastverteilung ohnehin
gegenstandslos, wenn die Vorinstanz in Würdigung von Beweisen (hier: die
Zusicherung, keine erneute Observation durchzuführen) zu einem bestimmten
Ergebnis gelangt ist (BGE 130 III 591 E. 5.4 S. 602; 131 III 646 E. 2.1 S. 649;
132 III 626 E. 3.4 S. 634; zuletzt Urteile 5A_79/2013 vom 17. April 2013 E.
4.3; 5A_666/2012 vom 3. Juli 2013 E. 4.2.1). Der Beschwerdeführer müsste die
Beweiswürdigung und die diesbezüglichen Erwägungen mit substanziierten
Willkürrügen angreifen, um den Boden zu schaffen für die anschliessende
rechtliche Rüge, das Obergericht habe die ernsthaft zu befürchtende Verletzung
und den drohenden Nachteil im Sinn von Art. 261 Abs. 1 ZPO in willkürlicher
Weise verneint. Solche Rügen bringt er aber nicht vor, weshalb seine
Ausführungen unsubstanziiert bleiben.

5. 
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit auf sie
eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind mithin dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Gegenseite ist kein
entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug, II.
Zivilabteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. Mai 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: Möckli

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