Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.771/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_771/2014

Urteil vom 4. Mai 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Schöbi, Bovey,
Gerichtsschreiber von Roten.

Verfahrensbeteiligte
1. A.A.________ und B.A.________,
2. C.________,
3. D.D.________ und E.D.________,
alle vertreten durch Rechtsanwältin Sonja Vollenweider,
Beschwerdeführer,

gegen

Stockwerkeigentümergemeinschaft F.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Franz Hess,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Anfechtung eines Beschlusses der Stockwerkeigentümergemeinschaft,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 12.
August 2014.

Sachverhalt:

A. 
A.A.________ und B.A.________ (Beschwerdeführer 1), C.________
(Beschwerdeführerin 2) sowie D.D.________ und E.D.________ (Beschwerdeführer 3)
sind Mitglieder der Stockwerkeigentümergemeinschaft F.________
(Beschwerdegegnerin). An der Versammlung der Stockwerkeigentümer vom 4. April
2013 wurde unter anderem über das Traktandum 3 "Genehmigung des Protokolls vom
1. Feb. 2013 inkl. Einsprache vom 20. Feb. 2013" abgestimmt mit dem Ergebnis,
dass die Beschwerdeführer 1 (90/1000) die Genehmigung ablehnten, die
Beschwerdeführerin 2 (210/1000) und die Beschwerdeführer 3 (120/1000) sich der
Stimme enthielten und die beiden weiteren Stockwerkeigentümer (580/1000) für
die Genehmigung stimmten. Das Protokoll der Versammlung vom 4. April 2013 hielt
fest: "Das Protokoll vom 1. Feb. 2013 inkl. Einsprache vom 20. Feb. 2013 ist
mit 580/1000 Wertquoten-Stimmen angenommen."

B. 
Mit Schlichtungsgesuch vom 3. Mai 2013 beantragten die drei Beschwerdeführer
unter anderem die Aufhebung des Beschlusses zu Traktandum 3 der
Stockwerkeigentümerversammlung vom 4. April 2013. An der Verhandlung vom 3.
Juli 2013 kam keine Einigung zustande. Die Schlichtungsbehörde erteilte den
Beschwerdeführern am 3. Juli 2013 die Klagebewilligung, deren Versand am 4. ds.
und deren Zustellung an die Beschwerdeführer am 5. ds. erfolgte.

C. 
Am 16. September 2013 (Datum der Postaufgabe) reichten die Beschwerdeführer
ihre Klage ein mit dem Begehren, den Beschluss zu Traktandum 3 aufzuheben. Die
Beschwerdegegnerin schloss auf Nichteintreten. Das Bezirksgericht Kriens trat
auf die Klage nicht ein, weil die Beschwerdeführer die materiell-rechtliche
Klagefrist von einem Monat versäumt hätten (Urteil vom 12. März 2014).

D. 
Die Beschwerdeführer legten Berufung ein. Die Beschwerdegegnerin schloss auf
Abweisung. Das Kantonsgericht Luzern wies die Klage wegen Fristversäumnis ab
(Urteil vom 12. August 2014).

E. 
Mit Eingabe vom 3. Oktober 2014 beantragen die Beschwerdeführer dem
Bundesgericht, das kantonsgerichtliche Urteil aufzuheben und das Kantonsgericht
anzuweisen, die Sache zur erneuten Behandlung an das Bezirksgericht
zurückzuweisen. Sie haben dem Bundesgericht ein weiteres Schreiben und die
Kostennote zugestellt. Das Kantonsgericht hat die Akten eingereicht und auf
eine Vernehmlassung verzichtet. Innert zweimal erstreckter Frist stellt die
Beschwerdegegnerin den Antrag, die Beschwerde gutzuheissen, das
kantonsgerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung
an das Bezirksgericht zurückzuweisen.

Erwägungen:

1. 
Das angefochtene Urteil betrifft die Anfechtung von Beschlüssen der
Stockwerkeigentümerversammlung (Art. 712m Abs. 2 ZGB) und damit eine Zivilsache
(Art. 72 Abs. 1 BGG) in einer grundsätzlich vermögensrechtlichen Angelegenheit,
deren Streitwert nach Angaben des Kantonsgerichts und beider Parteien mehr als
Fr. 30'000.-- beträgt (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG; BGE 108 II 77 E. 1b S. 79
f.). Geurteilt hat das Kantonsgericht als letzte kantonale Instanz und oberes
Gericht (Art. 75 BGG) entgegen den Anträgen der Beschwerdeführer (Art. 76 Abs.
1 BGG) durch Urteil, das das Verfahren abschliesst (Art. 90 BGG). Da die
kantonalen Gerichte lediglich die Wahrung der Klagefrist verneint, in der Sache
aber nicht entschieden haben, genügt der blosse Aufhebungs- und
Rückweisungsantrag der Beschwerdeführer (Urteil 5A_153/2009 vom 29. Mai 2009 E.
1, nicht veröffentlicht in BGE 135 III 489). Dass die Beschwerdegegnerin die
Begründetheit der Beschwerde anerkennt und ebenfalls einen Aufhebungs- und
Rückweisungsantrag stellt, kann das Bundesgericht nicht binden (Art. 107 Abs. 1
BGG). Die Aufhebung des angefochtenen Urteils in Gutheissung der Beschwerde
setzt vielmehr voraus, dass eine Rechtsverletzung geltend gemacht und bejaht
wird (BGE 107 II 189 E. 1 S. 191). Auf die fristgerecht (Art. 100 Abs. 1 BGG)
erhobene Beschwerde kann eingetreten werden.

2. 
Mit der Marginalie "Klagebewilligung" sieht Art. 209 ZPO unter anderem vor,
dass die Klagebewilligung nach Eröffnung während dreier Monate zur Einreichung
der Klage beim Gericht berechtigt (Abs. 3) und dass in Streitigkeiten aus Miete
und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen sowie aus landwirtschaftlicher Pacht
die Klagefrist 30 Tage beträgt und dass weitere besondere gesetzliche und
gerichtliche Klagefristen vorbehalten bleiben (Abs. 4).
Im kantonalen Verfahren war streitig, ob zu den vorbehaltenen Klagefristen die
Monatsfrist für die Anfechtung von Beschlüssen der
Stockwerkeigentümerversammlung gemäss Art. 75 i.V.m. Art. 712m Abs. 2 ZGB
zählt. Mit Urteil vom 10. November 2014 hat das Bundesgericht die auch in der
Lehre umstrittene Frage verneint und festgehalten, dass mit den "weiteren
besonderen gesetzlichen Klagefristen", welche in Art. 209 Abs. 4 zweiter Satz
ZPO vorbehalten werden, Fristen prozessualer Natur gemeint sind und nicht
materiell-rechtliche Verwirkungsfristen wie die Monatsfrist gemäss Art. 75 ZGB
(BGE 140 III 561 E. 2.2.2 S. 563 ff. und E. 2.3 S. 566). Der gegenteilige
Standpunkt, den auch die kantonalen Gerichte eingenommen haben, erweist sich
somit als bundesrechtswidrig.
In tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass der
angefochtene Versammlungsbeschluss am 4. April 2013 gefasst wurde und dass die
Beschwerdeführer ihr Schlichtungsgesuch am 3. Mai 2013 gestellt und damit die
Monatsfrist gemäss Art. 75 ZGB gewahrt haben (Art. 62 Abs. 1 i.V.m. Art. 64
Abs. 2 ZPO) und dass sie nach Eröffnung der Klagebewilligung am 4. Juli 2013
ihre Klage am 16. September 2013, d.h. während der Frist von drei Monaten
gemäss Art. 209 Abs. 3 ZPO, beim Gericht eingereicht haben. Die Klage ist
folglich rechtzeitig.

3. 
Aus den dargelegten Gründen muss die Beschwerde gutgeheissen werden. Das
angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache an das Bezirksgericht zur
Beurteilung der Klage zurückzuweisen (Art. 107 Abs. 2 BGG). Da die Klärung der
Rechtslage erst im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens eingetreten ist und zum
jetzigen Zeitpunkt zudem noch ungewiss ist, wie in der Sache entschieden werden
wird, rechtfertigt es sich, die - aufgrund der Verfahrenslage herabgesetzten -
Gerichtskosten für das bundesgerichtliche Verfahren den Parteien je zur Hälfte
aufzuerlegen und die Parteientschädigungen wettzuschlagen (Art. 66 Abs. 1 und 5
und Art. 68 Abs. 1 BGG; vgl. BGE 139 III 345 E. 6 S. 351). Über die
Gerichtskosten und Parteientschädigungen des kantonalen Berufungsverfahrens
wird das Kantonsgericht neu zu befinden haben (Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG;
vgl. BGE 134 I 184 E. 6.2 S. 198). Die Beschwerdegegnerin verwahrt sich gegen
eine Kostenauflage mit der Bemerkung, das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen
sei von Amtes wegen, ohne entsprechende Vorbringen und Anträge der Parteien, zu
prüfen. Die Auffassung trifft nicht zu (BGE 139 III 278 E. 4.3 S. 281 f.).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 1.
Abteilung, vom 12. August 2014 aufgehoben. Die Sache wird zur Beurteilung der
Klage der Beschwerdeführer vom 16. September 2013 an das Bezirksgericht Kriens
zurückgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von insgesamt Fr. 2'000.-- werden zur Hälfte den
Beschwerdeführern unter solidarischer Haftbarkeit für ihren Anteil und zur
Hälfte der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Gerichtskosten und Parteientschädigungen
des kantonalen Berufungsverfahren an das Kantonsgericht zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung,
sowie dem Bezirksgericht Kriens schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. Mai 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: von Roten

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