Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.885/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_885/2014

Urteil vom 19. März 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Marazzi, Bovey,
Gerichtsschreiberin Griessen.

Verfahrensbeteiligte
A.A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Fabian Malovini,
Beschwerdeführerin,

gegen

Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn,
Beschwerdegegnerin,

Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Region Solothurn.

Gegenstand
Rechtsverzögerung, Parteientschädigung (Obhutsentzug),

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom
15. Oktober 2014.

Sachverhalt:

A.

A.a. A.A.________ ist die Mutter von B.A.________ (geb. 2001). Zugunsten des
Sohnes besteht eine Beistandschaft. Im Sommer 2009 trat B.A.________ in das
Schulheim C.________ in U.________ ein. Im Februar 2011 wurde A.A.________ die
elterliche Obhut entzogen (Art. 310 Abs. 1 ZGB). Mit Entscheid vom 10. Juli
2013 verfügte die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Oberaargau die
Umplatzierung von B.A.________ in das Zentrum D.________. In der Folge übernahm
die KESB Region Solothurn die laufenden Kindesschutzmassnahmen und setzte per
1. August 2013 E.________ als neuen Mandatsträger ein.

A.b. Mit Gesuch vom 29. Oktober 2013 beantragte die anwaltlich vertretene
A.A.________ unter anderem, es sei die Rückplatzierung von B.A.________ zur
Kindsmutter vorzubereiten und hierfür ein Erziehungsfähigkeitsgutachten
einzuholen. Für das Verfahren ersuchte sie um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege.

B.

B.a. Am 25. Juni 2014 erhob A.A.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons
Solothurn Rechtsverzögerungsbeschwerde. Sie rügte, dass über das Gesuch vom 29.
Oktober 2013 noch nicht entschieden worden sei.

B.b. Am 14. Oktober 2014 reichte die KESB Region Solothurn dem
Verwaltungsgericht ihren Entscheid vom 8. Oktober 2014 ein. Die KESB hatte
entschieden, den bestehenden Obhutsentzug, die Platzierung im Zentrum
D.________ und die Beistandschaft durch E.________ aufrechtzuerhalten, jedoch
das Besuchsrecht der Kindsmutter zu erweitern.

B.c. Bezug nehmend auf diesen Entscheid schrieb das Verwaltungsgericht die
Rechtsverzögerungsbeschwerde mit Urteil vom 15. Oktober 2014 ab. Es erhob keine
Kosten und wies den Antrag auf Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ab.

C.

C.a. Dagegen erhebt A.A.________ (Beschwerdeführerin) am 12. November 2014
Beschwerde beim Bundesgericht. Sie beantragt, das Urteil des
Verwaltungsgerichts teilweise aufzuheben und ihr für das vorinstanzliche
Verfahren eine Parteientschädigung nach Aufwand zuzusprechen, eventualiter die
Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner ersucht sie um
unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren.

C.b. Mit Verfügung vom 25. November 2014 hat das Bundesgericht das
Verwaltungsgericht zur Vernehmlassung eingeladen. Dieses stellt mit Eingabe vom
1. Dezember 2014 den Antrag, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei, und verzichtet mit Verweis auf den angefochtenen Entscheid und
die Akten auf eine Vernehmlassung. Überdies setzt es das Bundesgericht davon in
Kenntnis, dass die Beschwerdeführerin gegen den Entscheid der KESB vom 8.
Oktober 2014, namentlich gegen die Verweigerung der unentgeltlichen
Rechtspflege, am 12. November 2014 eine Beschwerde erhoben hat.

 Das Bundesgericht hat die kantonalen Akten eingeholt.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Vorinstanz erwog, nachdem die KESB in der Sache eine Entscheidung
getroffen habe, sei die Rechtsverzögerungsbeschwerde gegenstandslos geworden.
Für das Verfahren vor Verwaltungsgericht seien keine Kosten zu erheben. Den
Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung der unentgeltlichen
Rechtsverbeiständung lehnte die Vorinstanz mit der Begründung ab, gemäss § 76
Abs. 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen vom 15. November
1970 (Verwaltungsrechtspflegegesetz, VRG/SO, BGS 124.11) könne eine Partei die
Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes nur verlangen, wenn dies zur
Wahrung der Rechte notwendig sei. Vorliegend sei dies nicht der Fall.

1.2. Die Beschwerdeführerin rügt, sie habe im Verfahren vor der Vorinstanz
unter anderem eine Parteientschädigung beantragt. Darüber habe die Vorinstanz
nach Eintritt der Gegenstandslosigkeit des Verfahrens zu Unrecht nicht
entschieden. In der Begründung des vorinstanzlichen Entscheids fehle jede
Bezugnahme auf diesen Antrag. Auch bei Gegenstandslosigkeit bestehe einen
Anspruch auf eine Parteientschädigung, sofern es die Prozessaussichten
rechtfertigen. Diese Prüfung respektive Beurteilung der Prozessaussichten habe
die Vorinstanz zu Unrecht nicht vorgenommen. Damit habe sie gegen die
Begründungspflicht respektive den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs.
2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK) und das Verbot der Rechtsverweigerung (Art. 29
Abs. 1 BV) verstossen.

2.

2.1. Unterlässt eine Behörde die Prüfung eines Rechtsbegehrens, obwohl sie dazu
verpflichtet wäre, begeht sie eine Rechtsverweigerung (Art. 29 Abs. 1 BV; vgl.
Urteil 6B_25/2014 vom 29. August 2014 E. 1 mit Hinweis auf BGE 135 I 6 E. 2.1
S. 9). Ob eine Rechtsverweigerung vorliegt, prüft das Bundesgericht frei
(Urteil 5A_453/2011 vom 9. Dezember 2011 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 137 III
563; BGE 127 I 133 E. 5 S. 136; je mit Hinweisen). Die Auslegung und Anwendung
des einschlägigen kantonalen Rechts untersucht es hingegen nur unter dem
Gesichtswinkel der Willkür (BGE 139 III 225 E. 2.3 S. 231; 138 I 143 E. 2 S.
149 f.; 131 I 217 E. 2.1) und nur insoweit, als eine entsprechende Rüge in der
Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

2.2. Ob eine Rechtsverweigerung vorliegt, beurteilt sich danach, ob die
Vorinstanz zu Unrecht nicht über die Parteientschädigung befunden oder aber
diese stillschweigend abgewiesen hat. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts gilt im Grundsatz, dass über die Parteientschädigung entschieden
wurde, auch wenn sich das Dispositiv eines Entscheides nicht darüber
ausspricht. Von dieser Betrachtungsweise ist nur abzuweichen, wenn mit
triftigen Gründen angenommen werden kann, das Gericht habe es tatsächlich
unterlassen, über die Parteientschädigung zu entscheiden (BGE 114 Ia 332 E. 2
S. 333 f.; zuletzt bestätigt in Urteil 6B_25/2014 vom 29. August 2014 E. 1).
Selbst wenn ein Entschädigungsbegehren einer obsiegenden Partei ohne Begründung
übergangen wurde, kann nicht ohne weiteres auf eine fälschliche
Nichtbeurteilung des Antrags geschlossen werden. Ist die Ablehnung des
Entschädigungsbegehrens aufgrund der in derartigen Fällen geltenden
gesetzlichen Bestimmungen oder infolge von dem Betroffenen bekannten Umständen
ohne weiteres verständlich, so ist zu vermuten, dass das Gericht den Antrag in
entsprechendem Sinne beurteilt hat. Lediglich dann, wenn die Ablehnung des
Entschädigungsbegehrens aufgrund der einschlägigen Verfahrensvorschriften und
der übrigen Umstände nicht oder nicht ohne weiteres verständlich ist, darf aus
der fehlenden Begründung des Kostenentscheides gefolgert werden, das
Entschädigungsbegehren sei unbeurteilt geblieben (BGE 114 Ia 332 E. 2 S. 334).

2.3. Vorliegend hat die Beschwerdeführerin bei der zuständigen gerichtlichen
Beschwerdeinstanz in Kindesschutzmassnahmen (Verwaltungsgericht Solothurn)
Rechtsverzögerungsbeschwerde erhoben (Art. 450a Abs. 2 ZGB i.V.m. Art. 450b
Abs. 3 ZGB und § 130 Abs. 1 des solothurnischen Gesetzes über die Einführung
des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 4. April 1954, EG ZGB/SO, BGS 211.1
). Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wird nebst den Bestimmungen des
Kindes- und Erwachsenenschutzes (Art. 450 ff. ZGB) durch diejenigen des VRG/SO
und subsidiär sinngemäss durch die Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO)
ergänzt (§ 145 Abs. 1 EG ZGB/SO). § 77 VRG/SO verweist für die Verteilung der
Prozesskosten ausdrücklich auf die sinngemässe Anwendung der Artikel 106-109
ZPO und konkretisiert einzig, dass den am verwaltungsgerichtlichen
Beschwerdeverfahren beteiligten Behörden in der Regel keine Verfahrenskosten
auferlegt und keine Parteientschädigungen zugesprochen werden. Soweit ein
Kanton im Rahmen des kantonalen Verfahrensrechts auf die sinngemässe Geltung
der ZPO verweist, gelten die entsprechenden Regelungen als kantonales Recht -
dessen Anwendung das Bundesgericht ausschliesslich auf eine Verletzung
verfassungsmässiger Rechte hin überprüft (vgl. oben E. 2.1 und Urteil 5A_571/
2012 vom 19. Oktober 2012 E. 6.2 mit Hinweis).

2.4. Gemäss dieser Verweisung gilt auch für das Verfahren vor dem
Verwaltungsgericht Solothurn, dass die Prozesskosten grundsätzlich der
unterliegenden Partei auferlegt werden (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Das Gericht kann
aber von den Verteilungsgrundsätzen (Art. 106 ZPO) abweichen und die
Prozesskosten nach Ermessen verteilen, wenn das Verfahren als gegenstandslos
abgeschrieben wird und das Gesetz nichts anderes vorsieht (Art. 107 Abs. 1 lit.
e ZPO). Dabei ist etwa zu berücksichtigen, welche Partei Anlass zur Klage
gegeben hat, welches der mutmassliche Prozessausgang gewesen wäre und bei
welcher Partei die Gründe eingetreten sind, die dazu geführt haben, dass das
Verfahren gegenstandslos wurde. Hierzu sind die Parteien anzuhören (Botschaft
vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7221 ff.,
7297). Eine analoge Vorgehensweise bei Gegenstandslosigkeit wurde im Kanton
Solothurn bereits unter der Geltung der kantonalen Zivilprozessordnung
praktiziert (vgl. dazu Urteil 8C_417/2010 vom 6. September 2010 E. 6.2) und
entspricht ferner der bundesgerichtlichen Praxis (vgl. Art. 71 BGG in
Verbindung mit Art. 72 BZP; BGE 125 V 373 E. 2a S. 374 f. mit Hinweisen; 118 Ia
488 E. 4a S. 494 f.; Urteil 5A_344/2014 vom 29. Oktober 2014 E. 2.2; 4A_364/
2014 vom 18. September 2014 E. 3).

2.5. Dem vorinstanzlichen Entscheid lässt sich nicht entnehmen, ob die
Rechtsverzögerungsbeschwerde gerechtfertigt war und mutmasslich hätte
gutgeheissen werden können. Die Vorinstanz, welche zur Vernehmlassung
eingeladen wurde, hat auch darin nicht dargetan, dass sie den Antrag auf eine
Parteientschädigung geprüft und - aus welchen Gründen - sie ihn stillschweigend
abgewiesen hätte. Somit ist aufgrund der einschlägigen Verfahrensvorschriften
und der übrigen Umstände eine Abweisung des Antrags auf Parteientschädigung
nicht ohne weiteres verständlich. Die Vorinstanz durfte daher nicht
stillschweigend über diesen Antrag hinweggehen (vgl. in diesem Sinne auch
Urteil I 117/00 vom 20. Oktober 2000 E. 3b, nicht publ. in: BGE 126 V 273).

2.6. Indem die Vorinstanz den Antrag auf Parteientschädigung nach Eintritt der
Gegenstandslosigkeit des Rechtsverzögerungsverfahrens zu Unrecht nicht (E. 2.5)
- im Sinne der oben genannten Kriterien (E. 2.4) - beurteilte, hat sie
verfassungsmässige Rechte der Beschwerdeführerin, Art. 29 Abs. 1 BV, verletzt.
Eine Überprüfung der weiteren angerufenen Normen (Art. 29 Abs. 2 BV respektive
Art. 6 Ziff. 1 EMRK) erübrigt sich. Da es sich bei der Beurteilung um einen
Ermessensentscheid handelt, in den das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung
eingreifen würde (Urteil 8C_417/2010 vom 6. September 2010 E. 7.1 mit Hinweis),
und keine Prüfung durch die Vorinstanz erfolgte, ist es nicht Sache des
Bundesgerichts, sein Ermessen an die Stelle desjenigen der Vorinstanz zu
setzen. Die Angelegenheit ist somit zur Prüfung des Antrags auf eine
Parteientschädigung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.

3. 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen und die Sache im Sinne der
Erwägungen an das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn zurückzuweisen. Dem
Gemeinwesen sind keine Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der
Kanton Solothurn hat den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin für das
bundesgerichtliche Verfahren voll zu entschädigen. Bei dieser Kosten- und
Entschädigungsfolge wird das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche
Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Sache wird zur Prüfung des Anspruchs auf
eine Parteientschädigung im vorangegangenen Verfahren im Sinne der Erwägungen
an das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn zurückgewiesen.

2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3. 
Der Kanton Solothurn hat den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Solothurn und der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Region Solothurn
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. März 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Die Gerichtsschreiberin: Griessen

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