Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.848/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_848/2014

Urteil vom 4. Mai 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Marazzi, Schöbi,
Gerichtsschreiber Zbinden.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Jüsi,
Beschwerdeführerin,

gegen

B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Martin Kuhn,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Eheschutz,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
des Kantons Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer,
vom 18. September 2014.

Sachverhalt:

A.

A.a. A.________ (Ehefrau, Mutter) und B.________ (Ehemann, Vater) heirateten am
23. August 2010. Aus dieser Beziehung ging der Sohn C.________ (geb. 2012)
hervor.

A.b. Die Eheleute trennten sich im August 2013. Am 2. August 2013 soll es
gemäss Angaben der Mutter zu einem sexuellen Übergriff des Vaters gegenüber
seinem Sohn gekommen sein. Ein daraufhin gegen den Vater eingeleitetes
Strafverfahren wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau
vom 9. Juli 2014 eingestellt.

A.c. Am 7. August 2013 ersuchte der Ehemann das Gerichtspräsidium Baden um
Regelung des Getrenntlebens. Insbesondere beantragte er, den gemeinsamen Sohn
unter seine Obhut zu stellen, die eheliche Wohnung ihm und seinem Sohn
zuzuweisen und das Besuchsrecht der Mutter zu regeln.

A.d. Nach der Eheschliessung wurde bei der Migrationsbehörde ein
Familiennachzug beantragt. Gegen deren abschlägigen Entscheid erhob der Vater
Beschwerde beim Rekursgericht Ausländerrecht des Kantons Aargau. Kurz nach
Einreichung des Gesuchs um Regelung des Getrenntlebens (7. August 2013) zog er
indes seine Beschwerde zurück.

A.e. Mit Entscheid vom 20. August 2013 entzog das Gerichtspräsidium Baden den
sorgeberechtigten Eltern gestützt auf Art. 310 Abs. 1 ZGB bis auf Weiteres und
vorsorglich die Obhut über den gemeinsamen Sohn und stellte fest, dass die
formelle Obhut beim Bezirksgericht Baden, Präsidium des Familiengerichts,
liege. Zur faktischen Obhut wurde C.________ im Kinderheim D.________
platziert. Für das Kind wurde eine Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 und 2
ZGB errichtet.

A.f. Am 30. Dezember 2013 erstattete das Institut für Forensische Kinder- und
Jugendpsychologie das gerichtlich eingeholte Gutachten über die
Erziehungsfähigkeit der Eltern.

A.g. Mit Entscheid vom 15. Mai 2014 stellte das Gerichtspräsidium Baden die
Berechtigung der Eheleute zum Getrenntleben fest und wies die eheliche Wohnung
für die Dauer der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts dem Ehemann zur
alleinigen Nutzung zu. Im Weiteren bestätigte es die Verfügung vom 20. August
2013, wonach den beiden sorgeberechtigten Parteien gemäss Art. 310 Abs. 1 ZGB
die Obhut über ihren Sohn bis auf Weiteres mit Wirkung bis zum 31. Mai 2016
entzogen ist und die formelle Obhut damit beim Bezirksgericht Baden liegt. Der
Beistand erhielt den Auftrag, das Besuchsrecht der Parteien zu regeln. Der
Ehemann wurde verpflichtet, der Ehefrau erstmals per 2. August 2013 einen
monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 724.-- zu bezahlen.

B. 
Beide Parteien fochten diesen Entscheid beim Obergericht des Kantons Aargau an.
Mit Urteil vom 18. September 2014 stellte die angerufene Berufungsinstanz in
teilweiser Gutheissung der Berufung des Ehemannes das Kind C.________ unter
seine Obhut. Ferner ordnete es zur Unterstützung der Rückführung des Kindes zum
Ehemann eine dreimonatige Familienbegleitung an und beauftragte den Beistand,
die Rückführung und die Familienbegleitung zu organisieren. Das Obergericht
räumte der Ehefrau ein begleitetes Besuchsrecht an zwei Nachmittagen pro Monat
(Programm BBT) ein und beauftragte den Beistand, dieses Recht schnellstmöglich
ab Rückführung des Kindes zum Ehemann zu organisieren. Der vom Ehemann an den
Unterhalt der Ehefrau zu leistende Unterhaltsbeitrag wurde auf die Monate
August und September 2013 beschränkt. Die Berufung der Ehefrau wurde
demgegenüber abgewiesen.

C. 
Die Mutter (Beschwerdeführerin) hat am 29. Oktober 2014 (Postaufgabe) gegen das
vorgenannte Urteil des Obergerichts beim Bundesgericht Beschwerde in
Zivilsachen erhoben. Sie beantragt, den angefochtenen Entscheid bezüglich Obhut
über den gemeinsamen Sohn, das Besuchsrecht und die Zuteilung der ehelichen
Wohnung aufzuheben, den Sohn unter ihre Obhut zu stellen und dem Vater
(Beschwerdegegner) ein angemessenes Besuchsrecht einzuräumen. Die eheliche
Wohnung sei samt Hausrat und Mobiliar ihr und dem Kind zuzuweisen. Eventuell
sei ihr ein grosszügigeres Besuchsrecht von wöchentlich einem Tag, mindestens
jedoch im Umfang von jedem zweiten Wochenende ab Freitagabend 18.00 Uhr bis
Sonntagabend 18.00 Uhr zuzusprechen. Für das bundesgerichtliche Verfahren
ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege.

D. 
Die Beschwerdeführerin ersuchte überdies darum, ihrer Beschwerde aufschiebende
Wirkung zuzuerkennen. Der Beschwerdegegner schloss am 4. November 2014 auf
Abweisung des Gesuchs und beantragte seinerseits die unentgeltliche
Rechtspflege. Das Obergericht hat auf Vernehmlassung zum Gesuch verzichtet. Mit
Präsidialverfügung vom 7. November 2014 wurde der Beschwerde mit Bezug auf die
Obhutszuteilung an den Beschwerdegegner und die Rückführung des Sohnes
aufschiebende Wirkung zuerkannt. Ein Gesuch der Beschwerdeführerin um Erlass
vorsorglicher Massnahmen vom 29. Dezember 2014 ist mit Verfügung vom 5. Januar
2015 abgewiesen worden. In der Sache sind keine Vernehmlassungen eingeholt
worden.

Erwägungen:

1. 

1.1. Es geht um eine Eheschutzmassnahme betreffend die Kinderbelange (Art. 176
Abs. 3 ZGB), mithin um eine Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 BGG) nicht
vermögensrechtlicher Natur. Nach der Rechtsprechung sind Entscheide betreffend
die Anordnung von Eheschutzmassnahmen Endentscheide im Sinne von Art. 90 BGG (
BGE 133 III 393 E. 4 S. 395 f.). Überdies handelt es sich um vorsorgliche
Massnahmen im Sinn von Art. 98 BGG (BGE 133 III 395 E. 4). Die übrigen
Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass.

1.2. Liegen vorsorgliche Massnahmen im Streit, kann einzig die Verletzung
verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (Art. 98 BGG). Das Bundesgericht
wendet dabei das Recht nicht von Amtes wegen an, sondern prüft die Verletzung
von verfassungsmässigen Rechten nur insofern, als eine solche Rüge in der
Beschwerde vorgebracht und hinreichend begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2
BGG). In der Beschwerde ist folglich klar und detailliert anhand der Erwägungen
des angefochtenen Entscheids darzulegen, inwiefern verfassungsmässige Rechte
verletzt worden sein sollen (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 III 393 E. 6 S. 397;
134 I 83 E. 3.2. S. 88 mit Hinweisen). Wird eine Sachverhaltsfeststellung
beanstandet, muss in der Beschwerdeschrift dargelegt werden, inwiefern diese
Feststellung willkürlich oder durch eine andere Rechtsverletzung im Sinn von
Art. 95 BGG (z.B. Art. 29 Abs. 2 BV oder Art. 8 ZGB) zustande gekommen ist
(vgl. BGE 133 II 249 E. 1.2.2 und 1.4.3 S. 255) und inwiefern die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
in fine BGG; BGE 135 I 19 E. 2.2.2 S. 22). Auf rein appellatorische Kritik am
Sachverhalt tritt das Bundesgericht nicht ein.

2. 
Strittig ist einmal die Obhutszuteilung betreffend den gemeinsamen Sohn:

2.1. 

2.1.1. Haben die Ehegatten unmündige Kinder, so trifft das mit der "Regelung
des Getrenntlebens" (Marginalie zu Art. 176 ZGB) befasste Eheschutzgericht die
nötigen Massnahmen nach den Bestimmungen über die Wirkungen des
Kindesverhältnisses (Art. 176 Abs. 3 ZGB). Gemäss Art. 298 Abs. 1 ZGB in der
Fassung gemäss Ziff. I des Bundesgesetzes vom 21. Juni 2013 (Elterliche Sorge),
in Kraft seit 1. Juli 2014 (AS 2014 357; BBl 2011 9077) überträgt das Gericht
einem Elternteil die alleinige elterliche Sorge, wenn dies zur Wahrung des
Kindeswohls nötig ist (Abs. 1). Es kann sich auch auf eine Regelung der Obhut,
des persönlichen Verkehrs oder der Betreuungsanteile beschränken, wenn keine
Aussicht besteht, dass sich die Eltern diesbezüglich einigen (Abs. 2). Für die
Zuteilung der Obhut an einen Elternteil gelten grundsätzlich die gleichen
Kriterien wie im Scheidungsfall. Nach der Rechtsprechung hat das Wohl des
Kindes Vorrang vor allen anderen Überlegungen, insbesondere vor den Wünschen
der Eltern. Vorab muss deren Erziehungsfähigkeit geklärt werden. Ist sie bei
beiden Elternteilen gegeben, sind vor allem Kleinkinder und
grundschulpflichtige Kinder demjenigen Elternteil zuzuteilen, der die
Möglichkeit hat und dazu bereit ist, sie persönlich zu betreuen. Erfüllen beide
Elternteile diese Voraussetzung ungefähr in gleicher Weise, kann die Stabilität
der örtlichen und familiären Verhältnisse ausschlaggebend sein. Schliesslich
ist - je nach Alter der Kinder - ihrem eindeutigen Wunsch Rechnung zu tragen.
Diesen Kriterien lassen sich die weiteren Gesichtspunkte zuordnen, so die
Bereitschaft eines Elternteils, mit dem anderen in Kinderbelangen
zusammenzuarbeiten und insbesondere die Beziehung zum andern Elternteil
zuzulassen und aktiv zu fördern (sog. Bindungstoleranz; zum Begriff Urteil
5A_138/2012 vom 26. Juni 2012 E. 3-5), der Grundsatz, Geschwister nach
Möglichkeit nicht zu trennen, oder die Forderung, dass eine Zuteilung der Obhut
von einer persönlichen Bindung und echter Zuneigung getragen sein sollte (zum
Ganzen: Urteil 5A_720/2013 vom 4. März 2014 E. 2 mit Hinweisen).

2.1.2. Bei der Beurteilung der für die Obhutszuteilung massgebenden Kriterien
verfügt das Sachgericht über grosses Ermessen (BGE 115 II 317 E. 2 und E. 3 S.
319 ff.). Auf Willkürbeschwerde hin greift das Bundesgericht deshalb nur ein,
wenn das Sachgericht grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten
Grundsätzen abgewichen ist, wenn es Gesichtspunkte berücksichtigt hat, die
keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn es umgekehrt rechtserhebliche
Umstände ausser Acht gelassen hat. Der Ermessensentscheid muss sich als im
Ergebnis offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweisen (
BGE 132 III 97 E. 1 S. 99 mit weiteren Hinweisen; vgl. zum Ganzen: Urteile
5A_720/2013 vom 4. März 2014 E. 2 und 5A_157/2012 vom 23. Juli 2012 E. 3.1, in:
FamPra.ch 2012 S. 1094).

2.2. Mit Bezug auf die Berücksichtigung der für den Entscheid wesentlichen
Kriterien rügt die Beschwerdeführerin zunächst, die Vorinstanz habe einen
Bericht zu ihrer Erziehungsfähigkeit nicht berücksichtigt und das mit der
Berufung eingereichte Sozialhilfeprotokoll ihrer Gemeinde vom 25. April 2013
nicht in ihre Erwägungen miteinbezogen. Nach diesen Dokumenten sei sie
persönlich bis zur Trennung die Hauptbetreuungsperson ihres Sohnes gewesen.
Damit habe die Vorinstanz ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2
BV bzw. Art. 6 Ziff. 1 EMRK) verletzt.

2.2.1. Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits
stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines
Entscheides dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu
gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine
Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern, Beweise
beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen
gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken
oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist,
den Entscheid zu beeinflussen (BGE 138 V 125 E. 2.1 S. 127; 135 I 187 E. 2.2 S.
19).

2.2.2. Das Obergericht hat bei der Wiedergabe der Ausführungen der
Beschwerdeführerin zur Frage der Obhut ihre Aussage erwähnt, wonach sie bis zum
Entzug der Obhut Hauptbetreuungsperson ihres Sohnes gewesen sei. Sodann hat es
erwogen, für die Obhutszuteilung stehe nicht die Frage im Vordergrund, welche
Betreuungsanteile ein Elternteil in der Vergangenheit wahrgenommen habe;
wesentlich sei vielmehr, wozu er diesbezüglich in Zukunft bereit und in der
Lage sei. Damit hat es sich - entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin -
mit deren Einwendung bezüglich der hauptsächlichen Betreuung des Sohnes vor der
Trennung befasst, diesem Umstand aber nicht wesentliche Bedeutung beigemessen.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.

2.3. 

2.3.1. Die Beschwerdeführerin macht ferner geltend, die Vorinstanz habe
entgegen der Anregung des Gutachters die Obhut dem Beschwerdegegner zugeteilt.
Der Gutachter attestiere beiden Eltern beschränkte Erziehungsfähigkeit, wobei
er die Zweifel an ihrer Erziehungsfähigkeit insbesondere deswegen hege, weil
ihre Versorgungs- und Betreuungsmöglichkeit unklar sei (Gutachten S. 44 f.).
Die vom Gutachter genannten Mängel beträfen indes die Stabilität, nicht die
Erziehungsfähigkeit. Beim Beschwerdegegner sei sodann die Bindungstoleranz
eingeschränkt. Der Gutachter attestiere bei ihm ein problematisches impulsives
Verhalten, was sich negativ auf seine Erziehungsfähigkeit auswirke. Die
Beschwerdeführerin verweist sodann auf das gegen den Beschwerdegegner
angehobene Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Kindes
und macht ferner geltend, auch das Kriterium der Stabilität spreche nicht
zugunsten des Beschwerdegegners. Das Kind lebe seit mehr als einem Jahr im
Kinderheim in U.________, womit der Umzug zu einem Elternteil so oder so eine
Veränderung der Umgebung für das Kind mit sich bringe. Ihre prekäre Situation
sei durch die Zuteilung der Wohnung an den Beschwerdegegner und durch die
drohende Ausweisung aus der Schweiz begründet worden. Zusammengefasst habe sich
die Vorinstanz willkürlich über die Kriterien der Rechtsprechung betreffend
Zuteilung der Obhut hinweggesetzt, indem sie anstelle von Überlegungen des
Kindeswohls den unsicheren Aufenthaltsstatus der Beschwerdeführerin zur
Entscheidgrundlage gemacht, sich somit über das Kriterium der
Erziehungsfähigkeit hinweggesetzt und das Kriterium der Stabilität falsch
angewendet habe. Damit habe die Vorinstanz Art. 176 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB in
Verbindung mit Art. 5 und 9 BV, Art. 12 BV (Recht auf Hilfe in Notlagen), Art.
13 resp. 8 EMRK sowie Art. 3 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes (SR
01.107; KRK) verletzt.

2.3.2. Nach Art. 3 Abs. 2 KRK verpflichten sich die Vertragsstaaten, dem Kind
unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten seiner Eltern, seines Vormunds
oder anderer für das Kind verantwortlicher Personen den Schutz und die Fürsorge
zu gewährleisten, die zu seinem Wohlergehen notwendig sind; zu diesem Zweck
treffen sie alle geeigneten Gesetzgebungs- und Verwaltungsmassnahmen. Art. 3
KRK stellt eine leitende Interpretationsmaxime der Konvention dar. Danach sind
alle Konventionsbestimmungen im Lichte des Kindeswohles auszulegen und
anzuwenden (Urteil 1P.453/2002 vom 12. Februar 2003 E. 7 nicht publiziert in:
BGE 129 I 173; STEPHAN WOLF, Die UNO-Konvention über die Rechte des Kindes und
ihre Umsetzung in das schweizerische Kindesrecht, in: ZBJV 134/1998 S. 113 ff.,
insb. S. 118 f.; BEA VERSCHRAEGEN, Die Kinderrechtekonvention, Wien 1996, S.
13). Als Interpretationsgrundsatz sowie als programmatische Bestimmung ist Art.
3 KRK für sich allein nicht unmittelbar anwendbar. Soweit sich die
Beschwerdeführerin ferner auf Art. 12 BV und Art. 13 EMRK beruft, ist ein
Zusammenhang mit der hier strittigen Frage der Obhutszuteilung nicht
ersichtlich. Darauf ist nicht einzutreten.

 Das Obergericht hat den von der Beschwerdeführerin gegenüber dem
Beschwerdegegner erhobenen Vorwurf des sexuellen Kindsmissbrauchs vor dem
Hintergrund der Ausführungen der Beschwerdeführerin im Verfahren und
insbesondere aufgrund der Einstellung des besagten Strafverfahrens als nicht
glaubwürdig erachtet und ging somit davon aus, die Sorge des Gutachters um die
sexuelle Integrität des Kindes unter der Obhut des Beschwerdegegners sei
zwischenzeitlich unbegründet. Es hat sodann das vom Gutachter erwähnte
impulsive und sozial unangepasste Verhalten des Beschwerdegegners in der
Öffentlichkeit nicht übersehen, hat dazu aber bemerkt, daraus könne nicht ohne
Weiteres auf einen Erziehungsmangel geschlossen werden. Der Gutachter hat laut
Obergericht vielmehr festgestellt, dass sich der Beschwerdegegner im Umgang mit
seinem Sohn sehr liebevoll zeigt. Die als kontrollierend bezeichnete
erzieherische Haltung des Beschwerdegegners gegenüber seinem Sohn kann zwar
gemäss Vorinstanz gewisse Vorbehalte bezüglich der Erziehungsfähigkeit
begründen, ist aber für sich genommen nicht geeignet, ihm die Fähigkeit völlig
abzusprechen. Das Obergericht erachtete daher die vom Gutachter gegen die
Rückplatzierung vorgebrachten Gründe als obsolet. Berücksichtigt hat das
Obergericht sodann, dass gemäss den Abklärungen der Kinderschutzgruppe des
Kantonspitals V.________ vom 21. August 2013 keine Hinweise auf eine
Vernachlässigung des Kindes oder für einen missbräuchlichen Alkohol-,
Medikamenten- oder Drogenmissbrauch bestehen. Zusammenfassend hat das
Obergericht den Beschwerdegegner als erziehungsfähig betrachtet. Im Gegenzug
schliesst es die Erziehungsfähigkeit der Beschwerdeführerin nicht schlechthin
aus. Gemäss Vorinstanz erscheint aber ihre Erziehungsfähigkeit nicht in einem
positiveren Licht als diejenige des Beschwerdegegners. Die Beschwerdeführerin
bringt weder gegen die berücksichtigten tatsächlichen Umstände substanziierte
Rügen vor noch zeigt sie auf, inwiefern ihre Erziehungsfähigkeit bei
willkürfreier Betrachtung jene des Beschwerdegegners übertrifft. Unbestritten
ist sodann, dass der Beschwerdegegner die Möglichkeit hat und auch bereit ist,
seinen Sohn persönlich bzw. unter Mithilfe seiner Schwester zu betreuen. Unter
diesen Umständen durfte das Obergericht auch davon ausgehen, dass den
bisherigen Betreuungsanteilen keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Es
durfte ferner ohne Willkür annehmen, dass der Beschwerdegegner dem Kind in
Zukunft stabilere Verhältnisse biete als die Beschwerdeführerin und
insbesondere auch sprachlich und sozial geeigneter erscheint, seinen Sohn, der
auch die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzt, zu fördern und zu integrieren.

 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat die Vorinstanz die
Kriterien betreffend die Zuteilung der Obhut sachgerecht umgesetzt und auf den
vorliegenden Fall übertragen. Insbesondere der unsichere Aufenthaltsstatus der
Beschwerdeführerin spricht gegen eine Zuteilung der Obhut an sie; die für sie
nachteiligen Umstände dürfen nicht dem Beschwerdegegner angelastet werden.
Damit aber durfte die Vorinstanz ohne Willkür und ohne Verletzung der
angerufenen verfassungsmässigen Rechte der Beschwerdeführerin die Obhut dem
Beschwerdegegner übertragen.

3. 

3.1. Die Beschwerdeführerin beanstandet ferner die Zuteilung der ehelichen
Wohnung an den Beschwerdegegner. Sie macht geltend, der Entscheid der
Vorinstanz stelle eine Verletzung von Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB in Verbindung
mit Art. 5 Abs. 1 BV in Verbindung mit Art. 9 BV resp. Art. 13 EMRK sowie 12 BV
dar, zumal die Vorinstanz das einschlägige Kriterium der Zweckmässigkeit
willkürlich angewendet habe: Die Vorinstanz sei der Ansicht, dass die Zuteilung
der Wohnung an den Beschwerdegegner ein Garant dafür sei, dass das Kind in der
gewohnten Umgebung aufwachse. Das treffe indes nicht zu, zumal der Sohn der
Parteien über ein Jahr im Kinderheim D.________ gelebt habe. Die Umplatzierung
zu einer der Parteien stelle somit eine Veränderung der Wohnsituation für den
Sohn dar. Zudem wohne der Beschwerdegegner sehr oft bei seiner Schwester in
W.________. Die Beschwerdeführerin lebe seit dem Rückzug der Beschwerde
betreffend Familiennachzug durch den Beschwerdegegner (vgl. Sachverhalt E. A.d)
in existentieller Not. Infolge des vom Beschwerdegegner verursachten
vorübergehenden und immer noch andauernden Verlustes ihres
migrationsrechtlichen Status sei ihr jede Arbeit untersagt und sie lebe von der
Nothilfe von Fr. 10.-- pro Tag. Ohne gültige Aufenthaltsbewilligung sei es ihr
unmöglich, eine Wohnung zu finden. Nach dem Kriterium der Zweckmässigkeit sei
die Beschwerdeführerin eindeutig stärker auf die Wohnung angewiesen.

3.2. Nach Art. 176 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB muss das Gericht auf Begehren eines
Ehegatten die Benützung der Wohnung des Hausrates regeln, wenn die Aufhebung
des gemeinsamen Haushaltes begründet ist. Über die Zuteilung des Rechts zur
Benützung der ehelichen Liegenschaft an eine der Parteien entscheidet das
Eheschutzgericht nach Zweckmässigkeit und grundsätzlich unabhängig davon, wer
Eigentümer oder Mieter ist. Bleibt unklar, wem die bisherige Wohnstatt den
grösseren Nutzen bringt, so hat derjenige Ehegatte dem andern das Haus oder die
Wohnung zu überlassen, dem ein Umzug unter Würdigung aller Umstände eher
zuzumuten ist (BGE 120 II 1 E. 2c S. 3 betreffend inhaltlich übereinstimmende
vorsorgliche Massnahmen während des Scheidungsverfahrens).

3.3. Im vorliegenden Fall ist bereits aufgezeigt worden, dass die Vorinstanz
mit der Übertragung der Obhut an den Beschwerdegegner weder in Willkür
verfallen noch Rechte der Verfassung bzw. von Art. 3 KRK verletzt hat. Unter
diesen Umständen ist es im Lichte der Kognition der Verletzung
verfassungsmässiger Rechte nicht zu beanstanden, dass die Wohnung dem
Beschwerdegegner zugeteilt worden ist, der das Kind persönlich oder zusammen
mit seiner Schwester betreut.

4. 

4.1. Für den Fall, dass ihren Anträgen betreffend Zuteilung der Obhut und
Zuteilung der Wohnung nicht entsprochen wird, ersucht die Beschwerdeführerin
(im Eventualantrag) darum, ihr ein grosszügigeres Besuchsrecht einzuräumen. Zur
Begründung macht sie geltend, das reduzierte Besuchsrecht verletze Art. 3 KRK
und stelle überdies einen unverhältnismässigen Eingriff in das Recht auf
Familien- und Privatleben dar. Das reduzierte Besuchsrecht dürfte sodann darauf
hinauslaufen, dass sie aus der Schweiz weggewiesen werde.

4.2. Mit Bezug auf die direkte Anwendung von Art. 3 KRK kann auf bereits
Gesagtes verwiesen werden. Im Weiteren ergeht sich die Beschwerdeführerin mit
der letzten Aussage in Spekulationen und legt überdies nicht dar, inwiefern
Art. 8 EMRK mit der Regelung eines begleiteten Besuchsrechts im festgesetzten
Umfang verletzt worden sein soll. Darauf ist nicht einzutreten.

5. 
Damit ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art.
66 Abs. 1 BGG). Sie hat die bezüglich des Gesuchs um aufschiebende Wirkung
unterliegende Gegenpartei für deren Stellungnahme nicht zu entschädigen. In der
Sache ist keine Vernehmlassung eingeholt worden.

6. 
Den Gesuchen der Parteien um unentgeltliche Rechtspflege ist zu entsprechen,
zumal ihr Standpunkt im Verfahren nicht von vornherein aussichtslos war und sie
bedürftig sind. Den Parteien ist je ein unentgeltlicher Rechtsbeistand zu
bestellen, der für seine Bemühungen aus der Bundesgerichtskasse zu entschädigen
ist (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Überdies sind die Gerichtskosten vorläufig auf
die Bundesgerichtskasse zu nehmen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gesuche der Parteien um unentgeltliche Rechtspflege werden gutgeheissen.
Der Beschwerdeführerin wird ein amtlicher Rechtsbeistand in der Person von
Rechtsanwalt Bernhard Jüsi, dem Beschwerdegegner in der Person von Rechtsanwalt
Martin Kuhn, bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt,
einstweilen aber auf die Bundesgerichtskasse genommen.

4. 
Rechtsanwalt Bernhard Jüsi wird mit Fr. 2'000.--, Rechtsanwalt Martin Kuhn mit
Fr. 1'000.-- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 5. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. Mai 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: Zbinden

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